Im Laufe der letzten 100 Jahre hat die Lebenserwartung in Deutschland deutlich zugenommen: Hatte
ein 65-Jähriger 1916 noch eine Lebenserwartung von etwa einem Jahr, lag diese 1966 bei 10 Jahren
und aktuell bei 20 Jahren. Es hat sich damit tatsächlich ein weiterer Lebensabschnitt
realisiert, der auf die Jugend und das Erwerbsleben folgt. Ursächlich ist diese positive
Entwicklung auf Erfolge in der Therapie infektiöser Erkrankungen (z. B. Penicillin 1943), der
Therapie der Herz-Kreislauf-Erkrankungen (z. B. Propanolol 1964) und auf Vorsorgemaßnahmen (z.
B. Anti-Raucher-Kampagnen seit 1970) zurückzuführen.
Ein wesentliches Charakteristikum des neu gewonnenen Lebensabschnittes ist allerding die Häufung
von Erkrankungen und die dadurch bedingte Einschränkung der Lebensqualität. Dem aktuellen
OECD-Wirtschaftsbericht zufolge liegt die Zahl der zu erwartenden gesunden Jahre nach dem 65.
Lebensjahr in Deutschland lediglich bei 7 – der schlechteste Wert im Vergleich mit unseren
Nachbarländern (▶
Tab.
[
1
]).
Tab. 1
Große Unterschiede in Europa.
Land
|
verbleibende Lebensjahre nach dem 65.
|
geschätzte gesunde Lebensjahre
|
Deutschland
|
19,7
|
7,0
|
Polen
|
18,0
|
7,5
|
Tschechien
|
17,7
|
8,7
|
Österreich
|
20,0
|
8,8
|
EU-Mittel
|
19,8
|
8,6
|
Niederlande
|
19,8
|
9,3
|
Frankreich
|
21,6
|
10,3
|
Schweiz
|
21,0
|
10,5
|
Großbritannien
|
19,8
|
10,7
|
Belgien
|
19,7
|
10,9
|
Dänemark
|
19,1
|
12,2
|
Schweden
|
20,1
|
13,4
|
Norwegen
|
20,0
|
14,9
|
Nach: Eurostat (2015) http://dx.doi.org/10.1787/888933345708
|
Im europäischen Vergleich werden chronische Erkrankungen (Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs,
Diabetes) wie auch die Demenz deutlich häufiger diagnostiziert – was durch die guten
Diagnosesysteme in Deutschland erklärt wird. Hier eröffnen sich interessante Diskussionspunkte:
Sind wir kränker, weil wir öfter zum Arzt gehen? Sind Routineuntersuchungen im Alter sinnvoll?
Haben unsere europäischen Nachbarn ein anderes Gesundheitsverständnis?
Wie dem auch sei, in Deutschland ist die erhebliche Belastung durch Krankheiten im Alter eine
ebensolche für das Gesundheitssystem. So wurden aktuell zahlreiche Initiativen ins Leben
gerufen, die Erkrankungshäufigkeit im Alter weiter zu minimieren, z. B. Bundesvereinigung für
Prävention und Gesundheitsförderung (BVPG), NutriAct („Ernährungsstrategie für 50 bis 70-jährige
erstellen und umzusetzen“ oder enable („Strategien, Menschen in unterschiedlichen
Lebensphasen gesünder zu ernähren“).
Dabei haben Beratungsangebote den stärksten positiven Effekt auf die krankheitsfreien Lebensjahre.
Daher war der Grundgedanke zu diesem Heft, das Thema „gesund altern“ auf die zentralen
Beratungstools zurückzuführen: Dies sind zum einen Ernährungstagebücher, die das Wissen über die
Nahrungszusammensetzung wie auch die Kontrolle über das Ernährungsverhalten fördern sollen und
Bewegungsprogramme, die praxisnah die körperliche Aktivität erhöhen helfen. Viele
Ernährungsberater haben in den letzten Jahren sehr gute Erfahrungen mit internetbasierten
Applikationen zur Ernährung gemacht. Durch die einfache und zeitsparende Einsatzmöglichkeit der
Apps scheint die Therapietreue deutlich gefördert zu werden. Daher stellt Herr Dr. Keuthage in
diesem Heft eine aktuelle Übersicht zu Ernährungs-Apps dar. Als zweiten wichtigen Beratungspunkt
stellt Herr Dr. Hofmeister u. a. ein Bewegungsprogramm vor, das hilft, die tägliche Aktivität
und damit die krankheitsfreie Zeit auch noch im Alter zu erhöhen.
Priv.-Doz. Dr. Edmund A. Purucker