Schlüsselwörter
Sterbeort - Todesbescheinigung - Todesursache - Tumorpatienten - Tumorentität
Keywords
place of death - death certificates - cause of death - cancer patients - tumor entity
Einleitung
Der Sterbeort wird in der ärztlichen Todesbescheinigung zwar dokumentiert, jedoch
nicht weiter statistisch ausgewertet. Dementsprechend liegen auch für Tumorpatienten
kaum bevölkerungsbezogene Sterbeortdaten vor.
In Deutschland starben im Jahre 2014 laut Angaben des Statistischen Bundesamtes 223
758 Personen an einer bösartigen Tumorerkrankung (ICD-10, C00–C97) [1]. Dies entspricht einem prozentualen Anteil von 25,8 % aller Sterbefälle. Tumorerkrankungen
rangieren hinter den Herz- Kreislauf-Erkrankungen an zweiter Stelle aller Todesursachen.
Befragungen zeigen, dass Patienten mit einer fortgeschrittenen Tumorerkrankung sich
mehrheitlich für ein Sterben im häuslichen Umfeld aussprechen, jedoch dieser Wunsch
in der Realität oft nicht erfüllt werden kann [2], [3], [4], [5]. Das Sterben findet vorwiegend in Institutionen statt, wobei das Krankenhaus hier
den häufigsten Sterbeort darstellt [6], [7], [8], [9], [10], [11], [12], [13], [14], [15].
In den zurückliegenden zwei Jahrzehnten hat die Betreuung Schwerstkranker und Sterbender
in ihrer letzten Lebensphase stark an gesellschaftlicher Aufmerksamkeit gewonnen.
Die Schärfung dieses Bewusstseins wurde nicht zuletzt durch das Anliegen und die Tätigkeit
der Hospizbewegung und der Palliativmedizin, sich für ein menschenwürdiges Sterben
einzusetzen, vorangetragen. Mit dem Gesetz zum Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung
wird nun auf politischer Ebene der Versuch unternommen, diesem gesellschaftlichen
Anliegen Rechnung zu tragen [16].
Patienten mit einem fortgeschrittenen Tumorleiden stellen die weitaus größte Patientengruppe
hospizlich und palliativmedizinisch betreuter Personen dar. Es ist aber wenig über
die Sterbeorte von Tumorpatienten bekannt und wie sich diese im Verlauf der Zeit ändern.
Das Studienziel war es daher, den Sterbeort von Tumorpatienten über eine Dekade zu
beschreiben. Zudem sollten Subgruppenanalysen zeigen, welche Zusammenhänge es zwischen
Tumorentität (ICD-10, C00–C96) und Sterbeort gibt.
Methoden
Studiendesign | Retrospektive statistische Auswertung von Totenscheinen der Jahre 2001 und 2011 nach
dem Sterbeort. Die vorliegende Analyse stellt hier die Auswertungsergebnisse für Tumorpatienten
dar.
Studienregion | Die Studienregion umfasste Teile von Westfalen-Lippe, wobei die Universitätsstädte
Münster (MS) und Bochum (BO) sowie die Landkreise Borken (BOR) und Coesfeld (COE)
ausgewählt wurden. Die Auswahl der Regionen erfolgte zufällig, jedoch wurde darauf
geachtet, dass sowohl städtische wie ländliche Regionen Westfalens ausgewählt wurden,
um Vergleichsanalysen durchführen zu können. Zum Stichtag 31. 12. 2010 lebten in der
Studienregion 1 243 957 Personen. Zwischen 2001 und 2011 erhöhte sich die Einwohnerzahl
um 1,03 % [17].
