Gesundheitswesen 2002; 64: 43-47
DOI: 10.1055/s-2002-38996
Kinder- und Jugendgesundheitssurvey
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Der Kinder- und Jugendgesundheitssurvey als Datenquelle zur Beschreibung wesentlicher Aspekte der gesundheitlichen Versorgung im Kindes- und Jugendalter

The National Health Interview and Examination Survey for Children and Adolescents as an Essential Data Source for Fundamental Aspects of Health CareH. Knopf1 , E. Bergmann1 , A. Dippelhofer1 , P. Kamtsiuris1 , H.-U Melchert1 , S. Reiter1 , A. Tischer1
  • 1Robert Koch-Institut, Berlin
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Dr. Hildtraud Knopf

Robert Koch-Institut

Seestraße 10

13353 Berlin

Publication History

Publication Date:
15 May 2003 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung

Der Kinder- und Jugendgesundheitssurvey hat das Ziel, repräsentative Daten zum Gesundheitszustand der Bevölkerung im Alter von 0 bis unter 18 Jahren zu erheben. Im Rahmen dieser Querschnittsstudie, in der ca. 18 000 Probanden zu gesundheitsrelevanten Themen befragt werden, sollen u. a. auch Eckwerte zur gesundheitlichen Versorgung erfasst werden. Zu ihnen gehören Parameter des Inanspruchnahmeverhaltens, der Krankenversicherung, des Impfschutzes und der Arzneimittelanwendung. Die Datenerhebung beginnt im ersten Quartal 2003 und wird voraussichtlich im letzten Quartal 2005 beendet sein. Das Studiendesign wurde in einer einjährigen Pilotphase getestet und an die Erfordernisse des Gesundheitssurveys adaptiert. Die Erfassung der Angaben zur gesundheitlichen Versorgung erfolgt mithilfe eines Selbstausfüllfragebogens bzw. eines computergestützten standardisierten ärztlichen Interviews.

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Abstract

The German National Health Survey for Children and Adolescents aims at collecting representative data on the health status of the population in the 0 to 18 years age bracket. Examination of about 18.000 participants is planned. In this cross-sectional study relevant data concerning health services will be gathered. These include parameters of health care demands, health insurance, vaccination status and drug utilisation. The data collection will start in the first quarter of 2003 and will probably be terminated in the last quarter of 2005. The study design has been tested in a pilot study for one year and was adapted to the demands of this specific health survey. The instruments used for data collection are a self-administered questionnaire as well as a standardised, computer-based medical interview.

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Problem- und Zielstellung

Trotz zahlreicher Ergebnisse der amtlichen Medizinalstatistik und der epidemiologischen Forschung fehlen zur Beschreibung der gesundheitlichen Versorgung im Kindes- und Jugendalter Daten, die zwei wesentliche Kriterien erfüllen: Erstens bevölkerungsrepräsentativ für die Bundesrepublik Deutschland und zweitens konjunkt und damit auf dem Mikrolevel erhoben zu sein. Ziel des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys ist es, diese Informationslücke zu schließen und im Zusammenhang mit gleichzeitig gemessenen gesundheitsrelevanten Merkmalen Schwerpunkte in der gesundheitlichen Versorgung aufzeigen zu können. Aus der breiten Palette der Angebote zur gesundheitlichen Versorgung werden im Kinder- und Jugendgesundheitssurvey Angaben zur Inanspruchnahme ambulanter und stationärer Leistungen, zur Krankenversicherung, zum Impfschutz und zum Medikamentenkonsum erfasst.

