Zeitschrift für Palliativmedizin 2014; 15(2): 56
DOI: 10.1055/s-0033-1362315
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Buchbesprechung – Diagnose-Schock: Krebs – Hilfe für die Seele – Konkrete Unterstützung – Für Betroffene und Angehörige

Contributor(s):
Manfred Gaspar
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Publication Date:
14 March 2014 (online)

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Als „Sturz aus der normalen Wirklichkeit“ hat Nikolaus Gerdes im Jahre 1985 die psychische Reaktion von Menschen bezeichnet, die mit der Diagnose Krebs konfrontiert werden. Das daraus vielfach resultierende dramatisch veränderte Bewusstsein für die Endlichkeit des Lebens nehmen die Schweizer Psychoonkologen Alfred Künzler (Kantonspital Aarau), Stefan Mamié (Kantonspitäler Aarau und Baden) und Carmen Schürer (Kantonspital Luzern) zum Anlass für ihren komprimierten psychologischen Ratgeber für Krebsbetroffene.

In einem kurzen Geleitwort beschreibt Max Lippuner, Präsident von Europa Uomo Schweiz, der neugegründeten Koalition von Prostatakrebspatienten in der Alpenrepublik, als Hauptintention der Autoren, Hilfen aufzuzeigen, wie Betroffene und ihre Angehörigen „gut“ durch die verschiedenen Phasen einer Krebserkrankung (Abklärung, Diagnose, Therapie, Rehabilitation und Lebensfortsetzung) kommen können.

Das handliche Buch bildet ein klar strukturiertes Kompendium psychologischer und psychoonkologischer (Er-)Kenntnisse.

Zu Beginn werden sinnvoller- und dankenswerter Weise „zwei Gespenster“ unter die Lupe genommen, die für Krebspatienten und Angehörige immer (noch) allgegenwärtig sind: Die „Krebspersönlichkeit“ und das „positive Denken“. Frei von Polemik werden hier Fakten und historische Irrtümer dargestellt und erläutert.

Dieser Einführung, „Klärung und Hilfe“ bezeichnet, folgen sieben weitere Kapitel.

Zunächst wird der titelgebende Diagnose-Schock behandelt. Und da darf ein Hinweis auf den Umgang mit Statistiken nicht fehlen. Pars pro toto mögen folgende Zeilen als stilistisches Beispiel für das Gesamtwerk dienen: „Überlebenswahrscheinlichkeiten können für Gesunde ebenso errechnet werden wie für Kranke. Der große Unterschied besteht darin, dass sich Gesunde, normalerweise nicht dafür interessieren, geschweige denn sich damit auseinandersetzen. Statistische Zahlen sagen für die einzelne Person quasi nichts aus. Niemand kann zu 75 Prozent leben. Man lebt oder man lebt nicht mehr. In diesem Sinne gibt es für die einzelne Person nur die beiden Varianten: 100 Prozent lebendig oder 100 Prozent tot. Wenn ich zu den 65 Prozent der Patienten gehöre, die nach fünf Jahren noch leben, lebe ich 100-prozentig. Wenn ich hingegen zu den anderen 35 Prozent gehöre, bin ich 100-prozentig gestorben. Wenn sie also Angst haben, zur 35-Prozent-Gruppe von Patienten zu gehören, die fünf Jahre nach Diagnosestellung verstorben sind, ist diese Angst real, ebenso real wie die Angst eines gesunden 60-Jährigen, zu den 15 Prozent seiner Altersgenossen zu gehören, die fünf Jahre später gestorben sein werden. In diesem Sinne sind Krebsbetroffene nicht in einer außerordentlichen Situation. Anders als Gesunde denken sie jedoch häufig über diese Zahlen nach. Manchen Menschen tut dies gut, es gibt ihnen vielleicht die Sicherheit, einen Überblick darüber zu haben, was auf sie zukommen könnte. Andere Menschen verängstigt oder verunsichert genau dies, sie lassen die Dinge lieber einfach auf sich zukommen. Keine dieser Verhaltensweisen ist grundsätzlich besser oder schlechter. Verhalten Sie sich so, wie es für Sie besser aushaltbar ist“.

Durchgängig ist der Versuch, Pauschalierungen bei Hilfeschilderungen zu vermeiden, mit dem Ziel, die individuellen Ressourcen jedes einzelnen Betroffenen weitestmöglich zu erschließen. Diese Strategie erscheint besonders wichtig im Kapitel „Hilfen im Umgang mit schwierigen Gefühlen. Hier werden mögliche starke Emotionen als „Normalreaktionen“ beschrieben und damit entdämonisiert, wie zum Beispiel die Gefühle von Angst, Verunsicherung, Aggression, Enttäuschung, Kontrollverlust, Wut, Trauer, Hilflosigkeit, Isolation, Kränkung, Schuld, Verbitterung, Scham und Ekel. Bewährte verhaltenstherapeutische Techniken, wie Gedankenstopp bei belastendem Grübeln, bieten konkrete Soforthilfen. Weitere zentrale Themen mit exemplarischen Beispielen sind Krebs und Partnerschaft, Krebs und Sexualität sowie Krebs und Familie. Da die Diagnose Krebs immer auch das gesamte soziale Umfeld betrifft, werden zu diesem Komplex ebenfalls hilfreiche Anregungen gegeben, ebenso für befriedigende und effektive Arztgespräche.

Unumgänglich, leider zu kurz gefasst, sind Gedanken und Anregungen zu spirituellen Fragen.

Das vorletzte Kapitel widmet sich Hilfen zum Umgang mit unheilbarer Krankheit. Darin werden kursorisch und etwas eklektisch anmutend Aspekte von Palliative Care, Trauer, Patientenverfügung und auch (kritisch) Sterbehilfe thematisiert.

Am Ende des Buches stehen zwei Berichte von Betroffenen über ihre Erfahrungen im Umgang mit langjähriger Krebserkrankung und Effekten psychoonkologischer Interventionen.

Ein kurzes, nicht repräsentatives, aber kommentiertes Literaturverzeichnis – auch für Kinder – sowie einige Internetlinks und ein Stichwortverzeichnis, abgerundet durch Hinweise auf Indikationen für pschoonkologische Interventionen sowie Möglichkeiten, Psychoonkologen zu finden, bilden den Abschluss des Buches.

Fazit: Ein gut lesbarer Ratgeber für Betroffene und Angehörige. Für medizinisches und psychosoziales Fachpersonal eine hilfreiche Darstellung möglicher Auswirkungen der Diagnose Krebs.