Im Jahre 2001 existierten in den Städten drei Hospize (Bo 1, MS 2) mit einer Bettenzahl
von 4,1 pro 100 000 Einwohner. Die Bettenzahl blieb in der Stadt über zehn Jahre annähernd
konstant. In den Landkreisen gab es im Jahr 2001 kein Hospiz, jedoch wurden hier im
weiteren Verlauf drei neue Hospize errichtet (BOR 2, COE 1). Palliativstationen wurden
erst nach 2001 gegründet (BO 1, MS 2, BOR 2, COE 1) (▸ [
Tab. 1
])
Tab. 1 Strukturdaten der Studienregion im zeitlichen Vergleich.
|
Gesamt
|
Stadt
|
Land
|
Jahr
|
2001
|
2011
|
2001
|
2011
|
2001
|
2011
|
Bevölkerung (n)
|
1 231 222
|
1 243 957
|
656 756
|
654 540
|
574 466
|
578 024
|
Bevölkerungsdichte (pro km2)
|
414
|
418
|
1 466
|
1 461
|
227
|
229
|
Krankenhausbetten (pro 1 000)
|
8,1
|
7,8
|
10,6
|
10,6
|
5,2
|
4,8
|
Pflegeheimbetten (pro 1 000)
|
7,6
|
8,9
|
8,1
|
9,6
|
7,1
|
8,3
|
Hospize (n)
|
3
|
6
|
3
|
3
|
0
|
3
|
Hospizbetten (n)
|
27
|
50
|
27
|
31
|
0
|
19
|
Hospizbetten (pro 100 000)
|
2,2
|
4,0
|
4,1
|
4,7
|
0
|
3,3
|
Palliativstationen (n)
|
0
|
6
|
0
|
3
|
0
|
3
|
Definition des Sterbeortes | Der Sterbeort wurde unterteilt in die Kategorien
-
häusliches Umfeld,
-
Krankenhaus,
-
Palliativstation,
-
Alten- oder Pflegeheim,
-
Hospiz und
-
sonstiger Ort.
Unter der Kategorie häusliches Umfeld wurde die Privatwohnung des Verstorbenen oder
die Wohnung von Familienangehörigen zusammengefasst. Krankenhäuser, psychiatrische
Kliniken und Kurkliniken wurden zum Sterbeort Krankenhaus subsumiert. Palliativstationen
zählten als eigenständiger Sterbeort. Die Kategorie Alten- oder Pflegeheim umfasste
alle Einrichtungen der Altenheime, Altenwohnheime, Altenpflegeheime, betreutes Wohnen
sowie Kurzzeitpflegen. Sonstige Orte betrafen unter anderem öffentliche Plätze, Hausarztpraxen,
Freizeiteinrichtungen.
Auswertung der Totenscheine | Die Studie konnte auf einen vollständigen Datensatz aller Todesbescheinigungen der
Jahre 2001 und 2011 zurückgreifen. Ausgewählt wurde ein zehnjähriger Beobachtungszeitraum,
da zu Beginn der Beobachtung im Jahre 2001 kaum hospizliche und palliativmedizinische
Versorgungsstrukturen vorhanden waren und diese erst aufgebaut werden mussten. Eine
Vernichtung von Leichenschauscheinen aufgrund von Verjährungsfristen lag nicht vor.
In der vorliegenden Auswertung wurden alle Todesfälle einbezogen, bei denen eine natürliche
Todesursache dokumentiert war. Dokumente, bei denen keine Information zum Alter oder
Geschlecht vorlagen, wurden von der Analyse ausgeschlossen. Insgesamt wurden 24 877
Totenscheine ausgewertet (2001: 11 963, 2011: 12 914). Bei 126 Dokumenten fehlten
Angaben zum Alter oder Geschlecht. Bei 742 Todesfällen ergaben sich Anhaltspunkte
für das Vorliegen eines nichtnatürlichen Todes. Letztendlich wurden 24 009 Todesbescheinigungen
in die Auswertungen aufgenommen (2001: 11 585, 2011: 12 424).