Die Inanspruchnahme des Gesundheitssystems in Deutschland ist durch eine große Heterogenität gekennzeichnet. Während ein nur sehr geringer Teil der Bevölkerung fast nie eine Einrichtung des Gesundheitswesens aufsucht, suchen die meisten Einwohner 1- bis 2-mal jährlich einen Arzt auf. Durchschnittlich geht jeder Erwachsene ca. 3,3-mal im Jahr zum Arzt, wobei eine sehr hohe Streuung zu beobachten ist. Aus der Verteilungsfunktion der Inanspruchnahme sei nur beispielhaft genannt, dass auf 50% der Versicherten 80% der Arztbesuche entfallen [Bergmann, Kamtsiuris 1999]. Die Identifikation und Charakterisierung von Patienten, die das Versorgungssystem überproportional häufig nutzen, ist sowohl unter Qualitäts- als auch unter Kostenaspekten bedeutsam. Erfahrene Kinderärzte im stationären und ambulanten Bereich vermuten den Anteil dieser so genannten „high utilizer” an allen Patienten niedergelassener Kinderärzte auf bis zu 20%. In der internationalen Versorgungsforschung und insbesondere in Deutschland existieren nur wenige Untersuchungen, die Ursachen hierfür in einer Weise angeben, dass sie für eine sektorenübergreifende Verbesserung der Versorgungsqualität im Sinne einer bedarfsorientierteren und effizienteren Inanspruchnahme richtungweisend sein können.

Nachfrage nach medizinischen Leistungen kann nicht mit Bedarf gleichgesetzt werden. In einer großen Schweizer Studie wurde gezeigt [Leu und Doppmann 1986], dass der Gesundheitszustand bzw. die Abweichung vom angestrebten Gesundheitszustand, die Art der Versicherung und die Arztdichte einen großen Einfluss auf das Inanspruchnahmeverhalten sowohl bezüglich der Zahl der Arztkonsultationen als auch der Krankenhaus- und Kurtage haben. Rein ökonomische Variablen wie Transfer- und Erwerbseinkommen spielen eher eine untergeordnete Rolle. Bei freiem Zugang scheinen im stationären Bereich ökonomische Faktoren in den Familien nur geringen Einfluss auf die Behandlungsintensität und die Aufenthaltsdauer zu haben [Weingarten et al. 1997]. In einer Meta-Analyse aus den USA zeigte sich dagegen, dass Depression und psychischer Stress die stärksten Prädiktoren für Krankenhausaufnahmen und Arztkonsultationen darstellen [de Boer et al. 1997].

Verfügbare Daten zur Inanspruchnahme des Gesundheitswesens in Deutschland beziehen sich größtenteils auf die Erwachsenenpopulation. Eine Erweiterung der Untersuchung zur Inanspruchnahme auf Kinder und deren Familien erscheint in Deutschland deshalb dringend geboten. Mittels des zu gewinnenden Datenmaterials aus dem Kinder- und Jugendgesundheitssurvey können Patientengruppen bei Kindern und Jugendlichen mit einer starken Inanspruchnahme des Versorgungssystems identifiziert und deren Nutzungsgepflogenheiten beschrieben und analysiert werden. Die Daten sollen über die gesundheitliche Versorgung der Kinder und Jugendlichen in Deutschland Auskunft geben und Informationen liefern, die die Basis künftiger gesundheitspolitischer Entscheidungen der Gesundheitsversorgung dieser Bevölkerungsgruppe verbessern.

Schutzimpfungen haben bei der Bekämpfung von Infektionskrankheiten neben der Verbesserung der sozialen und hygienischen Lebensbedingungen aufgrund ihrer Effektivität, der günstigen Risiko-Nutzen-Abwägung und ihrer gesellschaftlichen und gesundheitspolitischen Akzeptanz einen hohen Stellenwert und Wirkungsgrad. Durch Impfungen werden sowohl ein individueller Krankheitsschutz als auch bei entsprechend hohen Impfraten ein Populationsschutz (Herdimmunität) möglich. Die Eradikation der Pocken im Jahr 1980, die angestrebte Zertifizierung der Eradikation der Poliomyelitis im Jahr 2005 und die für die europäische Region der Weltgesundheitsorganisation geplante Elimination der Masern im Jahr 2007 [Centers for Disease Control 1998] [Centers for Disease Control 1999] belegen die Bedeutung und Wirksamkeit von Schutzimpfungen bei der Prävention von Infektionskrankheiten.

