Mit dem Begriff Schizophrenie wird eine Krankheitsgruppe bezeichnet, welche die Gesamtpersönlichkeit
betrifft und eine veränderte Erlebnisstruktur zur Folge hat. Grundsymptome sind Störungen
des Denkens, der Affektivität und des Antriebs, akzessorische Symptome sind Wahn,
Halluzination und katatone Störungen.
Es besteht heute weitgehend Übereinstimmung darüber, dass die den schizophrenen Störungen
zugrunde liegenden Veränderungen auf biologischen Ursachen beruhen. Allerdings konnte
trotz jahrzehntelanger, intensiver Forschung bis heute kein biologischer Faktor eindeutig
nachgewiesen werden, der zur Entstehung der Erkrankung beiträgt. Einen Ansatzpunkt
für die Erforschung der molekularen Ursachen, der vor allem in neuerer Zeit als viel
versprechend bewertet wird, bieten jedoch die genetischen Grundlagen der Erkrankung.
Erste Hinweise zur Vererbbarkeit von schizophrenen Erkrankungen wurden bereits von
Emil Kraepelin (1856-1926) erhalten und konnten in der Folgezeit immer wieder bestätigt
werden.
Das Risiko für ein heute geborenes Kind, im Laufe seiner Lebenszeit an einer schizophrenen
Psychose zu erkranken, beträgt bis zu einem Alter von 55 Jahren etwa 1 % ([Abb.1], [3]). Für Verwandte 2. Grades - Onkel, Tanten, Neffen oder Nichten - beträgt das lebenslange
Erkrankungsrisiko bereits 2-4 %. Verwandte ersten Grades (z.B. Kinder) zeigen, verglichen
mit dem Risiko in der Allgemeinbevölkerung, ein deutlich erhöhtes Risiko von 15-17
%. Die deutlichsten Hinweise auf eine Beteiligung von Erbfaktoren werden jedoch beim
Vergleich des Erkrankungsrisikos von eineiigen mit dem Risiko von zweieiigen Zwillingsgeschwistern
erhalten. Zwillingspartner eines eineiigen, an Schizophrenie erkrankten Zwillings
haben, im Vergleich zu Partnern von zweieiigen Zwillingen, ein 2,8-fach höheres Risiko
an schizophrenen Störungen zu erkranken (Abb. 1).
Schizophrene Störungen haben multifaktorielle, oligo- (poly-)gene Ursachen
Schizophrene Störungen haben multifaktorielle, oligo- (poly-)gene Ursachen
Aus den Zwillingsstudien kann auch abgeleitet werden, dass Erbfaktoren nicht ausschließlich
das Erkrankungsrisiko vermitteln. Eineiige Zwillinge besitzen identisches Erbmaterial
und sollten deshalb, sofern die Erkrankung ausschließlich auf genetischen Faktoren
beruht, auch beide erkranken. Im Durchschnitt erkrankt jedoch nur etwa die Hälfte
der Zwillingspartner eines betroffenen eineiigen Paares [Abb. 1]. Dies weist zum einen daraufhin, dass neben den genetischen Faktoren auch andere
Faktoren an der Entstehung der Erkrankung beteiligt sein müssen (multifaktoriell),
zum anderen kann aus diesen Zahlen außerdem ersehen werden, dass es sich bei schizophrenen
Störungen nicht um eine „einfache”, monogene, den Mendelschen Gesetzen folgende Erbkrankheit
handelt, sondern - ähnlich wie bei vielen anderen häufigen Erkrankungen, z.B. die
koronaren Herzerkrankungen, Bluthochdruck oder Diabetes - um eine genetisch komplexe
Erkrankung mit oligo- bzw. polygenem Hintergrund. Man geht heute davon aus, dass neben
dem Zusammenwirken von einer zurzeit noch unbestimmten Anzahl an Genvarianten auch
die Zusammensetzung dieser Varianten variieren kann und dass so, im Zusammenspiel
mit der Umwelt, das erhöhte Erkrankungsrisiko vermittelt wird [Abb. 2].
