Psychotraumatologie 2001; 2(4): 23
DOI: 10.1055/s-2001-18454
Berichte aus der Praxis
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Selbstmordattentäter - über die Dynamik induzierter Persönlichkeitsdissoziation

Stefan Mennemeier
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Autor:

Stefan Mennemeier

Facharzt für Psychiatrie & Psychotherapie


Traumatherapeut im Psychotraumazentrum Kassel

Königstor 38

34117 Kassel

Phone: 0561-16555

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Publication History

Publication Date:
20 December 2001 (online)

 
Table of Contents #

Zusammenfassung:

Am 1.10.01 wurde in mehreren Zeitungen ein „Leitfaden für Selbstmordattentäter” - „aus dem Gepäck des Terroristen Atta, der die Boing in das WTC am 11.9.01 steuerte, veröffentlicht und in Kommentaren als „bizarres Dokument des religiösen Wahns” und als „Brevier für den Alltag, das den Hass auf alles Nicht-Islamische artikulierte und verifiziere” kommentiert. Im Spiegel („Was geht in den Köpfen der Terroristen um” / „Leitfaden für Selbstmordattentäter: ein bizarres Dokument des religiösen Wahns” Spiegel 40 / 1.10.01 ) wurde dieser Text, anders als in der FAZ, TAZ und Bild, in einer ungekürzten Version veröffentlicht, die m. M. wichtige Details beinhaltete.

In meinem Essay beziehe ich mich auf diesen Text und beleuchte ihn aus psychotraumatologischer Sicht. Ich entwerfe ein hypothetische Modell, wie Selbstmordattentäter „programmiert” und mit solchen „Leitfäden”-Texten aktiviert werden könnten. Außerdem weise ich auf die notwendige Integration psychotraumatologischer Konzepte in die Fahndungsarbeit nach weiteren Terroristen und weise auf Möglichkeiten hin, die Dynamik der Politik muslimischer Gruppen unter diesen Aspekten neu zu beurteilen und zu klären. Eine Rasterfahndung, die die - mögliche - dissoziative Symptomatik von Verdächtigen nicht berücksichtigte, könnte diese m. M.n. nicht entlarven.

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Essay:

Auf welche Weise konnten die Attentäter des WTC in NY am 11.9.01 eine Globale Weltöffentlichkeit traumatisieren? Durch die zerstörten Hochhäuser und die unzähligen Opfer? War dabei nicht ein entscheidender Punkt, dass die gesellschaftlichen trauma-prophylaktischen und trauma-kompensatorischen Skripte unterlaufen und zersetzt wurden? Und dies von einer Reihe von Tätern, deren eigene trauma-kompensatorischen Skripte - wie es schien - die einer dem Westen doch letztlich fremden Religion - Islam - entsprangen? „Islamischer Wahnsinn” <> „Religiöser Fanatismus” <> „Der Hass der Muslime” - so polarisierten schnell die westlichen Gemüter.

Ich stelle in der Analyse der denkbaren Dynamik der Selbstmordattentäter die Hypothese auf, dass die Täter gar nicht mehr über islamische trauma-kompensatorische Skripte verfügten, sondern nur noch über parareligiöse, längst verfremdete, gezielte dissoziativ veränderte Strukturen.

Eine meiner Hypothesen ist: Diese Strukturen lassen sich erkennen, wenn man die Signatur der dissoziativen Symptomatik der betroffenen Täter dechiffriert: d. h., daran lassen sich mögliche Selbstmordattentäter entlarven.

Der veröffentliche „Leitfaden für Selbstmordattentäter” aus den Taschen des WTC-Attentäters Mohamed Atta jun. hat meiner Ansicht nach nichts mit „religiösem Wahn” zu tun; es könnte sich vielmehr um eine ausgeklügelte hypnotische Trance-Induktion handeln, und könnte darauf hinweisen, dass sich der Täter Atta zum Zeitpunkt der terroristischen Tat möglicherweise selbst in einem quasi hypnotisch eingeengten - dissoziierten - Bewusstseinszustand befunden haben hat. Meiner Meinung nach handelt es sich psychologisch um ein Missverständnis, wenn Selbstmordattentäter aus sich selbst heraus mit religiösen Fanatikern gleichgestellt werden.

Es könnte mit zur Verschleierungstaktik gehören, den Westen - und auch die Medien - glauben zu lassen, die Terroristen stünden in jeder Hinsicht hinter ihren Taten, und sie seien durch den intensiven muslimischen Glauben in ihrer eigenen Vorstellung unangreifbar.

Hypnotherapeutische Tranceinduktionen dienen in modernen Psychotherapien der Einleitung oder Aufrechterhaltung von Entspannungszuständen unterschiedlicher Tiefe. Hierbei kommt, wie in der klassischen Hypnose, zum Tragen, dass der Klient nie zu etwas gebracht werden kann, was er in sich von seinem ethischen Grundmuster her nicht befürworten würde; insofern können Trancezustände therapeutisch zu heilenden Erkenntnissen genutzt werden. Eine wichtige Hypothese hierfür lautet, dass in Trancezuständen „Container” erreicht werden, in denen unbewusste, nicht reflektierte Werte-Ideale - wie der Theologe und Analytiker Ritschl formulierte, „Implizite Axiome” gelagert sind, in denen der Betroffene seine ureigenste Selbst-Identifikations-Signatur lagert. Diese Signatur entspricht gleichsam dem charakterlichen Wesen, dem archaischen Weltbild, dem Urvertrauen, und hier finden sich bei tief religiösen Menschen auch ihre individuell chiffrierten Bedeutungsträger spiritueller Hingabe.

