Gesundheitswesen 2019; 81(02): 120-127
DOI: 10.1055/s-0043-110853
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Die Bedeutung des Migrationshintergrundes für Einweisungsmodus, Krankheitseindruck und Verweildauer in der stationären pädiatrischen Versorgung

The Impact of Immigrant Status on the Mode of Hospital Referral, Impression of Disease Severity and Length of Stay in Inpatient General Pediatric Care
Sebastian Ullrich
1   Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie, Universitätsklinikum Leipzig AöR, Leipzig
3   Klinik und Poliklinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie, Universitätsklinikum Leipzig AöR, Leipzig
,
Yuriy Nesterko
1   Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie, Universitätsklinikum Leipzig AöR, Leipzig
,
Diana Briel
1   Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie, Universitätsklinikum Leipzig AöR, Leipzig
,
Andreas Hiemisch
2   Departement für Frauen und Kindermedizin, Universitätsklinikum Leipzig AöR, Leipzig
,
Elmar Brähler
1   Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie, Universitätsklinikum Leipzig AöR, Leipzig
4   Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Universitätsmedizin Mainz
,
Heide Glaesmer
1   Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie, Universitätsklinikum Leipzig AöR, Leipzig
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Publication History

Publication Date:
10 August 2017 (online)

Zusammenfassung

Hintergrund In der nationalen und internationalen Literatur lassen sich vermehrt Unterschiede hinsichtlich Gesundheit sowie Gesundheitsverhalten von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund finden. Zudem gibt es Berichte, die ein unterschiedliches Inanspruchnahmeverhalten der Versorgungsdienste in Abhängigkeit vom Migrationshintergrund feststellen.

Patienten und Methoden Von 266 allgemeinpädiatrischen Konsekutivpatienten wurden Angaben zu Einweisungsmodus, allgemeinem Krankheitseindruck sowie Verweildauer in Abhängigkeit des Migrationshintergrundes analysiert. Angaben zum Migrationshintergrund sowie behandlungsbezogene Daten stammten von den Eltern der Patienten bzw. aus den im Krankenhausinformationssystem (SAP) archivierten Dokumenten. 20,7% der Patienten (n=55) wiesen einen Migrationshintergrund auf.

Ergebnisse Migranten wurden häufiger als Nichtmigranten unter einer Beteiligung der Rettungsstelle stationär aufgenommen, zudem zeigten Migranten einen schwerwiegenderen Krankheitseindruck. Hinsichtlich der Anzahl der Diagnosen, der Aufenthaltsdauer sowie der Verteilung der Hauptdiagnosen wurden keine Unterschiede festgestellt.

Diskussion Erlebte Sprachbarrieren, kulturspezifische Krankheitsvorstellungen sowie unzureichende Kenntnisse über das Krankheitssystem des Aufnahmelandes wurden als mögliche Gründe für die vorgefundenen Unterschiede zwischen Migranten und Nichtmigranten diskutiert.

Schlussfolgerung Die vorliegende Studie konnte die bekannten Unterschiede in der Inanspruchnahme der Gesundheitsdienste durch Menschen mit und ohne Migrationshintergrund z. T. bestätigen und liefert Hinweise, die auf einen schwerwiegenderen Krankheitseindruck von Migranten im Vergleich zu Nichtmigranten bei der stationären Aufnahme deuten lassen. Zukünftige Arbeiten mit größeren Fallzahlen sollten gezielt diesen Hinweisen nachgehen.

Abstract

Background National as well as international research often shows differences in health and health behavior between children and youth with and without migration background. It is also noted that there are differences in the use of health services depending on the migration background.

Patients and Methods Data from 266 pediatric patients, regarding their hospitalization, general impression of health status and length of stay in a hospital, were analyzed depending on the migration background. Information on migration background and treatment-related data were obtained from the parents of the patient or from the hospital information system (SAP). 20.7% of patients (n=55) had a migration background.

Results Migrants were hospitalized more often under a participation of the emergency room than non-migrants; also migrants showed a more severe illness picture. Regarding the number of diagnoses and length of stay as well as the distribution of the main diagnoses, no differences were found.

Discussion Language barriers, culture-specific ideas about illness and insufficient knowledge of the German health care system were discussed as possible reasons to for the differences between migrants and non-migrants.

Conclusion This study confirms already known differences in the use of health services by people with and without migration background. The results indicate worse health status in migrant patients compared to non-migrants by hospitalization. Future research with greater numbers of participants should specifically investigate on this point.

 
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