Tumorpatienten | Personen mit einer bösartigen Tumorerkrankung wurden anhand schriftlicher Arztangaben
zur Todesursache identifiziert. Hierbei wurden sämtlich verfügbaren Angaben zur Todesursache
ausgewertet, einschließlich ärztlicher Epikrise. Anschließend erfolgte eine Einteilung
der bösartigen Neubildungen (C00–C96) gemäß der internationalen statistischen Klassifikation
von Krankheiten (ICD-10), zuzüglich Unterteilung nach Geschlecht. Aufgrund niedriger
Fallzahlen wurden Patienten mit einer bösartigen Neubildung des Knochens und Gelenkknorpels
(C40–C41) sowie der Schilddrüse, der Nebenniere und sonstigen endokrinen Drüsen (C73–C75)
zu einer gemeinsamen Gruppe zusammengefasst. Verstorbene Personen, bei denen zwar
eine Tumorerkrankung beschrieben war, diese jedoch nicht ausreichend war, um eine
Klassifikation durchführen zu können, wurden in die Patientengruppe „nicht klassifizierbar“
zusammengefasst. Diese Gruppe umfasste n = 349 Personen, entsprechend einem Anteil
von 4,3 % aller verstorbenen Krebspatienten. Im Vergleich zu Patienten, deren Tumorentität
klassifiziert werden konnte, lag hier der Anteil älterer Personen über 80 Jahre leicht
höher, was ebenso den etwas stärkeren Anteil Verstorbener im Alten- oder Pflegeheim
erklärt.
Ethikkommission | Die Studie wurde bei der Ethik-Kommission der Ruhr-Universität Bochum beantragt und
genehmigt (Registrier-Nr. 4522–12). Die Gesundheitsämter wurden mit der Bitte angeschrieben,
Einsicht in die dort archivierten Todesbescheinigungen zu gewähren. Unter Wahrung
gesetzlich vorgeschriebener Datenschutzbedingungen wurde die Datenerhebung sowie wissenschaftliche
Auswertung von amtlicher Seite genehmigt.
Statistische Auswertungen | Die Häufigkeit von verstorbenen Tumorpatienten (Gesamtjahre sowie Jahre 2001 und
2011) wurde auf Geschlechtsunterschiede untersucht. Zudem wurde die Studienpopulation
hinsichtlich Geschlecht und Durchschnittsalter untergliedert nach Sterbeort deskriptiv
beschrieben und auf Unterschiede im zeitlichen Verlauf (2001 vs. 2011) getestet. Ebenso
wurde der Sterbeort von Tumorpatienten (häusliches Umfeld, Krankenhaus, Palliativstation,
Alten- od. Pflegeheim, Hospiz, sonstiger Ort, keine Angabe) auf Unterschiede in der
zeitlichen Häufigkeitsverteilung (2001 vs. 2011) statistisch untersucht. Stratifiziert
nach Tumorentität wurde die Verteilung des Sterbeortes aufgegliedert nach Geschlecht
prozentual dargestellt.
Für stetige Daten wurde der unverbundenen t-Tests angewendet, bei kategoriellen Daten
der Chi-Quadrat-Test, bzw. bei niedriger Häufigkeit der Zellzahl kleiner 5 der Fisher-exakt-Test.
Hierbei besagt die Nullhypothese, dass die Werteausprägungen der untersuchten Variablen
gemäß Geschlecht bzw. Untersuchungszeit unabhängig voneinander auftreten. Die Alternativhypothese
hingegen zeigt an, dass die untersuchten Variablen aufgrund bestimmter Werteausprägungen
miteinander assoziiert sind. Das Signifikanzniveau wurde bei p < 0,05 (zweiseitig)
festgelegt. Die Auswertungen erfolgten mit SPSS-Version 21.
Ergebnisse
In Durchschnitt war bei 34,0 % (n = 8 172) aller ausgestellten Todesbescheinigungen
eine Tumorerkrankung dokumentiert. Hierbei stieg der Prozentsatz von 33,2 % (2001)
auf 34,8 % (2011) an. Bei Männern lag der Anteil (2001 vs. 2011) bei 37,0 % vs. 39,3
%, bei Frauen bei 29,9 % vs. 30,7 % (▸ [
Tab. 2
]).
Tab. 2 Rohe Mortalitätsrate von Tumorpatienten.
