Subscribe to RSS
DOI: 10.1055/s-2002-19593
Zur Prävention der Osteoporose
Publication History
Publication Date:
28 April 2004 (online)

Die Autoren der Übersichtsarbeit zur Vorbeugung der Osteoporose geben einen Überblick [15] über die Möglichkeiten zur Diagnose einer Osteoporose unter Berücksichtigung von Empfehlungen einer von der WHO akkreditierten Arbeitsgruppe. Sie bevorzugen dabei einseitig entgegen diesen Empfehlungen die Osteodensitometrie mittels »DEXA«. Im zweiten Teil des Artikels nehmen sie zur Prävention der Osteoporose Stellung. Die Prävention wird dabei im Zusammenhang mit einer (Fraktur-)Risikominimierung unter verschiedenen Aspekten dargestellt. In einem dieser Aspekte wird angenommen, dass eine fiktive Frakturrisikoschwelle existiere, die mittels der Osteodensitometrie individuell quantifizierbar sei. Aus der abgestuften Gesamtbewertung aller Risikofaktoren leiten die Autoren eine Präventionsstrategie ab. Die Übersichtsarbeit scheint in sich logisch und unter Berücksichtigung aller belegbaren und zitierten Empfehlungen abgerundet. Es ist allerdings festzustellen, dass sich eine fehlerhafte Anwendung dieser Empfehlungen eingeschlichen hat. Diese impliziert, dass die Diagnose- und Präventionsstrategie zu nicht unbestritten hinnehmbaren individuellen Irrtümern führt, auf die im Folgenden hinzuweisen ist.
Der WHO Technical Report Series Nr. 843 [1], auf den sich die Autoren der Übersichtsarbeiten berufen, befasst sich mit den epidemiologischen Zusammenhängen der postmenopausalen Osteoporose. Kriterien zur Bewertung der Knochendichtemessung sind nach diesem Report - im Gegensatz zu dem Statement von Kudlacek et al. - nicht ausschließlich für die Dual-Röntgenabsorptiometrie (richtige Bezeichnung DXA, nicht »DEXA«) abgeleitet, da zu diesem Zeitpunkt für diese Methode kaum Daten existierten. Stattdessen werden dort über viele Seiten die Methoden Single-Photonen-Absorptiometrie (SPA) und Dualphotonen-Absorptiometrie (DPA) synoptisch zur Studienlage referiert. Darauf begründen sich die Empfehlungen der Experten des WHO Technical Reports und sind strenggenommen dann auch nur für diese Methoden valide. Unzutreffend ist auch die Aussage »Für die QCT (quantitative Computerdensitometrie) der Wirbelsäule und besonders der Unterarmmessung sowie die Ultraschalldensitometrie liegen keine derartigen epidemiologischen Daten vor«. Zunächst lautet die richtige Bezeichnung der Methode »quantitative Computertomographie (QCT)«. Am peripheren Skelett, z. B. dem Unterarm, gilt die Abkürzung pQCT (p für peripher). Für beide Verfahren liegen sowohl multizentrisch definierte Referenzbereiche vor als auch eine multizentrische diagnostische Validierung [2] [3] [4]. Für QCT am distalen Radius und an der Wirbelsäule liegen zwar keine prospektiven Frakturdaten vor, jedoch existiert für die SPA-Methode am distalen Radius der umfangreichste Datenbestand bezüglich Hüftfrakturen und Radiusfrakturen (zitiert im WHO Technical Report). Ferner wird von den Autoren der Übersichtsarbeit übersehen, dass die pQCT die einzige verbreitete Methode ist, mit der wesentliche Kriterien der Definition der Osteoporose, die Knochenstruktur und -festigkeit, in vivo erfasst werden können. Zahlreiche internationale Publikationen belegen den Stellenwert dieser Methode. Da sie den gleichen Messort erfasst wie die SPA, sind die Messergebnisse nicht weniger valide. Im Abschnitt »Summary und Conclusions« des WHO Technical Report (S. 95-97) stehen im Übrigen umfassende Empfehlungen zur Anwendung der Osteodensitometrie, die in dem Artikel von Kudlacek et al. unberücksichtigt bleiben oder willkürlich interpretiert werden.
