Schlüsselwörter
Psychokardiologie - Angst - Depression - Herzkrankheit - psychologische Faktoren
Key Words
psychocardiology - anxiety - depression - heart disease - psychological factors
Patienten mit Herzerkrankungen leiden häufig unter psychischen Komorbiditäten. Diese
senken die Lebensqualität der Betroffenen und wirken sich negativ auf Entstehung und
Verlauf von Herzerkrankungen aus. Insbesondere Depression, Angst und posttraumatische
Belastungsstörung (PTBS) können die Hospitalisierungs-, Morbiditäts- und Mortalitätsrate
ansteigen lassen. Eine frühe Diagnose und Behandlung der psychischen Störungen sind
unumgänglich. Die Psychokardiologie befasst sich mit dem Zusammenspiel kardialer Erkrankungen
und psychischer Veränderungen sowie mit den darauf einwirkenden psychosozialen Faktoren.
Der konkrete Fall
Herr M., ein 55-jähriger Patient, kommt nach mehrfachen adäquaten Schockabgaben seines
implantierten Cardioverter Defibrillators (ICD) in psychotherapeutische Behandlung.
Anamnese
| Bei dem Patienten wurde 9 Jahre zuvor primärprophylaktisch ein ICD implantiert. Grund
war eine ischämische Kardiomyopathie mit hochgradig eingeschränkter linksventrikulärer
Pumpfunktion nach Hinterwandinfarkt. Er berichtet über einen Kreislaufkollaps nach
multiplen adäquaten Schockabgaben infolge ventrikulärer Tachykardien – einem sog.
elektrischen Sturm. Der Zusammenbruch ereignete sich am Straßenrand. Trotz mehrfacher
Hilferufe kam erst nach 15 min zufällig eine Ärztin vorbei, die ihn notfallmäßig versorgte.
Herr M. empfand die Schockabgaben als extrem schmerzhaft. Er hatte Angst – sogar Todesangst
– Schlafstörungen und Alpträume nach diesem Ereignis. Seither halte er sich fast ausschließlich
im Haus auf, um ähnliche Situationen und Erinnerungen zu vermeiden. Auch immer wiederkehrende
Erinnerungen an das Erlebnis quälten ihn.
Diagnose und Behandlung | Der Patient leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Behandlungsschwerpunkte
liegen zunächst auf dem Abbau von Ängsten bei körperlicher Belastung und auf einer
Steigerung der Anpassungsfähigkeit an das Gerät.
Konfrontationstherapie
| Nach Stabilisierung des Patienten beginnt eine Traumatherapie mittels kognitiver,
konfrontativer und imaginativer Techniken: Wesentlicher Inhalt der Therapie ist die
Konfrontation mit dem traumatischen Ereignis, zunächst nur in der Vorstellung des
Patienten („in sensu“). Dann sucht er mit Unterstützung der Therapeutin den Ort des
Geschehens auf – für den Patienten ein hoch belastendes Erlebnis. Er befand sich dabei
in einem körperlich und emotional stark erregten Zustand. Ziel dieser Konfrontationstherapie
ist, dass Herr M. die Exposition und die Übererregung („Hyperarousal“) aushält, um
damit die Anspannung zu reduzieren. Diesen Schritt meistert er erfolgreich.
Rescripting-Therapie
| Danach gelingt ihm auch das sog. „Rescripting“: Als eigener Regisseur schreibt er
das traumatische Ereignis so um, dass er ihm damit die Bedrohlichkeit nimmt. Nach
Konfrontations- und Rescripting-Therapie geht die PTBS-Symptomatik deutlich zurück.
Herr M. leidet seitdem nicht mehr unter Alpträumen, ist ruhiger geworden und traut
sich wieder mehr zu. Auch die ständigen Bilder des Ereignisses sind nur noch selten
präsent. Wenn sie doch auftreten, weiß er, wie er damit umgehen kann.
