Die Prävention von Infektionskrankheiten,
die durch Vektoren übertragen werden, ist von hoher medizinischer
Relevanz. Eine wichtige Rolle spielt hierbei der Einsatz von Insektiziden,
die u. a. für die Imprägnierung von Moskitonetzen, Mückenschleiern
oder auch der Kleidung eingesetzt werden. Verschiedene in der Vergangenheit
eingesetzte und nationalitätenspezifisch gelistete Insektizide
mussten allerdings aus dem Handel genommen werden, weil ein erhebliches
gesundheitsgefährdendes Potenzial erwiesen ist oder zumindest
vermutet wird. Dies trifft in besonderem Maße für
die Substanzen Pentachlorphenol (PCP) [1 ]und γ-Hexachlorcyclohexan
(γ-HCH; Lindan) zu.
Für PCP, das sich in Textilfasern anreichert und beim
Tragen der Textilien direkt und schnell über die Haut resorbiert
wird und dann im Blut in erheblicher Konzentration nachgewiesen
werden kann [6 ], konnte im Tierversuch
eine karzinogene Wirkung nachgewiesen werden. Entsprechend wurde
diese Substanz 1991 durch die IARC als mögliches Humankarzinogen
in die Gruppe 2B eingestuft [7 ], während
für γ-HCH (Lindan) eine mutagene Wirkung vermutet,
aber bislang nicht ausreichend experimentell noch epidemiologisch
bestätigt werden konnte [8 ].
Sowohl PCP als auch Lindan fanden zumindest bis 1980 innerhalb
des zivilen Bereichs, der Forstwirtschaft und auch der Bundeswehr
breite Verwendung. Alle extern beschafften Schwertextilien, aber
auch Uniform- und Gummiteile wurden mit PCP imprägniert.
Zur Konservierung von Schlafsäcken wurde Detmol-Tex Bw
verwendet, das als Wirkstoffe u. a. Lindan und Methoxychlor
enthielt.
Das Ausmaß der Kontamination wurde u. a. durch
eine 1995 durchgeführte Untersuchung zur qualitativen und
quantitativen Belastung von Schlafsäcken und Rucksäcken
der Bundeswehr verdeutlicht. Im Rucksackgewebe fanden sich neben DDT,
DDE, Methoxychlor, Permethrin, Chlorophen und Phosphorsäureester
sowohl Lindan als auch PCP. Dabei wurde der gesetzlich vorgeschriebene
Grenzwert für PCP (5 mg/kg) mit 400 mg/kg
um das bis zu 80-fache überschritten.
In Staubproben aus einer Kleiderkammer der Bundeswehr wurden
PCP-Konzentrationen im Staub von 4,0 - 16,5 mg/kg und
Lindankonzentrationen im Staub von 1,5 - 3,0 mg/kg
gemessen. Somit ist davon auszugehen, dass sowohl Soldaten als auch
zivile Mitarbeiter der Bundeswehr wahrscheinlich gegenüber
beiden Substanzen exponiert waren. Ob hieraus jedoch ein gesundheitlicher
Schaden resultierte, ist bis heute nicht zuletzt aufgrund fehlender
Grundlagenstudien zu dieser Thematik nicht belegt.
In der vorliegenden Untersuchung wurde die gentoxische Wirkung
beider Pestizide auf menschliche Zielzellen aus unterschiedlichen
Bereichen der Nase analysiert.
Material und Methoden
Material und Methoden
Ausgangsmaterial für die einzelnen Experimente waren
Anteile von Operationspräparaten von der mittleren und
der unteren Nasenmuschel, die im Rahmen operativer Maßnahmen zur
Therapie einer chronischen Sinusitis bzw. einer Nasenmuschelhyperplasie
reseziert wurden. Die Proben wurden umgehend dem Versuchsprozess
zugeführt.