Alle Weltreligionen bieten im Kern letztlich ähnliche gleiche Aussagen und stärken auf sozialer Ebene die gesellschaftlichen trauma-kompensatorischen Schemata der Gruppen, aber auch individuell jedes Einzeln. Gerade religiöse Trancen - vom Gebet über die Gruppenzeremonien bis hin zu Alltagsstrukturierung - verhelfen traumatisierten Menschen häufig, ihre Selbstheilungsressourcen und trauma-kompensierenden Konzepte zu überprüfen, abzugleichen und in Krisenzeiten sinnfindene Ressourcen semantischer Codierungen neu zu gestalten. Religiöse Inhalte verleihen Leid im Diesseits einen existentiellen, übergeordneten Sinn, formulieren lebensbejahende und - erleichternde Regeln für das alltägliche Zusammenleben und erfüllen das Bedürfnis nach emotionaler Wärme, Geborgenheit und Verständnis.

Folter folgt häufig dem Ziel, das Opfer zu de-personalisieren: d. h. sich selbst zu entfremden. Dies geschieht durch existentielle Bedrohung und Konfrontation mit Gewalt und Ohnmacht, und Intervallen von relativer „Erholung”. Folgen sind oft tiefe Persönlichkeitsspaltungen im eigenen Erleben und in der Beziehung zu sich selbst, und in diesem Sinne können Borderline-Persönlichkeitsstörungen auch unter Folter gewissermaßen „künstlich hergestellt” werden.

Oft inszenieren Folterer Situationen quälender Doppelbindungen: ein Folterer ist abgrundtief böse und in seinem Verhalten unlogisch und nicht einfühlbar, der andere zeigt sich eine Zeitlang als gut, gibt freundliches Verhalten vor und erschleicht sich das Vertrauen des Opfers. Oft wechselt „der Gute” dann nach einer Abfolge von Folterzyklen hin zum Bösen: dann gerät das Opfer in eine völlige Konfusion und in eine Entfremdung zu seinen eigenen vertrauensvollen Gefühlen: Die Zerstörung der Identität beginnt.

Folteropfer entwickeln, wie alle schwersttraumatisierten Menschen, eine ausgeprägte Scham über das, was ihnen Schreckliches widerfahren ist. Die Schamgefühle korrelieren mit der eigenen Ohnmacht, der Folter erlegen zu sein, und spiegeln den Verlust der Intimität und der inneren Grenzen für das Gefühl des „Zu mir Gehörigen” wider. Viele Traumatisierte können über ihre Traumata nicht reden - einerseits aufgrund dieser Scham, andererseits aufgrund dissoziativer Blockaden, in denen die Sprachzentren im Gehirn gleichsam aus Selbstschutz abgeschaltet werden. Was nicht ausgesprochen werden kann, kann über die motorische Sprache nicht in bewusstes Denken umgesetzt werden, und wirkt damit nicht retraumatisierend. Auch können oft Erfahrungen zwar filmartig erinnert, aber nicht ausgesprochen werden - hier kann das erste Aussprechen im therapeutischen Rahmen zu einer Entlastung führen.

Menschen, die schwere körperliche Folter überlebt haben, entwickeln häufig eine dissoziative Form der leiblichen Hypersensibilität, durch die sie keine Fähigkeit zur Unterscheidung zwischen einzelnen Berührungen mehr haben: d. h., z. B. eine Berührung am Fuß erleben Betroffene dann als einen qualvollen Ganzkörperschmerz.

So können z. B. ärztliche Untersuchungen als Folter fehlinterpretiert werden, weil bei der Untersuchung vielleicht bestimmte Details - weißer Kittel, Stethoskop, eine blinkende Apparatur - mit solchen aus der erlebten Folterszene übereinstimmten und dadurch Flashbacks triggern. Ein solcher Folterüberlebender kann ein ärztliches Beklopfen der Brust als so traumatisierend erleben, dass sich als angegriffen wie nach einem Mordanschlag fühlen kann, und sich erheblich wehrt, um seine Abwehrimpulse auszuagieren.

Menschen, die schwere körperliche Folter überlebt haben, entwickeln häufig auch ein fast unverrückbares Misstrauen allen Helfern gegenüber. Da sie unter der Folter einerseits die „Guten” Folterknechte ebenfalls als grausam erlebten, und dazu durch die Traumatisierung ihre physiologische Fähigkeit der zeitlichen Zuordnung erlebter Abläufe verloren, misstrauen sie zunächst jedem, der ihnen „hilft”, aber ihre Grundsituation nicht sofort radikal ändern kann. In der Therapie erlernen sie erst wieder langsam, zu erkennen, dass die Foltersituation wirklich zu Ende ist; und wenn sie opferidentifiziert sind, prüfen sie den Therapeuten unzählige Male, ob sich in ihm auch ja nicht ein verkappter Folterer verbirgt.

