Dtsch Med Wochenschr 2012; 137(43): 2223-2228
DOI: 10.1055/s-0032-1327232
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Ernährungsmedizin
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Wie ist Gewichtsreduktion erfolgreich möglich?

Energiehaushalt im FokusStrategies for successful weight reductionFocus on energy balance
M. Weck
1   Weißeritztal-Kliniken, Freital-Dippoldiswalde, Klinik für Diabetologie
,
S. R. Bornstein
2   Universitätsklinikum „Carl Gustav Carus“ der TU Dresden, III Medizinische Klinik
,
A. Barthel
2   Universitätsklinikum „Carl Gustav Carus“ der TU Dresden, III Medizinische Klinik
,
M. Blüher
3   Universität Leipzig, Klinik für Innere Medizin
› Author Affiliations
Further Information

Korrespondenz

PD Dr. Matthias Weck
Weisseritztal-Kliniken Freital/Dippoldiswalde
Bürgerstraße 7
01705 Freital

Publication History

07 March 2012

06 September 2012

Publication Date:
17 October 2012 (online)

 

Zusammenfassung

Adipositas und Begleit- bzw. Folgeerkrankungen nehmen weltweit genauso wie in Deutschland zu.

Gewichtsabnahme und Erhalt des reduzierten Gewichts sind schwierig und diese Tatsache führte zu Studien mit der Zielstellung, Gründe für erneute Gewichtszunahme nach Gewichtsverlust zu evaluieren und Hypothesen für erfolgreichere Behandlungsoptionen zu generieren. Einige der Hauptfaktoren liegen im Energiehaushalt, insbesondere im Grundumsatz (resting metabolic rate, RMR), der non-exercise Thermogenese und der nahrungsinduzierten Thermogenese. Die hohe Rate an erneuter Gewichtszunahme nach erfolgreicher Gewichtreduktion (mehr als 80 %) ist zurückzuführen auf adaptive Vorgänge mit denen der Organismus versucht, die Energiedepots des Körpers konstant zu halten. Die so genannte „adaptive Thermogenese“ ist definiert als geringere Reduktion des Energieverbrauchs als es dem Vorhersagewert entsprechen würde. Diese verminderte Thermogenese scheint neben diätetischen Faktoren ein wesentlicher Grund für erneute Gewichtszunahme zu sein.

Hauptziel jeder Gewichtsreduktion ist der Verlust an Körperfett. Allerdings ist dies in der Regel mit einem Verlust an Muskelmasse verbunden. Diese lean body mass (LBM) ist aber die Hauptdeterminante des Grundumsatzes (RMR). Eine Reduktion der LBM bewirkt demzufolge einen Abfall des Grundumsatzes und kann so zu erneuter Gewichtszunahme führen. Somit ist es erforderlich, im Sinne einer langfristigen Gewichtsreduktion dem Abfall des Grundumsatzes und der LBM entgegen zu wirken.

In dieser Arbeit werden die Mechanismen der adaptiven Thermogenese im Hinblick auf die Entwicklung von Strategien zur Vermeidung einer erneuten Gewichtszunahme nach erfolgreicher Gewichtsreduktion diskutiert.


Abstract

The prevalence of obesity and related health problems is increasing worldwide and also in Germany. It is well known that substantial and sustained weight loss is difficult to accomplish. Therefore, a variety of studies has been performed in order to specify causes for weight gain and create hypotheses for better treatment options.

Key factors of this problem are an adaptation of energy metabolism, especially resting metabolic rate (RMR), non-exercise thermogenesis and diet induced thermogenesis.

The extremely high failure rate (> 80 %) to keep the reduced weight after successful weight loss is due to adaptation processes of the body to maintain body energy stores. This so called “adaptive thermogenesis” is defined as a smaller than predicted change of energy expenditure in response to changes in energy balance. Adaptive thermogenesis appears to be a major reason for weight regain. The foremost objective of weight-loss programs is the reduction in body fat. However, a concomitant decline in lean tissue can frequently be observed. Since lean body mass (LBM) represents a key determinant of RMR it follows that a decrease in lean tissue could counteract the progress of weight loss.

Therefore, with respect to long-term effectiveness of weight reduction programs, the loss of fat mass while maintaining LBM and RMR seems desirable.

