Klin Monbl Augenheilkd 2013; 230(6): 614-628
DOI: 10.1055/s-0032-1328663
Statement
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Stellungnahme der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft, der Retinologischen Gesellschaft und des Berufsverbandes der Augenärzte Deutschlands: Therapie der diabetischen Makulopathie (Stand April 2013)[*]

F. Ziemssen
*   *Federführendes Redaktionsteam
,
H. Helbig
*   *Federführendes Redaktionsteam
,
K. D. Lemmen
*   *Federführendes Redaktionsteam
,
G. Spital
*   *Federführendes Redaktionsteam
,
B. Bertram
*   *Federführendes Redaktionsteam
,
J. Hillenkamp
*   *Federführendes Redaktionsteam
,
K. U. Bartz-Schmidt
,
N. Bornfeld
,
M. Bresgen
,
N. Eter
,
W. Friedrichs
,
H. Heimann
,
H. Hoerauf
,
F. G. Holz
,
A. Kampik
,
B. Kirchhof
,
D. Pauleikhoff
,
J. Roider
› Author Affiliations
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Publication History

eingereicht 18 May 2013

akzeptiert 19 May 2013

Publication Date:
21 June 2013 (online)

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Kernaussagen/Fazit für die Praxis

1. Diagnostik und Indikationsstellung zur Primärtherapie: Initial ist die Fluoreszeinangiografie neben der sorgfältigen Bestimmung des bestkorrigierten Visus (unter Beachtung von Refraktionsschwankungen) und der binokularen Ophthalmoskopie (einschließlich Peripherie) auch weiterhin eine wichtige diagnostische Maßnahme im Rahmen der primären Indikationsstellung, um die Perfusion und das Ausmaß der fovealen und peripheren Ischämie beurteilen zu können. Die Spectral-Domain(SD)-OCT-Untersuchung ist eine wichtige Basisuntersuchung, um das Ausmaß der exsudativen Veränderungen zu erkennen und einen objektiven Vergleich bei späteren Verlaufskontrollen zu ermöglichen, aber auch um fortgeschrittene retinale Atrophien identifizieren zu können, die eine Behandlung im Sinne einer Visusverbesserung wenig aussichtsreich erscheinen lassen.

2. Therapiemodalitäten und Strategie: a. Diabetisches Makulaödem mit fovealer Beteiligung: Besteht eine foveale Beteiligung eines Makulaödems, kommen verschiedene Therapiemodalitäten sowie deren Kombination in Betracht, über die der Patient mit den entsprechenden Behandlungsfrequenzen und Komplikationshäufigkeiten informiert werden sollte:

Die Anti-VEGF-Monotherapie besitzt die beste Wirksamkeit, ein Makulaödem zurückzubilden und die bestmögliche Visusentwicklung zu ermöglichen. Allerdings sind viele Behandlungen – zumindest während der ersten Monate und gegebenenfalls auch über Jahre – mit den entsprechenden Konsequenzen erforderlich, d. h. häufigen Arztbesuchen und kumulativem Endophthalmitis-Risiko. Studien mit monatlicher Medikamenteneingabe haben gute Ergebnisse gezeigt; die (nach Upload mit mindestens 3 Medikamenteneingaben) bedarfsabhängige Gabe nach morphologischen Kriterien zeigte in Studien eine im Mittel deutlich abnehmende Behandlungsnotwendigkeit über die Zeit (erstes Jahr: ca. 7–8, zweites Jahr: unter 4, drittes Jahr: unter 3). Langzeitentwicklung und Sicherheitsprofil der Anti-VEGF-Therapie können noch nicht endgültig beurteilt werden. Eine Evidenz aus Phase-III-Studien gibt es nur zu Ranibizumab (RESTORE, RIDE, RISE, DRCR). Größere Vergleichsstudien mit Bevacizumab – entsprechend CATT für die AMD – oder große Bevacizumab-Studien wurden bisher nicht publiziert. Nach positiven Daten über 6 Monate ist für Aflibercept eine Phase-III-Studie (VIVID-DME) begonnen worden.

Die Laserbehandlung zeigt in Vergleichsstudien schlechtere Visusergebnisse als die intravitreale Anti-VEGF-Therapie, aber einen klaren Nutzen gegenüber dem unbehandelten Spontanverlauf. Das Therapieziel der Lasertherapie ist vor allem eine Visus-Stabilisierung. Vorteile der Lasertherapie sind die erheblich niedrigere Behandlungsfrequenz und das Fehlen der potentiellen Komplikationen der intravitrealen Medikamentengabe, Nachteile sind die schlechteren Visusergebnisse und die durch die Lasereffekte verursachten Schädigungen der Sehzellen und des retinalen Pigmentepithels, selbst wenn bei einer Lasertherapie schonende „energiearme“ Einstellungen, die in Studien etabliert wurden (DRCR), verwendet werden. Eine fokal/grid-Laserkoagulation sollte frühestens nach 3 Monaten wiederholt werden.

