CC BY-NC-ND 4.0 · Klin Monbl Augenheilkd 2019; 236(11): 1346-1349
DOI: 10.1055/s-0044-100619
Offene Korrespondenz
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Was ist eine Katarakt, und wann sollte ihre Operation indiziert werden? Eine Meinung

What is a Cataract, and When Should its Removal be Indicated? An Opinion
Jens Martin Rohrbach
Department für Augenheilkunde, Forschungsbereich Geschichte der Augenheilkunde/Ophthalmopathologisches Labor, Eberhard-Karls-Universität Tübingen
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Prof. Dr. Jens Martin Rohrbach
Department für Augenheilkunde, Forschungsbereich Geschichte der Augenheilkunde/Ophthalmopathologisches Labor
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Publication History

eingereicht 28 November 2017

akzeptiert 21 December 2017

Publication Date:
07 March 2018 (online)

 

Zusammenfassung

Der Autor geht davon aus, dass heutzutage nicht jede Katarakt, die operiert wird, grundsätzlich schon operationswürdig ist. Das Problem liegt dabei auch in der Terminologie, nämlich der Abgrenzung von „physiologischem, alterungsbedingtem Transparenzverlust“ und „Katarakt“. Liegt eine „wirkliche Katarakt“ vor, ist der autonome Patient bez. der Operation immer „ergebnisoffen und in alle Richtungen“ aufzuklären. Der OP-Zeitpunkt ist vom Patienten, nicht vom Augenarzt zu bestimmen.


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Abstract

Not every cataract needs phacoemulsification. One problem is the terminological differentiation between “physiological loss of transparency due to ageing” and “cataract”. In case of a “real cataract” the autonomous patient must be informed “in any direction”. The time of phacoemulsification is determined by the patient and not by the ophthalmologist.


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Die Phakoemulsifikation ist eine der großen Erfolgsgeschichten der Augenheilkunde. Die hohe Präzision und Sicherheit derselben sowie steigende Anforderungen an das Sehvermögen sind sicherlich ganz wesentliche Gründe dafür, dass die Operationsindikation heutzutage frühzeitiger als vor 25 Jahren gestellt werden kann und darf. Dieser Umstand und genauso die „Demografie“ mit der älter werdenden Gesellschaft haben zur kontinuierlichen, erheblichen und plausiblen Ausweitung der Operationszahlen in den letzten Jahren geführt. Eine große bis sehr große, stellenweise wohl auch zu große Dichte an Operateuren dürfte jedoch auch zu dieser Entwicklung beigetragen haben. So ehrlich sollten wir sein. Erstaunlicherweise gibt es keine ganz genauen Zahlen über die Frequenz der in Deutschland durchgeführten Operationen. Man geht aktuell von ca. 800 000 Eingriffen pro Jahr aus. Es gibt aber Vermutungen, dass die wirkliche Zahl heute schon weit über 1 Million liegt. „Linsentrübung“ wird heute recht schnell mit „Katarakt“, „Katarakt“ mit „Krankheit“ und „Krankheit“ mit „Operation“ gleichgesetzt. Was also ist eine Katarakt genau, und wann ist die Indikation zur operativen Entfernung zu stellen? Was ist den Patienten dabei mitzuteilen?

Die menschliche Augenlinse entwickelt sich sehr früh ab der 5./6. Embryonalwoche als vom Ektoderm (Linsenplakode) ausgehendes Linsenbläschen, das in den Augenbecher hineinwandert [1]. Im Mutterleib ist die Linse nicht zuletzt wegen der Tunica vasculosa anfangs trüb, sie gewinnt in der Fetalzeit zunehmend an Transparenz. Dies erklärt, warum die Linse bei extremer Frühgeburt ihre endgültige Transparenz u. U. noch nicht erreicht hat und postnatal durch „Reifung“ noch aufklaren kann. Entwickeln sich Linsentrübungen postnatal neu, so sind sie irreversibel. Es gibt von dieser Regel nur ganz wenige Ausnahmen, als da wären:

