Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2016; 23(01): 7-8
DOI: 10.1055/s-0041-110243
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Importierte und autochthone Fälle nehmen zu – Chikungunya in Europa

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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
22. Februar 2016 (online)

 

Zwischen 2010 und 2012 wurden aus 22 EU-Ländern insgesamt zwischen 51 und 179 Fälle von Chikungunyafieber gemeldet. Die eigentliche Anzahl der Infektionen mit dem Chikungunya-Virus (CHIKV) dürfte insgesamt höher liegen, da nicht regelhaft bei fieberhaft erkrankten Reiserückkehrern aus Gebieten mit CHIKV-Übertragung eine entsprechende Diagnostik veranlasst wird beziehungsweise die Meldung von Chikungunyafällen EU-weit unterschiedlich gehandhabt wird.

Steigende Anzahl von importierten Fällen

Im Rahmen größerer Ausbrüche steigt nicht nur die Zahl der importierten CHIKV-Infektionen, sondern auch die Aufmerksamkeit auf Seiten der Öffentlichkeit wie auch auf Seiten der medizinischen Versorgung – insbesondere, wenn populäre Touristendestinationen betroffen sind. Dies spiegelt sich auch in den deutschen Meldedaten wider: Aus dem großen Ausbruch um den Indischen Ozean herum (betroffen waren u. a. La Reunion, Mauritius, Seychellen, Madagaskar, schließlich Indien, Sri Lanka) in den Jahren 2004–2007 sind leider keine jährlichen Fallzahlen für Deutschland veröffentlicht, da dem Robert Koch-Institut erstmals im Jahr 2006 CHIKV-Infektionen übermittelt worden sind (insgesamt 52 importierte Erkrankungen) [ 1 ].

Im Rahmen des großen Ausbruchs in Zentral- und Südamerika (betroffen insbesondere karibische Inseln aber auch zahlreiche Länder Südamerikas mit vereinzelt autochthonen Übertragungen auch in Florida, USA), der Ende 2013 begann und noch immer anhält, wurden in Deutschland im Jahr 2014 insgesamt 162 Fälle gemeldet und damit deutlich mehr als die 9 bis 54 Erkrankungen in den Vorjahren seit 2006 [ 2 ].

Vor diesem Hintergrund verdienen zweierlei Umstände eine genauere Betrachtung: Zum einen gehören Regionen mit Ausbrüchen von Chikungunya auch zu beliebten touristischen Zielen europäischer Reisender. Dabei werden auch in den Jahren zwischen großen Ausbrüchen CHIKV-Infektionen nach Europa importiert. Das RKI benennt zum Beispiel die Länder Indonesien, Philippinen, Indien und Kamerun als Infektionsquellen für nach Deutschland importierte Fälle im Jahr 2013 [ 3 ].

Auffallend ist auch, dass Frankreich in beide großen Ausbrüche der vergangenen 10 Jahre mit seinen Überseedepartements (Guadeloupe, Martinique, Französisch-Guyana, La Reunion, Mayotte) direkt betroffen war.


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Übertragende Mücken sind auch in Europa heimisch

Zum zweiten ist der Vektor, Mücken der Gattung Aedes, A aegypti und A. albopictus, längst in Teilen Europas heimisch geworden. Aus diesem Grund hat das European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) Maßnahmen zur Erfassung der Vektorepidemiologie intensiviert und informiert auf seiner Internetseite über die aktuelle Ausbreitung verschiedener Mücken [ 4 ] (Abb. [ 1 ], [ 2 ]).