Rohe Mortalitätsrate von Tumorpatienten
|
Gesamt
|
alle
(24 009)
|
Frauen
(12 651)
|
Männer
(11 358)
|
p-Wert
|
Tumorpatienten
|
34,0 %
(8 172)
|
30,4 %
(3 844)
|
38,1 %
(4 328)
|
0,001
|
2001
|
alle
(11 585)
|
Frauen
(6 214)
|
Männer
(5 371)
|
p-Wert
|
Tumorpatienten
|
33,2 %
(3 844)
|
29,9 %
(1 855)
|
37,0 %
(1 989)
|
0,001
|
2011
|
alle
(12 424)
|
Frauen
(6 437)
|
Männer
(5 987)
|
p-Wert
|
Tumorpatienten
|
34,8 %
(4 328)
|
30,7 %
(1 973)
|
39,3 %
(2 355)
|
0,001
|
Das durchschnittliche Sterbealter aller verstorbenen Tumorerkrankten betrug im Jahre
2001 71,7 Jahre und stieg innerhalb von 10 Jahren auf 73,3 Jahre an. Tumorpatienten,
die im Krankenhaus starben, wiesen verglichen zu den übrigen Sterbeorten das niedrigste
Durchschnittsalter auf. Im Geschlechtervergleich verstarben Frauen prozentual häufiger
im Alten- oder Pflegeheim sowie Hospiz und Männer häufiger im häuslichen Umfeld und
Krankenhaus (▸ [
Tab. 3
]).
Tab. 3 Charakteristika verstorbener Tumorpatienten. MW: Mittelwert; STD: Standardabweichung
|
Gesamt
|
2001
|
2011
|
p-Wert
|
Gesamt
|
n = 8 172
|
n = 3 844
|
n = 4 328
|
|
Frauen, % (n)
|
46,8 (3 828)
|
48,3 (1 855)
|
45,6 (1 973)
|
0,016
|
Männer, % (n)
|
53,2 (4 344)
|
51,7 (1 989)
|
54,4 (2 355)
|
0,016
|
Alter, MW (STD)
|
72,6 (13,4)
|
71,7 (13,6)
|
73,3 (13,2)
|
0,059
|
Häusliches Umfeld
|
n = 1 998
|
n = 928
|
n = 1 070
|
|
Frauen, % (n)
|
45,8 (915)
|
47,3 (439)
|
44,5 (476)
|
0,208
|
Männer, % (n)
|
54,2 (1 083)
|
52,7 (489)
|
55,5 (594)
|
0,208
|
Alter, MW (STD)
|
73,7 (13,2)
|
73,9 (13,3)
|
73,6 (13,2)
|
0,881
|
Krankenhaus
|
n = 4 638
|
n = 2 414
|
n = 2 224
|
|
Frauen, % (n)
|
42,4 (1 965)
|
44,5 (1 075)
|
40,0 (890)
|
0,002
|
Männer, % (n)
|
57,6 (2 673)
|
55,5 (1 339)
|
60,0 (1 334)
|
0,002
|
Alter, MW (STD)
|
70,5 (13,3)
|
69,6 (13,4)
|
71,6 (13,2)
|
0,331
|
Palliativstation
|
n = 96
|
n = 0
|
n = 96
|
|
Frauen, % (n)
|
56,3 (54)[
#
]
|
-
|
56,3 (54)
|
[*]
|
Männer, % (n)
|
43,7 (42)[
#
]
|
-
|
43,7 (42)
|
[*]
|
Alter, MW (STD)
|
72,6 (10,8)[
#
]
|
-
|
72,6 (10,8)
|
[*]
|
Alten- od. Pflegeheim
|
n = 754
|
n = 284
|
n = 470
|
|
Frauen, % (n)
|
68,4 (516)
|
74,6 (212)
|
64,7 (304)
|
0,005
|
Männer, % (n)
|
31,6 (238)
|
25,4 (72)
|
35,3 (166)
|
0,005
|
Alter, MW (STD)
|
83,0 (9,7)
|
82,3 (10,3)
|
83,4 (9,3)
|
0,023
|
Hospiz
|
n = 751
|
n = 212
|
n = 539
|
|
Frauen, % (n)
|
55,9 (420)
|
59,9 (127)
|
54,4 (293)
|
0,191
|
Männer, % (n)
|
44,1 (331)
|
40,1 (85)
|
45,6 (246)
|
0,191
|
Alter, MW (STD)
|
71,7 (12,6)
|
71,9 (13,0)
|
71,7 (12,5)
|
0,440
|
# Daten von 2001;
* 2001 waren noch keine Palliativstationen in der Studienregion existent
Über die Hälfte aller Tumorpatienten starb im Krankenhaus, knapp ein Viertel zu Hause
und annähernd jeder Zehnte im Hospiz oder Alten- bzw. Pflegeheim. Tendenziell ging
der Anteil stationär Verstorbener um 11,4 % Prozent zurück. Andererseits stieg die
Häufigkeit im Hospiz Verstorbener deutlich um mehr als das Doppelte an (5,5 % vs.
