Als Ausdruck der systemischen Arteriosklerose ist der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit
(pAVK) eine größere Bedeutung beizumessen, zumal nicht so sehr die unteren Extremitäten
als vielmehr das Leben der Patienten durch kardiovaskuläre Ereignisse gefährdet ist.
In der hausärztlichen Versorgung ist jedoch nur jedem zweiten Arzt die Diagnose bewusst
(JAMA 2001; 286:1317-1324). Während von Internisten in über 90 % eine kardiale Anamnese
erhoben wird, werden Fragen zur pAVK in weniger als 40 % der Fälle gestellt (J Vasc
Circ 2000; 31:870-879). Einen niedrigen Stellenwert nimmt auch die Erhebung des Pulsstatus
ein, wobei selten (ca. 10 %) eine weiterführende diagnostische Konsequenz gezogen
wird.
Da der Großteil der Patienten mit pAVK asymptomatisch ist, liegen ungenaue epidemiologische
Daten vor. Angaben zu Inzidenz und Prävalenz variieren in Abhängigkeit von der untersuchten
Kohorte sowie dem eingesetzten diagnostischen Verfahren. Das klassische Beschwerdebild
der Claudicatio intermittens als belastungsabhängige Muskelischämie weisen lediglich
10-30 % der Patienten auf (JAMA 2001; 286:1317-1324; Arch Intern Med 1999; 159:387-392).
Somit muss die Aufmerksamkeit auf die Erfassung anderer Funktionseinschränkungen der
unteren Extremität gelenkt werden (Circulation 2000; 101:1007-1012). Diese belastungsabhängigen,
definitionsgemäß nicht der Claudicatio intermittens zuzurechnenden Symptome sind bei
jedem zweiten Patienten zu eruieren, aber differentialdiagnostisch von anderen Ursachen
abzugrenzen (Tab. [1]).
Tab. 1 Beschwerdesymptomatik infolge pAVK und mögliche Differentialdiagnosen.
<TD VALIGN="TOP">
{P}
</TD><TD VALIGN="TOP">
Symptomatik bei pAVK*
</TD><TD VALIGN="TOP" COLSPAN="NaN">
Differentialdiagnose
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
{P}
</TD><TD VALIGN="TOP">
Typische Beschwerdesymptomatik
</TD><TD VALIGN="TOP">
Waden
</TD><TD VALIGN="TOP">
Venöse Insuffizienz
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Gruppe 1
</TD><TD VALIGN="TOP">
Wadenschmerzen bei Anstrengung,
die nach 10-minütiger Ruhephase
nachlassen (Claudicatio intermittens)
</TD><TD VALIGN="TOP">
{P}
</TD><TD VALIGN="TOP">
Chronisches Kompartment-Syndrom
Nervenwurzelkompression
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Gruppe 2
</TD><TD VALIGN="TOP">
Beinschmerzen sowohl in Ruhe als
auch bei Belastung
</TD><TD VALIGN="TOP">
Hüfte/Schenkel
</TD><TD VALIGN="TOP">
Hüftgelenksarthrose
Spinalwurzelkompression
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
{P}
</TD><TD VALIGN="TOP">
Atypische Beschwerdesymptomatik
</TD><TD VALIGN="TOP">
Füße
</TD><TD VALIGN="TOP">
Arthritis
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Gruppe 3
</TD><TD VALIGN="TOP">
Beschwerden unter Belastung,
die nicht zum Abbruch zwingen
</TD><TD VALIGN="TOP">
{P}
</TD><TD VALIGN="TOP">
Entzündliche Prozesse
(Buerger, Takayasu)
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Gruppe 4
</TD><TD VALIGN="TOP">
Beschwerden, die weder in Ruhe beginnen oder zum Abbruch der Belastung führen, noch
die Waden betreffen oder nach 10-minütiger Ruhephase nachlassen
</TD><TD VALIGN="TOP">
{P}
</TD><TD VALIGN="TOP">
{P}
</TD>
<TD VALIGN="TOP" COLSPAN="NaN">
*Gruppenbildung in Anlehnung an den San-Diego-Fragebogen (Vasc Med 1996; 1: 65-71)
und JAMA 2001; 286: 1599-1606
</TD>
Eine hohe diagnostische Genauigkeit im Vergleich zur angiographisch gesicherten pAVK
(Stenosen > 50 %) weist der Knöchel-Arm-Index (ABI) auf. Liegt der Quotient aus Blutdruckwerten,
die oberhalb der Fußknöchel (Ankle) und an den Oberarmen (Brachial) gemessen werden
unter 0,9, beträgt die Sensitivität > 90 %, die Spezifität ≥ 95 % (Tab. [2]).