Die Durchimpfungsraten in Deutschland sind in den letzten Jahren kontinuierlich angestiegen, erreichen aber im Vergleich zu anderen europäischen Ländern nur unbefriedigende Werte. Bei Kleinkindern, Schulkindern und Jugendlichen existieren große Impflücken [Koch et al. 1995] [ Robert Koch-Institut 2000] [ Robert Koch-Institut 2002a] [ Robert Koch-Institut 2002b]. So sind zwar 91% der Kinder mit 24 Monaten gegen Diphtherie, Tetanus, Pertussis (DTP), 88% gegen Polio und 79% gegen Hepatitis B grundimmunisiert. Für die im zweiten Lebensjahr notwendigen Auffrischungen im Rahmen einer vollständigen Grundimmunisierung konnten jedoch nur Impfraten von 50 bis 60% nachgewiesen werden, und der Anteil der zeitgerecht und vollständig grundimmunisierten Kinder betrug lediglich 10 bis 20% [ Laubereau et al. 2001].

Repräsentative Daten zum altersgerechten, den zeitlichen Vorgaben der Ständigen Impfkommission (STIKO) entsprechenden Immunschutz bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland sind notwendig, um Impflücken gezielt - z .B. in bestimmten Alters- oder Risikogruppen - schließen zu können und um die Wirksamkeit von Interventionsmaßnahmen oder Impfstrategien zu evaluieren. Eine valide Datengrundlage für die Ermittlung der Durchimpfungsraten zu einem bestimmten Zeitpunkt stellen die seit 2001 im § 34 Abs. 11 IfSG verbindlich geregelten Erhebungen des Impfstatus bei Schuleintritt dar [Robert Koch-Institut 1999] [ Robert Koch-Institut 2000] [Robert Koch-Institut 2002a] [Meyer et al. 2002]. Aus Kindergarten- (z. B. Schleswig-Holstein, Brandenburg) und Schuluntersuchungen liegen in einigen Bundesländern Querschnittsergebnisse zu anderen Zeitpunkten als dem Schuleintritt vor, die dringenden Handlungsbedarf zeigen und eindrücklich den Zusammenhang zwischen Erfassung der Durchimpfungsraten und möglicher und notwendiger Intervention [Robert Koch-Institut 2002a] [ Robert Koch-Institut 2002b] belegen. Daten aus einer repräsentativen Telefonbefragung [Laubereau et al. 2001] und einer Erhebung von Kunze und Hausen [2000] lassen gravierende Mängel im altersgerechten Impfschutz erkennen und zeigen, dass gerade zur Dokumentation des alters- und zeitgerechten Impfstatus dringend weitere belastbare fortlaufende Daten benötigt werden. Differenzierte Analysen zu Vollständigkeit, zeitgerechter Durchführung der Impfung und zu Risikofaktoren für das Unterlassen einer Impfung sind derzeit anhand dieser Datenquellen jedoch noch nicht möglich. Weltweit gelten die Durchimpfungsraten zum Ende des zweiten Lebensjahres als Qualitätsindikator für die Umsetzung von Impfprogrammen für Säuglinge und Kinder und werden von WHO und EU beim Vergleich der Länder untereinander herangezogen. Für Deutschland liegen aktuell keine bevölkerungsbezogenen Daten für diesen Zeitpunkt vor. Die Erhebung des Impfstatus im Rahmen des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys wird erstmals für ein großes, repräsentatives Kollektiv den alters- und zeitgerechten Impfschutz der Kinder und Jugendlichen aussagekräftig ermitteln. Soziodemographische Charakteristika, die mit fehlendem Impfschutz einhergehen, sowie weitere Einflussfaktoren für fehlende Impfungen (Nationalität, Sozialstatus, Alter, zugrunde liegende Erkrankung, Gesundheitsverhalten u. a.), können ermittelt werden.

