Dtsch Med Wochenschr 2016; 141(08): 578
DOI: 10.1055/s-0042-101872
Fachwissen
Pro & Contra
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Insulintherapie bei Typ-2-Diabetes – so früh wie möglich!

Insulin therapy: as early as possible
Karsten Müssig
1   Klinik für Endokrinologie und Diabetologie, Medizinische Fakultät, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
2   Institut für Klinische Diabetologie, Deutsches Diabetes-Zentrum, Leibniz-Zentrum für Diabetesforschung, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
3   Deutsches Zentrum für Diabetesforschung (DZD), München-Neuherberg
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Korrespondenz

Prof. Dr. med. Karsten Müssig
Klinik für Endokrinologie und Diabetologie
Universitätsklinikum Düsseldorf
Moorenstr. 5
40225 Düsseldorf

Publication History

Publication Date:
14 April 2016 (online)

 

Zusammenfassung

Die Leitlinien der führenden nationalen und internationalen Diabetes-Fachgesellschaften ermöglichen den frühzeitigen Einsatz von Insulin bei der Behandlung des Typ-2-Diabetes, insbesondere bei stark erhöhtem HbA1c oder wenn eine rasche Stoffwechselnormalisierung angestrebt wird. Der frühe Einsatz von Insulin, wie vor allem langwirksamen Analoginsulinen, erweist sich als effektiv und sicher. Eine kurzfristige aggressive Insulinbehandlung als Erstlinientherapie eines neu-diagnostizierten Typ-2-Diabetes kann zu einer anhaltenden Erholung der Betazellfunktion und Verbesserung der Insulinsensitivität führen.


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Abstract

The guidelines of the leading national and international diabetes associations enable the early use of insulin in the treatment of type 2 diabetes, in particular, if HbA1c is markedly increased or a rapid metabolic normalisation is aspired. The early use of insulin, and particularly of long-acting insulin analogues, is effective and safe. A short-term aggressive insulin treatment as first-line therapy of a newly diagnosed type 2 diabetes has the potential to induce a prolonged recovery of beta-cell function and improvement of insulin sensitivity.


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Normnahe Glukosewerte | Ziel der Behandlung der Hyperglykämie bei Patienten mit Typ-2-Diabetes ist eine möglichst normnahe Blutglukoseeinstellung – so die American Diabetes Association (ADA) und die European Association for the Study of Diabetes (EASD) in ihrer gemeinsamen Stellungnahme [1]. Dabei müssen das Alter und der Gesundheitszustand des Patienten berücksichtigt werden. Hintergrund dieser Empfehlung sind Studien, die günstige Auswirkungen einer normnahen Glukosestoffwechseleinstellung auf das Auftreten mikrovaskulärer [2] und in geringerem Maße auch makrovaskulärer [3] Diabeteskomplikationen ergaben.

Individueller HbA 1c -Zielkorridor | Eine intensive Diabetestherapie geht mit einem gesteigerten Risiko für Hypoglykämien und Gewichtszunahme einher [4]. Aus diesem Grunde formulieren die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) und die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) in ihren Praxisempfehlungen [5]

  • eine möglichst normnahe Blutglukoseeinstellung

  • mit einem individuellen HbA1c-Zielkorridor von 6,5–7,5 %.

Dabei sollen möglichst wenig Nebenwirkungen wie schwere Hypoglykämien oder Gewichtszunahme auftreten, und die Belastungen des Patienten durch die Therapie sollen minimal sein.

Frühe Pharmakotherapie | Werden die erforderlichen lebensstilmodifizierenden Maßnahmen nicht oder unzureichend umgesetzt oder sind sie nicht erfolgreich, sehen die aktuellen Praxisempfehlungen eine frühe Pharmakotherapie zur Erreichung des individuellen Therapieziels vor [5]. Möglich ist dabei auch der frühzeitige Einsatz eines (Verzögerungs-) Insulins, etwa wenn Metformin nicht vertragen wird oder eine Kombinationstherapie erforderlich ist. Die Zeitvorgaben, bis die individuellen Therapieziele erreicht sein sollen, sind mit 3–6 Monaten eng. Dies verdeutlicht, dass eine „clinical inertia“ (klinische Trägheit), also das Ausbleiben des Beginns oder der Intensivierung einer erforderlichen Therapie, nicht hinzunehmen ist. Denn trotz der Empfehlungen der führenden Fachgesellschaften werden die Therapieziele vielfach nicht erreicht [6]. Dagegen ergaben viele Studien, dass der frühe Einsatz von Insulin, wie insbesondere des langwirkenden Analoginsulins Glargin, als Erst- oder Zweitlinientherapie effektiv und sicher ist [7].

Effektiv und sicher | Zuletzt verdeutlichte die ORIGIN-Studie [8], dass die langfristige Verwendung von Insulin Glargin sicher ist. Sie umfasste mehr als 12 000 Patienten über 6,2 Jahre.

  • Das Risiko für schwere Hypoglykämien war gering,

  • die Gewichtszunahme moderat und

  • weitere orale glukosesenkende Medikamente oder komplexe Insulinregimes waren seltener erforderlich als bei Standardtherapie.

