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DOI: 10.1055/s-2001-14696
Konservative Therapie einer Spondylolisthesis
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
10. Oktober 2002 (online)

Frage: Bei einer 47-jährigen schlanken Patientin bestehen seit 8 Wochen erstmals pseudoradikuläre Schmerzen (vor allem nachts) in beiden Beinen. Paresen oder Sensibilitätsausfälle weist sie nicht auf. Bei einer Gehstrecke von ca. 500 m kommt es zu Schmerzen in den Beinen. Die Kernspintomographie ergab keine Spinalstenosen und keine wesentlichen Bandscheibenvorwölbungen. Welche konservativen Maßnahmen sind angezeigt, außer den bekannten Therapien wie zum Beispiel Diclofenac und Physiotherapie? Was ist von der Umspritzung der kleinen Wirbelgelenke mit Traubenzuckerlösung (hochkonzentriert) zu halten? Welche Aussichten auf Heilung kann man erwarten? Welche radiologischen Untersuchungen sind obligat? Wie sind die Langzeitergebnisse bei operativer Versteifung der Lendenwirbelsäule?
Antwort: Spondylolisthesen können prinzipiell in allen lordosierten Wirbelsäulenabschnitten vorkommen; sie werden eingeteilt nach nach Meyerding in Grad 1-5, wobei der Wirbelkörper »geviertelt« wird und Grad 5 den völligen Abrutsch (Spondyloptose) bezeichnet. Gleitet etwa der 5. Lendenwirbel auf dem 1. Kreuzbeinwirbel nach ventral, spricht man von einer isthmischen Spondylolisthesis, falls eine Spondylolyse der Interartikularportion des 5. Wirbelbogens vorliegt. Abzugrenzen sind die dysplastische und die kongenitale Spondylolisthesis, die auf eine Fehlentwicklung der dorsalen Wirbelanteile im lumbosakralen Übergang zurückzuführen sind.
Eine Spondylolyse entwickelt sich als Ermüdungsbruch oder Stressfraktur im Kindes- oder Erwachsenenalter, meist nach Bagatelltraumen. Dabei handelt es sich um Pseudarthrosen, die posttraumatisch durch Verbindung zu den benachbarten kleinen Wirbelgelenken in Kontakt zur Synovia geraten und dann unter synovialer Auskleidung persistieren [5] . Die resultierende Instabilität des Wirbelbogens führt unter der mechanischen Belastung zum Wirbelgleiten. Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine isthmische Listhese Grad 2, die erstmals symptomatisch geworden ist. Wenn ein ausgedehnter Defekt der Pars interarticularis vorliegt, ist dieser röntgenologisch fast in allen Aufnahmerichtungen zu erkennen. Bei einseitiger Ausprägung oder bei fehlendem Wirbelgleiten können halbschräge Aufnahmen der Lendenwirbelsäule die Spondylolyse sichtbar machen. Die beschriebene Symptomatik kann für eine Spinalstenose mit Claudicatio spinalis sprechen, auch wenn die MRT-Diagnostik diesen Umstand nicht nachweisen konnte. Entscheidend ist bei der Spondylolisthesis auch nicht die Kompression des Durasackes selbst, sondern die Belastung der Nervenwurzeln, welche durch die Segmentverschiebung im Neuroforamen einsetzt. Hier hat die konventionelle Myelographie, eventuell erweitert durch Funktionsaufnahmen in Kyphose und Lordose, durchaus ihre Berechtigung. Zuweilen kommt es bei Spondylolysen konsekutiv zu einer Hypersklerose der kontralateralen Interartikularportion. Die Zuordnung der angegebenen Beschwerden zu einem morphologischen Korrelat oder zum Ausmaß des Wirbelgleitens kann gerade bei fehlenden neurologischen Ausfällen schwierig sein. Immerhin besteht bei Erstmanifestation, moderaten Beschwerden, und falls noch keine Progredienz oder drohende Spondyloptose nachgewiesen werden konnte, die Indikation zur konservativen Therapie. Als schmerzauslösende Strukturen kommen die Spondylolyse selbst, die benachbarten kleinen Wirbelgelenke, gereizte Leitungsbahnen, die reflektorisch dysbalancierte Muskulatur sowie verlagertes Bandscheibengewebe respektive Anulus fibrosus und Längsbänder in Frage [3]. Allerdings sind Bandscheibenvorfälle bei Spondylolisthesen selten, dagegen bestehen bei 80% aller symptomatischen Fälle Verspannungen oder Verkürzungen der ischiokruralen Muskulatur und der Psoasgruppe. Spondylolysen sprechen in der Regel gut auf konservative Behandlungsmaßnahmen an. Sinnvoll sind eine vorübergehende Einschränkung der körperlichen Aktivität mit Sportabstinenz und Vermeiden schweren Hebens. Korsettbehandlung und Gipsverbände sind beschrieben, wobei man sich bezüglich Compliance und Wirksamkeit keinen zu großen Illusionen hingeben sollte [2] . Entscheidend dürften Maßnahmen der muskulären