Die gleichzeitige serologische Bestimmung des Immunstatus erlaubt zum einen auch Aussagen über die vorhandene Immunität, wenn der Impfpass nicht vorliegt (˜13% bei Schuleingangsuntersuchungen [Robert Koch-Institut 1999], 3,8% der ostdeutschen, 8,6% der westdeutschen Teilnehmer der Studie von Koch et al. [1995]). Zum anderen gestattet sie einen Einblick in die altersbezogene Entwicklung des Immunstatus und gibt Aufschluss über Impfversager bzw. das Abnehmen der Immunität über die Zeit. Letztere Informationen sind für den erst seit 1998 eingeführten inaktivierten Polio-Impfstoff, für den Immunschutz im Rahmen der anstehenden Masern-(Mumps-, Röteln-)Elimination sowie für Hepatitis B und den azellulären Pertussisimpfstoff von Bedeutung. So empfiehlt die WHO im Rahmen der angestrebten Masern-Elimination, den Immunstatus der Bevölkerung nach Altersgruppen spezifiziert in regelmäßigen Abständen auch serologisch zu bestimmen [WHO Regional Office for Europe 1996] [WHO Regional Office for Europe 1999].

Bereits im Kindes- und Jugendalter stellt der Arzneimittelgebrauch eine wesentliche Komponente präventiven und therapeutischen Handelns dar. Die valide Erfassung des Arzneimittelgebrauchs ist deshalb bei der Beurteilung des Gesundheitszustandes von Kindern und Jugendlichen sowie bei der Quantifizierung des Inanspruchnahmeverhaltens medizinischer Leistungen von besonderem Interesse. Nach Angaben von Glaeske und Jahnsen [2001] bekommen Kinder bis zum fünften Lebensjahr im Durchschnitt eine Tablettenmenge verordnet, die etwa so hoch ist wie die der 45- bis 49-Jährigen. Betrachtet man das Arzneimittelspektrum, so fallen jedoch deutliche Unterschiede auf. Während bei den Kindern vor allem Vitamin-D-Tabletten und Fluoride für Knochenaufbau und Mineralisation der Zähne, Husten-, Schnupfen-, Fieber- und Erkältungsmittel zur Anwendung kommen, sind es bei den Erwachsenen u. a. Herz-Kreislauf-Mittel, Hormone und Psychopharmaka im weitesten Sinne. Bisher vorliegende Studien zum Medikamentengebrauch bei Kindern und Jugendlichen beschreiben lediglich Ausschnitte des Arzneimittelverordnungsverhaltens und können nicht ohne weiteres hinsichtlich der Prävalenzraten oder des Arzneimittelspektrums verallgemeinert werden. Bevölkerungsrepräsentative Arzneimittelgebrauchsdaten über Kinder und Jugendliche, die den tatsächlichen Gebrauch beschreiben, gibt es für die Bundesrepublik Deutschland bisher nicht. Die Arzneimittelerhebungen der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Index) liefern zwar Informationen über den Arzneimittelgebrauch, beruhen aber ausschließlich auf Abrechnungsdaten. Das Marktsegment der freiverkäuflichen Arzneimittel (OTC: Over The Counter) kann vom GKV-Index nicht abgebildet werden. Der Kinder- und Jugendgesundheitssurvey kann diese Informationslücken schließen und bietet die einmalige Möglichkeit, die Arzneimitteldaten mit den anderen Daten zu speziellen Auswertungen, wie z. B. Verhaltensweisen und Krankheiten, zu verknüpfen. Darüber hinaus können spezielle Arzneimittel-Segmente, die von gesundheitspolitischem Interesse sind, abgebildet werden. Zu diesen gehören Medikamente mit evtl. suchtbahnendem Potenzial, wie z. B. Analgetika und Psychopharmaka. Weiterhin macht die Verbindung der Arzneimittel- mit den Ernährungsdaten spezielle Auswertungen möglich und sinnvoll (z. B. beim Gebrauch von Vitaminen und Mineralstoffen). Die Erfassung der Schilddrüsenmedikation ist unverzichtbar für die Bewertung der Schilddrüsensonographie sowie der Jod-Bestimmungen beim Kinder- und Jugendgesundheitssurvey.

