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DOI: 10.1055/s-0041-108858
Autoimmune Enzephalitiden
Autoimmune encephalitis- Zusammenfassung
- Abstract
- Fallbeispiel
- Genese und Manifestation
- Pathophysiologie
- Diagnostik
- Therapie
- Prognose
- Fazit
- Glossar
- Literatur
Zusammenfassung
Eine autoimmune Enzephalitis ist eine entzündliche Erkrankung des Gehirns, die meist auf einer Antikörper-vermittelten Schädigung und Funktionsstörung von neuronalen Strukturen beruht. Man unterscheidet zwischen onkoneuronalen Antikörpern (gegen intrazelluläre neuronale Antigene gerichtet mit resultierenden paraneoplastischen, neurologischen Syndromen) und Antikörpern, die gegen neuronale Zelloberflächen- oder synaptische Proteine gerichtet sind (mit dem Bild der synaptischen Enzephalopathien). Charakteristisch für die häufigste Form der autoimmunen Enzephalitiden, der NMDA-Rezeptor-Antikörper-Enzephalitis, ist ein phasenweiser Verlauf. Unspezifische Prodromi (Abgeschlagenheit, Fieber, Kopfschmerzen) führen zu Hausarzt- oder Notaufnahme-Vorstellungen. Es folgen psychische Verhaltensauffälligkeiten, epileptische Anfälle, Gedächtnisstörungen und letztendlich Vigilanzstörungen bis zum Koma, zusammen mit Dysautonomie und Atemstörungen. Diese ziehen oft intensivmedizinisch behandlungsbedürftige Komplikationen (wie Status epileptikus) nach sich. Die Diagnose wird durch den Nachweis der Auto-Antikörper in Serum bzw. Liquor gesichert. Eine intensive Suche nach Tumoren wird empfohlen. Die Therapie der autoimmunen Enzephalitis beinhaltet eine immunmodulatorische und -suppressive Strategie. Die Tumortherapie ist die wichtigste Therapie der autoimmunen Enzephalitis durch onkoneuronale Antikörper.
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Abstract
Autoimmune encephalitis, an inflammatory disease of the brain, is usually attributed to antibody-mediated damage and dysfunction of neuronal structures. A distinction is made between onconeuronal antibodies (directed against intracellular neuronal antigens with resulting paraneoplastic neurological syndromes) and antibodies directed against neuronal cell surface proteins (with resulting synaptic encephalopathies). Anti-NMDA-Receptor-Encephalitis, the most common form of autoimmune encephalopathy, is characterized by a phased course of disease. Early disease phase involves nonspecific prodromes (fatigue, fever, headache) which lead to family doctor or emergency department consultation. Subsequently, neuropsychiatric behavioural problems, seizures, disturbance of memory and finally coma, dysautonomia and respiratory insufficiency often result in major complications (e.g. status epilepticus) necessitating intensive care treatment. The diagnosis is secured by detection of auto-antibodies in serum or cerebrospinal fluid. An intensive search for tumors is also recommended. The treatment of autoimmune encephalitis comprises of immunomodulatory and immunosuppessive strategies. Tumor therapy is the most important treatment of autoimmune encephalitis by onconeuronal antibodies.
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Autoimmune Enzephalitiden sind eine relativ neue Gruppe entzündlicher Erkrankungen des zentralen Nervensystems. Sie betreffen häufig jüngere Frauen, aber auch Kinder und alte Menschen können daran erkranken. In vielen Fällen kommt es zu schwerwiegenden intensivmedizinischen Komplikationen. Die interdisziplinäre Diagnostik und Therapie ist anspruchsvoll.
Fallbeispiel
Anamnese | Eine 19-jährige, bisher gesunde Frau erleidet einen generalisierten tonisch-klonischen epileptischen Anfall. Nach Erstdiagnostik in der Notaufnahme wird sie stationär in eine neurologische Klinik eingewiesen.
