Key words biomechanics - horse - acupuncture
Transponierte Meridiane und TCVM
Die klassischen Schriften der TCVM beschreiben keine Meridianverläufe beim Pferd.
Daher können wir uns
hier leider nicht einfach auf das über Jahrhunderte erprobte Wissen der „alten Chinesen“
verlassen.
In den Texten der TCVM werden die gleichen Prinzipien wie in der Humanakupunktur angesprochen,
z. B. zur
Theorie der Zang-Fu-Organe oder zu „Übeln und Schädigungen“. Doch es werden auch wesentliche
Unterschiede aufgezeigt. Einer dieser Unterschiede ist, dass die traditionellen Akupunkturpunkte
für die
Behandlung der Pferde nach Körperregionen geordnet sind und nicht nach Meridianzugehörigkeit.
Im
Pferdeklassiker [2 ] werden zwar 6 Yin- und 6 Yang-Meridiane erwähnt, doch wird
keine Beschreibung von Verläufen gegeben. Zu jedem Meridian wird nur ein einziger
Akupunkturpunkt
erwähnt, der sich auf ein Organ und weniger auf eine Leitbahn bezieht. Doch kann man
daraus nicht die
Bedeutungslosigkeit von Meridianen beim Pferd ableiten. Immerhin bewegen sich auch
nach TCVM-Vorstellung
Qi und Blut beim Pferd in Meridianen, und es dringen pathogene Faktoren in sie ein.
In den letzten Jahrzehnten wurden vor allem von Tierärzten in den USA und Europa die
Meridianverläufe und
häufig genutzte Akupunkturpunkte vom Menschen aufs Pferd transponiert (übertragen).
Verschiedenste
Methoden wurden in der Pferdeakupunktur angewandt, um die Meridianverläufe zu verifizieren
und ein
anatomisches oder histologisches Korrelat zu finden.
Bei der Transposition (Übertragung) der Meridianverläufe und der Meridianpunkte orientiert
man sich vor
allem an anatomischen Gegebenheiten wie den Verläufen von Faszien, Muskelketten, Nervenbahnen,
Blut- und
Lymphgefäßen oder Knochenstrukturen. Auch funktionelle Beziehungen wie neuronale,
somatoviszerale
Verknüpfungen oder biomechanische Zusammenhänge werden berücksichtigt.
Im „Taschenatlas Akupunktur beim Pferd“ [5 ] werden bei der Transposition der
Meridiane auch alle für den Menschen angegebenen Meridianpunkte auf das Pferd übertragen
und bildlich
dargestellt, was eine genaue Vorstellung der Meridianverläufe beim Pferd ermöglicht.
Die Kenntnis der genauen Meridianverläufe ist nach Meinung der Autorin sehr wichtig
für die Behandlung
von Erkrankungen des Bewegungsapparates (= Imbalance der „gesunden Biomechanik“) beim
Pferd mit
Akupunktur.
Biomechanik in den Meridianen des Pferdes
Die Biomechanik-Forschung hat insbesondere bei Pferden und Hunden in den letzten Jahren
fantastische
Ergebnisse hervorgebracht. Hier ist ein neues Bild von Bewegungslehre entstanden.
Leider ist der Weg von
der Forschung in die Praxis – wie so oft – sehr weit. Viele Erkenntnisse bahnen sich
nur langsam ihren
Weg, manche werden dagegen nie umgesetzt.
Dem Gedanken folgend, einen Brückenschlag zwischen Forschung und Praxis herzustellen,
neue Erkenntnisse
und Interpretationen der Bewegungslehre in die Praxis umzusetzen, hat die GerVAS (German
Veterinary
Acupuncture Society) eine Seminarreihe (Akupunktur „meets“ Biomechanik) aufgesetzt.
Den Anfang der Reihe
hat im Frühjahr 2013 Prof. Fischer mit seinem Vortrag über die Ergebnisse der Jenaer
Studie [1 ] gemacht, fortgesetzt wurde sie im April 2014 in einem Seminar mit Rikke
Schultz, die hier die Ergebnisse zu ihren Untersuchungen der „myofaszialen Linien“
bei Pferden [3 ] vorgestellt hat. Eine Fortsetzung dieser Seminarreihe ist in Planung. Was
die Autorin an diesen Kursen so sehr schätzt, ist nicht nur der „Wissensgewinn“, sondern
auch der
intensive Gedankenaustausch und die Diskussion mit Kollegen.