Unzutreffend ist der Begriff »Ultraschalldensitometrie«. Mit Ultraschall wird keine Dichte gemessen, sondern die Schallgeschwindigkeit oder das Schallabsorptionsspektrum in einer anatomischen Region. Konsensuell akzeptiert ist dagegen der Begriff »Ultrasonometrie« [5]. Mehrere prospektive Frakturstudien wurden publiziert.
Auch die von den Autoren rekapitulierte Interpretation der »WHO-Kriterien« für die T-Scores, die in der Übersichtsarbeit als »Normwerte« bezeichnet werden, unterliegt einem verbreiteten Irrtum. Es handelt sich zunächst nicht um eine »WHO-Definition«, sondern um eine Screeningstrategie, die von der WHO-Arbeitsgruppe in einer Fachzeitschrift empfohlen wurde [6], die klar macht, mit welchen Unsicherheiten die üblicherweise als »Frakturschwelle« bezeichnete Grenze der 2,5fachen Standardabweichung behaftet ist. Der WHO Technical Report Series Nr. 843 enthält folgende aufschlussreiche Erläuterung (S. 84): »With a more stringent cut-off (-1.5SD), only 5 % of the population but 39 % of those deemed to be at risk will be misclassified.« Die Zielpopulation ist die bis zu 5 Jahre postmenopausale weibliche Bevölkerung [6], für die eine Osteoporoseprävalenz mit einer Schwankungsbreite von 3-27 % angegeben wird. Die Prävalenz ist u. a. stark abhängig vom Altersspektrum der Zielpopulation. In einer Studie von Cummings [7], die eine Risikopopulation umfasste, käme man auf einen positiven prädiktiven Wert von 3 % bei der üblichen Sensitivität der Methode von 90 % und einer Spezifität von 39 %. Das bedeutet, 97 % der Probanden wären fehlbehandelt worden, 61 % der Frauen mit Schenkelhalsfraktur wären einer Behandlung entgangen. Tatsächlich war aber der positive prädiktive Wert in dieser Studie 1,4 %. Somit hätten 98,6 % der Patienten behandelt werden müssen, um bei 1,4 % der Patienten eine Schenkelhalsfraktur zu vermeiden. Würden alle Erwachsenen ab 20 Jahren in das Verfahren eingeschlossen, so wie die »WHO-Definition« missverstanden wird, dann wäre der positive prädiktive Wert noch wesentlich kleiner.
In Kenntnis der Physik der Messgeräte und aus dem Verständnis der muskuloskeletalen Adaptation [8] [9] [10] ergeben sich noch einige weitere Unschärfen:
Nicht alle niedrigen Messwerte entsprechen einer Osteopenie, sondern können auf einem schwierig nachweisbaren individuellen Richtigkeitsfehler einer Methode beruhen. auch wenn der Messwert (BMD oder BMC) richtig ist, muss dieser keiner Osteopenie entsprechen, sondern es kann sich um einen normal adaptierten und bezüglich der Festigkeit kompetenten Knochen handeln, was das Gerät nicht messen kann. Sehr bedenklich ist die Anwendung von Methoden, die ein anderes Biosignal liefern - wie die Osteosonome-trie - häufig an einem nicht evaluierten Messort.
Die Anwendung von Messgeräte-Schwellenwerten wird dann bedenklich, wenn diese ausschließlich eine individuelle Therapieentscheidung beeinflussen.
Aus folgenden Gründen bleiben die Vorschläge zur Primärprävention der Osteoporose mit Kalzium und Vitamin D unzureichend evidenzbasiert. Eine Metaanalyse aller bekannten kontrollierten Studien, die Äste mit reinen Kalziumgaben enthielten, wurde auf dem »World Congress on Osteoporosis 2000« präsentiert [11]. Aus 66 publizierten Arbeiten erfüllten nur 22 die Kriterien für eine evidenzbasierte Analyse (randomisiert, kontrolliert), Die Metaanalyse ergab, dass Kalzium unabhängig von der Dosis der Supplementation die Knochendichte allenfalls schwach signifikant erhöht. Dabei existieren überhaupt keine Daten bezüglich des Frakturrisikos. In der sog. Oslo-Studie wurde die Wirksamkeit einer randomisierten, plazebokontrollierten Vitamin-D-Gabe auf die Rate von Hüftfrakturen untersucht [11]. Im Ergebnis zeigte sich auch hier kein signifikanter Unterschied. Somit ist zu fragen, ob die Supplementation von Kalzium plus Vitamin D einer Wirksamkeitsprüfung standhält, wie sie heute z. B. für die Zulassung der modernen Bisphosphonate gefordert wird.