Massive Verschlechterung | Am Folgetag treten akut massive psychotische Symptome (Halluzinationen, wahnhafte Störung, Suizidalität) auf, woraufhin die Patientin in die Psychiatrie verlegt wird. Wiederum einen Tag später kommt es zu einer progredienten Bewusstseinsstörung und Hypoventilation, die eine Intubation und maschinelle Beatmung notwendig machen. Es folgt ein sechsmonatiger Aufenthalt auf der neurologischen Intensivstation mit multiplen Komplikationen (mehrmalige schwere Sepsis, schwerste autonome Störungen, massive Bewegungsstörungen und epileptische Anfälle bis hin zum Status epileptikus).
Diagnose und Therapie | Nach umfangreicher Diagnostik wird anhand der Liquor- und Serumbefunde bei hochpositivem Nachweis von Antikörpern gegen den N-Methyl-D-Aspartat-Rezeptor (NMDA) die Diagnose einer autoimmunen Enzephalitis (AE) gestellt. Unter einer multimodalen Immuntherapie (Immunadsorption, Plasmapherese, Kortikoidpuls, Cyclophosphamid und Rituximab) stabilisiert sich die Patientin langsam. Ein Jahr nach Krankheitsbeginn befindet sich die junge Frau neuropsychologisch auf dem Niveau eines etwa 3-jährigen Kindes.
Rückfall | Zwei Jahre später kommt es zu einem Rezidiv und die Patientin muss erneut intensivmedizinisch behandelt werden. Nach langwierigem Verlauf bessert sich ihr Zustand schließlich. Sie erhält eine dauerhafte immunsuppressive (Azathioprin) und antiepileptische Therapie (Levetiracetam).
Nahezu vollständige Genesung | Fünf Jahre nach Krankheitsbeginn lebt die Patientin ein selbstbestimmtes Leben mit nur relativ geringen neuropsychologischen Einschränkungen. In den jährlichen bildgebenden Kontrollen konnte nie ein Tumor nachgewiesen werden.
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Genese und Manifestation
Definition | Eine Enzephalitis ist eine entzündliche Erkrankung des Hirnparenchyms. Laut Granerod et al. [1] wird die Erkrankung definiert als Bewusstseinsstörungen > 24 h (Lethargie, Irritabilität, Persönlichkeits- oder Verhaltensänderung) mit mindestens zwei der folgenden Symptome:
-
Anfälle bzw. fokale neurologische Defizite (mit nachgewiesener Hirnparenchym-Beteiligung),
-
Fieber / Fieberanamnese (≥ 38 °C) während der aktuellen Erkrankung,
-
Liquorpleozytose (> 4 Leukozyten / μl),
-
EEG-Veränderungen und
-
abnormale Neuro-CT- bzw. -MRT-Befunde.
Eine Enzephalitis geht einher mit fokalen neurologischen Defiziten, kognitiven Einschränkungen und / oder epileptischen Anfällen.
Die jährliche Inzidenz beträgt 2,5 / 100 000 Einwohner, die Mortalität liegt bei ca. 10 %. Man unterscheidet zwischen einer infektiösen (am häufigsten) und autoimmunen Enzephalitis (AE).
Verschiedene Formen | AE werden durch Autoantikörper gegen neuronale und gliale Proteine verursacht [2]. Man differenziert zwischen
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onkoneuronalen Antikörpern gegen intrazelluläre neuronale Antigene und
-
Antikörpern gegen neuronale Zelloberflächenantigene (NOA) oder synaptische Proteine.
Onkoneurale Antikörper resultieren in paraneoplastischen neurologischen Syndromen, Antikörpern gegen extrazelluläre Antigene hingegen in synaptischen Enzephalopathien.
Im Vergleich zu den klassischen paraneoplastischen Enzephalitiden sind Erkrankungen mit Autoantikörpern gegen Zelloberflächen- oder synaptische Proteine neuronaler Strukturen häufiger (▸ [ Abb. 1 ]).
Die wichtigsten Autoantikörper gegen NOA oder synaptische Proteine richten sich gegen
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NMDA-Rezeptoren,
-
AMPA-Rezeptoren,
-
GABA-Rezeptoren,
-
metabotrope Glutamat-Rezeptoren oder
-
Proteine, die in den synaptischen Spalt sezerniert werden (LGl1) und mit Ionenkanälen assoziiert sind (VGKC).