  1. Die „Wasserspalten“ in der Linse des Diabetikers, die bevorzugt bei sehr starken Blutzuckerschwankungen auftreten und sich nach guter Blutzuckereinstellung potenziell zurückbilden können [2], [3];

  2. die nach traumatischer Kapselruptur partiell gequollene Linse, deren Quellung nach Verschluss der Kapselwunde abnehmen kann [4];

  3. die nach traumatischer Kapselruptur spontan resorbierte Linse im Sinne einer „nicht operativen Aphakie“ [4], [5];

  4. die Spontanresorption der kataraktösen Linse bei Leptospirose [6];

  5. die Spontanresorption der kataraktösen Linse im Rahmen von Syndromen, wobei dieser ungewöhnliche Vorgang vor allem für das Hallermann-Streiff-Syndrom bekannt ist [7].

Abgesehen von pathologischen Umständen besitzt die Linse bei der Geburt ihre größte Transparenz, die sie dann aber üblicherweise im Rahmen eines jahrzehntelangen Prozesses schleichend und individuell unterschiedlich einbüßt. Dies liegt daran, dass die Linse ein „geschlossenes System“ ist, und vom Linsenepithel zeitlebens Linsenfasern generiert werden, die an die vorhandenen Fasern angelagert werden („appositionelles Wachstum“). Hierdurch kondensiert und verdickt sich die Linse mit zunehmendem Lebensalter, was ihr Gewicht erhöht und ihre Transparenz mindert. Der großartige Ophthalmoembryologe und seinerzeitige Marburger Ordinarius Ludwig Bach ([Abb. 1]) [8] schrieb 1909: „Mit zunehmendem Alter gehen in der Linse physiologische Veränderungen vor sich, welche 1. die Größe und Form, 2. die Konsistenz und 3. die Färbung betreffen“ [9]. Man beachte in diesem Satz besonders das Wort „physiologische“! Die Linse des 70-Jährigen ist niemals so klar wie die eines 20-Jährigen. Aber hat der 70-Jährige deswegen immer eine Katarakt? Hat jeder 70-Jährige eine Herzinsuffizienz, weil das Herz mit 70 in aller Regel schlechter pumpt als mit 20? Braucht jeder 70-Jährige ein künstliches Kniegelenk, weil seine Knie sicher arthrotischer sind als die eines 20-Jährigen? Oder können, nein sollten wir, Ludwig Bach folgend, vieles nicht besser als ganz normale Alterungsvorgänge auffassen und als Normalbefund interpretieren und akzeptieren, solange die Funktion gut ist und keine oder nur geringfügige Beschwerden bestehen?

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Abb. 1 Ludwig Bach (1865 – 1912), aus [8].

Noch einmal Ludwig Bach: „Das Alter an sich kann keine befriedigende Erklärung (Anmerkung: für den Altersstar) abgeben, da sonst alle alten Leute Star bekommen müssten. Das ist aber bekanntlich nicht der Fall, wenn auch zuzugeben ist, dass man bei Leuten jenseits des 60. Jahres bei erweiterter Pupille ganz außerordentlich häufig beginnenden Star feststellen kann“ [9]. Der Berufsverband der Augenärzte schreibt auf seiner Homepage von „50% grauer Star in der Bevölkerung zwischen 52 und 64 Jahren“ und „weit über 90% zwischen 65 und 75 Jahren“. Wie ist „grauer Star“ hier definiert? Setzt man „Linsentrübung“ und „grauer Star“ synonym, wie das landläufig passiert, kann man nach dem Ausgeführten jeden 40-Jährigen zum „Kataraktösen“ machen, wenn man den 20-Jährigen oder das Neugeborene als Maßstab für die Linsentransparenz nimmt. Sprechen wir also angesichts unserer wesentlich verbesserten operativen Möglichkeiten heute bereits von einer Katarakt, wo man früher noch von „altersentsprechender Normalität“ geredet hätte? Wir setzen uns heute auch gern hinweg über den mehr als 100 Jahre alten Rat Ludwig Bachs „Wegen dieser langsamen Entwickelung, die der Altersstar in der Regel nimmt, empfiehlt es sich bei den meisten Kranken nicht, denselben bei Feststellung der ersten Anfänge die Diagnose „Star“ mitzuteilen, da sie dadurch unnötig früh geängstigt würden“ [9]. Das Patientenrechtegesetz verpflichtet den Augenarzt nicht grundsätzlich, über „ungelegte Eier“ zu sprechen. Wenn der Patient nach beginnenden Linsentrübungen fragt, ist ihm natürlich wahrheitsgemäß Auskunft zu erteilen.