Erkrankungen mit genetischen Ursachen können mit den heute zur Verfügung stehenden
Mitteln und dem heute vorhandenen Wissen aus dem Humangenomprojekt aufgeklärt werden.
So konnten bereits für die meisten der monogenen Erkrankungen (z.B. Cystische Fibrose,
Chorea Huntington) das ursächliche Gen bzw. der Gendefekt nachgewiesen werden. Für
multifaktoriell bedingte Erkrankungen wie die Schizophrenie ist der Nachweis von Genen
jedoch erschwert, da diese, im Unterschied zu den monogen bedingten Erkrankungen,
die Erkrankung nicht direkt verursachen (= kausale Gene), sondern dazu beitragen,
das Erkrankungsrisiko zu erhöhen (= Risiko-, Suszeptibilitätsgene). Die Forschung
steht hier erst am Anfang eines sicherlich noch langen Weges. Die Perspektiven, die
eine Aufklärung der genetischen Ursachen mit sich bringen, rechtfertigen jedoch die
Anstrengungen, die zurzeit dafür unternommen werden. Der Nachweis der molekularen
Veränderungen, die zur Entstehung einer Erkrankung beitragen, könnte von größter Bedeutung
für die Entwicklung von ursachenorientierter Diagnostik, Frühintervention und Therapie
sein.
Im Folgenden sollen wesentliche Voraussetzungen für diese Arbeiten beschrieben, sowie
der Stand der auf der Genetik basierenden Forschungsarbeiten kurz zusammengefasst
werden.
Diagnose Schizophrenie
Diagnose Schizophrenie
Eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Suche nach den Ursachen der Schizophrenie
ist eine gesicherte Diagnose. Das bedeutet insbesondere die Abgrenzung gegenüber Verhaltensweisen,
die zwar nicht der Norm entsprechen, aber nicht unbedingt als eine Fehlfunktion des
Gehirns anzusehen sind. Im Gegensatz zu anderen genetisch komplexen Erkrankungen wie
Diabetes oder Bluthochdruck gibt es bei den schizophrenen Störungen keine messbaren
Laborwerte, die eine objektive Diagnose ermöglichen. Die psychiatrische Diagnose beruht
auf einem ausführlichen persönlichen Interview durch erfahrene Psychiater zur Feststellung
der Symptome, auf der Auswertung der Krankengeschichte des Patienten, auf dem Ausschluss
anderer körperlicher Leiden oder Infektionen, die gleichartige Symptome hervorrufen
können, ferner auf der Familiengeschichte der Erkrankung.
Stichproben zur Aufklärung von genetischen Faktoren
Stichproben zur Aufklärung von genetischen Faktoren
Grundlage für die Aufklärung von genetischen Faktoren durch molekulargenetische Methoden
ist die Verfügbarkeit einer möglichst großen Anzahl an, von schizophrenen Störungen
betroffenen, nicht miteinander verwandten Personen (Assoziationsstichprobe) bzw. die
Verfügbarkeit einer großen Anzahl von Familien, in denen die Erkrankung vererbt wird
(Kopplungsstichprobe). Von allen beteiligten Personen muss der Phänotyp (siehe „Diagnose”)
definiert sein. Zusätzlich wird eine kleine Menge Blut für die Isolierung des Erbmaterials
(DNA = Desoxyribonukleinsäure) benötigt. Bei beiden Stichproben wird untersucht, ob
genetische Varianten häufiger bei den Erkrankten nachgewiesen werden können als durch
Zufall zu erwarten ist.