Herzerkrankung und Psyche
Herzerkrankung und Psyche
Psychokardiologie | Kardiovaskuläre Erkrankungen sind die häufigste Todesursache in der westlichen Welt
[1]. Herzerkrankungen wie die
-
koronare Herzkrankheit,
-
Herzinsuffizienz oder
-
Rhythmusstörungen
können je nach Schweregrad der Erkrankung die kognitive Funktionalität, das psychische
Wohlbefinden und die Lebensqualität der Betroffenen erheblich beeinträchtigen. Die
Psychokardiologie beschäftigt sich mit dem Zusammenhang von Herzkrankheiten und psychischen
Störungen, da diese sich reziprok beeinflussen können.
Risikofaktoren
| Risikofaktoren für die Entstehung kardiovaskulärer Erkrankungen sind
-
arterielle Hypertonie,
-
Hyperlipidämie,
-
Rauchen,
-
Diabetes mellitus und
-
Adipositas.
Dabei sind psychische Störungen wie z. B. Depression und Angststörungen eigenständige
kardiale Risikofaktoren. Psychosoziale Belastungen und chronischer Stress können zudem
auch die klassischen Risiken verstärken: Eine betroffene Person raucht vielleicht
vermehrt, isst mehr und nimmt dementsprechend zu oder hat hypertensive Blutdruckwerte.
Solche Belastungen tragen somit zur Entwicklung von Herzerkrankungen bei.
Der Einfluss psychischer Faktoren auf die Entstehung und den Verlauf kardialer Erkrankungen
wird oftmals übersehen.
Psychische Störungen
| Die psychische Gesundheit ist eng mit der Funktionalität des Herzens verbunden. Psychische
Beschwerden können zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Krankheitsverlauf auftreten:
Sie können
-
als eigenständiger Risikofaktor zur Entstehung der Krankheit beitragen,
-
als komorbide Erkrankung den Krankheitsverlauf negativ beeinflussen oder
-
durch die kardiale Erkrankung ausgelöst oder verstärkt werden.
Eine psychische Störung kann die Lebensqualität der Betroffenen erheblich beeinträchtigen.
Besonders
beeinflussen den Verlauf von Herzerkrankungen. Dennoch werden psychologische Aspekte
von Herzerkrankungen oft vernachlässigt.
Koronare Herzkrankheit (KHK)
Koronare Herzkrankheit (KHK)
Risikofaktoren
| Relevante psychosoziale Risikoindikatoren der koronaren Herzerkrankung (KHK) sind
ein niedriger sozioökonomischer Status und chronischer Stress am Arbeitsplatz wie
z. B.
-
eine niedrige berufliche Hierarchieposition,
-
hohe Arbeitsanforderungen bei niedrigem Handlungsspielraum,
-
dauerhafte Schichtarbeit und
-
die Doppelbelastung durch Familie und Beruf [2].
Auch geringe soziale Unterstützung vergrößert die Wahrscheinlichkeit, dass eine KHK
auftritt und ist bei vorbestehender KHK mit einer erhöhten Mortalität assoziiert [3]. Die Einstellung des Partners gegenüber der Erkrankung und dessen Verhalten beeinflussen
in hohem Maß das Gesundheits- und Krankheitsverhalten der Betroffenen. Patienten mit
überfürsorglichen Lebenspartnern etwa berichten eine geringere Lebensqualität und
höhere psychische Belastung [4].
Angst
| Psychische Störungen wie Angststörungen und Depression üben einen negativen Einfluss
auf die Entwicklung und den Verlauf von kardiologischen Erkrankungen aus. Sie können
aber auch selbst durch kardiologische Erkrankungen hervorgerufen oder in ihrer Entstehung
begünstigt werden. Angst erhöht laut einer Metaanalyse von Roest et al. das Risiko
für eine KHK um 26 % und das Mortalitätsrisiko um 48 % [5]. Akute psychische Belastungen können sich aber auch zusätzlich negativ auf das Krankheitsverhalten
auswirken, indem die Patienten Symptome
-
vermindert wahrnehmen,
-
fehlinterpretieren oder
-
verleugnen.
So kann Angst z. B. die Schmerzwahrnehmung senken [6], wodurch die Betroffenen verspätet ärztliche Hilfe aufsuchen.