Das Problem liegt also auch in der Terminologie, der wir uns bedienen. Wir werden den Unterschied zwischen „Linsentrübung“ und „Katarakt“ noch besser herauszuarbeiten haben. Dabei wird es wie so oft in der Medizin eine Grauzone geben. Der Autor hat die „Katarakt“ für sich selbst wie folgt definiert:

  1. Morphologisch/spaltlampenmikroskopisch als einen „über die (zugegebenermaßen nicht ganz exakt festlegbare) Altersnorm hinausgehenden Transparenzverlust der Linse“.

  2. Funktionell als einen Linsenstatus, der als hinreichende Ursache von objektiver oder subjektiver Visusminderung, erhöhter Blendungsempfindlichkeit, Farbsinnstörungen, eingeschränktem Kontrastsehen oder anderen Phänomenen angesehen werden kann. Hierzu zählen auch erhebliche lentogene Änderungen der Refraktion insbesondere, wenn sie bei Vollkorrektur zur Aniseikonie führen.

Bei einem 70-Jährigen mit dezenten Diskontinuitätszonen, beginnender „Kernsklerose“, vollem Visus und Beschwerdefreiheit sollte man nicht von einer Katarakt sprechen. Schon gar nicht braucht dieser Mensch eine „dringende“ Kataraktextraktion. Differenzierter zu betrachten ist die Lage, wenn tatsächlich eine Katarakt nach o. g. Definitionsvorschlag vorliegt. Dann sollte man sich klarmachen und dem Patienten mitteilen:

  1. Der „wirkliche graue Star“ ist zwar funktionsmindernd, aber morphologisch in jeder Hinsicht harmlos. Nicht wenige Patienten wünschen den Eingriff zeitnah, aber eine hohe Dringlichkeit ist medizinisch so gut wie nie zu sehen. Zeit, sich den Eingriff in Ruhe zu überlegen, ist immer da! Niemals darf zur OP gedrängt werden, schon gar nicht unter Erzeugung von Angst.

  2. Die Katarakt ist progredient, aber die Progredienz ist meist eher langsam, sie zieht sich typischerweise über Jahre hin, sodass viele der meist älteren Patienten die Operation bei zurückhaltenderer Indikationsstellung nicht mehr erleben.

  3. Die Operation kann bei nach Lens Opacities Classification System (LOCS) fortgeschrittener Katarakt etwas schwieriger werden, aber inoperabel wird eine Katarakt nie. Dauerhafte Blindheit ist in höher entwickelten Ländern nie durch eine Katarakt bedingt. Auch harte Kerne können meist noch gut phakoemulsifiziert werden. Gegebenenfalls kann der Femtolaser hilfreich sein. Wenn alle Stricke reißen, bleibt die Möglichkeit der „guten, alten, extrakapsulären Expression“. Der mitunter zu hörenden Ansicht „Wir werden alle älter und mit 70 hat jeder den grauen Star, also operieren wir ihn frühzeitig, auch schon mit 60, denn da ist die Linse noch weicher und die Operation daher sicherer“ kann der Autor nicht folgen, denn mit dieser Logik könnte man auch dem 40-Jährigen, wenn nicht gar dem Jugendlichen oder dem Kleinkind mit klarer Linse sogar noch mehr zur OP raten, denn bei diesen ist die Linse noch viel weicher als beim 60-Jährigen. Es sollte bei Operationsempfehlungen vielleicht wieder mehr die Devise gelten „Kommt Zeit, kommt Rat“! Auch der 70-jährige hat im Übrigen noch eine Restakkommodation, die ihm durch Phakoemulsifikation mit monofokaler Intraokularlinse (IOL) verloren geht.