PCP und γ-HCH wurden von der Firma Sigma, Deisenhofen
bezogen. Um die störenden Einflüsse möglicher
Nebenprodukte gering zu halten wurden alle Substanzen nicht in Handelsqualität,
sondern als Reinsubstanz getestet. Eine Reinheit größer
als 99,5 % war sichergestellt.
Die Biopsieproben wurden im Operationssaal sofort in gekühltem
Joklik-Medium gelagert und umgehend in das Labor überführt.
Es folgte die Inkubation des Gewebes mit der vorbereiteten proteolytischen
Enzymlösung für 60 min. bei 370 C im
Wasserschüttelbad. Eine unkontrollierte Enzymaktivität wurde
durch Zugabe von 1 ml foetalem Kälberserum (FCS)
abgestoppt. Anschließendes Zentrifugieren bei 400 U/min
für 10 Minuten, Abgießen des Überstandes
und Resuspendieren mit 1 ml frischem Medium ergaben die
endgültige Zellsuspension.
Um größere Schwankungen bei den Zellzahlen
auszugleichen, erfolgte als nächster Arbeitsschritt die
Bestimmung der Zellzahl und Vitalität. Dazu wurde der Trypanblau-Ausschlusstest nach
Phillips durchgeführt [4 ]. Ausgehend
vom Molekulargewicht der Testsubstanz wurde die benötigte
Menge der Testsubstanzen errechnet und eine entsprechende Menge
davon abgewogen. Die genaue Konzentration erhielt man durch Zupipettieren
von Dimethylsufoxid (DMSO) als Solvens. Getestet wurden Pentachlorphenol
in Konzentrationen von 0,3/0,75/1,2 mM Zellsuspension
(in DMSO) und Lindan in Konzentrationen von 0,5/0,75/1,0
mM Zellsuspension (in DMSO).
Mit dem Ergebnis der Zellzählung konnte die nötige
Menge Medium vorausberechnet werden, um die erforderliche Zellzahl
zu erhalten. Ziel war eine Anzahl von 105 Zellen in 1 ml Suspension.
Um eine möglichst konstante Belastung der Zellen zu erreichen,
wurde zuerst die Testsubstanz mit dem Medium gemischt und abschließend
erst die Zellsuspension zuzugeben. Die Teströhrchen wurden
verschlossen und eine Stunde im 37 ˚C Wasserschüttelbad
inkubiert. Kurz vor Abschluss der 60-minütigen Inkubation
wurde der Trypanblau-Test mit 50 µl Proben wiederholt.
Damit konnte eine eventuelle Zytotoxizität der Substanzkonzentration
erneut ausgeschlossen werden. Anschließend erfolgte ein
erneutes Zentrifugieren für 10 Minuten. Die Versuchsröhrchen
mit den anheftenden Zellen konnten nun als Ausgangsmaterial für
die folgende Mikrogelelektrophorese (MGE) dienen. Grundsätzlich
erfolgten alle Arbeitsschritte der Zellgewinnung und -inkubation
bei Rotlicht. Dadurch wurden die schädlichen UV-Einflüsse
minimiert. Zwischen allen Versuchsschritten erfolgte eine Kühlung
bei + 4 ˚C.
Das Ausmaß der Zellschädigung wurde durch die
Mikrogelelektrophorese dargestellt. Das Versuchsprotokoll orientierte sich
dabei an der Übersicht von Fairbairn et al. [2 ]. Die anschließende Auswertung
erfolgte fluoreszenzmikroskopisch mit Unterstützung durch
ein Bildverarbeitungssystem.
Die Ergebnisse der Versuche und der Fragebogen wurden in eine SAS
lesbare Excel-Tabellenform gebracht. Die Auswertung dieser Datensätze
wurde in der biostatistischen Abteilung des Deutschen Krebsforschungszentrums
unter Leitung von Herrn Dr. L. Edler durchgeführt. Die
statistische Modellbildung erfolgte anhand der General Linear Models
Procedure (GLM). Zur Beurteilung der unterschiedlichen Effekte der
Testsubstanzen auf das Nasenschleimhautgewebe wurde zusätzlich
der Student-t-Test für verbundene Stichproben, sowie der
Chi-Quadrat-Test angewandt.