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Material und Methode

Zielpopulation des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys ist die unter 18-jährige Wohnbevölkerung in Deutschland. Aus dieser Grundgesamtheit wird eine bevölkerungsrepräsentative Einwohnermelderegisterstichprobe gewonnen, die die Studienpopulation darstellt. Es ist geplant, ca. 18 000 Probanden u. a. zur gesundheitlichen Versorgung zu befragen. Das Stichprobendesign wird von Kurth et al. [2002] im Detail beschrieben.

Die Daten zur Inanspruchnahme ambulanter und stationärer medizinischer Leistungen werden mittels Fragebogen erhoben. Die Fragen beziehen sich auf die Inanspruchnahme von ambulanten und stationären Einrichtungen sowie auf die Patientenzufriedenheit. Es werden alle Kontakte mit Ärzten und Krankenhäusern der letzten 12 Monate erfragt. Gleichzeitig sind der Anlass des letzten Kontaktes und die Zufriedenheit der Patienten bei diesen Kontakten von Interesse. Darüber hinaus werden Angaben zu Anzahl der Kontakte, Anlass und Zufriedenheit mit Heilpraktikern und Therapeuten erhoben. Um die Angebotsseite berücksichtigen zu können, wird der Krankenversicherungsschutz der Kinder und Jugendlichen erfragt. Bis zum Alter von 13 Jahren beantworten die Eltern die Fragen, ab 14 Jahren füllen die Jugendlichen selbst den Fragebogen aus.

Der Impfstatus der Kinder und Jugendlichen wird im Rahmen eines standardisierten ärztlichen Interviews, des CAPI (computer assisted personal interview), erhoben. Es werden das Vorliegen bzw. Fehlen eines Impfausweises festgehalten und die Anzahl der dort dokumentierten Impfungen gegen Diphtherie, Tetanus, Poliomyelitis, Pertussis, Hämophilus influenzae Typ b, Masern, Mumps, Röteln und Hepatits B erfasst. Um Aussagen zur Qualität und Zeitgerechtigkeit der Impfungen zu machen, wird zwischen Grundimmunisierung und Auffrischimpfung unterschieden und die Zeitgerechtigkeit der Impfungen erhoben. Darüber hinaus werden vertiefende Fragen zum Grund nicht erfolgter Impfungen und zu möglichen Impfreaktionen gestellt. Die Fragen richten sich an die Eltern der Kinder und Jugendlichen. Ab einem Alter von 14 Jahren kann bei entsprechender Reife des Jugendlichen das Interview mit dem Probanden selbst durchgeführt werden. Die Bestimmung der Antikörpertiter für ausgewählte impfpräventable Krankheiten (Masern, Mumps, Röteln, Varizella-Zoster-Virus, Hepatitis A und B) ergänzt die Informationen zum Immunstatus der Kinder und Jugendlichen.

Zur Erfassung des Arzneimittelgebrauchs kommt ebenfalls das CAPI zum Einsatz. Hiermit wird der gesamte Arzneimittelgebrauch in den letzten sieben Tagen vor der Befragung erhoben. Die Daten zum Konsum in den letzten sieben Tagen spiegeln wesentliche Merkmale des Arzneimittelgebrauchs wider. Neben dem Namen des Medikamentes werden u. a. Indikation, Dosierung, Darreichungsform, Einnahmefrequenz, Herkunft des Arzneimittels und Anwendungsdauer erfasst. Diese detaillierte Erhebung bezieht sich nicht nur auf rezeptierte Arzneimittel, sondern auch auf Präparate der Selbstmedikation, worin sowohl die freiverkäuflichen OTC-Produkte als auch auf anderem Wege (z. B. Hausapotheke) beschaffte Medikamente eingehen. Wie bei der Erhebung des Impfstatus werden die Eltern der Probanden interviewt. Studienteilnehmer ab 14 Jahren können die Angaben zum Medikamentenkonsum selbst machen.