Unter der Prämisse, dass Menschen, deren trauma-kompensierendes Schema im Einklang mit ihrer Religion genügende Ressourcen besitzen, um mit Traumata friedfertig und im Sinne der humanistischen Kernaussagen ihrer Religion umzugehen, so sind Religiöse Fanatiker und Extremisten häufig Menschen, die unter dem Trommelfeuer nicht enden wollender Traumatisierungen - wie z. B. jahrzehntelange Kriegszustände, lange Hungersnöte usw., aber auch individueller oder peer-bezogener Foltererfahrungen - mehr ahnen als bewusst reflektieren, dass ihnen ihr Glaube bei der Bewältigung ihrer Traumata nicht mehr genügend helfen kann. Ihnen gehen ihre Bewältigungsressourcen aus, was mit heftigen Scham- und Verlorenheitsängsten verbunden ist, da ja die unverarbeiteten Traumata ins Bewusstsein drängen und wieder dissoziiert werden müssen. Um vor sich selbst das Gesicht zu wahren, entstehen innerpsychische doppelte Bindungsebenen: dissoziiert werden nicht nur die traumatischen Erinnerungen, sondern auch die spirituellen Versagensängste - die Religion wird idealisiert, in ihren realen Bindungen durch Alltags-Regeln verschärft, und so versuchen diese Betroffenen, sich ihren Glauben narzisstisch im Spiegel anderer Gleichgesinnter zu stärken und sich seiner so zu versichern. Gerade Zweifel am Glauben oder einfach andersgläubige Menschen lösen in ihnen erneute apokalyptische Versagenängste aus, die aggressiv externalisiert - in der Schuld in andersgläubige Menschen projiziert und damit bekämpft werden.

Folteropfer haben in der Traumatherapie eine um so bessere Prognose, wenn sie eine tief verwurzelte Religiosität aufweisen, an die die Kontrollmechanismen, sogar die projektiven Identifikationen der folternden Täter nicht heranreichen. Gläubige Opfer dissoziieren ihre religiösen Hoffnungen auf Überleben im Sinne narzisstischer Werte-Ideale oft während der Folter in einen dissoziierten Persönlichkeitsanteil, der zu ihrem religiösen „Container” eine unmittelbare Nähe besitzt, und ganz ähnlich zum Container von Reserven an Überlebenskraft und Identität wird. Auf dieses Reservoir an gesunder Identität kann das Folteropfer in einer späteren, sichereren Lebenssituation wieder Bezug nehmen. Diese „Container” werden in der Traumatherapie langsam aufgesucht, identifiziert und dem Betroffenen wieder zugänglich gemacht.

Daher haben ursprünglich religiös verwurzelte Folteropfer, die dazu auch noch religiös traumatisiert wurden, in ihren Heilungschancen später schlechtere Chancen, weil ihre grundsätzlichen Werte-Ideale, die sie aus ihrer Religion beziehen, angetastet wurden und durch die verzerrende Manipulation verloren gegangen sind.

Das Prinzip der „Gehirnwäsche”, d. h. der „Herstellung” von Agenten mit induzierter Persönlichkeitsdissoziation, bedient sich dieser Dynamik. Dabei werden Menschen durch Folter traumatisiert - bei Vortraumatisierung um so leichter - , um ihnen während der physischen und psychischen Qualen parallel neue Inhalte, z. B. Handlungsanweisungen für terroristische Anschläge, hypnotisch einzugeben.

Der programmierende Folterer versucht, diese religiösen „Container” durch schwere körperliche und physische Erschöpfung des Opfers zu „öffnen”, um neue und destruktive Inhalte einzufüllen, die einen scheinbar religiösen oder hoffnungsgebenden Inhalt besitzen, der aber gezielt verzerrt wird - z. B. Attentatspläne beinhaltet - um damit die Gesamtpersönlichkeit des Opfers zu zerstören, gleichzeitig aber auch zu nutzen. Die künstlichen, persönlichkeitsfremden Inhalte bleiben dem Opfer bewusst verborgen, bis ein induzierender Trigger auftaucht, der das Trauma der Folterung und damit eine Dissoziation aktiviert. Die Dissoziation beschäftigt das Ich-Bewusstsein, während der spezifische Triggerreiz gleichzeitig den Handlungsplan aktiviert. Das Opfer wird zum Agenten, möglicherweise ohne sich dessen bewusst zu sein, und führt die Tat aus, rechtfertigt sie aber weiterhin durch die Hoffnungsideen oder religiösen Inhalte, mit denen der fremde Inhalt psychisch verankert ist.

Religiöse Zusatzinformationen - z. B. Verse aus den heiligen Büchern - können in diesen Gehirnwaschprozeduren dazu dienen, den Folteropfern einerseits die Dissoziation der traumatischen Erinnerungen zu stärken, und andererseits den Betroffenen zu helfen, den Traumata einen existentiellen Sinn - z. B. „Märtyrer” - zu verleihen. Hierdurch gelingt ein ethischer U-Turn: die Traumata werden nicht mehr verarbeitet, ihnen wird im sozialen Diskurs eine besondere Stellung zugeeignet, der sie als Martyrium hervorstehen lässt und dem Betroffenen in seiner sozialen Mitwelt eine herausragende Stellung zukommen lässt. Dieser Diskurs hilft außerdem, die Tatsache zu verleugnen, dass der Betroffene sich nicht gar nicht mehr im „Besitz” seines eigenen Glaubens im Sinne seines biographisch entwickelten, spirituellen traumakompensierenden Schemas befindet, sondern nur eine Hülse aus parareligiösen Metaphern in sich trägt, die von Gewaltartefakten durchwirkt sind. Religiöse Schriften können den terroristischen Ausbildern dann zur Übermittlung der triggernden „Stichworte”, die die dissoziierten Handlungsanweisungen aktivieren, dienen.

In dem Sinne trägt meiner Ansicht nach der „Leitfaden” von Atta viele Züge eines hypnotischen Textes mit zahlreichen Wendungen, die auffallenden Stichwortcharakter tragen. Im Abdruck des Spiegel werden auch Feinheiten aufgeführt - die Reinigung am Vorabend, das feste Verschnüren der Schuhe (wird sogar mehrmals erwähnt), die mantraähnliche „Erinnerung und Entsinnung”, und immer wieder: der notwendige Gehorsam, dessen Ausbleiben schwere göttliche Strafe nach sich zöge. All dies sind Reinigungsrituale, wie sie jeder Muslim kennt, sie können jedoch doppelsinnige Triggerfunktion besitzen.

