Krankenhaushygiene up2date 2015; 10(04): 231-232
DOI: 10.1055/s-0041-109672
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Abnahmehäufigkeit von Blutkulturen auf der Intensivstation: Gibt es eine Korrelation mit der ermittelten Septikämierate?

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Publication Date:
28 December 2015 (online)

Septikämien sind eine der häufigsten nosokomialen Infektionen auf der Intensivstation. Ihre Rate gilt als wichtiger Qualitätsparameter und wird daher im Rahmen nationaler Surveillance-Netzwerke (z. B. im deutschen KISS-System) für zahlreiche Krankenhäuser ermittelt und dargestellt. Dabei wird bisher jedoch kein Korrekturfaktor für die Anzahl abgenommener Blutkulturen berücksichtigt. Es ist zu vermuten, dass die Häufigkeit der Abnahme von Blutkulturen direkt mit der Septikämierate korreliert. Jede abgenommene Blutkultur bietet die Chance, eine Septikämie zu entdecken, während jede bei entsprechender Indikation (z. B. Fieber) nicht durchgeführte Blutkultur umgekehrt das Risiko mit sich bringt, dass eine Septikämie unentdeckt bleibt.

In den USA wurde aufgrund einer im Jahr 1999 durchgeführten, web-basierten Expertenumfrage eine Abnahmerate von 103 – 188 Blutkultursets pro 1000 Patientenliegetage als „optimaler Bereich“ für Intensivpatienten definiert. Ein ähnlicher Wert (100 – 200 Kulturen pro 1000 Patientenliegetage) wurde im Jahr 2007 von einer deutschen Leitlinie angegeben. Beide Werte beruhen jedoch auf Expertenschätzung und nicht auf Studiendaten. Eine Arbeitsgruppe des Nationalen Referenzzentrums für Surveillance in Berlin hat daher kürzlich eine Korrelationsberechnung publiziert. Ziel war es, aufgrund von abgefragten Daten zur Abnahme von Blutkulturen einen rechnerischen Zusammenhang zur Septikämierate herzustellen. Als Hypothese wurde formuliert, dass oberhalb einer bestimmten Blutkultur-Abnahmehäufigkeit (Schwellenwert) keine weitere Steigerung der ermittelten Septikämierate eintreten würde. Dieser Schwellenwert sollte bestimmt und als künftige Minimalanforderung an eine ausreichend intensive Blutkulturdiagnostik im Zusammenhang mit einer KISS-Erfassung definiert werden.

Die vorliegende Studie wertete die Daten für primäre Septikämien aus den Jahren 2006 und 2007 aus. Im Jahr 2006 wurden von den teilnehmenden Intensivstationen zusätzlich Angaben zur Anzahl abgenommener Blutkulturen abgefragt. Eine Blutkultur wurde dabei jeweils als 1 Set (aerob und anaerob) definiert.

Die Abnahmehäufigkeit von Blutkulturen, ermittelt im Jahre 2006, wurde auf das Jahr 2007 extrapoliert und mit den für beide Jahre erfassten primären Septikämien statistisch korreliert.

Insgesamt lieferten 223 Intensivstationen Daten. Die mediane Bettenzahl der zugehörigen Krankenhäuser lag bei 500 Betten. 45,7 % der Häuser hatten den Status eines akademischen Lehrkrankenhauses. 73,2 % der Krankenhäuser sandten ihre mikrobiologischen Laborproben zu entfernt liegenden Laborinstituten außerhalb des Krankenhauses.

Die mediane Anwendungsrate für zentrale Venenkatheter (errechnet als Zahl der Venenkathetertage, geteilt durch die Patientenliegetage, × 100) lag in den beiden Studienjahren bei 67,3. Die gleiche Rate für maschinelle Beatmung lag bei 34,2. Die mediane Rate abgenommener Blutkulturen betrug 60 pro 1000 Patientenliegetage (mittleres 50 %-Quantil 33 – 108). Die Rate nachgewiesener Septikämien lag bei 0,46 pro 1000 Patientenliegetage (einschließlich der Septikämien durch Koagulase-negative Staphylokokken). Wurden letztere als mögliche Kontaminanten aus der Bewertung herausgenommen, so lag die Rate bei 0,38 pro 1000 Patientenliegetage.