PTBS
| Insbesondere nach akutem Myokardinfarkt können Patienten eine PTBS entwickeln [7]. Sie erleben häufig „Flashbacks“ – sich aufdrängende, wiederholte Erinnerungen an
das traumatisierende Ereignis – und vermeiden Situationen, die sie mit dem Herzinfarkt
in Verbindung bringen. Oft leiden die Betroffenen auch an vegetativer Übererregtheit
mit übersteigerter Schreckhaftigkeit und Schlafstörungen. Die PTBS nach kardialem
Ereignis ist mit einer deutlich verringerten Lebensqualität assoziiert – die Wahrscheinlichkeit
einer kardiovaskulären Rehospitalisierung innerhalb eines Jahres ist mehr als doppelt
so hoch [7].
Depression und KHK
| Depressive Symptome mit Gefühlen der Niedergeschlagenheit, Hoffnungslosigkeit und
Antriebslosigkeit treten bei 20–50 % der Patienten mit KHK auf. Bei 15–20 % der Betroffenen
liegt eine ausgeprägte klinische Symptomatik im Sinne einer Depression vor [2]. Diese ist geprägt von einer anhaltenden depressiven Verstimmung über mehr als 2
Wochen mit Interessen- und Freudlosigkeit. Das Risiko für eine Depression ist bei
Frauen unter 60 Jahren nach einem Herzinfarkt mit bis zu 40 % besonders hoch [8]. Depressive Symptome steigern wiederum das Risiko für eine koronare Herzerkrankung
und haben einen negativen Effekt auf den Krankheitsverlauf [2].
Der bidirektionale Zusammenhang zwischen KHK und Depression ist besonders problematisch,
da Depression und Depressivität zum einen das Risiko für eine koronare Herzerkrankung
steigern. Zum anderen können sie aber auch aus einer Herzerkrankung resultieren und
die Prognose beeinträchtigen.
Sowohl biologische als auch Verhaltensprozesse erklären die Verbindung von Depression
und kardialen Ereignissen. Einerseits können pathophysiologische Veränderungen bei
Patienten mit Depression zu einer Progression der Arteriosklerose führen [9]. Von zentraler Bedeutung sind hierbei:
-
der Einfluss einer chronisch erhöhten Aktivität des sympathischen Nervensystems
-
Dysfunktionen des endokrinen Systems wie eine gesteigerte Aktivierung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse
Des Weiteren ist Depression mit inflammatorischen Prozessen assoziiert, die zu einem
ungünstigen Verlauf beitragen: z. B. erhöhte Konzentrationen von Interleukin-6 und
C-reaktivem Protein und eine vermehrte Thrombozytenaktivität. Andererseits werden
als Mediatorvariablen diskutiert [2], [10], [9].
Herzrhythmusstörungen
Panikattacken oder Rhythmusstörungen?
| Auch bei Herzrhythmusstörungen besteht ein bidirektionaler Zusammenhang zwischen
psychischen und körperlichen Symptomen: Psychische Störungen wie Angst und Panikstörung
können Herzrhythmusstörungen auslösen, aber auch durch sie verursacht werden. Zu den
häufigen Rhythmusstörungen, die mit psychischen Störungen assoziiert sind, zählen
-
Extrasystolen,
-
supraventrikuläre Tachykardien (SVT),
-
Vorhofflimmern und Vorhofflattern sowie
-
ventrikuläre Rhythmusstörungen wie Kammerflimmern und Kammerflattern.
Extrasystolen und SVT – wie z. B. AV-nodale Reentry-Tachykardien – führen wegen der
Ähnlichkeit mit Symptomen einer Panikstörung häufig zu einer Fehldiagnose. Sie können
aufgrund einer spontanen Terminierung als Panikattacken fehlgedeutet werden: Zum einen
sind durch die kurze Dauer im anschließenden EKG keine Veränderungen mehr sichtbar
und zum anderen spüren Patienten in dieser Situation oft starke Angst. Umgekehrt kann
man Symptome einer Panikattacke, wie starkes Herzklopfen oder -rasen, als SVT missinterpretieren.