Rebalancierung sein, zu denen die gezielte Relaxation verspannter und die Dehnung verkürzter Muskelgruppen (Hamstrings, Musculus rectus femoris, Musculus iliopsoas, Rückenstrecker) sowie die Kräftigung abgeschwächter Muskulatur (zum Beispiel antagonistische Bauchmuskulatur) gehören. Die neural- oder manualtherapeutische Behandlung von Triggerpunkten kann hilfreich bei der Beseitigung von schmerzhaftem muskulärem Hartspann sein und zur Schmerzauslöschung führen. Natürlich zieht eine Spondylolisthesis zwangsläufig Funktionsstörungen in den benachbarten Wirbelsäulensegmenten nach sich. Eine direkte manipulative Beeinflussung verbietet sich jedoch, so dass alternativ eine Behandlung von Schlüsselregionen (Kopfgelenke, Ileosakralgelenk, thorakolumbaler Übergang) angezeigt ist. Elektrotherapie (Mittelfrequenzstrom), Rückenschule und krankengymnastische Behandlung (zum Beispiel sensomotorische Fazilitation: »Kurzfuß«-Technik nach Janda) begleiten diesen therapeutischen Ansatz. Eine neuritische Komponente kann den Einsatz von nichtsteroidalen Antiphlogistika (NSAP) vorübergehend erforderlich machen. Auch die intramuskuläre Applikation eines NSAP, kombiniert mit einem Glukokortikoid über 3 Tage lässt eine Beschwerderemission erwarten. Noch gezielter können sowohl die gereizte Nervenwurzel als auch die funktionsgestörten benachbarten kleinen Wirbelgelenke mit einer Infiltrationsbehandlung erreicht werden. Hier empfiehlt sich die Kombination von Lokalanaesthetikum und Glukokortikoid. Die Treffsicherheit wird durch den Bildwandlereinsatz erhöht. Die interartikuläre Instillation mit Traubenzuckerlösungen stellt eine eher historische Therapievariante dar. Theoretisch machte man sich dabei den Crabtree-Effekt zunutze, demzufolge ein erhöhter Glukosespiegel die zelluläre Sauerstoffaufnahme hemmt [6]. In arthrotischen Gelenken mit entdifferenzierten Chondrozyten glaubte man, so die quasi anaerobe Stoffwechsellage der Knorpelzellen wieder restituieren zu können. Die Wirksamkeit wird bestritten. Konservativ therapieresistente Schmerzen und eine radiologische Progredienz des Wirbelgleitens führen schließlich zur Indikation einer operativen Intervention, auch wenn keine neurologischen Ausfälle vorliegen. Eine Neurolyse mit Hemilaminektomie kann bei persistierender Spondylolyse die segmentale Instabilität vergrößern und bleibt damit als Minimaleingriff älteren Patienten mit fortgeschrittener Spondylose/Spondylarthrose vorbehalten. Sonst kommen eine isolierte Osteosynthese zur Reposition und knöchernen Konsolidierung der Spondylolyse in Frage oder die segmentale Kurzstrecken-Spondylodese. Letztere kann isoliert dorsal instrumentiert oder kombiniert ventro-dorsal durchgeführt werden und ist bei einem Wirbelabrutsch von über 40-50% indiziert. Dabei wird zunächst eine Reposition des abgeglittenen Wirbels über die pedikulären Anker vorgenommen, danach folgt die ventrale oder auch laterale Spondylodese ([1], [4]). Mit einer Operation kann die Progredienz des Wirbelgleitens aufgehalten und eine Beschwerdelinderung in einem berechenbaren Zeitintervall erreicht werden. Die klinischen Langzeitergebnisse unterscheiden sich im Vergleich zwischen operativer und konservativer Therapie dagegen wenig [3].
Literatur
- 1 Seitsalo S. Operative and conservative treatment of moderate spondylolisthesis in young patients. J. Bone Joint Surg. 1990; 72 908-913
- 2 Blanda J, Bethem D, Moats W, Lew M. Defects of pars interarticularis in athletes: a protocol for nonoperative treatment. J. Spinal Disord.. 1993; 6 406-411
- 3 Österman K, Schlenzka D, Poussa M, Seitsalo S, Virta L. Isthmic Spondylolisthesis in symptomatic and asymptomatic subjects, epidemiology, and natural history with special reference to disk abnormality and mode of treatment. Clin. Orthop. Rel. Res.. 1993; 297 65-70
- 4 O’Brien J P, Mehdian H, Jaffray D. Reduction of severe lumbosacral spondylolisthesis. A report of 22 cases with a ten-year follow-up period. Clin. Orthop. Rel. Res.. 1994; 300 60-64
- 5 Shipley J A, Beukes C A. The nature of the spondylolytic defect. Demonstration of a communicating synovial pseudarthrosis in the pars interarticularis. J. Bone Joint Surg.. 1998; 80 662-664
- 6 Otte P. Basic cell metabolism of articular cartilage. Manometric studies. Z. Rheumatol.. 1991; 50 304-312
Dr. Johannes Plath
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