Die Korrelation von Septikämie und abgenommenen Blutkulturen zeigte, dass ab einem Schwellenwert, der mit 87 Blutkulturen pro 1000 Liegetage errechnet wurde, keine signifikante Zunahme der Rate nachgewiesener Septikämien eintrat. Das 95 %-Konfidenzintervall für diesen Wert betrug 55 bis 120. Wurden nur Venenkatheter-assoziierte Septikämien betrachtet, so lag der Wert bei 83. Ein Ausschluss von Septikämien durch Koagulase-negative Staphylokokken führte nicht zu einer Änderung dieser Zahlen.

Die Studie liefert die Evidenz für diesen Richtwert auf Basis von Daten von 223 Intensivstationen und hat dafür den Zusammenhang zwischen der Zahl der angeforderten Blutkulturen und der Zahl der diagnostizierten Sepsisfälle untersucht. Laut der Studie stieg bis zur Zahl von 87 Blutkulturen pro 1000 Patiententage die Zahl der diagnostizierten Sepsisfälle an. Danach flachte die Kurve ab: Mehr Blutkulturen führten nicht zu mehr Sepsisdiagnosen.

Kommentar

Einen Richtwert von etwa 100 Blutkulturen für Intensivstationen pro 1000 Patiententage wird von den Autoren dieser Studie empfohlen. Eine wichtige Arbeit.

Jedes Jahr erkranken in Deutschland mehr als 175 000 Menschen an einer Sepsis, für ein Drittel der Patienten endet sie tödlich. Um eine Sepsis zu diagnostizieren, sollen Blutkulturen angelegt werden. Nur so können die Erreger, die zur Sepsis geführt haben, identifiziert und deren Resistenz bestimmt werden.

Werden zu wenige Blutkulturen abgenommen, leidet die Qualität der Behandlung, weil nur empirisch – und damit vor allem bei steigenden Resistenzen mitunter falsch – und nicht nach Antibiogramm behandelt werden kann.

Es ist bekannt, dass Deutschland im internationalen Vergleich außerordentlich schlecht abschneidet, was die Blutkulturdiagnostik anbelangt. Auch diese Studie hat gezeigt, dass nur ein Drittel der untersuchten Intensivstationen Blutkulturen in ausreichender Menge anlegt. Das ist bedenklich, zumal die teilnehmenden Stationen möglicherweise eine Positivauswahl darstellen.

Die Wissenschaftler schlussfolgern, dass nur wenn die Intensivstationen den genannten Richtwert erreichen, die meisten Sepsisfälle rechtzeitig und zuverlässig erkannt und die betroffenen Patienten adäquat behandelt werden können. Logischerweise sind in Surveillance-Systemen nosokomiale Sepsisfälle nur dann sinnvoll zu vergleichen, wenn man weiß, ob überhaupt eine ausreichende Diagnostik stattgefunden hat.

Die Erfassung der Anzahl der Blutkulturen pro 1000 Intensivtage mit Bezug auf den Richtwert ist demzufolge Grundlage für jegliche Qualitätssicherung.

Die Autoren warnen gleichzeitig davor, dass – würde man z. B. Surveillancedaten von nosokomialen Infektionen allgemein zugänglich machen (public reporting) wie es in manchen US-amerikanischen Bundesstaaten der Fall ist – dies einen Anreiz dafür darstellen könnte, notwendige Diagnostik nicht zu machen. Nach dem Motto: Keine mikrobiologische Diagnostik, kein Erreger, keine nosokomiale Infektion, keine Bestrafung (in einem pay for perfomance System).

PD Dr. Elisabeth Meyer, München
Hardy-Thorsten Panknin, Berlin


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