Handchir Mikrochir Plast Chir 2015; 47(04): 271-272
DOI: 10.1055/s-0034-1398505
Reisebericht
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Reisebericht bezüglich des FESSH Travelling and Training Award 2014: Aktuelle Konzepte der mikrochirurgischen und minimalinvasiven Therapie von Lymphödemen der oberen Extremität

Current Concepts of Microsurgical Procedures in the Treatment of Lymphedemas of the Upper Extremity
Weitere Informationen

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
19. August 2015 (online)

Preview

Das „Hand Surgery Training Committee“ der FESSH (Federation of European Societies for Surgery of the Hand) erteilte auf Antrag 2014 die finanzielle Förderung der Auslandsreise von Priv. Doz. Dr. med. Jens Wallmichrath der Handchirurgie, Plastischen Chirurgie, Ästhetischen Chirurgie der Ludwig-Maximilians-Universität München zur Erlangung und Verbreitung von Kenntnissen auf dem Gebiet der modernen chirurgischen Therapie des Lymphödems der oberen Extremität.

Lymphödeme der oberen Extremität stellen für die Betroffenen durch Schweregefühl, rasche Ermüdbarkeit und störende Umfangsvermehrung eine häufig im Alltag beeinträchtigende und stigmatisierende Veränderung dar. Trotz der stetigen Weiterentwicklung stellen chronische Lymphödeme weiterhin eine Herausforderung für die Therapieoptionen des plastischen Chirurgen dar. Eine Vielfalt von Therapieansätzen wird weltweit modifiziert und teils auch kombiniert oder sogar präventiv eingesetzt. Inhomogene Patientenkollektive, unterschiedliche begleitende Therapien sowie unterschiedliche Methoden der objektiven Verlaufskontrolle erschweren die Ermittlung der Effektivität der einzelnen Methoden. Die Inzidenz von Armlymphödemen wird nach axillärer Lymphknotendissektion mit 9–41% [1] [2] [3] angegeben. Nach Sentinel-Lymphknotenbiopsie beträgt diese je nach Literatur 4–10% [3] [4] [5].

An der LMU München gibt es insbesondere substantielle und langjährige Erfahrung mit der Anwendung der autologen Lymphkollektortransplantation vom Oberschenkel zur Überbrückung einer axillären Blockade des Lymphabfluss sowie der Lipolymphosuktion zur Reduktion der sog. Sekundärveränderungen [6] [7]. Weitere verbreitete und im Erfolg vielversprechende (mikro-)chirurgische Therapieoptionen sind die Anlage lymphovenöser Anastomosen (engl.: lymphaticovenous anastomosis, LVA) oder die freie mikrovaskuläre Lymphknotentransplantation (engl. vascularized lymph node transplantation, VLNTX). Ziel des international geplanten Besuchs bei Experten in der Behandlung chronischer Lymphödeme der oberen Extremität war der Vergleich der Konzepte für Indikationsstellung, präoperative Abklärung, Operation und Nachbehandlung vornehmlich in den beiden letztgenannten Verfahren, die zunehmend häufiger eingesetzt werden [8] [9]. Als Gastzentren bzw. Gastgeber angefragt wurden Herr Professor Jaume Masià (Plastic Surgery Department Hospital de la Santa Creu i Sant Pau Sant Antoni, Barcelona, Spanien), Frau Corinne Becker (u. a. Clinique Jouvenet, Paris, Frankreich) sowie Frau Professor Anne Saarikko (mittlerweile Universität Helsinki, Finnland).

Die VLNT können z. B. aus der Leistenregion, der Axilla oder supraklavikulär gehoben werden. Empfängerregion ist in der Regel am Arm die Axilla, aber auch der Ellenbogen oder die Handgelenkregion. Professor Masià verfügt über Erfahrung mit allen o.g. Verfahren und ist international bekannt für seine enthusiastische Diskussion um die Definierung eines Behandlungsalgorithmus. Der von ihm benutzte Begriff TBAR (engl. total breast and axillary reconstruction) steht für die simultane Rekonstruktion der Mamma und der axillären Lymphknoten in einem Lappen. Hierzu wird i.d.R. ein DIEP-Lappen mit Einschluss eines Lymphknotenpakets aus der Leiste kontralateral zum Gefäßstiel. Die Lymphknoten entstammen (meist) der lateralen und oberflächlichen Leiste und es wird zusätzlich noch z. B. das inferiore oberflächliche epigastrische Gefäßsystem als zweiter Stiel gehoben. Der zusätzliche mikrovaskuläre Anschluss dieser Gefäße axillär bzw. thorakodorsal wird von der klinischen Durchblutung der Lappenerweiterung abhängig gemacht. Hierfür kommt regelmäßig die ICG-Perfusion zum Einsatz. Zunehmend werden auch lympho-lymphatische Anastomosen zwischen Arm und LK-Paket angelegt. In der präoperativen Abklärung wird routinemäßig das PDE-Gerät (Photodynamic eye, Pulsion medical systems) eingesetzt. Hiermit können aktive Lymphkollektoren für den mikrochirurgischen Anschluss (bzw. LVA) lokalisiert werden.

Die häufigste Operation bei Frau Professor Becker ist die VLNT. Das chirurgische Spektrum umfasst weiterhin noch LVA, Lympholiposuktion und auch das offene „debulking“ sowie die Brustrekonstruktion mit DIEP- und TDAP-Lappen. VLNT werden von ihr auch bei primären Lymphödemen durchgeführt. Hierbei betont sie den Vorteil der frühen Operation im Neugeborenenalter (1.-2. Lj). Bei schweren Lymphödemen wird von ihr auch die Impantation von mehr als einem LK-Paket in eine Extremität favorisiert. In allen Fällen fordert sie präoperativ ein Lymph-MRT der betroffenen Extremität. Bei Darstellung von Lymphknoten und Kollektoren wird ein konservativer Therapieversuch verordnet. Die Implantation des LK-Pakets wird in Abhängigkeit der Ödemlokalisation gewählt. Alle VLNT werden hier ohne Hautinsel gehoben. Es gibt kein standardisiertes rheologisches Therapieschema. Die Patienten werden innerhalb von 5 Tagen entlassen. Die Nachkontrolle erfolgt durch Umfangmessungen und Lymph-MRT zunächst 3–6 Monate postoperativ. Die in der Sprechstunde gesehenen Fälle zeigen eine sehr hohe Patientenzufriedenheit mit dem Ergebnis, teils wurde nach VLNT die Abheilung chronischer Ulcera am Unterschenkel beschrieben.