Für diese Studie lag eine Genehmigung der Ethikkommission der
Universität Ulm als Körpermaterialstudie vor (Nr.
04/97).
Ergebnisse
Ergebnisse
Insgesamt wurden 85 Proben untersucht und ausgewertet, davon
stammten 73 von männlichen, die restlichen 12 von weiblichen
Spendern. Die Altersverteilung des Patientenkollektivs ist in [Abb. 1 ] dargestellt.
Untersuchungen mit PCP an Schleimhaut der mittleren
und unteren Nasenmuschel
Bei den Nasenschleimhautzellen der mittleren Muschel stieg der
Mittelwert der DNA-Migration von 29,1 µm in der
Lösungsmittelkontrolle signifikant (P <0,001)
auf 81,6 µm bei einer Konzentration von 1,2 mM
PCP an. Im Gegenzug sank die Zahl der ungeschädigten Zellen
signifikant (P <0,001) von 79,5 % in
der Lösungsmittelkontrolle auf 8 % bei
einer Konzentration von 1,2 mM PCP ab. Bei den Nasenschleimhautzellen der
unteren Nasenmuschel zeigte sich demgegenüber ein im Vergleich
signifikant geringerer Anstieg (P <0,001)
des Mittelwerts von 25,9 µm in der Lösungsmittelkontrolle
auf 60,1 µm bei einer Konzentration von 1,2 mM
PCP. Ebenfalls sank der Prozentsatz ungeschädigter Zellen
signifikant geringer (P <0,001)
von 85,6 % auf 36,6 % ab ([Tab.1 ], [Abb. 2 ]).
Abb. 1 Altersverteilung
des Patientenkollektivs.
Tab. 1 Wirkung
von PCP auf Nasenschleimhautzellen der mittleren und unteren Nasenmuschel
(Mittelwert sowie % ungeschädigte Zellen ± Standardabweichung).
<TD VALIGN="TOP">
Konzentration
[mM]
</TD><TD VALIGN="TOP">
MM Mittelwert
(µm)
</TD><TD VALIGN="TOP">
UM Mittelwert
(µm)
</TD><TD VALIGN="TOP">
MM <35 µm
(%)
</TD><TD VALIGN="TOP">
UM <35 µm
(%)
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
LK
</TD><TD VALIGN="TOP">
29,1 ± 8,64
</TD><TD VALIGN="TOP">
25,9 ± 5,06
</TD><TD VALIGN="TOP">
79,5 ± 23,22
</TD><TD VALIGN="TOP">
85,6 ± 17,14
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
PCP 0,3
</TD><TD VALIGN="TOP">
40,3 ± 15,22
</TD><TD VALIGN="TOP">
30,7 ± 8,58
</TD><TD VALIGN="TOP">
50,8 ± 19,08
</TD><TD VALIGN="TOP">
74,5 ± 24,5
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
PCP 0,75
</TD><TD VALIGN="TOP">
63,1 ± 17,7
</TD><TD VALIGN="TOP">
45,3 ± 18,98
</TD><TD VALIGN="TOP">
29 ± 17,73
</TD><TD VALIGN="TOP">
55,2 ± 25,63
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
PCP 1,2
</TD><TD VALIGN="TOP">
81,6 ± 17,98
</TD><TD VALIGN="TOP">
60,1 ± 20,48
</TD><TD VALIGN="TOP">
8 ± 9,45
</TD><TD VALIGN="TOP">
36,6 ± 24,6
</TD>
<TD VALIGN="TOP" COLSPAN="5">
(P < 0,001; für Lokalisation
sowie Zunahme des Mittelwerts und Abnahme des Anteils ungeschädigter
Zellen; jeweils gegen LK sowie auch alle Konzentrationen untereinander)
MM = mittlere
Muschel, UM = untere Muschel, LK = Lösungsmittelkontrolle,
Mw = Mittelwert der gemessenen DNA-Migration
(Wanderungsstrecke im elektrischen Feld nach Schädigung
der Kernstruktur durch Testsubstanzen) in µm bei je 3 ausgewerteten
Objektträgern <35 % Mittelwert
des gemessenen Anteils ungeschädigter Zellen in Prozent,
wobei Zellen mit einer DNA-Migration <35 µm
als ungeschädigt gelten.