Wenn Atta aufgrund einer solchen angenommenen hypnotischenTrance-Induktion zu einem Attentat (incl. Selbstmord) fähig gewesen ist, dann könnte er zuvor hierzu auf Persönlichkeitsebene manipuliert worden sein.

Die Folter könnte so ausgesehen haben: Der zu rekrutierende Terrorist könnte physisch an den Füßen gequält worden sein, während man ihm gleichzeitig Koranverse vorlas und damit den Eindruck erweckte, die Folter sei z. B. gottgewollte Bestrafung für Sünden. Später würden nur noch liebevolle und verständiserweckende Verse rezitiert, um die Dissoziation zu verankern, in die die Handlungsanweisungen des Attentats eingeflochten wären.

Auf diese Weise würde später die Anweisung, sich auch ja die „Schuhe fest zu schnüren”, Flashbacks der Folter anregen, die gleichzeitig durch die andere, mantraähnlich im Text wiederholte Anweisung zu beten dissoziativ maskiert würden. Das Alltagsbewusstsein wäre mit Beten beschäftigt und mit Reflexionen, das ja alles einen gott-gewollten Sinn hätte, um die Flashbacks mit Hilfe der Gebete dissoziativ zu kontrollieren, während ein anderer Teil des Bewusstsein die Handlungsanweisungen des Attentats unter Selbstaufgabe befolgen könnte.

Für eine solche Indoktrinierung hätte Atta nicht monatelang in ein Ausbildungscamp gemusst; solche schweren Traumatisierungen hätten ihm in relativ kurzer Zeit, quasi an einem Wochenende, zugefügt werden können; d. h. der spätere Terrorist würde für seine Umwelt unbemerkt für kurze Zeit „beiseite genommen”. Einzig darauf hinweisen würden ev. Auftretende dissoziative Symptome - wie z. B. die spontan aufgetretene heftige Religiosität mit ursprünglich auch persönlichkeitsfremden Inhalten, oder sozialer Rückzug, Schlafstörungen, sensible Körpersymptome oder auch Depressivität.

Unter diesen Aspekten genauer betrachtet, wäre der „Leitfaden” wahrlich kein religiöser Text, sondern ein streng hierarchisch strukturiertes / komponiertes Werkzeug einer dissoziativen Induktion. Jede der genannten „Phasen” des Textes bedeuteten eine Aufschlüsselung und hypnotische Verankerung im Bewusstsein des Adressaten Atta. Es würden geschickt Schuldgefühle, Metaphern der Auslieferung und des Gehorsams - im Wechsel konkret und allegorisch - eingesetzt, die Atta als Tiefgläubigen - und unterstellt - religiös tief traumatisierten Menschen von einer Doppelbindung in die nächste jagten: Er solle gehorsam sein, und darin seine Freiheit finden, solle sich pflegen und sich selbst aufgeben, soll sich immer wieder „entsinnen”, immer wieder beten - und erinnern, und so sein realitätskritisches Bewusstsein systematisch ab- und einen metaphysisch verklärten, aber traumatisch focussierten Trance-Zustand aufbauen.

Er würde am Ende als Märtyrer sogar Gott selbst begegnen - Umschreibung des grauenvollen Attentats und gleichzeitig bedrohliche Rückerinnerung an die Folter - ; ein Gleichnis, dass auf die Induktion eines „Täter-Introjekts” hindeuten mag; d. h. einer abgespaltenen Erinnerung an einen Folterer oder eine Täteridentifikation mit ihm, der traumatisierende Handlungen an Atta ausübte, und der mit der Metapher des „guten Gottes” dissoziativ chiffriert wurde.

Das würde bedeuten: Um „Gott zu begegnen”, begegnete der dissoziierende Terrorist zunächst der Tätererinnerung in sich, und würde selbst real zum terroristischen Folterer, um die innere Spannung, die Schuld und die qualvollen Ohnmachtsgefühle abzuwehren und damit die chiffrierende Dissoziation, die ihn vor der Erinnerung an die selbst erlittenen Traumata schützt, aufrechtzuerhalten.

Dass Atta sich bereits bei Eintritt ins Flugzeug in Trance befinden sollte, liest sich gut an den Beschreibungen des Fluges - Atta sollte in jeder Situation beten und sich „emotional abschotten”, und es wurden ihm Signale gewissermaßen prophetisch geschildert, an denen er den Flugplan mit Zwischenstopps und Flugpausen erkennen konnte, ohne ihn bei klarem Bewusstsein wahrzunehmen. Der „Leitfaden” schweift hier „spirituell” ab, verliert sich in scheinbare Nebensächlichkeiten, um auf die eigentliche Dienstanweisung nur wie als eine Nebensache hinzuweisen. Hauptsache sind Gebet, die innere Wappnung, der religiöse Gehorsam und die Sammlung für das kommende Ereignis.

Später im Text wird diese Position in der vierten Phase methodisch umgekehrt - das Attentat wird zur Hauptsache, zur „ernsten Situation”, und der Terrorist erhält im Text abermals Beistand durch dissoziierende Metaphern der Gottesnähe und dann auch konkreter meditativer Übungen. Hier tauchen wieder die „verschnürten Schuhe” auf. Die Zeitebenen und die konkreten und metaphorischen Ebenen wechseln ständig, so dass der Leser selbst bewusst das Gefühl für die Chronologie des Ablaufes verliert, während sich in Nebensätzen der konkrete Ablauf der Triggersituationen um so genauer einschärft. Die vermeintlich spirituelle Nähe des Textes entsteht hierbei durch das warme Umhülltwerden von Gebetsformelähnlichen und charismatisch verzerrenden Umschreibungen islamischer Inhalte. Texte mit spirituellen, islamischen Inhalten, die für uns westlich geprägte Leser semantisch leicht nachvollziehbar sind, müssen es für Araber nicht unbedingt sein, da die arabische Sprache metaphernreicher und semantisch farbiger ist und Araber Metaphern kognitiv bisweilen anders entziffern und emotional gewichten. Nicht-Muslims der westlichen Welt übersehen häufig die semantische und kognitive Bedeutung der dialektischen Diskurse, die wir uns in der Aufklärung, die es so im islamischen Raum (noch) nicht gegeben hat, erarbeitet haben.