Variable Klinik | AE treten mit unterschiedlichen klinischen Symptomen auf. Hierzu gehören
-
epileptische Anfälle (Temporallappenanfälle),
-
Symptome einer limbischen Enzephalitis (mit entsprechenden neuropsychologischen Auffälligkeiten),
-
zerebelläre Symptome,
-
Opsoklonus- / Myoklonus-Syndrom,
-
Optikopathie oder
-
Stiff-Person-Syndrom.
Oft phasenweiser Verlauf | Die häufigste Antikörper-vermittelte AE ist die NMDA-Rezeptor-Enzephalitis (NMDA-RE). Sie verläuft typischerweise in mehreren Phasen (▸ [ Abb. 2 ]): Nach prodromalen Symptomen wie Kopfschmerzen oder Fieber folgen häufig Verhaltensauffälligkeiten, epileptische Anfälle, autonome Störungen sowie Bewusstseins- und Bewegungsstörungen (▸ [ Tab. 1 ]).
Phase |
Symptome (v. a. NMDA-RE) |
Differenzialdiagnosen |
anamnestisch (Wochen bis Monate) |
Gedächtnisstörungen, „milde“ Wesensänderung, verminderte Leistungsfähigkeit, Schlafstörungen |
depressive Reaktion, Stress, beginnende Demenz |
Prodromi (ca. 1–20 Tage) |
Abgeschlagenheit, subfebrile Temperaturen, Kopfschmerzen |
grippaler Infekt, Meningitis, Enzephalitis, Hirnvenen- / Sinusthrombose, Hirntumor |
psychotische Symptome |
Halluzinationen, Wahn, Depression, Agitiertheit, Suizidalität |
drogeninduzierte Psychose, Schizophrenie, affektive Störungen, Delir |
intensivmedizinisch behandlungspflichtige Symptome |
epileptische Anfälle / Status epilepticus |
Enzephalitis, Epilepsie mit Status, hypertensive Enzephalopathie, Hirntumor, psychogen |
Myoklonien, Dyskinesien |
Entzugssyndrom, Intoxikation, Creutzfeld-Jacob-Erkrankung |
|
autonome Dysregulation mit Hyperthermie, Tachy- / Bradykardie, Asystolie |
Guillain-Barré-Syndrom, Intoxikation |
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Bewusstseinsstörung |
akinetischer Mutismus, depressiver / katatoner Stupor, Basilaristhrombose, Thrombose der inneren Hirnvenen |
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Pathophysiologie
Extrazellulärer Glutamat-Anstieg | Die schweren Symptome einer AE liegen in der Pathophysiologie der Erkrankung begründet. Die Antikörper-vermittelte Inaktivierung GABAerger Neurone führt zu einem extrazellulären Glutamat-Anstieg. Exzitatorische Signalwege werden enthemmt und es kommt zu frontostriatalen Störungen mit dem Erscheinungsbild von Psychose, Katatonie, Mutismus und schweren Dystonien.
Muskelzuckungen und Atemdepression | Durch den gleichen Mechanismus inaktivierter GABAerger Neurone und Abfall der NMDA-Rezeptor-Einflüsse im Hirnstamm entstehen orofazial, an Extremitäten und am Stamm semi-rhythmische Bewegungen. Darüber hinaus wird das medulläre Atemzentrum beeinträchtigt, was mit einer ausgeprägten Hypoventilation verbunden ist.
Oberflächenproteine reduziert | Pathophysiologisch spielt die Internalisierung des NMDA-Rezeptors eine wichtige Rolle. Sie führt zu einem reversiblen, selektiven Abfall der NMDA-Oberflächenproteine. Daraus resultiert ein synaptischer Funktionsverlust, was wiederum zu einer glutamatergen Überaktivität führt [3], [4].
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Diagnostik
Immer öfter erkannt | AE werden immer häufiger und frühzeitiger diagnostiziert – in erster Linie, weil zunehmend daran gedacht wird und die diagnostischen Strategien interdisziplinär weiter verbreitet sind.