Tab. 2 Interpretation des Knöchel-Arm-
Indexes (ABI)*.
<TD VALIGN="TOP">
ABI
</TD><TD VALIGN="TOP">
Ausmaß der pAVK
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
> 1,30
</TD><TD VALIGN="TOP">
Nicht komprimierbar**
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
0,91 - 1,30
</TD><TD VALIGN="TOP">
Normal
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
0,41 - 0,90
</TD><TD VALIGN="TOP">
Leichte bis mäßige pAVK
(Claudicatio intermittens)
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
0,00 - 0,40
</TD><TD VALIGN="TOP">
Schwere pAVK (Ruheschmerz;
Gewebsuntergang)
</TD>
<TD VALIGN="TOP" COLSPAN="NaN">
* der Knöchel-Arm-Index berechnet sich aus
Blutdruckwerten, die oberhalb der Fußknöchel (Ankle) und an den Oberarmen (Brachial)
gemessen werden.
**Ein Verhältnis > 1,30 weist auf verkalkte Gefäße hin, so dass der wahre Druck nicht
erhoben
werden kann. Bei falsch negativem Test ist eine erweiterte Diagnostik, z.B. Puls-Volumen-Messung
indiziert (N Engl J Med 2001; 344: 1608-1621).
</TD>
Epidemiologie
Epidemiologie
Unter Berücksichtigung oben genannter Tatsachen erscheinen die in Bevölkerungsstudien
erhobenen Zahlen zur Inzidenz mit 2/1000 pro Jahr für Personen unter 35 Jahre bis
zu 7/1000 für solche über 65 Jahre das wahre Ausmaß der pAVK deutlich zu unterschätzen.
Unter Verwendung von Befragungsbögen und klinischer Untersuchung liegt die Prävalenz
altersabhängig zwischen 1 % und 7 %, erfährt jedoch unter Einsatz der Dopplersonographie
einen zwei- bis dreifachen Anstieg. Demzufolge weisen in der Rotterdam-Studie von
7715 Patienten älter als 55 Jahre 16,9 % der Männer sowie 20,5 % der Frauen (Arch
Intern Med 2000; 160:2934-2938), im PARTNERS-Programm bis zu 29 % der 6879 Patienten
einen ABI-Index < 0,9 auf (JAMA 2001; 286:1317-1324).
Prognose
Prognose
Diese Daten haben eine große prognostische Bedeutung, da auch asymptomatische Patienten
ohne begleitende koronare Herzerkrankung im Zeitraum von 5 Jahren in 30 % einen Myokardinfarkt,
einen ischämischen Insult oder einen vaskulär bedingten Tod erleiden. Ist die pAVK
klinisch manifest, so sterben im Verlauf der nächsten 10 Jahre je nach Studienpopulation
bis zu 61,8 % der Männer sowie 33,3 % der Frauen, wobei das Risiko 6,6fach erhöht
ist, einen koronaren Tod zu erleiden (N Engl J Med 1992; 326:381-386). Dagegen ist
die Amputationsrate mit 2 % bei Patienten mit Claudicatio intermittens im Verlauf
von 5 Jahren gering. Bei kritischem Ischämiesyndrom erreicht sie allerdings in nur
3 Monaten 12,2 % (Eur J Vasc Endo Vas Circ 1997; 14:91-95). Insgesamt sterben 55 %
der Patienten mit pAVK aufgrund der begleitenden koronaren Herzerkrankung, 10 % aufgrund
zerebrovaskulärer Ereignisse sowie 25 % an anderen Ursachen. Weniger als 10 % sterben
an vaskulären Ereignissen, gewöhnlich im Rahmen eines rupturierten Aortenaneurysmas
(J Vasc Circ 2000; 1 [Suppl]:1-296).