Dialektik mit dem These/ Antithese- und Synthese -Schema ermöglicht eine andere Konfliktlösungsstrategie als intuitiv induzierende, aber gleichzeitig polarisierende Konzepte; dies ist gerade in der Analyse spiritueller Metaphern und Codierungen im Koran von grundlegender Bedeutung.

Die islamische semantische Codierung heiliger Texte verdeutlicht Respekt und Abstand; viele islamische Inhalte können von „nicht gelehrten” Schriftkundigen dadurch oft gar nicht verstanden werden, obgleich sie z. B. in deutscher, aber unter dialektischen Aspekten ausgeführten, Übersetzungen eindeutig scheinen.

Dieser Umstand vergrößert nochmals die Kluft zwischen einfachem Gläubigen und den Verfassern spiritueller Abhandlungen. Aber selbst auf Deutsch würde die Nennung Allahs und seines Propheten und bestimmte stilistische Wendungen ausreichen, um gewisse tradierte Metaphern-Ketten zu assoziieren.

Unter diesem Aspekt könnten im vorliegenden „Leitfaden” im englischen Original, das ja in der deutschen Sprache eigentlich eindeutig und nachvollziehbar wiedergegeben ist, zahlreiche Metaphern und Rückschlüsse auf die Hoch-Sprache des Korans verborgen sein, die Atta die Suggestion, es handele sich um einen heiligen Text tiefreligiösen Ursprungs, und damit nochmals die tranceinduzierende Wirkung förderte. Sicherlich existiert irgendwo noch ein arabisches Original, in dem die Koran-Rückbezüge sprachlich noch deutlicher integriert wären.

Ein Mensch wie Atta könnte ursprünglich ein zutiefst ehrlicher, gläubiger Muslim gewesen sein, aber tief traumatisiert und daher auch dissoziiert in seiner Persönlichkeit. Durch die beschriebene terroristische Indoktrinierung - induziert durch Folter an ihm, oder auch einfach durch gezielte, vertrauenserweckende, kontinuierliche Kontakte zu psychologisch trainierten „Programmierern” - könnte sich dann eine paraislamische Ideologie in ihm durch dissoziierte Täter-Introjekte Raum verschafft haben, die dann durch den „Leitfaden für Selbstmordattentäter” posthypnotisch freigesetzt wurden.

Niemand würde darauf kommen - alle hielten den Leitfaden für ein Zeichen religiösen Wahnsinns; niemand könnte Attas Tragödie der religiösen traumatischen Selbstentfremdung erahnen. Wie auch niemand seinem hilf- und fassungslos in Pressekonferenzen gegen die Amerikaner schreienden Vater gegenüber Mitgefühl aufbrächte, einem Mann, der als Vater und rechtschaffenere Anwalt die traumatisierende Tragödie seines Lebens erfuhr und nun vor den Mikrofonen seinen Sohn moralisch wiederherstellen sollte. Die Spuren der gezielten Indoktrinierung werden verwischt...

Eine andere Möglichkeit, die psychische Dynamik der Grundstruktur des Selbstmordattentäters zu beschreiben, bezieht sich auf die Berücksichtigung gesellschaftlicher Prozesse der sozialen, übergeordneten Verarbeitung schwerster träumerischer gesellschaftlicher Erfahrungen; in diesem Sinne auf den Stellenwert träumerischer Ereignisse in islamischen Gesellschaften.

Möglicherweise gibt es in best. Regionen der Erde - z. B. Afghanistan - mehr Menschen mit komplex dissoziativen posttraumatischen Belastungsstörungen als im Westen

Hierin sind meines Erachtens v. a. die religiösen oder ideologischen „fanatischen” Entwicklungen zu betrachten. Alle Soldaten, die sich in diesen Gruppen engagieren, haben sicherlich schwerste familiäre Traumatisierungen überlebt und nur ansatzweise verarbeitet. Allein die bei Einzelpatienten nur schwer zu fassendenen Dynamik von Täter-Introjektionen sind in der Einschätzung von täterintrojekt-dynamischen Aspekten auf gesellschaftlicher Ebene noch kaum untersucht.

Oftmals dienen religiöse Ideologien der existentiellen Verschiebung dissoziierter Aspekte unverarbeiteter Traumatisierungen. Durch eschatologische Auslegungen werden unkontrollierbare, apokalyptische Ängste induzierende, gesellschaftliche Entwicklungen zumindest eine Zeitlang aushaltbar und beugen einer zunehmenden sozialen Depersonalisation vor. Da in vielen dieser ethnischen Regionen machistische Wertekataloge („Der Mann bewährt sich nur als Soldat / im Kampf / in der Rache / ...”) den Gruppenzusammenhalt traditionell regulieren, erhalten retraumatisierende Handlungen einen anderen Stellenwert.

