Dtsch Med Wochenschr 2013; 138(51/52): 2658-2662
DOI: 10.1055/s-0033-1359947
Weihnachtsheft
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

„Seelenkräfte“ und „Bewegungen der Seele“ im medizinischen Werk des Moses Maimonides

Moderne Betrachtungen zum 875. Geburtstag von Maimonides„Spirits“ and „Movements of the Soul“ in the medical work of Moses Maimonides
W. Kaltenstadler
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Publication Date:
16 December 2013 (online)

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Zusammenfassung

Maimonides beschreibt sein psychisches Gesundheitskonzept als Bewegungen der Seele. Dieses hat zwei Pole, einen positiven und einen negativen. Die Seele des Menschen steht in einer direkten Verbindung mit der Umwelt und umgekehrt. Schon in seiner Zeit waren Luft und Wasser verschmutzt bzw. kontaminiert. Der große Arzt war davon überzeugt, dass diese zunehmende Belastung der Natur nicht nur den Körper, sondern auch die Seele des Menschen schädige. Er zeigt, dass Natur und Körper das menschliche Denken formen und beeinflussen, und zwar über die vier Seelenkräfte (spirits, pneumata): Körperpneuma, natürliches, vitales und vor allem psychisches Pneuma. Letzteres ist in den Gehirnkammern angesiedelt. Es ist das, was wir heute als Seele betrachten. Schlechte Umwelt und negative Emotionen haben negative Wirkungen auf Körper und Seele. Wenn nicht beachtet, bringen diese Wirkungen das physische und psychische Gleichgewicht durcheinander. Es ist die Folge eines solchen Ungleichgewichts, dass Krankheiten nicht vermieden werden können. Dieses Gleichgewicht zwischen Körper und Seele ist nicht statisch, sondern dynamisch. Bei vielen Personen ist es Fluktuationen unterworfen. Diese bewegen sich permanent zwischen den zwei Extremen der Nikomachischen Ethik von Aristoteles. Da Maimonides diese strenge Gegenseitigkeit zwischen Körper, Seele und Umwelt experimentell wahrnahm, wird er von einigen Forschern als der Gründer der Psychosomatik betrachtet. Maimonides war ein frommer Mann und vielfach baute er auch Erkenntnisse und Befunde aus dem hebräischen Talmud und sogar aus dem Alten Testament ein. Aber als ein früher Aufklärungsphilosoph wagte er oft von den Regeln des Talmuds abzuweichen. Für ihn war die menschliche Ratio eine Wiederspiegelung der göttlichen Ratio respektive des hebräischen Ruach. Somit schließen sich aus Sicht von Maimonides religiöse jüdische Tradition und menschliche Ratio einander nicht aus.

Abstract

Maimonides describes his psychic concept of health as movements of soul. It has two poles, a positive and a negative one. Soul of man is in a direct connection with environment and vice versa. Already in his time air and water were polluted resp. contaminated. The great physician was convinced that this increasing strain of nature not only damaged the body, but also the soul of man. He shows that nature and body form and influence human thinking via the four spirits: Body-, natural, vital, and especially psychic spirit. The latter is settled in brain-chambers, it is what we today regard as soul. Bad environment and negative emotions have negative effects on body and soul. If not minded, these effects confuse physical and psychic balance. It’s a consequence of such a disequilibrium that diseases can’t be avoided. This balance of body and soul is not static, but dynamic. In most persons it is subject to fluctuations. These are moving permanently between the two extremes of the Nicomachic ethics of Aristotle. Since Maimonides experienced this strong mutuality between body, soul and environment, he is regarded by several researchers as the founder of psychosomatics. Maimonides was a religious man and in many cases he also built in perceptions and findings from Jewish Talmud and even from Old Testament. But as an early illuminated philosopher he often dared to deviate from the rules of Talmud. For him human ratio was a reflection of divine ratio resp. Hebrew ruach. Thus from the sight of Maimonides religious Jewish tradition and human ratio don’t exclude one another.