  4. Der Visus ist vor einer OP gründlich, nach DIN, zu prüfen. Auch einem Auge mit Katarakt darf man noch ein Brillenglas ordinieren, wenn sich damit der Visus bessern lässt. Natürlich muss man darauf hinweisen, dass die Trübung durch eine Brille nicht beseitigt wird und sich das Brillenglas ändern kann. Auch bedeutet der unter idealen Bedingungen „gemessene Visus“ nicht unbedingt „Alltagstauglichkeit“.

  5. Die Phakoemulsifikation hat einen sehr hohen Standard erreicht, aber sie ist weiterhin nicht gänzlich ohne Risiken. Unterstellt man einen kumulativen, operationsbedingten „Totalverlust“ von (mindestens) 1 : 1000 infolge von Endophthalmitis, expulsiver Blutung oder vor allem nicht sanierbarer, OP-induzierter Ablatio, um nur die wichtigsten der schweren Komplikationen zu nennen, so sind das deutschlandweit (mindestens) 800 Augen pro Jahr, die infolge dieses „Routineeingriffs“ ganz verloren gehen. Das Risiko der Netzhautablösung nimmt sowohl nach der Phakoemulsifikation [10], [11] als auch nach der eventuell – nicht grundsätzlich (!) – notwendig werdenden YAG-Kapsulotomie [12], [13], [14] (YAG: Yttrium Aluminium Granat) deutlich zu. Es ist Geschmackssache, ob man angesichts dieser „Phako-Begleitumstände“ noch von „Routine“ sprechen und die Indikation zur Kataraktextraktion „routinemäßig-leichtfertig“ stellen sollte. Obwohl der operationstechnische Erfolg bei erfahrenen Kataraktchirurgen bei 98 – 99% liegt, sind (bei etwas schwankenden Studienergebnissen) auch „nur“ etwa 90% der mit monofokaler IOL Operierten mit dem Eingriff zufrieden, entweder, weil sich ein Operationsrisiko verwirklicht hat, weil die postoperative Funktion aufgrund von Begleiterkrankungen wie z. B. Hornhauttrübungen, AMD oder Glaukom hinter den Erwartungen zurückbleibt, oder einfach nur, weil die eigene, natürliche Linse mit dezenten Transparenzminderungen mitunter immer noch besser ist als die beste IOL. Je klarer die Linse bei der Operation ist, umso geringer wird der funktionelle Gewinn sein, und umso eher wird der Patient Unzufriedenheit äußern. Unbeschadet des Umstands, dass die Extraktion einer fortgeschrittenen Katarakt das Leben tendenziell eher verlängert [15], könnte der mit der Operation verbundene Stress eine (sehr geringe) perioperative Mortalität erzeugen [16], die auch nicht ganz vernachlässigt werden sollte.

  6. Patienten, die noch aktiv als Pkw-Fahrer am Straßenverkehr teilnehmen, sollte man darauf hinweisen, dass sie möglichst gut sehen sollten, aber ein moderater „grauer Star“ schließt das Führen eines Kfz nicht aus, so lange die Mindestvoraussetzungen nach Fahrerlaubnisverordnung (FEV) erfüllt bleiben. Ein 65-jähriger Pkw-Fahrer mit leichter Katarakt dürfte statistisch weit weniger Unfälle verursachen als ein 20-Jähriger mit klarer Linse. Auch ein Autofahrer muss sich also nicht zwangsläufig an einer Katarakt operieren lassen!

  7. Fortgeschrittene Katarakte können die zerebrale Leistungsfähigkeit durch „eingeschränkten Sinnesinput“ vermindern [17] und die Sturzgefahr erhöhen [18]. Dies dürfte allerdings nicht für moderate Katarakte gelten.

