Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2017; 52(02): 107-117
DOI: 10.1055/s-0042-108713
Topthema
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Telemedizin: Potenziale in der Notfallmedizin

Jörg C. Brokmann
,
Marc Felzen
,
Stefan K. Beckers
,
Michael Czaplik
,
Frederik Hirsch
,
Sebastian Bergrath
,
Rolf Rossaint
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Publication Date:
21 February 2017 (online)

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Zusammenfassung

Die telemedizinische Vernetzung zwischen medizinischem Personal und Spezialisten hat sich in der prähospitalen Notfallmedizin – wie auch in anderen medizinischen Bereichen – als vorteilhaft erwiesen. In der Notfallmedizin haben sich telemedizinische Teilkomponenten entwickelt, die für jeweils einzelne Krankheitsbilder anwendbar sind. Neu hingegen ist ein System, das ein breites notfallmedizinisches Spektrum als ergänzendes Strukturelement des existierenden boden- und luftgebundenen Rettungssystems abdecken kann. Es wird dargestellt, warum Telemedizin in der Notfallmedizin notwendig und sinnvoll ist, und die wichtigsten Strukturmerkmale werden erläutert. Ein aus unterschiedlichen Hard- und Softwarekomponenten bestehendes System (Telenotarzt-Arbeitsplatz, Server-Infrastruktur, mobile und im Rettungswagen fest verbaute Übertragungseinheit) gewährleistet die Verfügbarkeit medizinischer Daten und den sicheren Datentransfer (Sprache, Echtzeit-Vitalparameter-Kurven und Werte, Fotos, Videostream, 12-Kanal-EKG etc.) in Echtzeit. Basis für eine sichere Telemedizin sind die Strukturempfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin. Anwendbar ist die Telemedizin bei unterschiedlichsten Krankheitsbildern und Indikationen. Jedoch unterliegt das System auch Grenzen und Limitationen.

Schlussfolgerungen Telemedizin in der prähospitalen Phase ist sicher, erreicht im Vergleich zum konventionellen Notarztsystem eine bessere Dokumentationsqualität, verkürzt die ärztliche Bindungszeit um 50 %, reduziert die Gesamtzahl der ärztlich begleiteten Rettungsdiensteinsätze und zeigt eine mindestens gleichwertige medizinische Versorgungsqualität.

In den letzten 15 Jahren verlängerte sich in Deutschland stetig das Zeitintervall von der Alarmierung bis zum Eintreffen des Notarztes – und dies, obwohl die Notarztstandorte kontinuierlich ausgebaut werden. Es ist daher Zeit, neue Wege zu gehen. Dieser Beitrag zeigt die Potenziale der Tele-Notfallmedizin am Beispiel des in Aachen entwickelten Telenotarzt-Systems.

Abstract

The telemedical support and networking between health personnel and medical specialists increases the quality of supply also in the prehospital emergency care. Till now only for some tracer diagnosis specifically designed telemedical services were used. However, now a unique holistic telemedicine system, which can be used for the whole emergency spectrum as a supplementary feature has been developed. It can be used for the whole prehospital emergency care. The needfulness and meaningfulness of telemedicine as well as the important structural characteristics in prehospital emergency care are pictured. The system, composed of hard- and software components (tele-physician working place, server infrastructure, mobile and in the ambulance fixed transmission box), ensures the availability of secure data transfer of speech, vital-parameters, photos, videostream, 12 lead ECG, etc.) in real-time. Base for a safe telemedicine application are the guidelines of the German Association of Anaesthesiology. Telemedicine systems are usable in different indications and disease manifestations. However, telemedicine also has limitations.

Conclusion Telemedically assisted emergency missions can be managed safely, achieve a better quality in documentation and guideline conform therapy, reduce the medical binding time about more than 50 %, reduce physician escorting missions and show at least an equivalent quality of supply.

Kernaussagen
  • Im prähospitalen Rettungs- und Notarztdienst waren bisher telemetrische Systeme für einzelne Tracer-Diagnosen, z. B. Myokardinfarkt oder Schlaganfall, etabliert. Das in Aachen entwickelte Telenotarzt-System kann dagegen sehr vielschichtig für verschiedenste Arten von Notfalleinsätzen genutzt werden.

  • Der Telenotarzt kann bei allen nicht lebensbedrohlichen prähospitalen Erkrankungen eingesetzt werden. Aber auch bei Einsätzen, die einen Notarzt vor Ort erfordern, lässt sich das Intervall bis zum Eintreffen des Notarztes sinnvoll überbrücken.

  • Das Telenotarzt-System besteht aus den 4 Teilkomponenten mobile Kommunikations- und Übertragungseinheit, Telenotarzt-Zentrale, Rettungswagen und integratives Netzwerk.

  • Das Rettungsteam kann – falls vor Ort kein Notarzt, aber ärztliche Expertise erforderlich ist – dem Telenotarzt Vitaldaten, Dokumente und per Videokamera den Patientenstatus vermitteln. Unter Supervision des Telenotarztes setzt das Team dessen Anweisungen vor Ort um.

  • Weitere Einsatzmöglichkeiten des Telenotarztes bestehen in der ärztlichen Begleitung von interhospitalen Sekundärtransporten und der fachlichen Unterstützung und Optimierung von Rettungsmaßnahmen im Offshore-Bereich.

  • Die Telenotärzte sind erfahrene, hochqualifizierte und besonders geschulte Notfallmediziner (Facharztstandard, Zusatzbezeichnung Notfallmedizin, > 500 NA-Einsätze), die regelmäßig eine Supervision und Fortbildungen erhalten.

  • Moderne und sichere Kommunikations- und Datenübertragungswege sind für das Telenotarzt-System unabdingbar und müssen überall zur Verfügung stehen. Eine adäquate Datenübertragung muss bei mindestens 95 % aller Einsätze gewährleistet sein.

  • Alle gesetzlichen Bestimmungen des Datenschutzes müssen in vollem Umfang eingehalten werden.