Beispiel: Blasenmeridian
Wie man das in den Kursen „Gelernte“ in Bezug auf die Akupunktur der Pferde interpretieren
und
umsetzen kann, soll an einem Beispiel aufgezeigt werden:
Der äußere Verlauf des Blasenmeridians ([Abb. 1 ]) tritt mit dem Punkt Bl 1
im Bereich des medialen Augenwinkels an die Oberfläche, zieht parallel der Mittellinie
über Stirn,
Genick, Hals und Rücken, dann weiter im kaudolateralen Bereich des Hinterbeines nach
distal zum
kaudolateralen Aspekt des Kronsaumes.
Abb. 1 Äußerer Verlauf des Blasenmeridians (aus: Steinmetz M. Taschenatlas – Akupunktur
beim Pferd. Stuttgart: Sonntag in MVS Medizinverlage; 2014).
Innerhalb des Konzeptes myofaszialer, kinetischer Linien besteht beim Menschen eine
weitgehende
Übereinstimmung zwischen der oberflächlichen Rückenlinie und dem Blasenmeridian. Diese
konnte auch
für das Pferd nachgewiesen werden [3 ]. Die Hauptaufgabe der
oberflächlichen Rückenlinie besteht darin, Extension zu erzeugen. Dies kann man auch
als
„motorische“ Funktion des Blasenmeridians annehmen.
Dabei überzieht und beeinflusst der Blasenmeridian Muskulatur, wie z. B. den M. longissimus
dorsi und
den M. semitendinosus. Beide Muskeln haben ein Aktivitätsmaximum im Trab am Ende der
Stemmphase und
zu Beginn der Vorschwingphase des gleichseitigen Hinterbeines. Bei einem Pferd mit
einer
ausgeprägten motorischen Dominanz der linken Hirnhälfte ist mit einer motorischen
Dominanz der
Muskeln zu rechnen, die auf der rechten Körperseite überwiegend beugende Funktion
haben [4 ]. Daher findet man in solch einem Falle oft eine Schwäche der Extension
(und Extensoren) auf dieser (rechten) Körperseite. In der Folge kann dies dazu führen,
dass die Mm.
longissimus und semitendinosus der rechten Körperseite schwächer ausgeprägt sind als
die der linken
Körperhälfte. Dies gilt ebenso für den Blasenmeridian der rechten Körperhälfte, der
energetisch
schwächer ist als der der linken Seite.
Beobachtet man den Bewegungsablauf eines solchen Pferdes im Trab, so stellt man fest,
dass die
Trittlänge der rechten Hintergliedmaße am Ende der Stemmphase verkürzt wird. Da der
Blasenmeridian
im vorderen Meridianverlauf auch über das Genick zieht, wundert es nicht, dass sich
solch ein Pferd
gerne bei zu starker Handeinwirkung des Reiters im Genick verwirft (sodass seine rechte
Ohrbasis
tiefer erscheint). Auch hier ist der (rechte) Blasenmeridian „zu schwach“, das Genick
(rechts) zu
heben. Das Verwerfen hat fatale Folgen u. a. für die Koordinationsfähigkeit des Pferdes.
Hieraus
lassen sich Ableitungen für die Behandlung dieser Gangstörung mit Akupunktur treffen:
Es könnte
z. B. der Blasenmeridian der rechten Seite gestärkt oder mit dem der linken Seite
ausbalanciert
werden. Aus dieser Art der Betrachtung ergibt sich nach Meinung der Autorin ein interessanter
Zusammenhang zwischen der Biomechanik der Pferde und der transponierten Meridianlehre.
Sicher lassen sich noch viele weitere Verbindungen zwischen Akupunktur und Biomechanik
finden. Ein
interessanter Aspekt dabei ist auch, dass sich damit ganz besonders auch das gute
Zusammenwirken von
Akupunktur mit den manuellen Therapien erklären lässt.