Bei Assoziationsuntersuchungen wird die Häufigkeit des Vorkommens einer Variante bei
den Erkrankten mit der Häufigkeit dieser Variante in einer Stichprobe aus der Normalbevölkerung
verglichen. Da theoretisch dafür alle Gene in Frage kommen, sollten für diese Untersuchungen
Hinweise bzw. Hypothesen zur Pathophysiologie der Erkrankung vorhanden sein. Damit
kann die Zahl der Tests (mindestens 30.000-40.000 entsprechend der Anzahl der Gene)
auf eine Zahl reduziert werden, die im Bereich der heutigen Möglichkeiten durchführbar
ist.
Bei Kopplungsuntersuchungen wird dagegen untersucht, ob die gemeinsame Vererbung einer
DNA-Variante häufiger an erkrankte Familienmitglieder erfolgt. Die Variante, deren
Lokalisierung bekannt sein muss, kann in diesem Fall Aufschluss über die bisher unbekannte
Lokalisation des Krankheitsgenorts vermitteln.
Während Assoziationsstichproben relativ leicht zu erhalten sind, ist das Zusammenstellen
einer größeren Familienstichprobe mit mehreren an Schizophrenie Erkrankten sehr viel
aufwändiger. Dies ist durch die Begleitumstände der Erkrankung (verminderte soziale
Kontakte, zerstörte Familien, Furcht vor Stigmatisierung) bedingt. Für klassische
LOD score Kopplungsanalysen werden Stammbäume mit mehreren Erkrankten und mehreren
Generationen und Seitenzweigen bevorzugt. Ein relativ einfacher Test auf Kopplung
beruht in der Untersuchung der Markervererbung in erkrankten Geschwisterschaften.
Hinweise auf Kopplung werden dabei erhalten, wenn eine bestimmte DNA-Variante häufiger
bei beiden erkrankten Geschwistern auftritt als durch Zufall anzunehmen wäre.
Ein systematisches, hypothesenfreies Absuchen des gesamten menschlichen Erbgutes nach
Genorten für Risikogene ist überwiegend mit Familienstichproben möglich, während Assoziationsstichproben
ein gezieltes Absuchen bestimmter Gene ermöglichen - zumindest mit den Mitteln, die
heute zur Verfügung stehen. Hat man jedoch durch systematisches Absuchen des Genoms
Hinweise auf bestimmte chromosomale Regionen erhalten, können in einer verfeinerten
Suche sowohl in Assoziationsstichproben als auch in Familienstichproben die in dieser
Region enthaltenen Gene („Kandidatengene”) auf Assoziation mit der Erkrankung untersucht
werden.
Molekulargenetische Grundlagen
Molekulargenetische Grundlagen
Die weitgehende Aufklärung der Einzelbausteine („Entschlüsselung der genetischen Information”)
des menschlichen Genoms ist eine gute Voraussetzung für die Aufklärung der genetisch
komplexen, multifaktoriell bedingten Erkrankungen. Im Genom vorkommende Varianten
sind damit nachweisbar und lassen sich als „Marker” für den Nachweis von Genorten,
die zur Entstehung der Erkrankung beitragen, verwenden. Dadurch wurde es möglich,
mehrere chromosomale Regionen nachzuweisen, die mit großer Wahrscheinlichkeit veränderte
Gene enthalten, die das Erkrankungsrisiko für Schizophrenie erhöhen.
Kartierung von Genorten für schizophrene Störungen
Kartierung von Genorten für schizophrene Störungen
Weltweit haben mehrere Arbeitsgruppen größere Familienstichproben mit an Schizophrenie
Erkrankten gesammelt und systematisch auf chromosomale Regionen untersucht, die mit
der Erkrankung in Zusammenhang stehen [5]. Dabei gelten mindestens neun dieser Regionen (auf Chromosom 1q, 5q, 6p, 6q, 8p,
10p, 13q, 15q und 22q) als Erfolg versprechend und rechtfertigen weitere Arbeiten
zur Suche nach Kandidatengenen, die zur Erkrankung beitragen.