Liquordiagnostik | Allgemein findet sich im Liquor ein auffälliger Befund in Form von
-
Pleozytose,
-
positiven oligoklonalen Banden und
-
Blut-Liquor-Schrankenstörung [5].
Die Wahrscheinlichkeit einer lymphozytären Pleozytose nimmt mit zunehmender Dauer der Erkrankung ab (50 % während der ersten 3 Monate, anschließend 30 %). Die Inzidenz der Schrankenstörung nimmt dagegen zu. Bei ca. 7 % der Patienten ist der Liquor komplett unauffällig [6].
Antikörpernachweis | Die Diagnose gilt als gesichert, wenn im Liquor bzw. Serum Antikörper nachgewiesen werden (z. B. gegen Glutamatrezeptoren vom Typ NMDA [NR1-Untereinheit]). Dabei bedient man sich rekombinanter Antigene, welche die Autoantikörper sehr sensitiv binden. Eingesetzt werden standardisierte fluoreszenzmikroskopische Tests (indirekter Immunfluoreszenztest) bzw. lichtmikroskopische Tests (immunhistochemische bzw. immunzytochemische Untersuchungen) mit nicht permeabilisiertem und permeabilisiertem neuronalen Gewebe oder Zellen [7].
Titerbestimmungen können im Einzelfall von prognostischer Bedeutung sein.
Wie relevant der Nachweis von Autoantikörpern des Immunglobulin-M- oder -A-Subtyps ist, ist noch weitgehend ungeklärt. Es gibt darüberhinaus neue Hinweise auf weitere Biomarker mit prognostischer Bedeutung, wie z. B. CXCL13 [8].
Tumorsuche | Für eine Reihe von Antikörper-assoziierten Enzephalitiden sind begleitende oder im Nachhinein diagnostizierte Tumoren beschrieben, insbesondere
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Ovarialteratome bei NMDA-RE oder
-
Bronchial- bzw. Thymus-Karzinom bei AMPA-, GABA- oder VGKC-Antikörper-Enzephalitiden (▸ [ Tab. 2 ] und [ 3 ]).
Antikörper |
Tumorassoziation |
Klinik |
Hu (ANNA-1) |
SCLC, Prostata-Ca, Neuroblastom |
limbische Enzephalitis, Kleinhirndegeneration, Hirnstammenzephalitis |
Yo |
Ovarial-Ca, Mamma-Ca, Uterus-Ca |
Kleinhirndegeneration |
Ri (ANNA-2) |
Mamma-Ca, Ovarial-Ca, SCLC |
Rhombenzephalitis, Opsoklonus-Myoklonus Syndrom, Kleinhirndegeneration |
Ma / Ta |
Keimzelltumor |
limbische Enzephalitis, Rhombenzephalitis |
GAD65 |
Neuroendokrine Tumore |
Stiff-Person-Syndrom, Kleinhirndegeneration |
Amphiphysin |
Mamma-Ca, SCLC |
limbische Enzephalitis, Kleinhirndegeneration, Polyneuropathie, Stiff-Person-Syndrom |
CV2/CRMP5 |
SCLC, Thymom |
limbische Enzephalitis, Enzephalomyelitis, Polyneuropathie, Chorea |
PCA-2 |
SCLC |
Lambert-Eaton-Myasthenie, Enzephalitis |
ANNA: anti-neuronale nukleäre Antikörper, Ca: Karzinom, CRMP: Collapsin-Response-Mediator-Protein, GAD: Glutamat-Decarboxylase, PCA: „Purkinje-cell-antibody“, SCLC: kleinzelliges Lungenkarzinom („small cell lung carcinoma“) |
Antikörper |
Tumorassoziation |
Klinik |
NMDA |
~50 %, Ovarialteratom |
limbische Enzephalitis |
VGKC |
~10 %, Lunge, Thymus |
limbische Enzephalitis |
AMPAR |
~50 %, Lunge, Mamma, Thymus |
Psychose |
mGluR1/5 |
100 %, Mb Hodgkin |
Ataxie / limbische Enzephalitis |
GABA |
~50 %, Lunge |
limbische Enzephalitis |
AMPAR: α-Amino-3-Hydroxy-5-Methyl-4-Isoxazolpropionsäure-Rezeptor GABA: γ-Aminobuttersäure, mGluR: metabotroper Glutamatrezeptor, NMDA: N-Methyl-D-Aspartat, VGKC: „voltage-gated potassium channels“ |
Daher sollte immer intensiv nach Tumoren gesucht werden mit gynäkologischer / urologischer Untersuchung und bildgebenden Verfahren, z. B. Sonografie, MRT (oder CT) und ggf. FDG-PET / CT [9].