In this paper we will discuss the mechanisms of adaptive thermogenesis and develop therapeutic strategies with respect to avoiding weight regain successful weight reduction.


Einleitung

Die Prävalenz der Adipositas nimmt in Deutschland und weltweit dramatisch zu. 23 % der Deutschen sind inzwischen adipös und nur noch 47 % normalgewichtig. Über 1 Mio. Bundesbürger sind mit einem BMI > 40 kg/m² „belastet“ [37]. Das Problem hat inzwischen die Aufmerksamkeit von Politik und Versicherungsträgern gefunden. Dass Adipositas eine Krankheit darstellt und per se sowie im Rahmen des metabolisch-vaskulären Syndroms zu einer Vielzahl von Folgeerkrankungen führt, die ihrerseits enorme gesundheitspolitische Bedeutung haben, ist inzwischen unbestritten. Die Therapie der Adipositas ist in evidenzbasierten Leitlinien beschrieben und wird im Allgemeinen mit dem Schlagwort der multimodalen Behandlung, bestehend aus Ernährungsumstellung i. S. kalorischer Restriktion, Bewegungstherapie und Verhaltensänderung beschrieben. Die bariatrische Chirurgie kommt für Patienten mit Adipositas 2. und 3. Grades hinzu [14] [15].

In den letzten 3 Jahrzehnten haben viele Interventionsstudien diese Strategien für Prävention und Behandlung der Adipositas untersucht. Energierestriktion und Bewegungssteigerung sind nach wie vor die Schlüsselbestandteile solcher Programme, um eine Gewichtsreduktion herbeizuführen. Viele dieser Studien belegen eine erfolgreiche Gewichtsreduktion im Gefolge von Energierestriktion und erhöhter Bewegungsaktivität, meist aber nur im Kurzzeitverlauf [24] [27] [38] [43] [51]. Dabei bleibt das Ausmaß der Gewichtsreduktion oft deutlich hinter den Erwartungen der Patienten zurück [9] [63] [64]. Außerdem ist die Mehrzahl der Betroffenen nicht in der Lage, das reduzierte Gewicht langfristig zu halten; eine erneute Gewichtszunahme ist typisch [5] [11] [38]. Die Ursachen für die sehr begrenzte Langzeiteffektivität der multimodalen Therapiekonzepte sind vielfältig. Die Unfähigkeit der meisten Betroffenen die trainierten Änderungen des „Lebensstils“ hinsichtlich Ernährungsumstellung und regelmäßiger körperlicher Aktivität auch langfristig einzuhalten ist gut dokumentiert [26] [30]. Aber ist dies wirklich die ganze Wahrheit?

Verhaltensveränderungen sind sicherlich Eckpunkte einer Gewichtsreduktion und der Erhaltung des reduzierten Gewichts; der Abfall des Grundumsatzes der bei jeder Gewichtsreduktion eintritt, steht der Erhaltung des reduzierten Gewichts jedoch antagonistisch gegenüber.  Anders ausgedrückt wird das anfänglich aufgrund einer Reduktionsdiät vorhandene Energiedefizit mit der Zeit durch Abnahme des Energieverbrauchs (des Grundumsatzes, des Gesamtenergieumsatzes usw.) immer kleiner; schließlich kann die Gewichtsabnahme stagnieren. Wer kontinuierlich und effektiv über längere Zeit Gewicht reduzieren will, muss daher immer weniger Energie zu sich nehmen. Da sich dieses Prinzip nicht unendlich ausdehnen lässt, müssen erfolgreiche Gewichtsreduktionsprogramme Strategien beinhalten, die dem Abfall des Energieverbrauchs entgegenwirken.


Komponenten des Energiehaushalts/Ableitung eines Therapiemodells

Die wesentlichen Komponenten des Energiehaushalts sind in Abb.  [ 1 ]. dargestellt. Ganz plakativ folgt ein Körper im Zustand der Gewichtskonstanz dem 1. Grundgesetz der Thermodynamik: Die Energie, die dem Körper zugeführt wird, wird in gleicher Höhe abgegeben. Gewichtsreduktion ist also „sehr einfach möglich“, indem entweder weniger Energie zugeführt oder mehr abgegeben wird oder beide Prinzipien kombiniert werden. Warum funktioniert dieses einfache Grundprinzip offenbar nicht?

