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DOI: 10.1055/s-2001-15028
Chronische Diarrhoe nach Cholezystektomie
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
31. Dezember 2001 (online)

Frage: Eine Patientin leidet seit einer laparoskopischen Cholezystektomie unter wässrigen, manchmal fettigen Diarrhoen, zunächst regelmäßig einmal nach dem Frühstück, inzwischen eher unregelmäßig jeden 2. oder 3. Tag oder erst nachmittags. Nach fettfreiem Frühstück (zum Beispiel nur Obst) treten keine wässrigen Stühle auf. Apfel-Pektin und Reasec haben nicht geholfen. Die Symptomatik besteht nun schon seit einem Jahr.
- Handelt es sich dabei um ein Gallensäurenverlustsyndrom, oder werden als Ursache eher zuwenig Galle oder andere Verdauungsenzyme produziert? Wie kann man diese Diarrhoen therapieren?
Antwort: Cholezystolithiasis ist ein häufiger Befund, der in den meisten Fällen asymptomatisch bleibt. Die Prävalenz liegt in Europa bei 10-15 % der Bevölkerung. Bei einer symptomatischen Cholezystolithiasis ist heutzutage die laparoskopische Cholezystektomie die Methode der Wahl [18]. Es wird geschätzt, daß allein in den USA etwa 500 000 Cholezystektomien pro Jahr durchgeführt werden. Die Anzahl der Patienten ohne Gallenblase nimmt somit weltweit von Jahr zu Jahr zu. Der überwiegende Teil der Patienten bleibt nach Cholezystektomie beschwerdefrei; nur ein kleiner Teil klagt über persistierende oder neu aufgetretene abdominelle Symptome [16] [19]. Der Begriff Postcholezystektomiesyndrom wurde von Pribram [13] erstmalig benutzt und bezeichnet neu aufgetretene funktionelle Störungen wie gesteigerter Druck im Gallengang, verminderte Fetttoleranz und Sphinkterdysfunktion. Pathogenetisch wird dies auf den Wegfall der physiologischen Windkesselfunktion der Gallenblase zurückgeführt. Diese Störungen müssen von anderen postoperativen Beschwerden organischen Ursprungs wie Choledocholithiasis, biliären Strikturen, Zystikustumpfentzündung, Fremdkörpergranulomen, Narbenneurinomen etc. abgegrenzt werden.
Die physiologische Windkesselfunktion der Gallenblase umfaßt die Speicherung und konsekutive Eindickung von Gallensekreten während des Fastens, um Gallensäure bei Bedarf, also bei einer Mahlzeit, kontrolliert und in hoher Konzentration zusammen mit Pankreassekreten zur Verdauung von Fetten ins Duodenum zu sezernieren. Etwa 90 % des gesamten Gallensäurepools wird in der Gallenblase gespeichert. Nach einer Cholezystektomie kann das biliäre System (intra- und extrahepatische Gallenwege einschließlich des Ductus choledochus) die Reservoirfunktion der Gallenblase nur teilweise übernehmen. Es kommt infolgedessen zu einem kontinuierlichen Austritt von unkonzentriertem Gallensekret direkt in das Duodenum, dessen klinisch-pathophysiologische Bedeutung bisher noch nicht vollständig geklärt ist. Pathophysiologisch wurden nach Cholezystektomie eine Zunahme des alkalischen duodenogastralen Refluxes, eine Veränderung des Gallensäuremetabolismus und eine veränderte gastrointestinale Motilität beobachtet [1] [5] [8] [12].
Die klinische Signifikanz dieser pathophysiologischen Befunde ist unklar, da systematische Daten zur genauen Prävalenz von funktionellen gastrointestinalen Störungen nach Cholezystektomie nicht vorliegen sowie eine Kausalität zwischen den Beschwerden und dem Wegfall der Gallenblase nur in seltenen Fällen herzustellen ist. In einer retrospektiven finnischen Studie [16] mit etwa 200 Patienten über einen mittleren Beobachtungszeitraum von 26 Jahren nach Cholezystektomie wurden in 39 % der Fälle abdominelle Beschwerden wie Schmerzen, Sodbrennen, Obstipation und Diarrhoe beobachtet, die in 80 % der Fälle postoperativ neu aufgetreten waren. In der Mehrzahl der Fälle wurden keine morphologischen und biochemischen Veränderungen bzw. keine ersichtliche Kausalität mit der Operation gefunden. In einer spanischen Studie mit 93 Patienten wurden in 12 % der Fälle dyspeptische Beschwerden und in weiteren 8 % Diarrhoen nach Cholezystektomie beobachtet [14]. Eine weitere retrospektive Studie mit rund 150 Patienten zeigte eine signifikante Änderung der Stuhlgewohnheiten in 32 % der Fälle, davon in 43 % mit Tendenz zur Diarrhoe [5].