Das deutsche Patientenrechtegesetz und das novellierte Ärztegelöbnis betonen die Patientenautonomie. Das ist gut und richtig, bedeutet aber auch, dass der Patient „ergebnisoffen in alle Richtungen“ aufzuklären ist, damit er gut informiert eine freie Entscheidung treffen kann. Der Autor hält sich sogar mit Empfehlungen zurück, solange diese vom Patienten nicht explizit gewünscht werden. Ergebnisoffene Aufklärung ist ein ganz wesentliches Fundament der ärztlichen Glaubwürdigkeit. Wenn so aufgeklärte Patienten die Phakoemulsifikation vertagen, werden sie zur Operation wiederkommen, wenn die Katarakt fortgeschritten und der OP-Wunsch gefestigt ist. Kaum etwas schadet der Arzt-Patienten-Beziehung mehr, als wenn beim Patienten der Eindruck einer „ökonomischen Indikationsstellung“ gewonnen wird. Die Gefahr ist latent immer da, denn kaum jemand dürfte heute ernsthaft bezweifeln, dass die Ökonomie in den letzten 20 Jahren immer tiefer in die Medizin eingedrungen ist, sowohl in der Praxis als auch im Krankenhaus [19]. Beide sind heute „Wirtschaftsbetriebe“. Der Freiburger Medizinethiker Giovanni Maio kritisierte völlig zu Recht „Das Gravierendste an der Ökonomisierung der Medizin ist die stillschweigende innere Umpolung der Ärzte. Im Grunde findet gegenwärtig eine Kapitalisierung der ärztlichen Tätigkeit mit dem impliziten Appell zur Übernahme einer ökonomischen Vorteilslogik statt, die sich à la longue gegen das Soziale wendet“ [20]. Trotz Ökonomisierung darf sich die Indikationsstellung als ureigenste ärztliche Aufgabe heute und in Zukunft primär immer nur am medizinischen und patientenpersönlichen Sachverhalt und erst (weit) danach an finanziellen Anreizen orientieren [20]. Nicht zuletzt angesichts der zunehmenden Diskrepanz von Versorgungsbedarf und personellen Ressourcen müssen wir wieder mehr lernen, uns auf das wirklich Notwendige zu beschränken, Verzichtbares zu unterlassen, also dem „Seinlassen“ mehr Raum zu geben zum Nutzen für das Gesundheitssystem insgesamt, aber auch im Interesse der Patienten, der Versichertengemeinschaft und eben unserer Glaubwürdigkeit [19], [21].

Der Autor hätte sich die längeren Ausführungen eigentlich sparen können, denn Thomas Neuhann hat alles kurz und prägnant auf den Punkt gebracht: „Eine Katarakt operiere man nicht, wenn sie den Augenarzt stört, sondern wenn sie den Patienten stört“ [22]. Für die Indikation zur Kataraktextraktion maßgeblich sind die subjektive Beeinträchtigung des Patienten und sein Wunsch, besser zu sehen. Mehr streng genommen nicht. Die Indikationsstellung zur Kataraktextraktion muss also immer eine individuelle sein. Dabei bedenke man auch „Der Grad der Sehstörung ist sehr abhängig von der Beschaffenheit und besonders vom Sitze der Trübung und steht daher keineswegs immer im Einklang mit der Ausdehnung der Trübung“ [9]. Die Qualität der Linsentrübung ist bei der Stellung der Operationsindikation also stets genauso zu berücksichtigen wie deren Quantität. Und natürlich muss eine Linsenentfernung die Funktion immer auch potenziell bessern können, wobei es vor allem, aber nicht nur auf den Visus ankommt. Je gründlicher und individueller, damit hier und da auch zurückhaltender, wir die Operationsindikation stellen, umso weniger werden wir zukünftig mit Politik und Kostenträgern in Konflikt geraten. Wir dienen mit dieser Vorgehensweise daher längerfristig uns selbst. Die Indikationsstellung ist entscheidendes Moment der ärztlichen Identität [20]. Sie dürfte als Thema in den kommenden Jahren auch in unserem Fach noch erheblich an Bedeutung gewinnen.

Der Aufsatz gibt, wie im Titel deklariert, nur die subjektive Meinung des Autors wieder und erhebt keinen Anspruch auf die „absolute Wahrheit“. Er versteht sich vor allem als Diskussionsgrundlage.


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Interessenkonflikt

Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

  • Literatur

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Abb. 1 Ludwig Bach (1865 – 1912), aus [8].