In Ausnahmefällen sind explorative Laparoskopien und ggf. Probeexzisionen (z. B. von Ovarien) gerechtfertigt, um Mikro-Tumore zu detektieren und zu entfernen.
Bildgebung und EEG | In der kranialen MRT stellen sich bei ca. der Hälfte der Fälle vornehmlich mesiotemporale FLAIR- / T2-Hyperintensitäten dar. Im EEG fallen meist unspezifische Allgemeinveränderungen mit δ- / ϑ-Aktivität auf. Ein typischer Befund bei NMDA-RE ist ein unregelmäßiger δ-Rhythmus mit überlagerten β-Abläufen („extreme delta brush“; ▸ [ Abb. 3 ]) [10].
Differenzialdiagnosen | Die wesentlichen Differenzialdiagnosen sind:
-
virale Enzephalitis (humanes Herpesvirus 6, Varicella-zoster-Virus, Cytomegalievirus),
-
Enzephalopathien (metabolisch, endokrinologisch, Intoxikation),
-
rheumatologische Erkrankungen (Sjögren-Syndrom, Lupus erythematoides, Antiphospholipid-Syndrom),
-
zerebrale Vaskulitis,
-
Morbus Whipple,
-
Susac-Syndrom,
-
akute Psychose / einlaufende Schizophrenie,
-
malignes neuroleptisches Syndrom und
-
Hirntumoren.
ADEM ausschließen | Differenzialdiagnostisch ist insbesondere bei Kindern auch die akute disseminierte Enzephalomyelitis (ADEM) zu erwähnen. Bei Kindern mit ADEM finden sich häufig MOG-Antikörper, bei Erwachsenen lassen sich hingegen meist keine Antikörper nachweisen.
Besonders bei der Diagnose „Enzephalitis ohne Erregernachweis“ sollte eine autoimmune Enzephalitis in Betracht gezogen werden.
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Therapie
Interdisziplinäre Erkrankung | In die Behandlung einer AE sind neben Neurologen und Intensivmedizinern u. a. Spezialisten aus der Kindermedizin, Psychiatrie, Gynäkologie, Endokrinologie und Onkologie involviert. Bei ca. 70 % der Patienten treten schwerwiegende Komplikationen und Probleme auf (▸ [ Tab. 4 ]) [11], wie
Klinischer Parameter |
Problemfelder / Komplikationen |
Vigilanzminderung |
|
Hyperkinesie |
|
Epileptischer Status |
|
Autonome Störungen |
|
Sonstige Komplikationen |
|
-
qualitative und quantitative Bewusstseinsstörungen mit Delir, Psychose und Stupor bis hin zum Koma,
-
massivste Bewegungsstörungen der Extremitäten (Hyperkinesen) und
-
ausgeprägte autonome Dysfunktionen (v. a. therapierefraktäre Hyperthermie).
Multimodale Therapie ratsam | Therapieempfehlungen für die AE beruhen derzeit noch auf Erfahrungen aus Observationsstudien und Fallserien, kontrollierte Studien existieren nicht. In den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie [2] wird empfohlen, bereits bei ausreichendem klinischen Verdacht (insbesondere wenn dieser durch den kranialen MRT-Befund gestützt wird) eine multimodale Immuntherapie einzuleiten.
Bevor eine Therapie begonnen wird, sollte Material für die Antikörperdiagnostik gewonnen werden.
