Dtsch Med Wochenschr 2015; 140(05): 364-365
DOI: 10.1055/s-0041-100613
Fachwissen
Standpunkt
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Ist wissenschaftliches Fehlverhalten vermeidbar?

Wissenschaftsskandal 2014: Stammzellstudie gefälschtIs scientific misconduct preventable? Stem cell scandal 2014: study was faked
Hubert E. Blum
1   Klinik für Innere Medizin II, Medizinische Universitätsklinik Freiburg
› Author Affiliations
Further Information

Korrespondenz

Prof. Dr. med. Dr. h. c. mult. Hubert E. Blum
Klinik für Innere Medizin II
Medizinische Universitätsklinik
Hugstetter Straße 55
79106 Freiburg
Phone: 0761–270 18 116   
Fax: 0761–270 18 117   

Publication History

Publication Date:
03 March 2015 (online)

 

Anfang 2014 schien ein Meilenstein der Stammzellforschung erreicht zu sein: Forscher aus Japan hatten unipotente differenzierte Körperzellen durch Säureeinwirkung zu pluripotenten Stammzellen umprogrammiert – ganz ohne Gentransduktion, und damit auch ohne das Risiko von irreversiblen genomischen Veränderungen. Die Ernüchterung folgte allerdings sehr schnell: Die Studie war gefälscht. Wie konnte es dazu kommen? Wie kann ein solches wissenschaftliches Fehlverhalten entstehen – und noch wichtiger: Wie kann es vermieden werden?


#

Grundlagen der Stammzellforschung

Embryonale und adulte Stammzellen | Pluripotente Stammzellen sind Körperzellen mit unterschiedlichem Proliferations- und Differenzierungspotenzial.

  • Embryonale Stammzellen werden pränatal aus Blastozysten gewonnen und sind toti- oder pluripotent.

  • Adulte Stammzellen hingegen lassen sich aus verschiedenen Geweben bzw. Organen postnatal isolieren und sind multipotent.

Adulte Stammzellen finden sich z. B. im peripheren Blut sowie in zahlreichen Geweben bzw. Organen. Sie haben ein großes therapeutisches Potenzial, insbesondere für den Zell-, Gewebe- und Organersatz.

Reprogrammierung durch Gentransduktion zu iPS | Ein großer wissenschaftlicher Durchbruch war die Umwandlung in vitro von unipotenten differenzierten Körperzellen, z. B. von Hautfibrolasten, zu pluripotenten Stammzellen, den sogenannten induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS). So gelang es 2006 einem japanischen Forscherteam [1] ausdifferenzierte Fibroblasten von adulten Mäusen in vitro durch retrovirale Infektion mit Expressionsvektoren für 4 Gene (mOct4, mSox2, mKlf4 und c-Myc) zu iPS zu reprogrammieren. Darüber hinaus konnten die Forscher zeigen, dass iPS auch durch Transduktion von nur drei Genen (hOct4, hSox2 und hKlf4) generiert werden können. Die 3-Gen-Strategie ist weniger effizient. Sie umgeht jedoch Risiko der Tumorentstehung, das mit der Transduktion des Onkogens c-Myc assoziiert ist [2] (Abb.  [ 1 ]). Die Generierung von induzierten pluripotenten Stammzellen von Mäusen (miPS) wurde nachfolgend reproduziert, optimiert und auf humane iPS (hiPS) erweitert [3].

Zoom Image
Abb. 1 Prinzip der In-vitro-Reprogrammierung von differenzierten unipotenten somatischen Zellen zu pluripotenten Zellen. a) Generierung von induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS) durch retrovirale Infektion und nukleäre Integration von drei oder vier Transkriptionsfaktorgenen, Kultur unter ES-Bedingungen, Injektion in Blastozyste und Reifung zum Embryo. b) Vermeintlicher Generierungsweg durch transienten drastischen pH-Stress. Dies stellte sich als Fälschung heraus. c) Direkte Reprogrammierung von einem differenzierten Zelltyp zu einem anderen. ES = embryonale Stemmzelle. (nach [7]).

Klinische Anwendung mit Bedenken | Dennoch bestehen wegen der genetischen Abnormalitäten der reprogrammierten Stammzellen zahlreiche Bedenken gegen die klinische Anwendung von iPS [4]. Für ihre grundlegenden Beiträge und die Entdeckung der genetischen Reprogammierung differenzierter Körperzellen in pluripotente Stammzellen wurden Gurdon / UK und Yamanaka / Japan 2012 mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin ausgezeichnet.

Zu perfekt: iPS ohne Gentransduktion | Im Januar 2014 wurde die Fachwelt durch die Entdeckung überrascht, dass unipotente differenzierte Körperzellen auch ohne Gentransduktion zu pluripotenten Stammzellen reprogrammiert werden können. Obokata et al. vom RIKEN Center of Developmental Biology in Kobe / Japan berichteten [5], dass Lymphozyten aus der Milz von Mäusen z. B. nach einem “Säurestress“ in vitro zu pluripotenten, sogenannten „Stimulus-Triggered Acquisition of Pluripotency (STAP)-Zellen“ reprogrammiert werden konnten. Sie zeigten ferner, dass STAP-Zellen nicht nur aus Lymphozyten, sondern auch aus anderen Zellen und Geweben, wie z. B. aus Gehirn, Haut, Skelett- und Herzmuskel, Fett, Knochenmark und Leber, hergestellt werden können. Zeitgleich publizierte die Arbeitsgruppe ferner, dass sich aus STAP-Zellen z. B. auch embryonale Gewebe entwickeln können [6].