12,5 %, p = 0,001). Alten- oder Pflegeheime verzeichneten einen Zuwachs von 3,5 %.
Die Häufigkeit häuslicher Sterbefälle blieb mit 24,1 % (2001) bzw. 24,7 % (2011) annährend
konstant (▸ [
Tab. 4
]).
Tab. 4 Sterbeorte von Tumorpatienten.
|
Gesamt
|
2001
|
2011
|
|
|
n = 8 172
|
n = 3 844
|
n = 4 328
|
p-Wert
|
häusliches Umfeld, % (n)
|
24,4 (1 998)
|
24,1 (928)
|
24,7 (1 070)
|
0,553
|
Krankenhaus, % (n)
[
&
]
|
56,8 (4 638)
|
62,8 (2 414)
|
51,4 (2 224)
|
0,001
|
Palliativstation, % (n)
|
1,2 (96)[
#
]
|
–
|
2,2 (96)
|
[*]
|
Alten- od. Pflegeheim, % (n)
|
9,2 (754)
|
7,4 (284)
|
10,9 (470)
|
0,001
|
Hospiz, % (n)
|
9,2 (751)
|
5,5 (212)
|
12,5 (539)
|
0,001
|
sonstiger Ort, % (n)
|
0,2 (14)
|
0,1 (3)
|
0,3 (11)
|
0,063
|
keine Angabe, % (n)
|
0,2 (17)
|
0,1 (3)
|
0,3 (14)
|
0,015
|
& inklusive Palliativstationen
# Daten von 2001
* 2001 gab es noch keine Palliativstationen in der Studienregion
Im Geschlechtervergleich ergab sich, dass männliche Tumorpatienten im Krankenhaus
häufiger starben, andererseits Frauen den deutlich größeren Anteil verstorbener Tumorpatienten
im Hospiz sowie Alten- oder Pflegeheim repräsentierten. Im zeitlichen Trend wiesen
Männer wie Frauen eine ähnliche Sterbeortverteilung auf (▸ [
Abb. 1
]).
Abb. 1 Zeitlicher Trend der Sterbeortverteilung im Geschlechtervergleich.
Stratifiziert nach Tumorentität (C00–C96) und Geschlecht starben Patienten mit einer
bösartigen Neubildung des lymphatischen und hämatopoetischen Gewebes (C81–C96) besonders
häufig im Krankenhaus (Frauen: 79,4 % bzw. 63,7 %; Männer: 77,5 % bzw. 68,4 %). Im
Gegensatz dazu wiesen Patienten mit einer bösartigen Neubildung des ZNS (C69-C72)
den geringsten Anteil stationärer Sterbefälle auf. Andererseits war bei diesem Patientenkollektiv
der Prozentsatz von Sterbefällen im Hospiz sehr hoch (Frauen: 14,0 % bzw. 23,5 %;
Männer: 21,4 % bzw. 27,7 %) (▸ [
Abb. 2
]).