</TD>
Abb. 2 Ungeschädigte
Zellen nach PCP-Exposition: mittlere und untere Muschel im Vergleich.
Untersuchungen mit Lindan an Schleimhaut der mittleren
und unteren Nasenmuschel
Der Mittelwert der DNA-Migration der Zellen der mittleren Nasenmuschel
betrug in der Lösungsmittelkontrolle 29,1 µm. Er
stieg auf 86,2 µm bei einer Lindankonzentration
von 1,0 mM an. Der Prozentsatz ungeschädigter Zellen sank
von 79,5 % in der Lösungsmittelkontrolle
auf 4,7 % bei 1,0 mM Lindan. Im Gegensatz hierzu
zeigte der Mittelwert der DNA-Migration von Zellen der unteren Nasenmuschel
ebenfalls einen im Vergleich signifikant (P <0,001)
geringeren Anstieg von 25,9 µm in der Lösungsmittelkontrolle
auf 67,3 µm bei einer Konzentration von 1,0 mM
Lindan. Analog hierzu fiel der Prozentsatz ungeschädigter
Zellen signifikant geringer (P <0,001) von
85,6 % auf 25 % bei einer Konzentration
von 1,0 mM Lindan ab ([Tab. 2 ], [Abb. 3 ]).
Tab. 2 Wirkung
von Lindan auf Nasenschleimhautzellen der mittleren und unteren
Nasenmuschel (Mittelwert sowie % ungeschädigte
Zellen ± Standardabweichung; Abkürzungen siehe [Tab.1 ]
).
<TD VALIGN="TOP">
Konzentration
[mM]
</TD><TD VALIGN="TOP">
MM Mittelwert
(µm)
</TD><TD VALIGN="TOP">
UM Mittelwert
(µm)
</TD><TD VALIGN="TOP">
MM <35 µm
(%)
</TD><TD VALIGN="TOP">
UM <35 µm
(%)
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
LK
</TD><TD VALIGN="TOP">
29,1 ± 8,64
</TD><TD VALIGN="TOP">
25,9 ± 5,06
</TD><TD VALIGN="TOP">
79,5 ± 23,22
</TD><TD VALIGN="TOP">
85,6 ± 17,14
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Lindan 0,5
</TD><TD VALIGN="TOP">
59,8 ± 21,35
</TD><TD VALIGN="TOP">
46,5 ± 16,6
</TD><TD VALIGN="TOP">
36,7 ± 20,57
</TD><TD VALIGN="TOP">
55,2 ± 24,38
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Lindan 0,75
</TD><TD VALIGN="TOP">
72,1 ± 17,03
</TD><TD VALIGN="TOP">
57,5 ± 18,23
</TD><TD VALIGN="TOP">
19,2 ± 11,47
</TD><TD VALIGN="TOP">
40,9 ± 21,71
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Lindan 1,0
</TD><TD VALIGN="TOP">
86,2 ± 16,68
</TD><TD VALIGN="TOP">
67,3 ± 18,29
</TD><TD VALIGN="TOP">
4,7 ± 7,4
</TD><TD VALIGN="TOP">
25 ± 16,96
</TD>
<TD VALIGN="TOP" COLSPAN="5">
(P < 0,001; für Lokalisation
sowie Zunahme des Mittelwerts und Abnahme des Anteils ungeschädigter
Zellen; jeweils gegen LK sowie auch alle Konzentrationen untereinander)
</TD>
Abb. 3 Ungeschädigte
Zellen nach Lindan-Exposition: mittlere und untere Muschel im Vergleich.