Rache kann das Trauma nicht wieder gutmachen, schon gar nicht stabilisieren, aber es konfrontiert Täter wie Opfer mit der erneuten Aggressivität der Indexhandlung, und sie ermöglicht punktuell und zeitlich begrenzt narzisstische Omnipotenzphantasien, die die Bedrohung durch den als apokalyptische Bedrohung erlebten „Feind” der Religion und damit des individuellen trauma-kompensierenden Schemas in einer Überwindung transzendiert.

Neben der Intensivierung eschatologischer Auslegungen zur Sicherung des religiösen traumakompensatorischen Schemas besteht eine andere Reaktionsweise oft darin, die durch „irdische Verunreinigung alterierte” Religion zurück auf strenge, puristische Regeln zu führen. Der Effekt ist zweierlei: einerseits kann die Peergroup durch narzisstische Spiegelung in überschaubaren, scharf abgegrenzten Reglements gestärkt werden. Andererseits gelingt durch die Möglichkeit schwerer Bestrafung „Andersgläubiger” oder „Abtrünniger” eine externalisierende Ventilierung dissoziierter, nicht beendeter Handlungsimpulse, die zur traumatisierenden Erfahrung gehört, und nicht selten Täter-Anteile repräsentiert.

In diesem Sinne wird Religion dann nicht mehr zur Traumakompensation gebraucht, sondern zur retraumatisierenden Inszenierung missbraucht: eine letztlich autoagressive Handlung, die aus der Hilflosigkeit der nicht gelingenden Traumaverarbeitung kompensierend entsteht, die in der Retraumatisierung eine karthatische Selbststabilisierung ersehnt, die i. R.d. der autoaggressiven Selbstverletzung nur für kurze Zeit zu dissoziativer Schmerzfreiheit führt.

Vom Gestaltkreis her ist dies ein verzweifelter Versuch, das trauma-kompensierende Schema der „hilfreichen religiösen Grunderkenntnis” vor den dissoziierten Gewalterfahrungen zu retten, was aber durch durch genau deren Anwendung permanent misslingt - ein Circulus Vitiosus.

Tragische Konsequenzen sind dann Institutionen, die ihre eigenen Leute foltern und hinrichten, im wohlmeinenden Glauben, ihrer Religion damit genüge zu tun, bzw. auf diese Weise ihre eigenen Traumata zu verarbeiten. Anhänger dieser Institutionen leben im wohlmeinenden Glauben, durch sie in ihrer auch persönlich vergeblichen Traumaverarbeitung unterstützt zu werden.

In der christlichen Geschichte bieten sich Beispiele wie die Inquisition. Z.B. war es bei den öffentlichen Hinrichtungen der Inquisition üblich, die Bevölkerung mit „Sündenerlassen für 40 Tage” zur Bezeugung zu zwingen; dadurch glaubte sich der Einzelne reinzuwaschen, in dem er an den Vorbreitungen der Hinrichtung teilnahm.

Wie auch im Christentum könnte es im Islam solche Dynamiken mehrfach geben. Persönliches Märtyrertum durch militärische Selbstopferung entspräche der autoaggressiven „Vervollkommung” des destruktiven Täter-Introjekts - im Gegensatz zu Märtyrern, die für ihren festen Glauben gefoltert und hingerichtet werden.

Letztlich trägt der Umstand, dass alle bisherigen islamischen Attentäter (Information des Spiegel 40 /01) Mitglieder einer best. islamischen Auslegungsform (Wahhabiten) gewesen seien, noch zu ihrer Mystifizierung bei, wenn daraus in westlichen Medien und in den Fahndungskriterien Rückschlüsse auf die Verarbeitung von gewaltregulierenden Strategien des gesamten Islams gezogen werden.

Aber gerade in diesem Sinne ist auch der US-Gegenschlag als eine Retraumatisierung aufzufassen - denn auch die amerikanischen traumakompensierenden Schemata wurden durch die Attentate unterlaufen. Die katastrophalen Ausmaße des Krieges sind offiziell erst jetzt in der „Realisierung der unvorstellbaren Nöte der afghanistanischen Flüchtlinge” erkennbar - das war zwar alles vorher längst bekannt und wurde auch in den Medien gemahnt, aber auf politischer Ebene offensichtlich dissoziiert. Zu groß wäre sicher der antidissoziative Schmerz gewesen, sich auf amerikanischer Seite ernsthaft vorzustellen, auf einen militärischen Gegenschlag zu verzichten. „Geschlagen werden und die andere Backe hinhalten ?” - weit gefehlt. Der Gegenschlag wurde unter „christlichen Aspekten” als eine Offensive gegen Terroristen auf afghanistanischem Territorium bezeichnet, und nicht als Krieg.

Aber die afghanistanische Bevölkerung ist nach rund drei Kriegen dermaßen zutiefst und grundlegend in ihrer Persönlichkeit, ihrer Selbstintegrität traumatisiert, und so zutiefst beschämt, dass ihr Selbstverständnis ihres gesellschaftlichen Körpers durch diese Traumatisierungen einheitlich und gleichsam coenästhetisch miteinander verbunden scheint. Die islamische afghanistanische Bevölkerung ist für Berührungen durch Fremde und Nicht-Muslims so sensibel geworden, dass militärische Angriffe auf Einzelne ihrer Gruppierungen - z. B. Terroristen auf dem Territorium Afghanistans - als Angriffe auf die gesamte afghanistanische Bevölkerung erlebt werden. Eine ähnliche coenästhetische ganzheitliche Synthese der Körperverschmelzung erlebten die Amerikaner und mit ihnen die Bündnisstaaten; ganz besonders am 11.9. und den folgenden Tagen.