Risikofaktoren
Risikofaktoren
Jedes zusätzliche Lebensjahrzehnt ist mit einem zwei- bis dreifach erhöhten Risiko
verbunden, eine Claudicatio intermittens zu entwickeln. Gleiches galt für das männliche
Geschlecht, wobei neuere Daten allerdings keine geschlechtsspezifischen Unterschiede
mehr aufzeigen (Arch Intern Med 2000; 160:2934-2938, JAMA 2001; 286:1317-1324). Raucher tragen ein dreifach erhöhtes Risiko und sind im Vergleich zu Nichtrauchern darüber
hinaus 10 Jahre früher von der Erkrankung betroffen. Dabei steigt die Schwere der
Erkrankung mit der Anzahl gerauchter Zigaretten. Diabetes mellitus ist mit einem zweifachen Risiko behaftet, eine Makroangiopathie zu entwickeln. Eine
optimale Blutzuckereinstellung kann nicht zweifelsfrei die Progression verhindern,
was für die Nephro- und Retinopathie als Ausdruck der diabetischen Mikroangiopathie
gesichert ist. Auch müssen Insulinresistenz, Glucoseintoleranz und Hyperinsulinismus
als eigenständige Prädiktoren betrachtet werden. Dagegen besteht für die arterielle
Hypertonie eine uneinheitliche Datenlage. Die kürzlich erschienene Rotterdam-Studie bestätigt
jedoch den Bluthochdruck als unabhängigen Risikofaktor. In der Framingham-Studie war
dieser bei Männern mit einem 2,5fachen, bei Frauen mit einem 3,9fachen Risiko verbunden,
eine pAVK zu entwickeln. Die Dyslipoproteinämie ist ebenfalls ein bedeutender unabhängiger Risikofaktor, wobei die verschiedenen
Parameter uneinheitlich bewertet werden. Einige Autoren schätzen das Gesamt-Cholesterin,
andere das HDL-/Gesamt-Cholesterin-Verhältnis als unabhängigen Prädiktor ein. Die
Hypertriglyzeridämie sowie auch das Lipoprotein(a) sind ebenfalls als eigenständige
Risikofaktoren identifiziert worden. Neuerdings gibt es auch substanzielle Daten zur
Bedeutung der Hyperhomocysteinämie, die bei der Entwicklung der pAVK im Vergleich
zur koronaren Herzerkrankung ein 6,8fach vs 1,6fach erhöhtes Risiko aufweist. Zusammenfassend
ist festzustellen, dass die Kombination von Risikofaktoren wie z. B. Rauchen, Diabetes
mellitus und Bluthochdruck die Wahrscheinlichkeit verdreifacht, eine pAVK zu entwickeln.
Prävention
Prävention
Im Rahmen der Primär- und Sekundärprävention sollten die eingesetzten Behandlungskonzepte
vor allem den systemischen Charakter der Arteriosklerose berücksichtigen, um das Gesamtrisiko
des Patienten zu reduzieren. Raucher sollten einen kompletten Nikotinverzicht üben
und verhaltenstherapeutische sowie im Bedarfsfall auch pharmakologische Unterstützung
erhalten. Häufig sind umfassendere Lebensstiländerungen geboten, die eine Kostumstellung
sowie auch regelmäßige körperliche Aktivität beinhalten sollten. Hierdurch wird ein
verbesserter Glucose-Metabolismus, eine Reduktion von LDL-Cholesterin und Triglyzeriden
sowie eine höhere Rate der Nikotinabstinenz erzielt. Patienten mit Claudicatio intermittens
sind einem gezielten Lauftraining zuzuführen, um die schmerzfreie Gehstrecke und damit
die Lebensqualität zu erhöhen.
Bei Patienten mit pAVK und Diabetes mellitus ist eine engmaschige Blutzuckerkontrolle
anzustreben. Aktuelle Empfehlungen beinhalten einen Nüchtern-Glucosewert zwischen
80 und 120 mg/dl, einen postprandialen Grenzwert von < 180 mg/dl und einen HbA1c-Wert < 7 % (Lancet 1998; 352:837-853).
Liegt eine Dyslipoproteinämie vor, ist der Einsatz lipidsenkender Medikamente gerechtfertigt.