Diskussion
Diskussion
PCP stellt eines der am weitesten verbreiteten Umweltgifte dar.
Die mittlerweile gesetzlich verordneten Verwendungseinschränkungen
beruhen in erster Linie auf der hohen akuten Toxizität [7 ]
[11 ]
[18 ]
[20 ].
Auf zellulärer Ebene blockiert PCP über eine Hemmung
der oxidativen Phosphorylierung zahlreiche wichtige Enzymsysteme.
Darüber hinaus kommt es zu schwerwiegenden Schädigungen
von Mitochondrien und anderen Zellorganellen [10 ].
Der chronischen Toxizität für den Menschen,
vor allem im Hinblick auf den Beitrag einer genotoxischen Wirkung
wurde bislang wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Dies ist umso bemerkenswerter
zumal in verschiedenen In-vitro-Versuchen PCP zumindest ein geringes
gentoxisches Potential zugeordnet wurde [9 ] [11 ]
[15 ]
[20 ]
und am tierexperimentellen Modell
der Ratte nach Langzeitexposition sogar Nasentumoren induziert werden
konnten [14 ]. Immerhin wurde eine Übertragbarkeit
dieser Versuchsergebnisse auf menschliche Zellen und damit ein mögliches
humankanzerogenes Potential dieser Substanz diskutiert [19 ].
Mit der vorliegenden Untersuchung wurde unter Einsatz einer hochsensitiven
Methode zum Nachweis von DNA-Schäden, nämlich
dem Comet-Assay [1 ]
[21 ] erstmals
die gentoxische Wirkung von PCP auf menschliche Nasenschleimhautepithelien
aus dem Bereich der unteren und der mittleren Nasenmuschel untersucht.
Diese waren ausgewählt worden, da aus epidemiologischen
und klinischen Untersuchungen zur Holzstaubkarzinogenese bekannt
ist, dass Adenokarzinome der Nase sich ausschließlich an
der mittleren Nasenmuschel manifestieren; bis heute aber unklar
ist, ob es sich hierbei überwiegend um Effekte des Hartholzstaubes
oder um Effekte der Holzinhaltsstoffe wie insbesondere PCP und Lindan
handelt [23 ].
Die Gewebeproben wurden im Rahmen operativer Eingriffe zur Behandlung
einer chronischen Sinusitis bzw. einer Nasenmuschelhyperplasie gewonnen.
Bei der chronischen Sinusitis ist eine Teilresektion der mittlerem
Muschel, insbesondere beim Vorliegen einer Concha bullosa häufig
erforderlich, um eine ausreichende postoperative Drainage der nachgeschalteten
Nebenhöhlen zu gewährleisten. Bei der Hyperplasie
der unteren Nasenmuschel ist zur Normalisierung des Nasenatmungswiderstandes
ebenfalls eine Teilresektion der Muschel erforderlich. Präoperativ
wurden alle Patienten in Abhängigkeit von der Grunderkrankung
antibiotisch bzw. antiallergisch vorbehandelt, so dass zum Zeitpunkt
der Operation keine akuten entzündlichen Schleimhautreaktionen
vorlagen. Dies wurde auch durch die histologische Aufarbeitung benachbarter
Schleimhautareale bestätigt. Ungeachtet dessen kann nicht
ausgeschlossen werden, dass diese chronisch entzündlich
veränderte Schleimhaut eine erhöhte Empfindlichkeit
gegenüber den getesteten Pestiziden aufweist. Im Rahmen
der Operationsvorbereitung wurde die Schleimhaut zusätzlich
gegenüber Xylocain-Spray® und Xylometazolin exponiert.