Zur Aufklärung sollte man daher eine genaue Anamnese der Krankheitsgeschichte und
Symptome vornehmen und ein Langzeit-EKG aufzeichnen [11].
Teufelskreis der Angst
| Bei Panikstörungen nehmen die Patienten während eines Panikanfalls körperliche Veränderungen
wahr und bewerten sie als gefährlich. Diese Bewertung erzeugt bei ihnen starke Angst,
die zu physiologischen Veränderungen wie z. B. erhöhter Atemfrequenz und steigendem
Blutdruck führt – wiederum Ereignisse, die der Patient als bedrohlich bewertet. Es
entsteht ein Circulus vitiosus der Angst (▶ [Abb. 1]). Bei Patienten mit einem schwerwiegenden kardialen Ereignis in der Anamnese, wie
z. B. einem Herzinfarkt, kann die verschärfte Wahrnehmung von Vorgängen im Körperinneren
(Interozeption) einen solchen Circulus vitiosus auslösen. Dieser Kreislauf kann dazu
führen, dass die Betroffenen ihre Arbeit nicht mehr ausüben können und körperliche
Aktivität gänzlich meiden.
Abb. 1 Circulus vitiosus der Angst. Bildnachweis: Maxie Bunz, modifiziert nach Margraf &
Schneider 2009 [12]
Implantierbarer Cardioverter Defibrillator (ICD) | Eine evidenzbasierte Behandlung lebensgefährlicher Herzrhythmusstörungen ist neben
der medikamentösen Therapie die Implantation eines Cardioverter Defibrillators (ICD).
Nach Implantation des ICD sind die Patienten häufig erst einmal erleichtert. Das Einsetzen
des ICD erfordert jedoch von den Erkrankten auch eine enorme Anpassungsleistung:
Die Prävalenzraten für klinisch bedeutsame Depressionen und Angststörungen nach ICD-Implantation
von jeweils etwa 20 % sind vergleichbar mit der Prävalenz nach Myokardinfarkt [13]. Die Bedeutung des ICD für die Entstehung psychischer Störungen wird jedoch kontrovers
diskutiert und bedarf weiterer wissenschaftlicher Untersuchungen.
Die psychische Belastung der Patienten kann besonders bei Schockabgaben oder Komplikationen
aufgrund der ICD-Implantation wie
deutlich ansteigen.
Frühe Therapie
| Psychische Komorbiditäten sind bei ICD-Trägern nicht zu unterschätzen: Sie wirken
sich nicht nur negativ auf die Lebensqualität aus, sondern Depression und PTBS erhöhen
auch das Risiko für die Mortalität der Patienten [14], [15]. Eine persistierende PTBS tritt bei fast 20 % der Patienten nach Implantation auf
[16]. Deshalb ist es Aufgabe des behandelnden Arztes, den Patienten hinsichtlich einer
potenziellen Traumatisierung, – insbesondere infolge einer Schockabgabe des Geräts
– zu befragen. Bei Verdacht auf PTBS sollte ein weiterführendes Screening und die
fachärztliche Abklärung erfolgen, um ggf. eine frühe psychotherapeutische Behandlung
einzuleiten.
Herzinsuffizienz
Depression | Patienten mit Herzinsuffizienz leiden häufig unter ängstlich-depressiven Symptomen.
Ergebnisse aus Metaanalysen zeigen: Die Prävalenz einer Depression in dieser Patientengruppe
liegt bei 21,5 % [17]. Je ausgeprägter die Herzinsuffizienz (Schweregrad nach NYHA-Klasse, New York Heart
Association), desto höher ist der Anteil von Erkrankten mit depressiven Störungen
[17]. Dabei
-
erhöhen depressive Symptome die Hospitalisierungsrate,
-
verdoppeln das Risiko für nachfolgende klinische Ereignisse und Mortalität [17] und
-
führen zu einer deutlichen Beeinträchtigung der Lebensqualität [18].
