Dtsch Med Wochenschr 2001; 126(47): A1063-A1064
DOI: 10.1055/s-2001-18570
Die Serie ... Prävention
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Adipositas

H. Hauner
  • Deutsches Diabetes-Forschungsinstitut an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Further Information

Prof. Dr. Hans Hauner

Klinische Abteilung, Deutsches Diabetes-Forschungsinstitut

an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Auf’m Hennekamp 65

40225 Düsseldorf

Email: hauner@ddfi.uni-duesseldorf.de

Publication History

Publication Date:
22 November 2001 (online)

Table of Contents #

Obesity

Obesity is a growing health problem which has now reached an epidemic dimension in Germany with a prevalence of approximately 20% in the adult population and a dramatic increase of childhood obesity. The main cause is a change of lifestyle during the last decades characterized by an inadequately high caloric intake, mainly from fat sources, and a lack of physical activity. Prevention of obesity must include strategies at the individual level in persons at specific risk and at the population level which requires an integrated public health policy. Prevention of obesity may be more successful and cost-effective than treatment of manifest obesity.

#

Verbreitung der Adipositas, Folgeerkrankungen und Kosten

/% ’ -Die Adipositas hat in Deutschland längst ein epidemieartiges Ausmaß angenommen. Definiert man Adipositas wie international üblich als Body Mass Index (BMI) > 30 kg/m², dann sind nach den Ergebnissen des Bundes-Gesundheitssurveys 1998 zwischen 18 und 24,5% aller erwachsenen Männer und Frauen im Alter zwischen 18 und 79 Jahren adipös. Bei Frauen im Alter > 50 Jahren liegt die Adipositasprävalenz in den ostdeutschen Bundesländern höher als in den westdeutschen (Gesundheitswesen 1999; 61 Sonderheft 2: S115-S120). Im Vergleich zu früheren Untersuchungen ist damit ein weiterer Anstieg der Adipositasprävalenz zu verzeichnen. Bei Kindern und Jugendlichen in Jena wurde kürzlich ein noch stärkerer Anstieg berichtet (Int J Obes 1999; 23: 1143-1150). Diese alarmierende Entwicklung geht erwartungsgemäß mit einem dramatischen Anstieg Adipositas-assoziierter Komorbiditäten wie Typ 2-Diabetes mellitus, Hypertonie oder degenerativer Gelenkerkrankungen einher. Die Kosten der Adipositas und ihrer Folgeerkrankungen wurden bereits 1990 auf 6-8% aller Ausgaben im deutschen Gesundheitssystem geschätzt (Ernährungsumschau 1996; 43: 369-374).

#

Ursachen der Adipositas und Risikofaktoren

Die dramatische Zunahme von Übergewicht und Adipositas in den letzten Jahrzehnten hängt vor allem mit den modernen Lebensbedingungen zusammen. Ein Überangebot an verführerisch beworbenen und überall verfügbaren Nahrungsmitteln auf der einen Seite und ein zunehmender Bewegungsmangel im Arbeitsleben und in der Freizeit auf der anderen Seite sind zweifellos die beiden Hauptursachen. Ein erhöhtes Risiko für die spätere Entwicklung einer Adipositas tragen vor allem Kinder und Jugendliche aus Familien mit Adipositas, hauptsächlich infolge einer hohen genetischen Belastung, aber auch wegen der Weitergabe eines ungesunden Lebensstils. Gefährdet sind ferner Personen mit mäßigem Übergewicht (BMI 25-29,9) sowie mit einem frühen Beginn von Übergewicht. Ist erst einmal eine Adipositas vorhanden, dann ist die Wahrscheinlichkeit einer lebenslangen Persistenz sehr hoch.

Bei schätzungsweise 5¿10% der Deutschen beginnt die Adipositas bereits im Kindes- und Jugendalter, bei weiteren 20¿25% manifestiert sie sich im Erwachsenenalter (Gesundheitswesen 1999; 61 Sonderheft 2: S115-S120). Nach dem 65. Lebensjahr sinkt der mittlere BMI der Bevölkerung aus verschiedenen Gründen, nicht zuletzt infolge eines alterungsbedingten Appetitverlustes. Weitere mehr oder weniger gut belegte Risikofaktoren für Gewichtszunahme sind niedriger Sozialstatus, Schwangerschaft und belastende Ereignisse wie Verlust des Arbeitsplatzes oder Scheidung. Unter den Ernährungsfaktoren scheinen vor allem eine fettreiche und - bei Kindern und Jugendlichen - eine zuckerreiche Ernährung eine Gewichtszunahme zu fördern (Am J Clin Nutr 1998; 68: 1157-1173; Lancet 2001; 357: 505-508). Obwohl sich in Deutschland insgesamt ein Trend zugunsten einer gesünderen Ernährung abzeichnet (Ernährungsumschau 2000; 47: 328-332), hat sich diese Entwicklung bislang nicht in einer Abnahme der Adipositasprävalenz bemerkbar gemacht.