Aufgrund ihrer pleiotropen Effekte sind bevorzugt Statine einzusetzen, die nicht nur
das LDL-Cholesterin senken, sondern auch zur verbesserten Endothelfunktion sowie Plaquestabilisierung
beitragen. Eine retrospektive Analyse der 4S-Studie lassen die im Koronarkreislauf
belegten Mechanismen auch im Bereich der peripheren Gefäße vermuten, da im Verlauf
von 5,4 Jahren das Risiko für eine neu auftretende Claudicatio intermittens oder Verschlechterung
einer bereits bestehenden Symptomatik in der mit Simvastatin behandelten Gruppe im
Vergleich zu Placebo um 38 % reduziert werden konnte (Am J Cardiol 1998; 81:333-335).
Da der Großteil von Patienten mit pAVK gleichzeitig an einer Koronar- oder Zerebralsklerose
erkrankt ist, wird ein LDL-Cholesterinwert unter 100 mg/dl sowie ein Triglyzeridwert
von weniger als 150 mg/dl empfohlen (JAMA 1999; 282:2051-2057). Obgleich die arterielle
Hypertonie als unabhängiger Risikofaktor für die pAVK gilt, liegen keine gesicherten
Daten über den Einfluss einer antihypertensiven Therapie auf die Progression der Erkrankung
vor. Wichtig erscheint im Rahmen der generalisierten Arteriosklerose, dass mit dem
Einsatz von ACE-Hemmern das Risiko ischämischer Ereignisse reduziert werden kann (N
Engl J Med 2000; 342:145-153). Bei Patienten mit gleichzeitig vorliegender koronarer
Herzerkrankung ist der Einsatz von β-Blockern gerechtfertigt, da keine Verschlechterung
der Claudicatio intermittens zu erwarten ist. Selbstverständlich ist die Therapie
mit Thrombozytenaggregationshemmer. Die niedrigdosierte Gabe von Acetylsalicylsäure
ist in ihren Effekten belegt und bei fehlenden Kontraindikationen aufgrund der großen
Preisdifferenz routinemäßig den ADP-Antagonisten, wie z. B. Clopidogrel vorzuziehen.
Wie bei der Diagnostik werden zurzeit auch die therapeutischen Ressourcen der pAVK
nicht hinreichend genutzt. Im Vergleich zu Patienten mit KHK erhalten solche mit pAVK
seltener Thrombozytenaggregationshemmer sowie eine antihypertensive oder cholesterinsenkende
Therapie (JAMA 2001;286:1317-1324).
Tab. 3 Präventionsmaßnahmen zur Reduktion systemischer Komplikationen bei Patienten mit
pAVK.
<TD VALIGN="TOP">
Lebensstiländerung
</TD><TD VALIGN="TOP">
Nikotinverzicht
Regelmäßige körperliche Aktivität
Programme zur Körpergewichtsreduktion
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Pharmakotherapie
</TD><TD VALIGN="TOP">
Blutzucker-Einstellung
Antihypertensive Therapie
Lipidsenkende Therapie
Thrombozytenaggregationshemmer
Therapie der Hyperhomocysteinämie
</TD>
Fazit
Fazit
Ein Großteil der Patienten mit pAVK wird aufgrund des asymptomatischen Verlaufs nicht
diagnostiziert und somit im Hinblick auf ihr Gesamtrisiko unzureichend therapiert.
Bei entsprechendem Risikoprofil ist neben detaillierter Anamnese und Statuserhebung
die Diagnose einer pAVK mit dem Knöchel-Arm-Index zu sichern. Die erforderlichen Therapiekonzepte
sollten den systemischen Charakter der Arteriosklerose nicht länger ignorieren.
Ansprechpartner
Ansprechpartner für Patienten sind die Deutsche Gesellschaft für Angiologie, Gesellschaft
für Gefäßmedizin e.V. (http://www.angiol.de und www.angio.de), die Deutsche Herzstiftung
(info@herzstiftung.de) sowie die Deutsche Gesellschaft für Prävention und Rehabilitation
von Herz- und Kreislauferkrankungen e.V., Friedrich-Ebert-Ring 38, 56068 Koblenz (http://www.dgpr.de).
Fachliche Betreuung der Serie:
Prof. Dr. Dr. h. c. Peter C. Scriba, München
Prof. Dr. Friedrich W. Schwartz, Hannover