Aufgrund der hohen Anzahl Betroffener und der schwerwiegenden Implikationen sollten
Sie eine depressive Störung immer abklären. Sie wird im klinischen Alltag oft übersehen,
weil die betroffenen Patienten sich zurückziehen und weniger offensichtlich ihre Emotionen
äußern. Häufig zeigen sie zudem eine ausgeprägte Leugnungsneigung oder schämen sich
wegen der erlebten eigenen Schwäche. Die differenzialdiagnostische Abklärung zu Symptomen
der Herzinsuffizienz wie z. B. Müdigkeit, Erschöpfung, Appetitmangel und Schlafstörungen
stellt darüber hinaus hohe Anforderungen an die behandelnden Hausärzte und Kardiologen.
Kognition | Herzinsuffiziente zeigen im Vergleich zu einer gesunden Probandengruppe ein 1,6-fach
höheres Risiko für kognitive Beeinträchtigungen [19]. Depressionen scheinen diese verminderte kognitive Leistungsfähigkeit noch zu verstärken
[20]. Kognitive Dysfunktionen äußern sich bei Herzinsuffizienten u. a. in Form von
-
Gedächtnisdefiziten,
-
Störungen exekutiver Funktionen (Fähigkeiten wie Planen, Problemlösen, Initiation
und Inhibition von Handlungen) und
-
verlangsamter Verarbeitungsgeschwindigkeit.
Dekompensierte Patienten weisen die stärksten Beeinträchtigungen auf [21]. Entscheidungsschwierigkeiten und verlangsamtes Handeln verstärken die Auswirkungen
einer generell verminderten Adhärenz bei Herzinsuffizienten und führen zu einem verschlechterten
Krankheitsmanagement: Nur 40–80 % der Patienten nehmen regelmäßig ihre Medikamente
[22]. In der Folge kommt es zu vermehrten Komplikationen, wie z. B. Dekompensationen
und Rehospitalisierungen.
Ursachen kognitiver Defizite | Die Ätiopathogenese der kognitiven Defizite ist multifaktoriell. So werden u. a.
-
eine verminderte zerebrale Durchblutung,
-
rezidivierende Hypotonien,
-
zerebrale Infarkte,
-
hormonelle Ursachen (Hypothyreose) und
-
psychosoziale Faktoren wie der sozioökonomische Status
als Ursachen diskutiert [23].
Wenn beim Patienten Verständnis- und Adhärenzprobleme auftreten, sollten Sie mögliche
kognitive Dysfunktionen differenzialdiagnostisch in Betracht ziehen und weiter abklären.
Diagnostik und Intervention bei psychischen Störungen
Diagnostik und Intervention bei psychischen Störungen
Vorgehen
| Die Diagnostik psychischer Störungen bei kardiologischen Patienten ist entscheidend,
um betroffene Personen zu identifizieren und eine adäquate Behandlung einleiten zu
können. Die Ergebnisse des Screenings geben jedoch lediglich einen Hinweis auf eine
möglicherweise vorliegende psychische Störung – sie ersetzen nicht die klinische Diagnose.
Diese sollten nur ausgebildete Psychotherapeuten oder Fachärzte stellen. Um erste
Hinweise auf eine psychische Störung zu erhalten, sollten die behandelnden Ärzte im
Gespräch mit dem Patienten
thematisieren [9]. Zur Abklärung einer möglichen Traumatisierung eignet sich diese Frage: „Hatten
Sie in letzter Zeit verstärkt Erinnerungen an eine Situation, in der Sie sich sehr
bedroht fühlten?“
Die Nationale Versorgungsleitlinie Unipolare Depression [24] empfiehlt den Zwei-Fragen-Test [25] zur initialen Abklärung einer möglichen Depression. Wenn ein Patient die folgenden
2 Fragen mit „Ja“ beantwortet, sollten Sie eine ausführliche Depressionsdiagnostik
veranlassen:
-
„Fühlten Sie sich im letzten Monat häufig niedergeschlagen, traurig, bedrückt oder
hoffnungslos?“
-
„Hatten Sie im letzten Monat deutlich weniger Lust und Freude an Dingen, die Sie sonst
gerne tun?“
Screeninginstrumente
| Bei Verdacht auf psychische Störungen sollte ein Screening mit Hilfe von Fragebögen
erfolgen. Bestätigen die Fragebögen den Verdacht, sollte die Diagnose auf Basis eines
strukturierten klinischen Interviews gestellt werden. Dieses können Psychotherapeuten,
Psychiater oder Psychosomatiker mit dem Patienten führen. Als Screeninginstrument
zur simultanen Erfassung von Depressivität und Angst bietet sich die deutsche Version
des Fragebogens „Hospital Anxiety and Depression Scale“ (HADS-D) an [26]. Die „Impact of Event Skala – revidierte Version“ (IES-R) eignet sich zur Erfassung
einer möglichen PTBS [27]. Zur Abklärung einer möglichen Demenz wird der Test „DemTect“ empfohlen [28].