#

Gründe für eine Adipositasprävention

Da Adipositas nicht als eigenständige Krankheit anerkannt ist und ein negatives Image trägt, wurde dieses Problem im deutschen Gesundheitssystem lange vernachlässigt bzw. völlig ignoriert. Erst in jüngerer Zeit erhält das Thema Prävention der Adipositas wachsende Aufmerksamkeit. Vor allem folgende Argumente sprechen für eine stärkere Förderung von Präventionsmaßnahmen (nach WHO-Technical Report Series 894, 2000):

  • Liegt bereits eine Adipositas vor, sind die Aussichten für eine erfolgreiche Behandlung bescheiden. Nur in wenigen Fällen gelingt dann noch eine dauerhafte Gewichtssenkung.

  • Mit zunehmender Dauer und Schweregrad der Adipositas häufen sich kostspielige Komplikationen und sind auch nach Gewichtsabnahme nicht immer reversibel.

  • Die zunehmende Verbreitung der Adipositas erlaubt infolge begrenzter Ressourcen längst nicht die Behandlung aller Betroffenen.

  • Prävention der Adipositas ist wahrscheinlich kostengünstiger und effektiver als eine langwierige Behandlung.

#

Präventionsstrategien und ihre Ergebnisse

Grundsätzlich können Strategien zur Prävention der Adipositas auf die Gesamtbevölkerung oder auf ausgewählte Risikogruppen zielen. Die meisten Daten bei Erwachsenen stammen aus Studien auf Bevölkerungsebene, in denen Programme zur Senkung oder Ausschaltung kardiovaskulärer Risikofaktoren eingesetzt wurden. Eine der größten Interventionsstudien mit dem Ziel, durch primärpräventive Maßnahmen den mittleren BMI und die Prävalenz der Adipositas in der Bevölkerung zu senken, war die Deutsche Herz-Kreislauf-Präventionsstudie, die zwischen 1984 und 1991/92 durchgeführt wurde. Zu den Maßnahmen gehörten Aufklärung über kalorienreduzierte, gesunde Ernährung, Schulung von Multiplikatoren, Ernährungsberatung, Verbesserung des Angebots gesundheitsfördernder Produkte und Dienstleistungen sowie vielfältige Initiativen zur Steigerung der körperlichen Bewegung. Im Gegensatz zu positiven Wirkungen auf Blutdruck und Blutfette war dieses Programm im Hinblick auf das Körpergewicht nahezu ohne Erfolg. In den Interventionsregionen fand sich eine ähnliche Zunahme des mittleren BMI und der Adipositasprävalenz wie in der Referenzregion (Prev Med 1996; 25: 135-145). In anderen bevölkerungsbezogenen Interventionstudien zur Bekämpfung von Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Nordamerika wurden ähnlich enttäuschende Ergebnisse oder bestenfalls marginale Effekte auf das Körpergewicht berichtet, so dass mit den bisherigen Programmen wenig Grund zu Optimismus besteht.

Bei Kindern und bei Jugendlichen scheinen die Bemühungen zur Primärprävention der Adipositas etwas günstigere Resultate zu zeitigen, auch wenn diese in den bisherigen Studien nicht immer konsistent waren. In der Regel handelte es sich dabei um Präventionsprogramme an Schulen, in denen unter Einbeziehung von Lehrern und Eltern eine Verlangsamung des Gewichtsanstiegs durch gesündere Ernährung, mehr Bewegung und Gesundheitserziehung angestrebt wurde. Sofern diese Programme auf die Prävention von Übergewicht fokussiert waren und auch auf bereits übergewichtige Kinder zugeschnitten waren, waren damit zumindest positive Kurzzeiteffekte auf die Gewichtsentwicklung möglich: Ein solcher Ansatz erwies sich auch in einem deutschen Projekt, der Kiel Obesity Prevention Study bei Schulkindern (KOPS), die zum Zeitpunkt der Intervention zwischen 5-7 Jahre alt waren, als wirksam (Dt Ärztebl 1998; 95: A2027-A2030).

Bei Kindern und Jugendlichen gibt es außerdem mehrere Untersuchungen, in denen eine gezielte Intervention bei Risikopersonen (übergewichtige Kinder, Kinder mit wenigstens einem adipösen Elternteil) erfolgreich war. In der klassischen Untersuchung von Epstein et al. konnte durch einen mehrmonatigen familientherapeutischen Ansatz bei 6-12-jährigen Kindern mit Übergewicht noch in einer Nachuntersuchung 10 Jahre später eine signifikante Senkung der Adipositasrate gesehen werden (J Amer Med Ass 1990; 264: 2519-2523). Interessant ist auch die Beobachtung, dass bei Kindern und Jugendlichen das Körpergewicht umso höher ist, je mehr Zeit diese vor dem Fernsehgerät oder bei Videospielen verbringen (Arch Pediatr Adolesc Med 1996; 150: 356-362). In einer Interventionsstudie war eine alleinige Reduktion des täglichen Fernsehkonsums von 2,2 auf 1,3 Stunden durch alternative Freizeitangebote mit einem geringeren Anstieg des BMI verbunden (J Amer Med Ass 1999; 282: 1561-1567). Ein interessanter neuer Befund aus einer süddeutschen Untersuchung ist, dass Stillen mit einer deutlich reduzierten Adipositasprävalenz im Schulkindesalter einhergeht und somit eine protektive Wirkung zu haben scheint (Brit Med J 1999; 319: 147-150).