Abb. 2 Sterbeort, stratifiziert nach Tumorentität (C00–C96) und Geschlecht.
Diskussion
In vorliegender Untersuchung ließ sich ein zeitlicher Trend der Sterbeortverteilung,
weg vom Krankenhaus, hin insbesondere zu Hospizen, Palliativstationen aber auch zu
Alten- oder Pflegeheimen beobachten. Trotzdem blieb das Krankenhaus für Tumorpatienten
der häufigste Sterbeort. Etwa die Hälfte der Patienten starb stationär. Lediglich
jeder vierte Sterbefall ereignete sich im häuslichen Umfeld.
Identifiziert wurden n = 8 172 verstorbene Tumorpatienten, entsprechend einer Häufigkeit
von 34 % aller Sterbefälle. Im Vergleich dazu lag der Anteil bösartiger Neuerkrankungen
an der Gesamtzahl Verstorbener für Deutschland mit 25,1 % im Jahre 2001 (207 619 tumorbedingte
Sterbefälle auf 828 541 Verstorbene) und 26,0 % im Jahr 2011 (221 591 Krebstote bei
852 328 Verstorbenen) deutlich niedriger [18]. Die beobachteten Differenzen basieren sicherlich zum einen auf Unterschiede im
Strukturaufbau beider Populationen, betreffend beispielhaft das Alter oder die Prävalenz
von Krankheitsfällen. Andererseits wurden jedoch auch unterschiedliche Methoden zur
Identifizierung tumorbedingter Sterbefälle angewendet. Der Ansatz der offiziellen
Statistik fußt ausschließlich auf Totenscheinangaben, die im Absatz Todesursache unter
dem Grundleiden abgefasst wurden. Des Weiteren nimmt die Statistik lediglich eine
Krankheit als Todesursache auf, auch wenn weitere Krankheiten vom Arzt als für den
Tod mitbestimmend dokumentiert worden sind. Unser methodischer Ansatz war hingegen
so angelegt, dass jegliche verfügbare Arztinformation zur Todesursache für die Feststellung
einer Tumorerkrankung herangezogen wurde. Konkret also nicht nur das beschriebene
Grundleiden, sondern auch zusätzliche Informationen, dokumentiert z. B. in der ärztlichen
Epikrise.
Nationale und internationale Studien bestätigen das überwiegend institutionalisierte
Sterben von Tumorpatienten, differieren jedoch in ihren Angaben [6], [7], [8], [9], [10], [11], [12], [13], [14], [15]. So führten beispielhaft Cohen et al. [7] in sechs europäischen Ländern (Italien, Belgien, Niederlande, Wales, England, Norwegen)
eine Studie zum Sterbeort von Krebserkrankten durch. Hierzu wurden Totenscheine (n
= 890 750) des Jahres 2003 ausgewertet. Die Häufigkeitsverteilung von Todesfällen
im Krankenhaus lag in Belgien bei 61,4 %, in den Niederlanden bei 31,0 %, in Wales
bei 60,1 %, in England bei 49,9 % und in Norwegen bei 86,9 % (hier wurden auch Sterbefälle
in Pflegeheimen mitgezählt). Für Italien fehlten stationäre Daten. Häusliche Sterbefälle
waren in Norwegen mit 12,7 % am niedrigsten und in den Niederlanden mit 45,4 % am
höchsten. Für England und Wales lagen zudem Daten für Sterbefälle in Hospizen vor.
Hier starben 16,4 % (England) bzw. 7,7 % (Wales) aller Krebspatienten. Für Altenheime
lagen die Angaben zwischen 7,6 % (Wales) und 19,2 % (Niederlande).
Verschiedene Einflussfaktoren existieren, die den Sterbeort von Tumorpatienten beeinflussen.