Stigmatisierung
| Es ist wichtig, eine Stigmatisierung des Patienten als „psychisch krank“ zu vermeiden.
Man sollte dem Patienten vermitteln, dass psychische Beschwerden gehäuft auftreten,
durch die kardiale Erkrankung verursacht sein können und meist gut zu behandeln sind.
Pharmakologie | Bei der pharmakologischen Therapie von psychischen Störungen sind regelmäßige EKG-
und Laborkontrollen unabdingbar, da z. B. antidepressiv wirkende selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer
(SSRI) das QT-Intervall verlängern und somit das Risiko für Herzrhythmusstörungen
erhöhen können. Trizyklische Antidepressiva sollten aufgrund arrhythmogener Effekte
vermieden werden.
Berücksichtigen Sie bei einer psychopharmakologischen antidepressiven Therapie immer
die kardiale Grunderkrankung, Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten und unerwünschte
Nebenwirkungen.
Auswirkung von Psychotherapie
| Der Nutzen einer psychotherapeutischen Intervention auf den Verlauf der kardiologischen
Erkrankung ist noch nicht ausreichend erforscht. Jedoch gibt es Hinweise darauf, dass
die kardiale Mortalität abnimmt, wenn die Psychotherapie die psychische Belastung
verringert [9]. Positive Effekte auf Depression, Angst und PTBS wurden – bei hoher Kosten-Effektivität
– nachgewiesen [29], [30].
Liegen Depression, Angst oder PTBS vor, ist eine psychotherapeutische Behandlung bei
Menschen mit Herzerkrankung empfehlenswert.
Interventionen | Im Anschluss an die Diagnostik steht die Auswahl der geeigneten Interventionen. Zur
Förderung der Adhärenz haben sich
-
Schulungen zur Krankheitsbewältigung,
-
individuelle Medikamenten-Dosierhilfen,
-
regelmäßige Kontrolluntersuchungen und
-
die Einbindung von Angehörigen
bewährt. Die psychische Belastung und das entsprechende Verhalten von Angehörigen
kann das Befinden der Patienten nachhaltig beeinflussen. Daher sollte man die Aufklärung
und psychologische Betreuung der Angehörigen mit in den Behandlungsprozess einbeziehen.
Im Zuge einer Rehabilitations-Maßnahme haben sich 2 Konzepte als besonders hilfreich
erwiesen: das Konzept der motivierenden Gesprächsführung zur Förderung der intrinsischen
Motivation zur Verhaltensänderung [31] und das Konzept der Handlungs- und Bewältigungsplanung zur Entwicklung von Selbstregulationsstrategien
[32]. Diese Strategien sollen dem Patienten bei der Umsetzung von gesundheitsförderlichem
Verhalten helfen [33]. Außerdem können
-
Stressmanagementtechniken,
-
Entspannungsverfahren wie autogenes Training und progressive Muskelentspannung sowie
-
körperliche Aktivität
zur Entlastung der Patienten beitragen.