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Abb. 1 Auftreten von Aedes aegypti in Europa (Stand Oktober 2015).
Quelle: European Centre for Disease Prevention and Control
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Abb. 2 Auftreten von Aedes albopictus in Europa (Stand Oktober 2015).
Quelle: European Centre for Disease Prevention and Control

Wie der aktuelle mittel- und südamerikanische Ausbruch zeigt, kann die Einführung des Virus in Regionen, in denen kompetente Vektoren präsent sind, zu relevanten autochthonen Übertragungen und Ausbrüchen führen. Tatsächlich kam es auch in Italien und Frankreich seit 2007 wiederholt zu lokalen Übertragungen und Ausbrüchen:

  • Im Jahr 2007 wurde der bislang größte Chikungunyaausbruch in Europa in der italienischen Provinz Ravenna, Region Emiglia-Romana, registriert. Als Indexfall wurde ein männlicher Reisender identifiziert, der von einem Verwandtenbesuch aus Indien zurückgekehrt war. Über einen Zeitraum von mehr als 3 Monaten traten mehr als 300 Verdachtsfälle und über 200 laborbestätigte Fälle auf (Asiatischer Stamm E1-211E) [ 5 ]. Von 250 nachverfolgten Fällen berichteten 67 % auch nach einem Jahr noch über anhaltende Myalgien, Schwäche beziehungsweise Arthralgie [ 6 ].

  • Im Jahr 2010 erkrankte ein 7-jähriges Mädchen in Fréjus an der Côte d’Azur, Frankreich, nachdem es aus Indien zurückgekehrt war. In der näheren Umgebung des Wohnorts traten daraufhin 2 weitere Fälle auf (Asiatischer Stamm E1-211E). Alle 3 Fälle klagten auch nach 3 Monaten noch über anhaltende Schwäche und Gelenkschmerzen [ 7 ].

  • Im September / Oktober 2014 wurden 12 Fälle mit einer CHIKV-Infektion in Montpellier, ebenfalls Südfrankreich, registriert. Der Primärfall war Ende August aus Kamerun zurückgekehrt (East-Central-South-African-Stamm mit E1-A226V Mutation). Bei allen Fällen traten initial Fieber und Arthralgien auf, 58 % berichteten auch nach 2 Monaten noch über anhaltende Beschwerden [ 8 ].

Zunächst war kürzlich auch aus Spanien ein erster autochthoner Fall berichtet worden [ 9 ]: Bei einem 60-jährigen Mann ohne passender Reiseanamnese wurde im Juli 2015 zunächst eine CHIKV-Infektion diagnostiziert, der Antikörpertest stellte sich in der Folge allerdings als falsch positiv heraus. Da sich aber zumindest A. albopictus in praktisch allen ans Mittelmeer angrenzenden Gebieten Europas etabliert hat, ist dennoch vor dem Hintergrund der dynamischen CHIKV-Epidemiologie mit weiteren autochthonen Übertragungen in Südeuropa zu rechnen – was nun ebenfalls wieder eine populäre Touristenregion ist.


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Konsequenzen für die Praxis

Vor diesem Hintergrund erscheint es lohnenswert, auch jenseits der klassischen Reisemedizin ein Auge auf diese ‚tropische‘ Virusinfektion, aber auch andere Arbovirosen wie das Denguefieber zu haben. Praktische Konsequenz sollte sein, bei Rückkehrern aus dem Mittelmeergebiet mit akut fieberhaften Infektionen sowie einhergehender Thrombopenie, Gelenkbeschwerden und möglicherweise weiteren Symptomen wie (feinfleckigem) Exanthem die Differenzialdiagnostik auf eine CHIKV-Infektion auszudehnen.

In Deutschland besteht eine Meldepflicht bei Krankheitsverdacht, Erkrankung und Tod bei hämorrhagischem Verlauf gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1g IfSG (virusbedingtes hämorrhagisches Fieber) sowie nach positivem Erregernachweis in Verbindung mit einer akuten Infektion unabhängig vom klinischen Bild gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 47 IfSG.

PD Dr. Jakob P. Cramer, Hamburg


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Autorenerklärung

Der Autor ist Mitarbeiter des Vaccine Business Units der Firma Takeda International AG in Zürich. Takeda verfügt über einen Impfstoffkandidaten zu Chikungunya, der sich gegenwärtig in der präklinischen Entwicklung befindet.



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Abb. 1 Auftreten von Aedes aegypti in Europa (Stand Oktober 2015).
Quelle: European Centre for Disease Prevention and Control
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Abb. 2 Auftreten von Aedes albopictus in Europa (Stand Oktober 2015).
Quelle: European Centre for Disease Prevention and Control