Zoom
Abb. 1 Komponenten des täglichen Energieumsatzes am Beispiel eines durchschnittlichen männlichen Probanden (70 kg Körpergewicht, 15 % Körperfettanteil [KF], 3000 kcal/die Energiezufuhr). Daten extrapoliert aus Respirationskammer-Messungen (modifiziert nach [45]). SMR = Sleeping Metabolic Rate; BMR = Basal Metabolic Rate (Grundumsatz); Arousal = Energieumsatz beim Aufwachen; TEF = Thermic Effect of Feeding (Nahrungs-induzierte Thermogenese).

Die Kenntnis der Grundlagen des Energiehaushalts ist für die Planung und Durchführung effektiver Gewichtsreduktions-Programme unerlässlich. Den größten Anteil am Gesamtenergieumsatz macht mit ca. 60–70 % der Grundumsatz aus. Die fettfreie Masse (FFM) ist der wesentliche Faktor, der den Grundumsatz determiniert [4] [12] [42] [45] [54] [57] [58]. Die fettfreie Masse besteht hauptsächlich aus Muskulatur mit hoher metabolischer Aktivität (nahezu identisch verwendet wird der Begriff „lean body mass“ = LBM) sowie aus Geweben mit niedriger metabolischer Aktivität wie Knochen oder Bindegewebe [41]. Weitere Faktoren, die den Grundumsatz beeinflussen sind Alter, Geschlecht, Körpergröße, Schilddüsenhormone und genetische Faktoren [4] [23]. Fettfreie Körpermasse, Fettmasse, Alter und Geschlecht erklären 60–90 % der interindividuellen Variabilität des Grundumsatzes. Genetische Faktoren können bis zu 50 % dieser Variabilität ausmachen.

kurzgefasst

Die lean body mass (LBM) ist der wesentliche Einflussfaktor auf den Grundumsatz. Fettfreie Körpermasse, Fettmasse, Alter, Geschlecht und genetische Faktoren beeinflussen die individuelle Variabilität des Grundumsatzes.

Es existieren verschiedene prädiktive Formeln für den Grundumsatz (basal metabolic rate = BMR) unter anderem die von Harris-Benedict (1919):

  • Männer BMR = 66,47 + 13,75 + 5,00 × Größe [m] – 6,77 × Alter [Jahre]

  • Frauen BMR = 655,09 + 9,56 × Gewicht [kg] + 1,849 × Größe [m] – 4,67 × Alter [Jahre]

Weitere wesentliche Bestandteile des Gesamtenergieumsatzes (total energy expenditure = TEE) sind die Thermogenese, hauptsächlich als nahrungsinduzierte Thermogenese und durch physische Aktivität.

Der Grundumsatz kann mittels indirekter Kalorimetrie nach nächtlichem Fasten, morgens nach dem Aufwachen gemessen werden. Dies kann über zwei Methoden geschehen:

  1. Der Proband liegt im Bett unter einer Haube („ventilated hood“). Bei konstantem Luftdurchfluss werden O2-Verbrauch und CO2-Produktion gemessen. Aus diesen Daten werden die Energieumsätze ermittelt. Diese Variante wäre durchaus in spezialisierten Einrichtungen machbar und ist somit als praxisnah einzustufen.

  2. Auch der Gesamtenergieumsatz kann mittels indirekter Kalorimetrie gemessen werden, indem der Proband sich 24 Stunden in einem abgeschlossenen Raum aufhält, dort basale Tätigkeiten verrichtet und schläft. Sauerstoffverbrauch und CO2-Produktion in diesem Raum werden bestimmt. Auch dies ist eine Form der indirekten Kalorimetrie. Anhand dieser Versuchsanordnung lassen sich weitere Komponenten des Gesamtenergieumsatzes ermitteln (Abb.  [ 1 ]):

    • Schlafenergieumsatz (sleeping metabolic rate = SMR)

    • Energieumsatz beim Aufwachen (metabolic cost of arousal)

Die weiteren Komponenten des Energieverbrauches (nahrungsinduzierte Thermogenese, körperliche Aktivität) sind nicht ganz einfach zu ermitteln. Die nahrungsinduzierte Thermogenese lässt sich nur über spezielle Versuchsanordnungen in Forschungslabors bestimmen. Die körperliche Aktivität ist allenfalls grob abschätzbar. Mit doppelt markiertem Wasser ließe sich der Gesamtenergieverbrauch eines Menschen exakt messen. D2O ist aber in Deutschland für derartige Zwecke nicht zugelassen

