Dtsch Med Wochenschr 2003; 128(10): 495
DOI: 10.1055/s-2003-37621
CME
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Hyperthyreose - Der konkrete Fall

Hyperthyroidism - case reportP.-M Schumm-Draeger1 , O.-A Müller2
  • 13. Medizinische Abteilung, Endokrinologie, Diabetologie und Angiologie, Städtisches Krankenhaus München-Bogenhausen
  • 22. Medizinische Abteilung, Rotkreuzkrankenhaus München
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Prof. Dr. med. Petra-Maria Schumm-Draeger

Städtisches Krankenhaus München-Bogenhausen, 3. Med. Abteilung Endokrinologie, Diabetologie und Angiologie

Englschalkinger Straße 77

81925 München

Email: Schumm-Draeger@extern.lrz-muenchen.de

Publication History

eingereicht: 20.1.2003

akzeptiert: 24.2.2003

Publication Date:
06 March 2003 (online)

Table of Contents

Anamnese: Die jetzt 63-jährige Patientin wurde vor 10 Jahren wegen eines hoch schmerzhaften Herpes zoster in reduziertem Allgemeinzustand und mit rezidivierenden Tachykardien stationär aufgenommen. 6 Monate zuvor war eine Radiojod-Therapie eines autonomen Adenoms durchgeführt worden (Herddosis von 400 Gy). Das schlechte Allgemeinbefinden und die intermittierenden Tachykardien waren durchaus durch den Herpes zoster zu erklären.

Befunde: Laborchemisch fand sich allerdings eine manifeste Hyperthyreose mit erhöhtem freiem T3-Spiegel (9,4 pg/ml) und T4/TBG-Quotienten (7,3) bei supprimiertem TSH-Spiegel (0,02 mE/ml). Zum Zeitpunkt der Radiojod-Therapie hatte lediglich eine Grenzwerthyperthyreose (Gesamt-T4 8,0 µg/dl, Gesamt-T3 1,4 ng/ml, TSH basal < 0,10 mE/ml) bestanden. Die weitere Diagnostik 6 Monate nach der Radiojod-Therapie ergab sonographisch, szintigraphisch sowie serologisch eindeutig den Nachweis einer Immunthyreopathie, wenn auch Zeichen der endokrinen Orbitopathie fehlten. Insbesondere waren als serologisches Charakteristikum die Antikörper gegen den TSH-Rezeptor (TRAK) massiv erhöht, ebenfalls die Antikörper gegen die Schilddrüsenperoxidase (TPO-AK = mikrosomale AK).

Verlauf: Die Patientin wurde thyreostatisch mit Carbimazol über mehr als ein Jahr behandelt. Darunter bestand eine Euthyreose (freies T3 2,5 pg/ml, normaler T4/TBG-Quotient von 3,2, TSH basal 3,6 mE/ml). Im weiteren Verlauf waren die TSH-Rezeptor-Antikörper (TRAK) nicht mehr nachweisbar, aber weiterhin bestanden positive Titer für TPO-Antikörper. Etwa 6 Jahre später wurde erstmals eine subklinische Hypothyreose mit einem leicht erhöhten TSH-Spiegel von 5,8 mE/ml nachweisbar, und die Patientin erhielt eine Substitutionstherapie mit 50 µg L-Thyroxin/Tag. Bei einer aktuellen Kontrolle fanden sich unter dieser Substitutionstherapie normale Schilddrüsenhormonparameter mit einem basalen TSH-Spiegel von 1,7 mE/ml, lediglich die TPO-Antikörper waren nachweisbar.

Fazit: Bei der Patientin ist die Kombination einer Schilddrüsenautonomie sowie einer Immunthyreopathie als gesichert anzusehen (Marine-Lenhart-Syndrom). Bei demselben Patienten kann die Kombination einer Schilddrüsenautonomie mit einer Autoimmunthyreopathie auftreten. Diese seltene Kombination von Schilddrüsenerkrankungen ist als zufällig zu werten: 1. ist im Jodmangelgebiet wie der Bundesrepublik Deutschland bei einer mit steigendem Lebensalter zunehmend hohen Prävalenz der Schilddrüsenautonomie, eine Kombination mit einer Autoimmunthyreopathie bei entsprechend genetisch prädisponierten Personen zu erwarten; 2. erscheint die Reihenfolge des zeitlichen Auftretens der Autonomie bzw. Autoimmunthyreopathie von einander unabhängig zu sein und 3. gibt es keine Hinweis dafür, dass in Folge von Radiojodbehandlungen der Schilddrüsenautonomie gehäuft Autoimmunthyreopathien beobachtet werden [1]. Fließende Übergänge bestehen bezüglich der Ausprägung sowie des klinischen und serologischen Verlaufes der Autoimmunthyreopathie. Es ist anzunehmen, dass es in Abhängigkeit des jeweiligen Zytokinmusters intrathyreoidal zu einem „Shift”, d. h. einer Verschiebung, der Antikörperproduktion im Krankheitsverlauf kommt und dass sich somit zunächst eine TSH-Rezeptor-Antikörper (TRAK) vermittelte Autoimmunhyperthyreose entwickeln kann, die langfristig durch Überwiegen destruktiver Autoimmunprozesse als Autoimmunthyreoiditis mit Hypothyreose imponieren kann.

Insgesamt belegt diese Kasuistik die Notwendigkeit einer sehr genauen differentialdiagnostischen Vorgehensweise bei Patienten mit Hyperthyreose und illustriert die große Bedeutung langfristiger Kontrollen der Schilddrüsenfunktion auch nach abgeschlossener Therapie der Hyperthyreose, um zu jedem Zeitpunkt eine individuelle, angemessene Therapieentscheidung fällen zu können.

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Literatur

  • 1 Weiss M. et al . Auftreten einer immunogenen Hyperthyreose nach Radio-Jod-Therapie fokaler Schilddrüsenautonomien.  Med Klin. 1994;  94 244

Prof. Dr. med. Petra-Maria Schumm-Draeger

Städtisches Krankenhaus München-Bogenhausen, 3. Med. Abteilung Endokrinologie, Diabetologie und Angiologie

Englschalkinger Straße 77

81925 München

Email: Schumm-Draeger@extern.lrz-muenchen.de

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Literatur

  • 1 Weiss M. et al . Auftreten einer immunogenen Hyperthyreose nach Radio-Jod-Therapie fokaler Schilddrüsenautonomien.  Med Klin. 1994;  94 244

Prof. Dr. med. Petra-Maria Schumm-Draeger

Städtisches Krankenhaus München-Bogenhausen, 3. Med. Abteilung Endokrinologie, Diabetologie und Angiologie

Englschalkinger Straße 77

81925 München

Email: Schumm-Draeger@extern.lrz-muenchen.de