Mit einer erhöhten Sterbewahrscheinlichkeit im häuslichen Umfeld sind assoziiert:
-
gemeinsames Leben mit einem Angehörigen,
-
Möglichkeit der pflegerischen Unterstützung von Familienangehörigen
-
verheiratet sein
-
Wunsch des Patienten nach einem Sterben in häuslicher Umgebung
-
niedriger körperlicher Funktionsstatus
-
lange Erkrankungsdauer
-
gehobener sozialer Status
-
guter Zugang zu Pflegediensten
-
hohe Intensität der Pflege
-
Wohnen in einer ländlichen Region
Für den Sterbeort Krankenhaus sind bestimmend:
-
Vorhandensein einer nicht soliden Tumorerkrankung
-
vorherige Einweisung in ein Krankenhaus
-
hohes Angebot an Krankenhausbetten
-
Wohnen in einer städtischen Region
-
Angehörige einer ethnischen Minderheit [19]
In unserer Studie stratifizierten wir die Sterbeortdaten nach Tumorentität und Geschlecht.
Personen mit einer bösartigen Tumorerkrankung des Gehirns, sonstiger Teile des ZNS
und des Auges (C69–C72) starben überproportional häufig im Hospiz, hingegen seltener
im Krankenhaus. Häufig weisen diese Patienten schwer behandelbare Krankheitszeichen
wie Hirndruck, epileptische Anfälle, Lähmungen, Koordinationsstörungen sowie kognitive,
sprachliche und emotionale Einbußen auf. Dementsprechend ist die pflegerische Versorgung
besonders herausfordernd und im häuslichen Umfeld oft nicht mehr zu realisieren. Bei
Krebspatienten mit einer bösartigen Neubildung des lymphatischen sowie blutbildenden
Gewebes (C81–C96) trat der Sterbefall besonders häufig im Rahmen eines stationären
Krankenhausaufenthaltes ein. Oft ist die Prognose bei diesen Patienten schwerer einzuschätzen
und sie können auch noch im fortgeschrittenen Krankheitsstadium von onkologischen
Therapieangeboten profitieren.
Im Geschlechtervergleich starben Frauen prozentual häufiger im Alten- oder Pflegeheim
sowie Hospiz und Männer häufiger Zuhause und im Krankenhaus. Die Lebenserwartung scheint
eine entscheidende Rolle zu spielen. Männer weisen aufgrund ihrer niedrigeren Lebenserwartung
im Vergleich zu Frauen eine höhere Wahrscheinlichkeit auf, bei bestehender Partnerschaft
vom Lebenspartner überlebt und am Lebensende im häuslichen Umfeld von Angehörigen
betreut zu werden. Andererseits steigt bei Frauen, bedingt durch das höhere Lebensalter,
die Wahrscheinlichkeit, verwitwet oder alleinlebend zu sein. Oft ist bei zunehmender
körperlicher Gebrechlichkeit eine häusliche Selbstversorgung nicht mehr zu realisieren.
Deshalb werden vermehrt stationäre Versorgungsangebote wie das Alten- oder Pflegeheim
in Anspruch genommen.
Unsere Studie umfasste einen Beobachtungszeitraum von 10 Jahren. Im Jahre 2001 existierten
in den Städten Bochum und Münster zwei Hospize. Ambulante und stationäre palliativmedizinische
Versorgungsstrukturen waren hier erst im Aufbau begriffen. Zehn Jahre später stellte
sich das Versorgungsangebot durch Gründung neuer Hospize, Palliativstationen und ambulanter
Palliativnetze deutlich verbessert dar. Das Angebot vorgehaltener Hospizbetten war
von 2,2 auf 4,0 pro 100 000 Einwohner angestiegen, sechs neue Palliativstationen wurden
eröffnet und in den Städten Bochum und Münster sowie den Landkreisen Borken und Coesfeld
waren ab 2006 gegründete Palliativnetze fest in der ambulanten Palliativversorgung
etabliert.