In das Erfassungsprogramm ist eine Arzneimittelliste integriert, die aufgrund der Pretesterfahrungen erstellt wurde. Die Kodierung der Arzneimittelnamen erfolgt nach der Anatomisch-Therapeutisch-Chemischen Klassifikation (ATC-Code der WHO), die Kodierung der Indikationen nach der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD) 10. Revision durch ein ebenfalls in das Erhebungsprogramm integriertes Kodierschema. Die Freitextangaben zu den in den letzten sieben Tagen aufgetretenen Arzneimittelnebenwirkungen (UAW) werden nach Möglichkeit den Preferred-Terms innerhalb der Organsystemklassen der WHO Adverse Reaction Terminology zugeordnet.

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Ausgewählte Pretestergebnisse

Obwohl die Ergebnisse der bereits durchgeführten Pilotphase nicht als repräsentativ für die Kinder- und Jugendpopulation anzusehen sind, werden ausgewählte Beispiele, welche die Anwendbarkeit der Erhebungsinstrumente belegen, dargestellt.

Die Frage: „Wann war Ihr Kind das letzte Mal beim Arzt?” bzw. „Wann warst du das letzte Mal beim Arzt?” zeigt die erwartete Verteilung nach dem Alter (Abb. 1). Abzuklären bleibt der leichte Wiederanstieg ab 14 Jahren bei dem letzten Arztbesuch im letzten Monat.

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Abb. 1 Verteilung des letzten Arztbesuchs nach Zeitraum und Alter.

Erste Ergebnisse aus dem Pretest zum Impfschutz [Dippelhofer et al. 2002] zeigen, dass die Impfbereitschaft zwar deutlich zugenommen hat, dass aber die Durchimpfungsraten für die unterschiedlichen Impfungen in Abhängigkeit von Untersuchungsregion, Altersgruppe und Ausbildungsstand der Mutter variieren. Die Durchimpfungsraten scheinen in den neuen Bundesländern überwiegend besser zu sein als in den alten. Die Unterschiede werden insbesondere bei den noch vor der Wende durch das Gesundheitswesen der ehemaligen DDR versorgten 12- bis 17-Jährigen deutlich. In der Altersgruppe der 2- bis 6-Jährigen haben sich die Durchimpfungsraten in ost- und westdeutschen Untersuchungsorten angeglichen (Abb. 2).

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Abb. 2 Durchimpfungsraten gegen Masern (Definition ausreichender Impfschutz: 2-6 Jahre 1. Impfung, > 6 Jahre 2. Impfungen; n = 1571).

Im Schul- und Jugendlichenalter weisen Kinder aus unteren sozialen Schichten für fast alle Impfungen eine niedrigere Durchimpfungsrate als Mittel- und Oberschichtkinder auf. Umgekehrt werden Impfungen, die von einigen Eltern skeptisch beurteilt werden, von Kindern aus oberen sozialen Schichten seltener in Anspruch genommen. Dies gilt vor allem für die Impfungen gegen Masern, Mumps und Röteln und in geringerem Maße auch für die Pertussis-Impfung.

Im Hinblick auf den Arzneimittelkonsum haben im Pretest 43,4% der Knaben und 48,2% der Mädchen in den letzten sieben Tagen vor der Befragung mindestens ein Arzneimittel angewendet. Wird der Arzneimittelgebrauch lediglich auf die Arzneimittelanwender bezogen, so ergibt sich in Abhängigkeit von Alter und Geschlecht das folgende Bild: Die Zahl konsumierter Medikamente ist im Säuglings- und Kleinkindesalter am höchsten und verringert sich mit zunehmendem Alter. Der erneute Anstieg des Medikamentengebrauchs bei den Mädchen im Alter von 14 bis 17 Jahren ist in erster Linie auf die Anwendung hormoneller Kontrazeptiva zurückzuführen. Einen Eindruck über das Arzneimittelspektrum vermittelt Tab. 1.