Darüber hinaus wiesen die mit Insulin Glargin behandelten Studienteilnehmer mit gestörter Nüchternglukose oder gestörter Glukosetoleranz ein um 20 % verringertes Risiko für die Entwicklung eines Typ-2-Diabetes auf. Ein möglicher Grund für das reduzierte Progressionsrisiko war, dass die Gruppe, die Insulin Glargin erhielt, während der gesamten Studie niedrigere HbA1c-Werte aufwies.

Erholung der Betazellfunktion? | Im Einklang mit diesem Erklärungsansatz zeigten frühere Arbeiten, dass eine kurzfristige aggressive Insulingabe als Erstlinientherapie eines neu-diagnostizierten Typ-2-Diabetes zu einer Erholung der Betazellfunktion und einer Verbesserung der Insulinsensitivität führen kann [9]. Als effektive Methoden für eine kurzfristige intensive Insulintherapie kamen zum Einsatz:

  • eine kontinuierliche subkutane Insulintherapie

  • eine intensivierte konventionelle Insulintherapie

  • eine Basalinsulin-unterstütze orale Therapie.

Drei Monate nach einer intensiven Insulintherapie konnten zwei Drittel der Patienten allein mit einer auf einer Änderung des Lebensstils basierten Therapie behandelt werden, nach 24 Monaten waren es noch rund 40 % [9]. Ein wichtiger Prädiktor für eine Remission nach einer kurzfristigen intensiven Insulintherapie scheint die Verbesserung der Beta-Zell-Funktion zu sein [10].

Fazit | Basierend auf diesen Ergebnissen sehen die Praxisempfehlungen der DDG eine zumindest initiale Insulintherapie in jeder Therapiestufe vor, wenn das HbA1c stark erhöht ist oder eine rasche Stoffwechselverbesserung angestrebt wird [5].


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Prof. Dr. med. Karsten Müssig

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ist Leitender Oberarzt und stellvertretender Klinikdirektor der Klinik für Endokrinologie und Diabetologie, Medizinische Fakultät, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
karsten.muessig@med.uni-duesseldorf.de

Interessenkonflikt

Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

  • Literatur

  • 1 Inzucchi SE, Bergenstal RM, Buse JB et al. Management of hyperglycemia in type 2 diabetes, 2015: a patient-centered approach. Diabetes Care 2015; 38: 140-149
  • 2 UK Prospective Diabetes Study (UKPDS) Group. Intensive blood-glucose control with sulphonylureas or insulin compared with conventional treatment and risk of complications in patients with type 2 diabetes (UKPDS 33). Lancet 1998; 352: 837-853
  • 3 Control Group, Turnbull FM, Abraira C, Anderson RJ. et al. Intensive glucose control and macrovascular outcomes in type 2 diabetes. Diabetologia 2009; 52: 2288-2298
  • 4 Action to Control Cardiovascular Risk in Diabetes Study Group, Gerstein HC, Miller ME, Byington RP. et al. Effects of intensive glucose lowering in type 2 diabetes. N Engl J Med 2008; 358: 2545-2559
  • 5 Landgraf R, Kellerer M, Fach E et al. Praxisempfehlungen DDG/DGIM: Therapie des Typ-2-Diabetes. Diabetologie 2015; 10 (Suppl 2) S140-S151
  • 6 Rubino A, McQuay L, Gough SC et al. Delayed initiation of subcutaneous insulin therapy after failure of oral glucose-lowering agents in patients with Type 2 diabetes: a population-based analysis in the UK. Diabet Med 2007; 24: 1412-1418
  • 7 Fonseca V, Gill J, Zhou R et al. An analysis of early insulin glargine added to metformin with or without sulfonylurea: impact on glycaemic control and hypoglycaemia. Diabetes Obes Metab 2011; 13: 814-822
  • 8 ORIGIN Trial Investigators, Gerstein HC, Bosch J, Dagenais GR. et al. Basal insulin and cardiovascular and other outcomes in dysglycemia. N Engl J Med 2012; 367: 319-328
  • 9 Kramer CK, Zinman B, Retnakaran R. Short-term intensive insulin therapy in type 2 diabetes mellitus: a systematic review and meta-analysis. Lancet Diabetes Endocrinol 2013; 1: 28-34
  • 10 Li Y, Xu W, Liao Z et al. Induction of long-term glycemic control in newly diagnosed type 2 diabetic patients is associated with improvement of beta-cell function. Diabetes Care 2004; 27: 2597-2602

Korrespondenz

Prof. Dr. med. Karsten Müssig
Klinik für Endokrinologie und Diabetologie
Universitätsklinikum Düsseldorf
Moorenstr. 5
40225 Düsseldorf

  • Literatur

  • 1 Inzucchi SE, Bergenstal RM, Buse JB et al. Management of hyperglycemia in type 2 diabetes, 2015: a patient-centered approach. Diabetes Care 2015; 38: 140-149
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  • 6 Rubino A, McQuay L, Gough SC et al. Delayed initiation of subcutaneous insulin therapy after failure of oral glucose-lowering agents in patients with Type 2 diabetes: a population-based analysis in the UK. Diabet Med 2007; 24: 1412-1418
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