Multimodale Behandlung | Klinisch relevante psychische Störungen sollten grundsätzlich psychotherapeutisch
und / oder medikamentös behandelt werden. Die Aufklärung der kardiologischen Ärzte
und Pflegekräfte hinsichtlich psychosozialer Belastungsfaktoren, psychischer Störungen
und sinnvoller Behandlungsmaßnahmen ist notwendig, um eine multimodale Therapie zu
ermöglichen.
Auswirkungen psychischer Störungen bei Patienten mit Herzerkrankungen
geringere Lebensqualität
-
Überdiagnostik und hohe ökonomische Belastung
-
verminderte Adhärenz
-
schlechteres Krankheitsmanagement
-
erhöhtes Risiko für erneute kardiale Ereignisse
-
erhöhtes Mortalitätsrisiko
Sonderfall Stresskardiomyopathie (Tako-Tsubo-Syndrom)
Sonderfall Stresskardiomyopathie (Tako-Tsubo-Syndrom)
Die Tako-Tsubo-Kardiomyopathie – auch Stresskardiomyopathie, Broken-Heart-Syndrom
und transiente linksventrikuläre apikale Ballonierung genannt – ist eine Sonderform
der Kardiomyopathie. Sie tritt meist nach einem emotional hoch belastenden Lebensereignis
wie nach Verlust des Lebenspartners oder nach starken familiären und beruflichen Belastungen
auf. Die Prävalenz liegt bei 1–2 % aller Patienten mit akutem Koronarsyndrom [34]. Klinisch ähnelt das Krankheitsbild einem akuten Myokardinfarkt mit plötzlich auftretender
-
Angina pectoris,
-
EKG-Veränderungen (ST-Strecken-Hebungen oder T-Wellen-Inversion) und
-
Ausschüttung kardialer Nekrosemarker (Kreatinkinase, Troponin T) [35].
Pathognomonisch für diese Erkrankung ist eine vorübergehende apikale Hypokinesie (sog.
apikales Ballooning) des linken Ventrikels bei basaler Hyperkontraktilität. Dabei
erinnert die Form des linken Ventrikels an den Tako-Tsubo – eine japanische Oktopusfalle.
Koronarangiografisch zeigt sich im Gegensatz zum akuten Infarkt ein freies Kranzgefäßsystem.
Die zugrundeliegenden pathophysiologischen Mechanismen des Tako-Tsubo-Syndroms sind
nicht eindeutig bekannt. Als Ursache diskutiert man u. a. Koronarspasmen durch Ausschüttung
von Stresshormonen wie Adrenalin und Noradrenalin [36]. Die meisten Patienten erholen sich innerhalb weniger Tage mit einer Restitutio
ad integrum. Bei der Behandlung der Stresskardiomyopathie sollten Sie mit einem Psychologen
oder Psychotherapeuten kooperieren – auch um Rezidiven vorzubeugen.
Fazit
Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen leiden häufig unter psychischen Beschwerden
und kognitiven Dysfunktionen. Für die Prognose ist die simultane Behandlung der kardiologischen
und der psychischen Erkrankung besonders wichtig – sie vergrößert die Chance auf Rehabilitation
erheblich. Ein Screening auf psychische Komorbiditäten sollte bei kardiologischen
Patienten deshalb standardmäßig erfolgen. Die Psychokardiologie verfolgt dabei einen
ganzheitlichen Ansatz, um dem Zusammenspiel von somatischem und psychischem Status
der Patienten gerecht zu werden.
Konsequenz für Klinik und Praxis
-
Bei Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen treten besonders häufig Angst, Panikstörung,
posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) und Depression auf.
-
Die Behandlung dieser psychischen Komorbiditäten beeinflusst den weiteren Krankheitsverlauf.
-
Behandelnde Ärzte sollten daher auf psychische Störungen achten.
-
Bei Verdacht sollte ein Fragebogen-Screening und ggf. die Einleitung einer weiterführenden
Diagnostik und Therapie durch Psychotherapeuten und Psychiater erfolgen.
-
Die Aufklärung kardiologischen Fachpersonals über psychologische Faktoren ist essenziell
-
für eine frühzeitige Erkennung,
-
für eine multimodale Therapie und
-
zur Vermeidung einer Stigmatisierung.