Tab. 1 Arzneimittelanwender nach ATC-Gruppen und Geschlecht (sortiert nach Gesamthäufigkeit)
gesamtKnabenMädchen
Stichprobenumfang 1571100%777100%794100%
davon Arzneimittelanwender in der ATC-Gruppe
R05 Husten- und Erkältungspräparate1328,4%617,9%718,9%
A01 Stomatologika1036,6%547,0%496,2%
A12 Mineralstoffe976,2%465,9%516,4%
R01 Rhinologika895,7%455,8%445,5%
A11 Vitamine795,0%425,4%374,7%
N02 Analgetika795,0%324,1%475,9%
G03 Sexualhormone u. Modulatoren d. Genitalsystems442,8% 445,5%
D02 Emollientia und Hautschutzmittel392,5%192,5%202,5%
R03 Antiasthmatika352,2%192,5%162,0%
J01 Antibiotika zur systemischen Anwendung332,1%141,8%192,4%
R02 Hals- und Rachentherapeutika231,5%101,3%131,6%
N06 Psychoanaleptika211,3%182,3%30,4%
D10 Aknemittel181,2%91,2%91,1%
D11 andere Dermatika181,2%60,8%121,5%
M02 topische Mittel gg. Gelenk- u. Muskelschmerzen181,2%121,5%60,8%
H03 Schilddrüsentherapie161,0%10,1%151,9%
D03 Zubereit. z. Behandl. v. Wunden u. Geschwüren151,0%60,8%91,1%
S01 Ophthalmika151,0%101,3%50,6%
D01 Antimykotika zur dermatologischen Anwendung110,7%70,9%40,5%
R06 Antihistaminika zur systemischen Anwendung110,7%50,6%60,8%
M01 Antiphlogistika und Antirheumatika100,6%10,1%91,1%

In Tab. 1 sind die Prävalenzraten für die ATC-Gruppen aufgelistet, bei denen mindestens zehn Anwender zu verzeichnen waren. Die ersten Auswertungen deuten darauf hin, dass einige Arzneimittelgruppen erhöhte Aufmerksamkeit verdienen.

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Literatur

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  • 13 Robert Koch-Institut . Beginn eines Impfmonitoring in Deutschland: Erhebung von Impfraten zum Zeitpunkt der Einschulung.  Epidemiol Bull. 1999;  23 171-175
  • 14 Robert Koch-Institut . Die Bedeutung des Infektionsschutzgesetzes für die Impfprävention übertragbarer Krankheiten.  Bundesgesundheitsbl-Gesundheitsforsch-Gesundheitsschutz. 2000;  43 882-886
  • 15 Robert Koch-Institut . Impfraten zum Zeitpunkt der Einschulung.  Epidemiol Bull. 2002 (a);  18 350-351
  • 16 Robert Koch-Institut . Erfassung des Impfstatus bei Aufnahme in den Kindergarten.  Epidemiol Bull 2002. 2002 (b);  4 25-29
  • 17 Weingarten J P, Clay J C. et al . Impact of socioeconomic status on health care utilization: factors influencing length of stay.  J Health Hum Serv Adm. 1997;  19 384-409
  • 18 WHO Regional Office for Europe .Operational Targets for EPI Diseases. Copenhagen; WHO Regional Office for Europe 1996
  • 19 WHO Regional Office for Europe .Measles: A strategic framework for elimination of measles in the European region. Copenhagen; WHO Regional Office for Europe 1999

Dr. Hildtraud Knopf

Robert Koch-Institut

Seestraße 10

13353 Berlin

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Literatur

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Dr. Hildtraud Knopf

Robert Koch-Institut

Seestraße 10

13353 Berlin

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Abb. 1 Verteilung des letzten Arztbesuchs nach Zeitraum und Alter.

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Abb. 2 Durchimpfungsraten gegen Masern (Definition ausreichender Impfschutz: 2-6 Jahre 1. Impfung, > 6 Jahre 2. Impfungen; n = 1571).