Der heranwachsende Mensch baut zwischen dem 10. und dem 20. Lebensjahr ca. 1000 g (280 mg tägl.) Kalzium in sein Skelett ein. Dies findet ohne Supplementation und auch bei »kalziumschädlicher« Ernährungsweise statt. Eine postmenopausale Frau baut adaptiv - nicht krankhaft - in 20 Jahren ca. 800 g (110 mg tägl.) Kalzium aus ihrem Skelett ab. In Kenntnis o. a. Metaanalyse und weiterer Studien, die eine schwache Wirksamkeit auch bei zusätzlicher Gabe von Vit. D belegen [12] [13], stellt sich die Frage nach dem Sinn einer Supplementation von täglich 1000-1500 mg Kalzium. Selbst eine leidlich ausgewogene Ernährungsweise stellt die erforderlichen Kalziummengen sicher, wie in Tab. 3 der Übersichtsarbeit von Kudlacek et al. zu ersehen ist.
Literatur
- 1 Report of a WHO study group .Assessment of fracture risk and its application to screening for postmenopausal women. Technical report series 1994 no. 843
- 2 Schneider P. et al . Multicenter German Reference Data Base for Peripheral Quantitative Computer tomography. Technology and Health Care. 1995; 3 69-73
- 3 Reeve J. et al . Radial Cortical and Trabecular Bone Densities of Men and Women Standardized with the European Forearm Phantom. Calcif Tissue Int. 1996; 58 135-143
- 4 Kröger H. et al . Bone Density Reduction in Various Measurement Sites in Men and Women with Osteoporotic Fractures of Spine and Hip: The European Quantitation of Osteoporosis Study. Calcif Tissue Int. 1999; 64 191-199
- 5 Kanis J A, Glüer C C. An update on the diagnosis and assessment of osteoporosis with densitometry. Committee of Scientific Advisors, International Osteoporosis Foundation. Osteoporosis Int. 2000; 11 192-202
- 6 Kanis J A. and the WHO study group . Assessment of fracture risk and its application to screening for postmenopausal osteoporosis: synopsis of a WHO report. Osteoporosis Int. 1994; 4 368-381
- 7 Cummings S R. et al . Bone density at various sites for prediction of hip fractures. Lancet. 1993; 341 72-75
- 8 Schneider P, Reiners Chr. Quantitative Bestimmung der Knochenmasse: heutiger Stand und Fallstricke der Methoden. Med Welt. 1998; 49 157-163
- 9 Frost H M. Skeletal structural adaptations to mechanical usage (SATMU: I. Redefing Wolff’s law: the bone modeling problem). Anat Rec. 1990; 226 403-422
-
10 Kreienbock L, Schach S. Epidemiologische Methoden. Verlag Gustav Fischer, Stuttgart, Jena, Lübeck, Ulm ISBN 2 - 437 - 24 456 - 1
- 11 Shea B, Rosen C J, Guyatt G, Cranney A, tugwell P, Black D. A meta analysis of calcium supplementation for the prevention of postmenopausal osteoporosis. Osteoporosis Int. 2000; 11 114
- 12 Meyer H E, Falch J A, Kvaavik E, Smedshaug G B, Tverdal A, Pedersen J I. Can vitamin D supplementation reduce the risk of fracture in the elderly A randomised controlled trial. Osteoporosis Int. 2000; 11 114
- 13 Dawson-Hughes B, Harris S S, Krall E A, Dallal G E. Effect of calcium and vitamin D supplementation on bone density in men and women 65 years of age or older. N Engl J Med. 1997; 337 670-676
- 14 Dawson-Huges B, Dallal G E, Krall E A, Sadoski L, Sahyoun N, Tannenbaum S. A controlled trial of the effect of calcium supplementation on bone density in postmenopausal women. N Engl J Med. 1990; 323 878-883
- 15 Dudlacek S. et al . Zur Prävention der Osteoporose. Dtsch Med Wochenschr. 2001; 126 793-797
PD Dr. P. Schneider
Prof. Dr. Chr. Reiners
Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin der Universität Würzburg
Josef-Schneider-Straße 2
97080 Würzburg