Die multimodale Therapie umfasst (▸ [ Tab. 5 ])
Therapieform |
Maßnahme |
Therapieschema |
Primärtherapie |
Immunadsorption |
z. B. 4–8 Sitzungen (Umsatz abhängig von Adsorber-Technik) |
Plasmapherese |
z. B. insgesamt 250 ml / kg KG über 5 Sitzungen |
|
intravenöse Immunglobuline |
0,4 g / kg KG für 5 Tage |
|
Kortikoide |
1 g i. v. für 5 Tage |
|
Sekundärtherapie |
Rituximab |
375 mg / m2 / Woche für 4 Wochen, alternativ: 1 g an Tag 1 und Tag 15 |
Cyclophosphamid |
750 mg / m2 (ggf. mit der 1. Rituximab-Dosis), dann 1x pro Monat |
|
Langfristige Therapie (mind. 1 Jahr) |
Azathioprin, Mycophenolat-Mofetil, Cyclosporin A |
– |
-
Steroidpuls,
-
orale Langzeitsteroidgabe,
-
Zytostatika,
-
monoklonale Antikörper,
-
intravenöse Immunglobuline und
-
Aphereseverfahren.
Die Behandlung sollte anschließend an die Ergebnisse der Antikörperdiagnostik angepasst werden.
Studien- und Erfahrungslage | Eine frühe Therapie mit Steroiden, Immunglobulinen oder Plasmapheresen scheint den Verlauf und das klinische Ergebnis günstig zu beeinflussen [12]. Erste retrospektive Untersuchungen zu Plasmapharese und Immunadsorption zeigen gute Ansprechraten mit schneller klinischer Besserung der initialen Beschwerden [13]. Sprechen die Patienten nicht auf die Therapie an, können Rituximab und Cyclophosphamid versucht werden [11]. Nach unseren Erfahrungen sollte schon bei begründetem Verdacht auf eine AE – nach Ausschluss der relevanten Differenzialdiagnosen – eine frühzeitige therapeutische Apherese (Immunadsorption) mit einer Steroidgabe kombiniert werden.
Um die Therapie zu steuern, ist es entscheidend, zwischen Antikörpern gegen intra- und extrazelluläre Proteine zu differenzieren.
Tumortherapie | Werden paraneoplastische Antikörper gegen intrazelluläre Antigene nachgewiesen, wird bei entsprechendem Tumornachweis in erster Linie der Tumor behandelt. Eine erfolgreiche Tumortherapie ist mit einer Stabilisierung der neurologischen Symptomatik assoziiert. Da die Antikörper hier keine pathogenetische Bedeutung besitzen, ist keine Plasma- oder Apheresebehandlung indiziert. Eine Immunsuppression zusätzlich zur systemischen Tumortherapie wird nicht generell empfohlen, kann im Einzelfall aber sinnvoll sein [14]. Eine Überlegenheit einzelner Substanzen ist nicht gesichert, jedoch beinhaltet das Therapieschema üblicherweise Cyclophosphamid.
Immuntherapie | Werden Antikörper gegen extrazelluläre Oberflächenantigene nachgewiesen, sollte die immunmodulatorische Therapie stets fortgesetzt werden. Entsprechend der gefundenen Antikörper existieren Empfehlungen, die auf Fallserien basieren. Da kontrollierte Studien fehlen, kann letztlich keine immunmodulatorische Therapie als sicher überlegen angesehen werden. Da die verschiedenen Antikörper mit spezifischen Tumoren assoziiert sind, ergibt sich (soweit noch nicht erfolgt) weiterer diagnostischer Handlungsbedarf. Die Resektion dieser Tumoren ist vordringlich und bestimmt neben dem schnellen Beginn der immunmodulatorischen Therapie wesentlich die Langzeitprognose der Patienten.
Probatorische Therapie | Es gibt eine beträchtliche Zahl von Patienten, die AE-ähnliche klinische Charakteristika und Bildgebungsbefunde aufweisen, bei denen sich aber keine antineuronalen Antikörper nachweisen lassen. Hier sollte eine immunsuppressive Therapie für maximal 3 Monate versucht werden. Danach sollte die Behandlung nur bei regredienter Symptomatik fortgeführt werden.