Unsere Ergebnisse verweisen auf den Bedarf und die Sinnhaftigkeit der aufgebauten
Versorgungsstrukturen. So erhöhte sich u. a. der Anteil von Tumorpatienten, die im
Hospiz starben, um mehr als das Doppelte. Andererseits darf das Problem einer angebotsinduzierten
Nachfrage hier nicht gänzlich außer Acht gelassen werden. Gleichwohl muss festgehalten
werden, dass im klinischen Alltag die Weiterverlegung in ein Hospiz aufgrund zu gering
vorgehaltener Bettenzahlen oftmals ein Problem und Nadelöhr darstellt. Krankenhausentlassungen
werden hierdurch verzögert und stationäre Liegezeiten verlängert. Dieses Strukturproblem
fällt in Abhängigkeit von der Dichte an Hospizbetten auf Bundeslandebene sehr unterschiedlich
aus. In diesem Kontext gilt NRW eher als eine Landesregion mit höherem Anteil an stationären
Palliativ- und Hospizeinrichtungen. Unsere Daten verweisen auf weitere Problemfelder.
Obwohl Untersuchungen zeigen, dass bei der überwiegenden Mehrheit von Tumorpatienten
der Wunsch besteht, im häuslichen Umfeld zu sterben, legen die Studiendaten offen,
dass dies tatsächlich nur bei jedem vierten Krebspatient der Fall war. Der Anteil
häuslicher Sterbefälle blieb trotz des Ausbaus ambulanter palliativmedizinischer Versorgungsstrukturen
über 10 Jahre fast konstant, nahelegend, dass dieser Ausbau einer fortwährenden Stärkung
bedarf. Sterbefälle von Tumorpatienten im Alten- oder Pflegeheim nahmen kontinuierlich
zu.
Stärken und Limitationen | Diese Studie basiert auf dem bislang größten Datensatz (n = 24 009), der in Deutschland
zum Thema Sterbeort ausgewertet wurde. Zeitliche Trendanalysen wurden durchgeführt.
Die Aussagekraft der Untersuchung ist eingeschränkt, da Tumorpatienten anhand von
Angaben über die Todesursache aus Totenscheinen identifiziert wurden. Es ist bekannt,
dass die Qualität dieser ärztlichen Angaben sehr starken Schwankungen unterlegen ist
[20], [21]. Um die Datenqualität maximal hoch zu halten, wurden sämtlich verfügbare Angaben
zur Todesursache, einschließlich ärztlicher Epikrise, ausgewertet. Unsere Studie beschränkt
sich auf ausgewählte Regionen in Westfalen-Lippe und stellt somit keine Repräsentativität
für die Gesamtbevölkerung Deutschlands dar.
Perspektive | Schwerkranke und sterbende Menschen benötigen in ihrer letzten Lebensphase die bestmögliche
menschliche Zuwendung, Versorgung, Pflege und Betreuung. Aufgrund des demographischen
Wandels wird sich diese Aufgabe in Zukunft noch aggravieren [13]. Vor diesem Hintergrund scheint das Ziel der politischen Entscheidungsträger, durch
Stärkung der Hospiz- und Palliativversorgung in ganz Deutschland ein flächendeckendes
Angebot zu verwirklichen, damit alle Menschen an den Orten, an denen sie ihre letzte
Lebensphase verbringen, auch im Sterben gut versorgt und begleitet sind, nur gerechtfertigt.
Konsequenz für Klinik und Praxis
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Tumorpatienten sterben überwiegend in Institutionen.
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Mehr als 50 % sterben im Krankenhaus, knapp ein Viertel Zuhause und annähernd jeder
Zehnte im Hospiz oder Alten- bzw. Pflegeheim.
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Im zeitlichen Trend kann eine Verlagerung der Sterbeortes weg aus dem Krankenhaus,
hin zu Hospizen, Palliativstationen sowie Alten- oder Pflegeheimen beobachtet werden.
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Patienten mit einer bösartigen Neubildung des ZNS (C69–C72) sterben überproportional
häufig im Hospiz, Patienten mit einer bösartiger Neubildung des lymphatischen und
hämatopoetischen Gewebes (C81–C96) besonders häufig im Krankenhaus