Klin Monbl Augenheilkd 2003; 220(1/2): 44-50
DOI: 10.1055/s-2003-37575
Klinische Studie
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Frühgeborenenvorsorge anhand eines Prospektivbogens: Retro- und Prospektive Auswertung von 2393 Krankengeschichten

Evaluation of a Prospective Card for Prematures: Retro- and Prospective Evaluation of 2393 HistoriesUrsula  M.  Mayer1 , Dominik  Hornung1
  • 1Aus der Augenklinik mit Poliklinik der Universität Erlangen-Nürnberg in Erlangen (Vorstand: Prof. Dr. Dr. h. c. mult. G. O. H. Naumann)
Die Umwandlung unserer Werte in eine Excel-Datei wurde dankenswerterweise von Herrn C. Hafner ausgeführt
Further Information

Publication History

Eingegangen: 22. August 2000

Angenommen: 22. Januar 2003

Publication Date:
03 March 2003 (online)

Zusammenfassung

Hintergrund: Ist es wirklich so, dass Frühgeborene, sofern sie nicht erblinden, eine beschleunigte Reifung haben, besonders intelligent sind und - mit oder ohne Makulaektopie - so kurzsichtig werden wie Annette von Droste-Hülshoff [12]? Um einen Zeitplan zum frühzeitigen Erkennen und möglicherweise Verhindern der Frühgeborenen-Retinopathie (RPM) zu finden, suchten wir nach kritischen Phasen der Entwicklung, wie man sie auch bei anderen Säugetieren findet. Bei der Ermittlung aktueller Risikofaktoren und bei der Datierung der notwendigen Untersuchungstermine leistete der von uns seit 1984 benutzte Frühgeborenenbogen gute Dienste. Patienten und Methoden: Zugrunde lagen die retrospektiv aus der Zeit 1981 - 1984 aufgezeichneten Daten von 294 Kindern [7] und prospektiv diejenigen von 100 Säuglingen aus der Zeit 1984 - 93 [8] und seitdem diejenigen von weiteren 1999 Babys. Um jedem internationalen Vergleich standzuhalten, wurden alle ophthalmologischen Befunde in das Schema des International Committee for Retinopathy of Prematures (ICROP) (1984) eingetragen. Zusätzlich erarbeiteten wir einen Zeitplaner, unseren Frühgeborenenbogen, der übereinander das aktuelle Datum und das Alter des Kindes in Schwangerschaftsmonaten angibt; er zeigt zusätzlich die Dauer der Sauerstoffapplikation, das Geburtsgewicht, den alten Sicherheitsindex s nach Körner-Bossi und andere mögliche Risikofaktoren. Neuerdings würde der Verlauf der Blutzuckerwerte hierzu gehören. In diese so genannte Prospektivkarte zeichneten wir die RPM-Entwicklung von 31 Babys ein. Darüber hinaus suchten wir aus den gespeicherten Daten von 1999 Kindern so genannte matched pairs heraus und stellten 31 Paare mit unterschiedlichen Risikofaktoren einander gegenüber, jeweils ein Kind mit RPM und eines ohne. Die Umwandlung in eine Excel-Datei unserer Werte machte es möglich, den Nutzen des Frühgeborenenbogens rechnerisch darzustellen. Ergebnisse: Neben einer Anpassung unseres Prospektivbogens an aktuelle Daten zeigten sich Epidemiologie der RPM, Therapieversuche und eine kritische Betrachtung verschiedener Risikofaktoren. Risikobabys hatten einen Sicherheitsfaktor s unter 1,0 - meistens sogar unter 0,7. Dieses entsprach einem Geburtsgewicht unter 1000 g, einem Schwangerschaftsalter von weniger als 29 Wochen und einer Sauerstoffbehandlung über mehr als 3 Tage. Während der letzten 15 Jahre nahmen Alter und Gewicht der Säuglinge stetig ab. Als Risikofaktoren prüften wir u. a. die Menge transfundierten Blutes, die Dauer der Beatmung und die Blutzuckerwerte des Kindes. Der RPM-Beginn zeigte sich immer zwischen der 35. und der 38. Woche. Im Falle einer spontanen Rückbildung, das heißt ohne „Threshold-Phänomen”, begann das Narbenstadium meistens in der 41. Woche. Schlussfolgerung: Im Bestreben, dem Untersucher Zeit und dem Baby Stress zu ersparen, erwies sich der Prospektivbogen als sehr nützlich. Aus unseren Rechnungen ließ sich für jedes Baby das Risiko einer RPM und auch der Zeitpunkt ihres Auftretens vorhersagen. Hohe Schwankungen der Blutzuckerwerte erwiesen sich nach unseren Befunden als ein Risikofaktor. Durch unseren Bogen erübrigten sich etwa 60 % aller Untersuchungen. Er half auch im Falle medikolegaler Diskussionen. Die Anwendung unseres Prospektivbogens brachte zutage, dass alle Babys auch in der Reifung der Netzhaut kritische Reifungsstadien durchlaufen, seien sie nun geboren oder noch nicht. Diese Risikophasen verdienen auch in der Vorsorge Beachtung.

Abstract

Background: Is it really true, that prematures have an accelerated maturation, are very intelligent and - with or without ectopic macula - get as myopic as Annette von Droste-Hülshoff was [12]? To find a time schedule in prevention or early detection of retinopathy of prematurity (ROP) and also to detect risk factors, we looked for critical phases in the development of premature babies in analogy to those found in the development of other mammals. Patients and methods: We examined the data of 294 children (1981 - 84) retrospectively [7] and then prospectively those of 100 children from 1984 - 93 [8] and of further 1999 babies since then. All findings were noted in the International Committee for Retinopathy of Prematures scheme (ICROP 1984). We elaborated a time table which shows in parallel the actual dated and the age of the baby in gestational months, duration of oxygen application, birth weight, safety index s of the ancient Körner-Bossi and known risk factors, recently the blood serum glucose levels. In this so-called prospective card we noted the time table of developing ROP in 31 children. Furthermore, we chose matched pairs for these ROP-babies out of the data of 1200 healthy babies and evaluated risk factors such as days of oxygen supply and blood glucose levels. Finally, we transformed our data into an excel data base and calculated the economic advantages of examinations by our method. Results: After an adaptation to recent data we showed the epidemiology, therapeutic attempts and a critical review of so-called risk factors. Risk babies had a Körner-Bossi index of less than 1.0; this corresponds to a birth weight of less than 1000 g, a gestational age of less than 29 weeks, and oxygen application for more than 3 days. During the last 15 years, age and weight of the prematures decreased steadily. The onset of ROP occurred always between the 35th and the 40th gestational week. In spontaneous regression, cicatricional stages mostly started in the 41st week. Conclusion: In order to win time for the examinator and to avoid stress for the baby, the prospective card proved very useful. It was helpful also in medico-legal discussions. The prospective card made it evident that the babies pass critical maturation stages during all their development, before as well as after birth. In screening premature babies, this critical phase requires to be respected.

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Prof. Dr. med. U. M. Mayer

Augenklinik mit Poliklinik der Universität Erlangen-Nürnberg (Kopfklinikum)

Schwabachanlage 6

91054 Erlangen

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