In diesem Sinne vermute ich, dass sich die afghanistanische Bevölkerung zur Zeit als gefoltert erlebt. Scham über die Gewalt unter islamischem Banner, der Selbstwertverlust durch versagende Selbstschutz gegenüber den autoaggressiven Verletzungen durch die Taliban, der Nord-Allianz und der fanatischen Terroristen, die beschämenden Demütigungen der Weltöffentlichkeit gegenüber dem islamischen Glauben und nun die massiven kriegerischen Verletzungen durch die USA - all dies könnte die Afghanistanische Bevölkerung dazu bewegen, um der Bewahrung des Selbstwertes und der Selbstintegrität ihrerseits zu massiven militärischen Gegenreaktionen zu greifen: In diesem Sinne wären wir konfrontiert mit einem schwer und nachhaltig erschöpften und traumatisierten Volk, das gerade dabei wäre, sich selbst umzubringen, und die Welt in den Kamikazeschuss mit hineinzureißen. Die amerikanischen Militär-Operationen - wie ein Jahrzehnt zuvor die russischen - zerstörten den religiösen Container dieser Gesellschaft und machten ihn empfänglich für eine Melange aus Trauma-Flashbacks, Retraumatisierungen, Opferidentifikation und Täter-Introjekten, islamischen Kernaussagen und dissoziativer Dynamik. Gleichfalls zerstörten kurz zuvor aber schon die Terroristen die trauma-kompensatorischen Konzepte des Westens und tasteten empfindlich nach unseren Containern - ein verhängnisvoller Circulus Vitiosus. Der Islam verbietet angreifende Gewalt unter Muslims. Wäre Bin Laden vor ein islamisches Gericht der Taliban gestellt worden, so hätten diese ihn - vermutlich zur Verwunderung der nichtislamischen Weltöffentlichkeit - sicherlich strengstens bestraft, möglicherweise sogar hingerichtet: Denn seine Terroristen verwundeten und töteten auch Muslims. Es wäre die islamische, traumakompensatorische Wiedergutmachung gewesen, die die Taliban benötigt hätten, um ihre eigene schuldhaft verzerrte Autoaggressivität in einer Art Katharsis zu tilgen und sich innerlich von den Täter-Introjekten der Terroristen zu distanzieren.

Der Islam formuliert aber auch ganz deutlich die Einheit aller Gläubigen, insbesondere gegenüber Nicht-Muslims. Der Dschihad, er mag aufgeschlossenen Muslims als eine spirituelle Entscheidung des Einzelnen gegen das Böse, gegen die Sünde sein - wenn afghanistanisches Territorium angegriffen wird, so reagieren die Muslims gemäß des Dschihad folgerichtig mit einer ungezügelten Abwehr, und für die Einheit im Kampf solidarisieren sich Taliban und Terroristen ohne Zögern, weil der Islam es vorschreibt. Dieser islamische Einheitskörper hätte sich möglicherweise vor der US-Gegenoffensive durch die Taliban gegen die Terroristen bündeln lassen und damit einen „reinigenden” Effekt bilden können; nach dem Angriff von Nicht-Muslims aber mussten sich die Taliban ideologisch mit den Terroristen einen. Die US-Offensive als Reaktion im Sinne einer projektiven Identifikation narzisstischer Retraumatisierung durch die Terroristen, die hierdurch den zerrissenen Islam wieder einen könnte...

Und wie aus der Therapie schwerer Persönlichkeitsstörungen bekannt, ist in der Täterbehandlung nichts so prognostisch ungünstig wie ein grausames Täter-Introjekt (Terroristen) nach Schwersttraumatisierung, das erfolgreich von der Gesamtpersönlichkeit externalisiert werden konnte und spaltend seine aggressiven Handlungsimpulse aktiv im sozial erreichbaren Feld ausagiert.

Vorausgesetzt, dass die Selbstmordattentäter aus solchen gesellschaftlichen Situationen kamen, in ihnen aufwuchsen, diese dynamischen Konzepte quasi mit der Muttermilch internalisierten, so können die Attentate im Besonderen als „gesellschaftlich - und göttlich - verifizierte Handlungen” assoziiert werden, wenn das Objekt aggressiv projektierter Externalisierung durch Nicht-Muslims bedroht wird.

Dann wären gar nicht einmal Folterungen der Attentäter für deren Programmierungen nötig, sondern lediglich geschickt choreografierte, institutionalisierte Container-Infektionen der religiösen Hoffnungsträger mit traumatisierenden Reagenzien.

Möglicherweise könnten in der „Programmierung” der Terroristen sogar beide Erklärungskonzepte zusammen eine Rolle spielen: Unverarbeitete Vortraumatisierungen in der Biografie und eine durch Folter und Demütigung induzierte „Feinabstimmung” für den konkreten Ernstfall.

Diese Kombination würde die Hypothesen der westlichen Polizeifahndung stützen - Atta könnte ein Terrorist gewesen sein, der die Zusammenarbeit der „Keimzellen” bewusst mit dem Ziel der Auftragserfüllung koordinierte, der aber dann für den Ernstfall des apokalyptischen Attentats im Sinne eines artifiziellen suizidalen Syndroms, dass die Kamikazehandlung als einzig sinnvolle Lösung akzeptierte, für sich nochmals hypnotisch „programmiert” wurde und sich deshalb selbst aufgeben konnte.

Diese Anzeichen gilt es zu deuten - und sie nicht mit realen islamischen Inhalten zu verwechseln. Die terroristischen Täter ausfindig zu machen, um sie an der Ausübung ihrer „Men Made Desaster” zu hindern, ist notwendig. Wäre es im Idealfall nicht auch denkbar, diese Menschen frühzeitig durch entsprechende Konzepte der Trauma-Diagnostik zu identifizieren und ihnen qualifizierte Hilfe zukommen zu lassen, bevor ihre Täteranteile in ihnen auf Stichwort aktiviert werden und sie sich und andere zerstören ?