Ergebnisse nicht reproduzierbar | Die Entdeckung der STAP-Zellen wurde als wissenschaftlicher und klinisch-translationaler Meilenstein in der Stammzellforschung gewertet [7]. Die Stammzellforschung ist weltweit von großem Interesse, sodass rasch zahlreiche experimentelle Details hinterfragt und erste Zweifel an der Reproduzierbarkeit der Daten laut wurden. Im Februar 2014 initiierte das RIKEN Center eine eigene Untersuchung, die wissenschaftliches Fehlverhalten der Erstautorin und fehlende Sorgfalt von Mitarbeitern und Koautoren nachwies. Im Juli 2014 wurde die Arbeit von Nature zurückgezogen [8].


#

Wissenschaftliches Fehlverhalten

Wie es entsteht | Die Motive für wissenschaftliches Fehlverhalten und seine Formen sind außerordentlich vielfältig. Führend ist sicherlich die individuelle Reputation des Forschers – sie definiert sich über Drittmittelakquisition und Publikationen in wissenschaftlichen Journalen mit hohem Impact.

Vorsätzliche Fälschung | Eine häufige Form ist die reine Erfindung bzw. Erzeugung von Daten ohne Experimente („dry labbing“) oder die vorsätzliche Fälschung von Daten:

  • Manipulation von Forschungsmaterial,

  • Fehlangaben zu Geräten oder Prozessen,

  • Weglassen bzw. ändern von Daten bzw. Resultaten, die den genauen Versuchsablauf nicht mehr rekonstruieren lassen.

Literaturdaten weglassen | Die vorsätzliche Fälschung schließt auch die Verwendung falscher Literaturstellen ein, die ein Argument unterstützen bzw. nicht unterstützen sollen. Aber auch Daten, die nicht den Erwartungen des Forschers oder des Sponsors entsprechen, wegzulassen oder nicht zu veröffentlichen, ist als wissenschaftliches Fehlverhalten zu werten.

Autorenschaft | Weitere Formen der Fälschung sind Plagiate – also wenn Ideen und Resultate anderer Forscher nicht genannt werden, auch im Sinne der Priorität der Forschungsleistung. Last but not least zählt hierzu auch die Nichtberücksichtigung von verdienten Koautoren ebenso wie die Berücksichtigung von Autoren, die nur marginal oder gar nicht an dem Projekt beteiligt waren.


#

Fehlverhalten verhindern

Gutes Forschungsklima schaffen | Wissenschaftliches Fehlverhalten lässt sich nicht absolut ausschließen. Trotzdem müssen alle Möglichkeiten exploriert werden, dies zu verhindern bzw. frühzeitig zu entdecken. Hierzu gehört in erster Linie der verantwortungsvolle Umgang der Forscher selbst – Autoren wie Koautoren – mit den Forschungsresultaten. Das bedeutet:

  • Forschungsresultate während der gesamten Laufzeit eines Forschungsprojektes von der Planung über die Durchführung bis zur Publikation ständig intern diskutieren und bewerten. Und dies unter aktiver Einbeziehung der forschungserfahrenen „Senior Scientists“.

Dadurch sollte eine Instituts-interne Forschungskultur entstehen, die wissenschaftliches Fehlverhalten minimiert bzw. idealerweise ausschließt.

Mechanismen zur Verhinderung schaffen | Auch Forschungs- und Fördereinrichtungen müssen „wissenschaftliches Fehlverhalten“ thematisieren und auf die bestehenden Mechanismen zu deren Verhinderung bzw. frühzeitige Identifikation hinweisen. Z. B.:

  • schriftliche Bestätigung der Beachtung der Regeln guter wissenschaftlicher Praxis zu Beginn eines Projektes,

  • sorgfältige wahrheitsgemäße und komplette Datendokumentation,

  • ggf. Ansprechen von Ombudspersonen u. a. m.

Peer Review | Last but not least kommt dem Peer-Review-System der Wissenschaftsjournale eine hohe Verantwortung durch die Auswahl qualifizierter und unabhängiger Gutachter zu.


#
#

Prof. Dr. med. Dr. h.c. mult. Hubert E. Blum

Zoom Image

ist em. Direktor der Klinik für Innere Medizin II, Medizinische Universitätsklinik Freiburg


hubert.blum@uniklinik-freiburg.de.

Interessenkonflikte: Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht


Korrespondenz

Prof. Dr. med. Dr. h. c. mult. Hubert E. Blum
Klinik für Innere Medizin II
Medizinische Universitätsklinik
Hugstetter Straße 55
79106 Freiburg
Phone: 0761–270 18 116   
Fax: 0761–270 18 117   


Zoom Image
Zoom Image
Abb. 1 Prinzip der In-vitro-Reprogrammierung von differenzierten unipotenten somatischen Zellen zu pluripotenten Zellen. a) Generierung von induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS) durch retrovirale Infektion und nukleäre Integration von drei oder vier Transkriptionsfaktorgenen, Kultur unter ES-Bedingungen, Injektion in Blastozyste und Reifung zum Embryo. b) Vermeintlicher Generierungsweg durch transienten drastischen pH-Stress. Dies stellte sich als Fälschung heraus. c) Direkte Reprogrammierung von einem differenzierten Zelltyp zu einem anderen. ES = embryonale Stemmzelle. (nach [7]).