Zur Veranschaulichung dieser genetischen Kartierungsarbeiten soll auf einen Vergleich
aus der geografischen Kartierung zurückgegriffen werden: Um ein bestimmtes Haus in
einer bestimmten Straße in einer bestimmten Stadt irgendwo in der Welt zu finden,
wird man zunächst versuchen, die Stadt (Chromosom) auf der Weltkarte (Genom) zu lokalisieren,
dann die Straße (Gen) in dieser Stadt um anschließend dort das Haus (Genvariante)
zu suchen. Die systematische Suche nach Genorten für Schizophrenie hat uns im Prinzip
die Städte (Chromosomen) geliefert, in denen wir nun nach Straßen (Genen) und nach
den Häusern in diesen Straßen (Veränderungen dieser Gene) suchen müssen.
Kandidatengene, ausgehend vom systematischen Absuchen des Genoms
Kandidatengene, ausgehend vom systematischen Absuchen des Genoms
In jüngster Zeit wurden in den im vorangegangenen Kapitel beschriebenen Kandidatenregionen,
durch Assoziationsuntersuchungen Gene nachgewiesen, die als Kandidaten für Suszeptibilitätsgene
in Frage kommen.
Zu diesen Kandidatengenen gehören:
Chromosom 8p: Neuregulin 1 [8], ein Gen, das für ein Protein kodiert, das eine Rolle in Expression und Aktivierung
von Neurotransmitterrezeptoren - unter anderem Glutamatrezeptoren - spielt.
Chromosom 6p: Dysbindin [6]
[9]. Das Protein spielt möglicherweise eine strukturelle Rolle bei der Bildung und dem
Erhalt von neuromuskulären Synapsen.
Chromosom22q: Catechol-O-Methyltransferase (COMT[2]
[7]), Prolindehydrogenase [4]. COMT ist ein am Abbau des Neurotransmitters Dopamin beteiligtes Enzym. Eine beeinträchtigte
Aktivität dieses Enzyms könnte die Konzentration von Dopamin im synaptischen Spalt
beeinflussen und damit die neuronale Signalübermittlung stören. Ein weiteres Kandidatengen
in dieser Region (Prolindehydrogenase) wurde mit schizophrenen Störungen, die im Kindes-
bzw Jugendalter beginnen, assoziiert. Prolin ist ein möglicher Modulator von glutamaterger
Signalübermittlung im Gehirn.
Chromosom 1q: Regulator of G-protein signalling 4 (RGS4, [1]). DNA-Varianten in diesem Gen waren in mehreren unabhängigen Stichproben mit schizophrenen
Störungen assoziiert. Weiterhin wurde das Gen in post mortem Gehirnen von Schizophrenen
vermindert exprimiert gefunden. Das zugehörige Protein spielt bei der Regulation von
G-Protein gekoppelten Rezeptoren (Dopamin, Glutamat, GABA) eine Rolle.
Für diese ausgewählten Gene wurden Hinweise durch Kopplungs- bzw. Assoziationsanalysen
in mehreren unabhängigen Stichproben erhalten. Sie sind jedoch solange erst als Kandidaten
einzuschätzen bis der endgültige Nachweis ihrer Bedeutung bei der Krankheitsentstehung
durch die Aufklärung ihrer Funktion und deren eindeutige Zuordnung zur Erkrankung
vorliegt. Diese Arbeiten werden von den gegenwärtigen Bestrebungen, die Funktionen
aller menschlichen Gene aufzuklären, profitieren, werden aber noch einen größeren
Zeitraum beanspruchen. Erst mit diesem Nachweis werden sich jedoch mögliche neue Wege
für auf einem besseren Krankheitsverständnis beruhende Diagnose, Prävention und Therapie
eröffnen.
Abb. 1
Abb. 2 Genvarianten (ausgefüllte Symbole) prägen den Phänotyp durch unterschiedliche Zusammensetzung
und Anzahl.Umwelteinflüsse können die Ausprägung des Phänotyps in beide Richtungen
beeinflussen.