Eine die Gentoxizität von Pestiziden steigernde Wirkung
dieser Substanzen ist nicht bekannt. Eine Vorbelastung durch Tabakrauch
oder sonstige Umwelteinflüsse wurden anhand des Heidelberger
Fragebogens [13 ] dokumentiert. Hierbei ließ sich
jedoch kein statistisch signifikanter Einfluss der erfassten Schadstoffe
auf die genotoxische Wirkung von Lindan oder PCP nachweisen. Die
untersuchten Proben stammten von Patienten unterschiedlicher Altersklassen,
wobei sich - unabhängig vom Lebensalter - eine
einheitliche gentoxische Wirkung der untersuchten Pestizide zeigte.
Insgesamt betrachtet bestehen keine Hinweise dafür, dass
die Grunderkrankung der Patienten, die prä- oder perioperative
medikamentöse Behandlung, das Lebensalter oder frühere
Schadstoffexpositionen die Versuchsergebnisse grundlegend beeinflusst
haben könnten. Hierfür spricht auch die Tatsache,
dass im tierexperimentellen Modell der Ratte ähnliche Gentoxizitätsmuster
für PCP und Lindan nachgewiesen wurden, wobei keiner der
oben aufgeführten potenziellen Störfaktoren vorgelegen
hat [9 ]
[14 ]
[16 ]
[17 ].
Mit überraschender Deutlichkeit konnte die vermutete
gentoxische Wirkung von PCP bestätigt werden. Mit steigender
PCP-Exposition resultierte eine signifikante Zunahme der registrierten DNS-Schäden
im Sinne eines Dosis-Wirkungsprinzips. Bereits bei PCP-Konzentrationen
von 0,3 mM bzw. 0,75 mM konnten DNS-Schäden bei durchschnittlich
mehr als 50 % bzw. 70 % der exponierten
Schleimhautzellen von der mittleren Nasenmuschel festgestellt werden.
Bei einer PCP-Konzentration von 1,2 mM wiesen sogar durchschnittlich
92 % der exponierten Zellen DNS-Schäden
auf. Hierbei handelt es sich um PCP-Konzentrationen, wie sie durchaus
bei bestimmten beruflichen Tätigkeiten auch an zivilen
und militärischen Arbeitsplätzen z. B.
in Kleiderkammern der Bundeswehr oder auch durch Hausstaubbelastungen
auftreten könnten [22 ]. Schleimhautzellen
von der unteren Nasenmuschel reagierten weniger empfindlich. So
fanden sich selbst bei einer PCP-Konzentration von 1,2 mM nur bei durchschnittlich
64 % der exponierten Zellen DNA-Schäden.
Die Ursachen für dieses unterschiedliche Verhalten sind
bislang unklar. Einerseits käme als Erklärung
eine grundsätzlich höhere Vulnerabilität
der Schleimhaut der mittleren Nasenmuschel in Frage [3 ]
[10 ].
Andererseits wäre es vorstellbar, dass ein unterschiedlicher
Zellstoffwechsel, z. B. durch eine differente Enzymausstattung
zu einer verstärkten Bildung toxischer PCP-Metaboliten
wie Tetrachlorhydrochinon für die stärker ausgeprägte
gentoxische Reaktion im Bereich der Schleimhaut der mittleren Nasenmuschel,
verantwortlich ist [9 ]
[15 ]
[20 ].
In diesem Zusammenhang erscheint die Tatsache, dass Nasen- und
Nasennebenhöhlenkarzinome bei holzstaubexponierten Arbeitern
bevorzugt von der Schleimhaut der mittleren Nasenmuschel ausgehen,
besonders bemerkenswert. Neben einer direkten mutagenen Wirkung
von Hartholzstäuben werden Holzinhaltsstoffe wie z. B.
Insektizide als tumorauslösende Noxe verdächtigt [12 ].