#

Adipositasprävention - eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung

Adipositasprävention ist keineswegs allein eine medizinische, sondern vielmehr eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Es ist grundsätzlich zu fordern, dass die Lebensbedingungen einer Gesellschaft so gestaltet werden, dass eine gesündere Ernährung und ein aktiverer Lebensstil erleichtert und gefördert werden, um der Entwicklung einer Adipositas vorzubeugen (s. Abschnitt [»Sinnvolle Maßnahmen zur Prävention der Adipositas«]). Tatsächlich trifft in den modernen Wohlstandsgesellschaften derzeit eher das Gegenteil zu.

Da Präventionsbemühungen im Kindesalter besonders lohnenswert zu sein scheinen, kommt der elterlichen Vorbildfunktion und der Gesundheitsförderung in der Schule sicherlich eine besondere Bedeutung zu. In dieser sensitiven Phase könnten die Grundlagen für eine lebenslange gesunde Ernährung und regelmäßige körperliche Bewegung relativ einfach und kostengünstig geschaffen werden. Auch wenn im Vergleich dazu die Adipositasprävention bei Erwachsenen mühsamer ist, gibt es noch eine Fülle unzureichend genutzter Möglichkeiten (s. Abschnitt [»Sinnvolle Maßnahmen zur Prävention der Adipositas«]). Von Seiten des Gesundheitssystem sollten sich Präventionsbemühungen zuerst auf Risikopersonen konzentrieren. Anders als in der Vergangenheit sollten Kostenträger und medizinische Experten Präventionsprogramme gemeinsam entwickeln, möglichst flächendeckend etablieren und wissenschaftlich evaluieren.

Sinnvolle Maßnahmen zur Prävention der Adipositas*

Stadtentwicklung und Transport

  • Fußgängerzonen und Fußwege schaffen

  • Autoverkehr in Wohngegenden beruhigen

  • Fahrradwege ausbauen

  • mehr öffentlich zugängliche Sportanlagen und Parks schaffen

  • Kaufhäuser und öffentliche Gebäude so planen, dass mehr Treppen benutzt werden

Gesetzliche Regelungen

  • verbraucherfreundliche Deklaration der Inhalte von Lebensmitteln

  • Werbung für gesundheitsschädliche Produkte einschränken (besonders bei Kindern)

Ökonomische Anreize

  • Entwicklung gesunder Lebensmittel belohnen

  • Firmen fördern, die ihre Mitarbeiter zu körperlicher Bewegung anhalten

Schule

  • mehr Schulsport, Schulhöfe nachmittags für Sport öffnen

  • bessere Gesundheitserziehung

Verpflegung

  • Auswahl und Qualität von Kantinenessen verbessern

Massenmedien

  • gesunden Lebensstil stärker propagieren, mit positivem Image versehen

  • bei Kindern und Jugendlichen Fernsehkonsum begrenzen

*nach WHO Technical Report Series 894, 2000

In den letzten Jahren wurden erfreulicherweise mehrere evidenzbasierte bzw. Konsensus-Leitlinien herausgegeben, die nicht nur Hintergrund und Folgen des Adipositasproblems erläutern, sondern darüber hinaus die derzeit favorisierten und wissenschaftlich belegten Präventions- und Behandlungsstrategien darstellen (www.adipositas-gesellschaft.de; www.medizin.uni-koeln.de/kal/igmg/publi.html; Obes Res 1998; 6 Suppl. 2: 51S-210S; WHO Technical Report Series 894, 2000).

In der nächsten Folge lesen Sie: Osteoporose

Fachliche Betreuung der Serie:

Prof. Dr. Dr. h. c. Peter C. Scriba, München

Prof. Dr. Friedrich W. Schwartz, Hannover

Prof. Dr. Hans Hauner

Klinische Abteilung, Deutsches Diabetes-Forschungsinstitut

an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Auf’m Hennekamp 65

40225 Düsseldorf

Email: hauner@ddfi.uni-duesseldorf.de

Prof. Dr. Hans Hauner

Klinische Abteilung, Deutsches Diabetes-Forschungsinstitut

an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Auf’m Hennekamp 65

40225 Düsseldorf

Email: hauner@ddfi.uni-duesseldorf.de