Langzeittherapie | Bei Rezidiven oder schweren Verläufen ist der Nutzen einer langfristigen immunsuppressiven Basistherapie (z. B. mit Methotrexat, Azathioprin) und Therapieeskalation (Immunadsorption / Plasmapherese, monoklonale Antikörper) zwar nicht studienunterlegt, aber naheliegend und empfehlenswert.
Kaum intensivmedizinische Evidenz | Einzigartige und besonders langwierige bzw. therapierefraktäre Verläufe sind intensivmedizinisch besonderes anspruchsvoll. Über intensivmedizinische Behandlungsaspekte existieren allerdings nur wenige, häufig zentrumsspezifische und nicht studienbasierte Erfahrungen. Dies gilt insbesondere in Hinsicht auf optimale Analgosedierungs- und Beatmungsschemata sowie Konzepte für die Behandlung von autonomen (v. a. hyperthermen) Krisen, Myoklonien und refraktären epileptischen Anfällen.
„Off-label“-Therapie | Bei Patienten mit schwersten Hyperkinesien der Extremitäten und des Körperstammes, die auf Benzodiazepine oder Antieplieptika nur unzulänglich ansprechend, ist eine Beatmung häufig nicht ohne Muskelrelaxation möglich. Im Einzelfall kann hier eine inhalative „off-label“-Analgosedierung mit Iso- oder Sevofluran effektiv sein [15]. Hypertherme Phasen im Rahmen von autonomen Störungen machen es häufig nötig, Dantrolen „off-label“ anzuwenden.
Im Rahmen der Therapie können enorme medizinethische Probleme auftreten (z. B. bei einer explorativen Ovarektomie bei Patientinnen im gebärfähigen Alter zur Detektion und Entfernung eventueller Mikroteratome).
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Prognose
Grunderkrankung entscheidend | Die Prognose einer AE hängt im Wesentlichen von der Grunderkrankung ab. Enzephalitiden mit Antikörpern gegen Oberflächenantigene haben grundsätzlich eine bessere Prognose als AE mit Antikörpern gegen intrazelluläre Antigene. Dies gilt jedoch nur, wenn die Diagnose frühzeitig gestellt und die Grunderkrankung erfolgreich behandelt wurde (z. B. Tumorexstirpation).
Insbesondere bei Enzephalitiden mit Antikörpern gegen intrazelluläre Proteine hängt die Prognose von den Behandlungsmöglichkeiten des ursächlichen Tumors ab.
Die Prognose von Enzephalitiden mit Antikörpern gegen Oberflächenantigene hängt dagegen stark davon ab, dass die Apherese- bzw. Immuntherapie frühzeitig eingeleitet wird. Beispielsweise wird bis zu 81 % der NMDA-RE-Fälle eine gute Prognose zugeschrieben. Die Chance einer Remission wächst, je
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früher die Diagnose gestellt wird (< 4 Monate nach Symptombeginn) und
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zeitiger ein zugrundeliegender Tumor detektiert und entfernt wird.
Langzeitschäden möglich | Ein Teil der NMDA-RE-Patienten weist mehr oder weniger subtile Spätschäden auf. Meist handelt es sich dabei um neuropsychologische Langzeitdefizite oder Auffälligkeiten (häufig bzgl. frontaler Funktionen). Ist es nicht möglich, den Tumor zu entfernen bzw. wird keiner gefunden, ist mit schwerwiegenderen neurologischen Defiziten – aber auch letalen Verläufen in ca. 7 % der Fälle – zu rechnen.
Komplikations- und Rezidivrisiko | Vor allem intensivpflichtige Patienten (> 4 Tage Aufenthalt auf der Intensivstation) haben ein erhöhtes Risiko für einen komplikationsreichen oder letalen Verlauf [16]. Außerdem sind auch Rezidive enzephalitischer Syndrome in mindestens 12 % der Fälle beschrieben – abhängig davon, wie schnell die Erkrankung erkannt und behandelt wurde [11], [12].