Die beobachtete Gentoxizität von PCP auf menschliche
Nasenschleimhautepithelien erlaubt zwar noch keinen direkten Schluss
auf ein erhöhtes Krebsrisiko, verstärkt jedoch
die bislang diesbezüglich vorliegenden Verdachtsmomente.
So wurde im Rahmen von epidemiologischen Untersuchungen ein gehäuftes
Auftreten von Haut-, Lippen-, Nasen- und Nasenrachenkarzinomen sowie
von Leukämien bei PCP-exponierten Personen berichtet [20 ].
Ähnlich weiträumig wie PCP wurde in der Vergangenheit
Lin-dan als Insektizid eingesetzt. Bei dieser Substanz handelt es
sich um das γ-Isomer der Hexachlorcyclohexane, die zur
Gruppe der neutralen Organochloride gehören. Lindan wurde
zur Konservierung von Getreide- und Holzprodukten sowie von Textilien eingesetzt.
Obwohl der Einsatz inzwischen stark reglementiert wurde, besteht
immer noch eine erhebliche Umweltbelastung durch diese schwer abbaubare
Substanz [5 ]
[16 ] [17 ]
.
Bislang durchgeführte In-vitro-Versuche hatten hinsichtlich der
Gentoxizität widersprüchliche Ergebnisse geliefert.
Bei langzeitexponierten Ratten fand sich eine erhöhte Karzinom-inzidenz
von Mammakarzinomen. Ferner lieferten epidemiologische Untersuchungen
Hinweise für ein erhöhtes Risiko für Lungen-,
Leber- und Mammakarzinome bei Lindan-exponierten Personen [8 ].
In der vorliegenden Untersuchung konnte ähnlich wie
für PCP auch für Lindan eine ausgeprägte
gentoxische Wirkung auf menschliche Nasenschleimhautepithelien nachgewiesen werden.
Auch hier zeigte sich eine signifikante Dosis-Wirkungsbeziehung.
Ferner erwies sich die Schleimhaut von der mittleren Nasenmuschel
ebenfalls als signifikant vulnerabler im Vergleich zur unteren Muschel.
Fazit
Fazit
Die vorliegende Untersuchung konnte (nachdem in einer früheren
Untersuchung bereits auf das gentoxische Potential von Lindan auf
humane Nasenschleimhaut hingewiesen wurde [17 ]) erstmals
eine signifikant unterschiedliche gentoxische Wirkung sowohl von
PCP als auch von Lindan auf verschiedene Lokalisationen der menschlichen
Nasenschleimhaut nachweisen, wobei sich die Schleimhaut der mittleren
Nasenmuschel als in besonderem Maße vulnerabel zeigte.
Es handelt sich in der vorliegenden Untersuchung um eine In-vitro-Studie,
die wesentliche Unterschiede hinsichtlich der Exposition gegenüber
Schadstoffen zur In-vivo-Situation aufweist, wobei vor allem die
Wirkung lokaler Schutzmechanismen der Nasenschleimhaut (Schleimbarriere)
unberücksichtigt bleiben müssen. Dennoch erhärten
diese Ergebnisse zusammen mit den bereits vorliegenden tierexperimentellen
und epidemiologischen Untersuchungen den Verdacht, dass durch eine
Langzeitexposition vor allem gegenüber PCP und möglicherweise
Lindan das Risiko, an einem Nasenkarzinom zu erkranken, ansteigen
könnte.
Unter diesem Aspekt sind einerseits prospektive epidemiologische Studien
bei langzeitexponierten Personen zu empfehlen. Andererseits ist
zu fordern, dass möglicherweise noch vorhandene kontaminierte
Schwertextilien und Kleidungsteile entsorgt werden, um eine weitere
Exposition betroffener Personen zu verhindern.
Danksagung: Wir danken Herrn Dr. L.
Edler von der Abteilung Biostatistik des DKFZ Heidelberg für
die statistische Betreuung und Auswertung der Messergebnisse.