Bisher gibt es keine eindeutigen Daten, die einen zusätzlichen Nutzen der gleichzeitigen Kombination von VEGF-Inhibition und Lasertherapie nach morphologischen Kriterien belegen. Insbesondere gibt es bei der Kombinationstherapie nach bisherigen Daten während des ersten Behandlungsjahres keinen Hinweis auf eine Reduktion der erforderlichen Injektionsfrequenz. Eine sinnvolle Abfolge kann aber auch in der sequentiellen Anwendung von Anti-VEGF-Therapie und Lasertherapie oder umgekehrt bestehen.

Die intravitreale Gabe von Steroid-Präparaten ist trotz eines positiven Effektes auf den Visus und einer im Vergleich mit den VEGF-Inhibitoren geringeren Injektionsfrequenz eine Reserveoption, vor allem weil relativ häufig Nebenwirkungen wie Druckerhöhung und Katarakt-Induktion bzw. -Progression zu beachten sind. Pseudophake Patienten zeigen ein günstigeres Nutzen-Risiko-Profil. Klare Kriterien, wann eine Steroidgabe als „second-line“-Therapie nach oder statt Anti-VEGF-Gabe sinnvoll sein kann, sind bisher noch nicht etabliert. Regelmäßige Kontrollen des Augendrucks sind bei dieser therapeutischen Option notwendig. Angesichts des Nebenwirkungsprofils von Fluocinolon sollten die therapeutischen Alternativen ausreichend erprobt und dokumentiert worden sein. Für eine Kombinationstherapie aus VEGF-Inhibitoren und Kortikoiden liegen bisher noch keine ausreichenden Daten vor.

b. Diabetisches Makulaödem ohne foveale Beteiligung: Die „fokal/grid“-Laserkoagulation ist alleiniger Standard für klinisch signifikante Ödeme (ETDRS-Kriterien) ohne foveale Beteiligung.

3. Diagnostik und Kriterien für eine Wiederbehandlung, Therapieintervall und -abbruch: Für die IVOM-Therapie, insbesondere bei PRN-gestützten Algorithmen, sind häufige Kontrollen zumindest des bestkorrigierten Visus und des Fundusbefundes erforderlich. Die Eignung des Visus als alleiniges Wiederbehandlungskriterium ist nicht ausreichend belegt. In den Studien wurden ETDRS-Sehtafeln verwendet (Problem der Übertragbarkeit in den Alltag), Patienten mit Diabetes unterliegen stärkeren Refraktionsschwankungen je nach Blutzuckerwerten und die genauere Zuordnung anderer Ursachen für eine Visusänderung (Benetzung, Katarakt, Glaskörpertrübungen) kann zusätzlich problematisch sein. Die SD-OCT-Bildgebung ermöglicht eine sichere Lokalisation und objektive Vergleichbarkeit der morphologischen Befunde im Verlauf und ist deswegen als Ergänzung zur binokularen Funduskopie erforderlich.

Für die Mehrzahl der Patienten muss die Therapie nach den ersten 4 Injektionen von VEGF-Inhibitoren mit weiteren Behandlungen fortgesetzt werden, wenn aufgrund des Fundusbefundes und des Verlaufes eine weitere Verbesserung zu erwarten ist (s. Kriterien im Flussdiagramm). Die Therapie sollte beendet werden, wenn auf Grund einer ausgedehnten retinalen Atrophie oder einer irreversiblen zystoiden Degeneration keine weitere Verbesserung zu erwarten ist, wenn ein weiterer Visusverlust nicht aufgehalten werden kann, oder wenn der Visus unter 0,05 sinkt (mögliche Ausnahme: andere Ursachen wie z. B. eine Glaskörperblutung).

4. Bedeutung der internistischen Therapie: Die Qualität der Blutzuckereinstellung und die Kontrolle weiterer Risikofaktoren – z. B. des Blutdrucks – haben einen Einfluss auf Inzidenz, Verlauf und Prognose der diabetischen Makulopathie (Nationale Versorgungsleitlinien „Typ-2-Diabetes“/„Prävention und Therapie von Netzhautkomplikationen“). Wichtig ist die interdisziplinäre Kommunikation und Zusammenarbeit der beteiligten Fachdisziplinen. Die gründliche Überprüfung der internistischen Faktoren ist nicht zuletzt dann besonders zu beachten, wenn es zu häufigen Rezidiven eines DMÖ unter einer Therapie kommt.

5. Beurteilung der Netzhautperipherie: Neue Studiendaten (RIDE; RISE; DA VINCI) haben zwar gezeigt, dass sich eine begleitende nicht-proliferative diabetische Retinopathie (NPDR) während der ersten 2 Jahre monatlicher Anti-VEGF-Injektionen für ein DMÖ signifikant seltener zu einem proliferativen Stadium (PDR) weiterentwickelt. Dennoch ist unter intravitrealer Medikamententherapie eine Untersuchung der gesamten Netzhaut in den üblichen Frequenzen (s. Nationale Versorgungsleitlinie) genauso erforderlich und ggf. eine Laserkoagulation der peripheren Netzhaut zu empfehlen wie bei Patienten mit gleichem Retinopathiestadium ohne intravitreale Therapie.

* Dieser Beitrag wird ebenfalls in der Zeitschrift Der Ophthalmologe, Springer-Verlag, Heft 6/2013 veröffentlicht.