Mit zunehmendem Alter sinkt die AE-Inzidenz, allerdings verschlechtert sich die Prognose [12].
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Fazit
Autoimmune Enzephalitiden sind noch ein relativ neues neurologisches Krankheitsbild. Um die vielen offenen Fragen zu klären, ist es notwendig und wünschenswert, Erkenntnisse und Erfahrungen bzgl. Diagnostik und Therapie auszutauschen, weiterzugeben und die neuroimmunologischen und pathophysiologischen Mechanismen gemeinsam weiter zu erforschen. Zur Kontaktaufnahme steht hierzu das deutschlandweite Spezialisten-Netzwerk GENERATE („GErman NEtwork for Research on AuToimmune Encephalitis“) zur Verfügung: www.generate-net.de.
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Enzephalitische Symptome umfassen Kopfschmerzen, Wesensveränderung, psychotische Symptome, epileptische Anfälle, neuropsychologische Auffälligkeiten und Bewegungsstörungen.
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Zur zielführenden Diagnostik gehört der Antikörpernachweis in Liquor bzw. Serum (ggf. in einem Referenzlabor) sowie die Tumorsuche. Ein MRT kann helfen, Differenzialdiagnosen auszuschließen.
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Die Therapie sollte möglichst früh und, falls nötig, aggressiv erfolgen.
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Langfristig kann eine immunsuppressive bzw. -modulatorische Erhaltungstherapie sinnvoll sein, um Rezidiven vorzubeugen.
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Eine neurologische Nachsorge ist obligat.
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Glossar
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Dr. med. Albrecht Günther
ist Facharzt für Neurologie, Schwerpunkt Neurologische Intensivmedizin und Oberarzt der Hans-Berger-Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Jena.
albrecht.guenther@med.uni-jena.de
Dr. med. Julia Schubert
ist Assistenzärztin der Hans-Berger-Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Jena.
julia.schubert@med.uni-jena.de
Dr. med. Dirk Brämer
ist Facharzt für Neurologie der Hans-Berger-Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Jena.
dirk.braemer@med.uni-jena.de
Prof. Dr. med. Otto W. Witte
ist Facharzt für Neurologie und Direktor der Hans-Berger-Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Jena.
otto.witte@med.uni-jena.de
Interessenkonflikt
AG gibt an, Vortragshonorare von Fresenius Medical Care erhalten zu haben. JS, DB und OWW geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Literatur
- 1 Granerod J, Ambrose HE, Davies NW et al. Causes of encephalitis and differences in their clinical presentations in England: a multicentre, population-based prospective study; UK Health Protection Agency (HPA) Aetiology of Encephalitis Study Group. Lancet Infect Dis 2010; 10: 835-844
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- 3 Dalmau J, Lancaster E, Martinez-Hernandez E et al. Clinical experience and laboratory investigations in patients with anti-NMDAR encephalitis. Lancet Neurol 2011; 10: 63-74
- 4 Dalmau J, Gleichman AJ, Hughes EG et al. Anti-NMDA-receptor encephalitis: case series and analysis of the effects of antibodies. Lancet Neurol 2008; 7: 1091-1098
- 5 Prüss H, Dalmau J, Arolt V et al. [Anti-NMDA-receptor encephalitis. An interdisciplinary clinical picture]. Nervenarzt 2010; 81: 396-408
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- 7 Wandinger KP, Probst C, Komorowski L et al. Recombinant immunofluorescence assay for the detection of anti-glutamate receptor (type NMDA) antibodies in the differential diagnosis of autoimmune encephalitis. In: Conrad K, Chan EKL, Fritzler MJ, Humbel RL, von Landenberg P, Shoenfeld Y (Hrsg). From pathogenesis to therapy of autoimmune diseases: Autoantigens, autoantibodies, autoimmunity. Lengerich: Pabst; 2009: 1091-1098
- 8 Leypoldt F, Höftberger R, Titulaer MJ et al. Investigations on CXCL13 in anti-N-methyl-D-aspartate receptor encephalitis: a potential biomarker of treatment response. JAMA Neurol 2015; 72: 180-186
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Korrespondenz
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