Bei der geplanten Rasterfahndung nach möglichen Tätern wäre m. M.n. unbedingt die Berücksichtigung dissoziativer Phänomene notwendig. Terroristen sind Menschen, die einen „Weg ohne Wiederkehr” einschlagen, weil sie in ihrem Umgang mit sich und ihrer Umwelt in eine Sackgasse geraten sind, weil ihnen ihr Glaube grundlegend fremd wurde und sie einer Ersatzideologie bedürfen.

Die Entlarvung von „Agenten mit induzierter Persönlichkeitsdissoziation” erforderte eine diagnostische wie symptomatische Untersuchung. Ich glaube, dass erfahrene Traumatherapeuten „Schläfer” durch ein bestimmtes Muster dissoziativer Symptome entlarven könnten. „Schläfer” sind gleichfalls Menschen, die im Rahmen ihrer Biografie oder ihrer „Ausbildung” selbst schwer traumatisiert worden sein müssen, um „gehorsam” und entsprechend „sicher” zu dissoziieren, und sie werden in ihrem persönlichen stillen Alltag in irgendeiner Weise dissoziierend symptomatisch auffallen.

Biographische Eigentümlichkeiten des Terroristen Atta wurden in den Medien genügend angeführt. Die psychologischen Untersuchungen der in der Rasterfahndung gefundenen Verdächtigen sollte unter Einbeziehung von Traumatherapeuten stattfinden. Außerdem sollten die Verdächtigen in den Untersuchungen - die vom Setting keine Ähnlichkeiten mit Verhören haben sollten, da sie sonst mögliche dissoziierte Erinnerungen an erlebte Folterszenen anregen könnten -, respektvoll von Muslims an die humanistischen Inhalte des Islam erinnert werden; ansonsten würden nach oben beschriebenen Traumatisierungen indoktrinierteTäter innerlich durch meditierende Trance einfach dissoziieren und „zumachen”. Eine Entlarvung wäre dann praktisch gar nicht möglich, da die abgespaltenen Täteranteile in den Containern den Terroristen möglicherweise gar nicht bewusst wären.

Abschließend erwähne ich noch einige Fallbeispiele:

  • Der iranisch-irakischen Kriegs wurde absurderweise ideologisch von beiden Seiten als „Dschihad” (eigentlich der heilige islamische Krieg von Muslims gegen sie angreifende Nicht-Muslims) dargestellt. Zwei meiner Patienten entstammen diesen Ländern und berichten von „Himmelfahrtkommandos”, in denen bewusst Einsatzkommandos gefahren wurden, die mit dem Einsatz des eigenen Lebens zur Zerstörung des Gegners rechneten. Einer der Patienten erlebte aktuell in der therapeutischen Verarbeitung dieser Kommandos seine „Läuterung”, erreichte seinen Container und erfuhr, wie der Islam „in mir wieder hervorkam: der wirkliche Islam, und nicht diese Verzerrungen”.

  • Ein inzwischen 90-jähriger Patient beschreibt von Kamikaze-Aufträgen im II.Weltkrieg, in denen er als Luftjäger den Auftrag hatte, die schweren US-Langstreckenbomber im Falle des Fehlschusses mit der eigenen Maschine zu rammen und sie durch Kollision zum Absturz zu bringen. Zahlreiche Piloten hätten sich an amerikanischen Maschinen „in der Luft in die Luft gejagt”. Der Patient erlitt zeitlebens schwere dissoziative Symptome von „Gedächtnisverlust und Konzentrationsmangel” und befindet letztlich sich aufgrund der traumatischen Auswirkung dieser Aufträge in meiner Behandlung.

  • Ein bosnischer Muslim wurde 3 Monate in einem Foltercamp in einem dunklen Raum mit 30 anderen Menschen gefangen gehalten, und sie wurden täglich nur eine Stunde zur Notdurft und für dann öffentliche Folterungen nach draußen geholt. Der prämorbid persönlichkeitsstabile Patient entwickelte eine autoaggressive emotional-instabile Persönlichkeit, die nach Bearbeitung der Traumatisierung und der Reintegration seines „Containers” als artifiziell identifiziert und abgelegt werden konnte.

Wenn zur Entlarvung von Terroristen die Reflexion ihrer unverarbeiteten Traumatisierungen und ihrer dissoziativen Dynamik sinnvoll ist, so wäre für die politische Prophylaxe des Terrorismus ein Paradigmenwechsel zu fordern: die Dynamik von „Gewalt schafft Gewalt” resp. „unverarbeitete Traumatisierung schafft neue Traumatisierung” zu verstehen und ihr konsequent zu begegnen.

Eine quasi co-therapeutische Haltung auf politischer Ebene wäre vorstellbar, die Terrorismus als Ausdruck apokalyptischen Versagens aller trauma-kompensierenden Ressourcen und als exzessiver Externalisierung begreift und die signalisierte: „Wir wollen Gewalt verhindern, und w i r werden alles tun, um Gewaltfreiheit umzusetzen. Wir wollen Euch nicht traumatisieren, und wir wollen nicht traumatisiert werden. Auch wir kennen Methoden, wie Traumatisierungen aufzulösen sind, die wir euch gerne zeigen und beibringen, wenn Ihr wollt. Wir sind an Euren Methoden interessiert !”

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Autor:

Stefan Mennemeier

Facharzt für Psychiatrie & Psychotherapie


Traumatherapeut im Psychotraumazentrum Kassel

Königstor 38

34117 Kassel

Phone: 0561-16555

Email:

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