Als Postcholezystektomiediarrhoe wird eine signifikante Veränderung der Stuhlgewohnheiten im Sinne einer Diarrhoe (gesteigerte Frequenz und/oder verminderte Konsistenz des Stuhls) definiert, die nach einer Gallenblasenoperation aufgetreten ist. Die Definition geht auf Hutcheon et al. [7] zurück. Die Prävalenz wird auf 8-20 % geschätzt [5] [13] [19]. Die Art der Operation (konventionell versus laparoskopisch) ist dabei nicht maßgebend [19]. Die Dunkelziffer kann höher liegen, da Patienten mit einer milden Symptomatik den Arzt nicht aufsuchen oder Patienten mit einer vorherigen Obstipationsneigung nun eine Normalisierung der Stuhlgewohnheiten verspüren [5]. Pathogenetisch scheint eine gallensäureinduzierte Diarrhoe im Sinne einer „chologenen Diarrhoe” vorrangig zu sein [7]: Ein großer Anteil von Patienten mit einer chronischen Diarrhoe unklarer Genese nach Cholezystektomie wies im isotopen Gallensäureresorptionstest (SeCAHT-Test) eine Gallensäuremalabsorption auf [15] [17] oder hatte eine hohe Ausscheidung von Gallensäuren, insbesondere von Dihydroxygallensäuren, im Stuhl [2] [4]. Die therapeutische Gabe von Colestyramin (4-8 g/d) führt in diesen Fällen zu einer raschen Beschwerdebesserung [2] [7] [15] [17].
Im Normalfall werden Gallensäuren während einer Mahlzeit aus der Gallenblase in den Dünndarm entleert und in 80-90 % vor Erreichen des Kolons rückresorbiert („enterohepatischer Kreislauf”), und zwar zu 50 % passiv im Jejunum und zu 50 % aktiv im terminalen Ileum. Bei Entzündung oder nach Resektion des terminalen Ileums kann es zu einer Gallensäuremalabsorption mit einem Überangebot von Gallensäuren im Dickdarm kommen, welcher zu einer „chologenen Diarrhoe” führt [6]. Pathobiochemisch spielt die Dehydroxylierung von primären Gallensäuren zu sekundären Gallensäuren durch die Darmflora eine Rolle. Es entstehen Dihydroxygallensäuren, vor allem von Chenodeoxychol- und Deoxycholsäuren; diese Gallensäuren sind in der Lage, durch Aktivierung bestimmter darmspezifischer Enzyme eine Zunahme der Elektrolyt- und Wassersekretion in den Dickdarm hervorzurufen [3] [10].
Der genaue Pathomechanismus für die chologene Diarrhoe nach Cholezystektomie ist nicht bekannt. Verschiedenen Mechanismen werden diskutiert. Die kontinuierliche Sekretion von Gallensäuren in den Dünndarm nach Cholezystektomie führt zu einer ständigen Aktivierung des enterohepatischen Kreislaufes mit einer verkürzten Zykluszeit und einem gehäuften Auftreten von Gallensäuren im Darmlumen. Zwischen den Mahlzeiten werden die Gallensäuren nun im Darmlumen gespeichert und haben konsekutiv eine verlängerte Kontaktzeit zur Darmflora. Es kommt bei unverändertem gesamtem Gallensäurepool zu einer Änderung der Zusammensetzung mit einer Zunahme des Anteiles an sekundären Gallensäuren, vor allem Deoxycholsäure im Stuhl [1] [2] [4]. Es wurde auch gezeigt, daß bei einer Mahlzeit die aufgenommenen Nahrungsmittel, insbesondere das Fett, die passive Resorption von Gallensäuren im Jejunum durch Verlangsamung der intestinalen Transitzeit und die aktive Resoprtion im terminalen Ileum durch Ko-Transportmechanismen begünstigen können. Da nach Cholezystektomie Gallensäuren kontinuierlich in den Dünndarm ohne Nahrungsmittel sezeniert werden, kann dies zu einer verminderten intestinalen Resorption von Gallensäuren mit konsekutiv höherem Verlust in den Dickdarm führen [17]. Somit scheinen sowohl eine vermehrte Gallensäuredehydroxylierung als auch eine verminderte intestinale Gallensäureresorption pathogenetisch für die vorwiegend milde wässrige Postcholezystektomiediarrhoe verantwortlich zu sein. Aggravierend auf die Symptomatik kann sich eine beschleunigte Kolonpassage auswirken [5]. Da nur ein Teil der Patienten diese Beschwerden mit unterschiedlicher Latenzzeit und Intensität bekommt, scheinen individuelle Konstitutionen bei der Symptomenentwicklung eine zusätzliche Rolle zu spielen [9] [11]. Wahrscheinlich tritt eine klinische Manifestation in der Regel erst nach Ausschöpfung aller Kompensationsmechanismen auf. Da Gallensäuren für die Fettverdauung benötigt werden, kann es nach Cholezystektomie bei fettreichen Mahlzeiten auch zu einer milden Steatorrhoe kommen, welche durch Benutzung mittelkettiger Triglyzeride vermieden werden kann.
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Dr. med. Huan N. Nguyen
Prof. Dr. med. Dipl.-Biochem. Siegfried Matern
Medizinische Klinik III Universitätsklinikum der
RWTH
Pauwelstraße 30
52074 Aachen
eMail: hnguyen@post.klinikum.rwth-aachen.de