De facto führt fast jede „Diät“ zur Gewichtsreduktion, jede kalorische Restriktion zu einem Abfall des Grundumsatzes in der Regel über eine Abnahme der LBM [8] [39]. Ziel einer Gewichtsreduktion ist der Verlust an Fettmasse bei möglichst erhaltener LBM. Allerdings gibt es nur wenige Daten insbesondere zum Verhalten des Grundumsatzes unter Gewichtsreduktion. In den letzten Jahren hat das Thema eine gewisse Renaissance erfahren, insbesondere da langfristige Erfolge von Programmen zur Gewichtsreduktion selten sind bzw. fehlen. Zudem wurde erkannt, dass die schnelle Anpassung des Energieumsatzes an gewichtsreduzierende Maßnahmen in diesem Kontext nicht vernachlässigt werden darf. Von einzelnen Arbeitsgruppen wurden sogar mathematische Modelle der Gewichtsreduktion auf der Basis des 1. Grundgesetzes der Thermodynamik entwickelt [59] [61].

kurzgefasst

Ziel einer Gewichtsreduktion ist die Reduktion der Körperfettmasse bei gleichzeitig möglichst erhaltener LBM (lean body mass).


Welche „Verteidigungsmechanismen“ stehen einer erfolgreichen Gewichtsreduktion aus Sicht des Energiehaushaltes entgegen?

Eine Reduktion des Körpergewichts um mehr als 10 % (unabhängig davon, ob bei adipösen oder schlanken Personen) ist begleitet von einem Abfall des Gesamtenergieumsatzes über 24 Stunden (24-h-TEE) von ca. 20–25 %. Dieser tatsächliche Abfall des 24-h-TEE ist also doppelt so hoch wie der theoretisch zu erwartende Wert, der sich aus den Veränderungen von Fettmasse und LBM ergeben würde [16] [17] [18] [25] [29] [36] [47] [49] [53] [62] [67]. Dies bedeutet, dass ein ehemals adipöser Patient bzw. ein Patient mit 10 % Gewichtsreduktion ca. 300–400 kcal/Tag weniger benötigt, um das gleiche Körpergewicht bei gleicher Aktivität aufrecht zu erhalten als ein nicht Adipöser [49]. Es findet also eine Anpassung der verschiedenen Komponenten des Gesamtenergieumsatzes an die veränderte Energiezufuhr (sogenannte „adaptive Thermogenese“) statt, die den bekannten „Jojo-Effekt“ begünstigt.

In Tab.  [ 1 ] sind die Veränderungen des Energiehaushalts, der autonomen Funktion und neuroendokriner Parameter nach bzw. während der Gewichtsreduktion dargestellt.

Tab. 1

Veränderungen des Energiehaushaltes, des autonomen Nervensystems und neuroendokriner Parameter bei Probanden in der Phase der Erhaltung eines reduzierten Gewichts (nach [48]).

Effekt eines Gewichtsverlusts um 10 %

Energieumsatz

24-h-Gesamtenenergieumsatz

Grundumsatz

Nahrungsinduzierte Thermogenese

Non-resting energy expenditure

Effektivität der Skelettmuskulatur

↓(– 15 %)

↓ = (bis – 15 %)

=

↓(– 30 %)

↑ (+ 20 %)

Autonomes NS

Tonus sympathisches Nervensystem

Tonus parasympathisches Nervensystem

↓(– 40 %)

↑ (+ 80 %)

Neuroendokrine Parameter

TSH

fT3

fT4

Gonadotropin

↓ (– 18 %)

↓ (– 7 %)

↓ (– 9 %)

Wenn man erfolgreiche Therapiestrategien zur Behandlung der Adipositas entwickeln will, muss man Adipositas als Krankheit betrachten bei der der menschliche Organismus immer wieder versucht, dieser “Therapie” entgegenzuwirken [48].

Im Rahmen der Veränderungen des Energieumsatzes fallen insbesondere die Reduktion des Grundumsatzes und noch augenfälliger die Reduktion des Umsatzes durch körperliche Aktivität (-30 %) auf. Die körperliche Aktivität ist der Teil des Energieumsatzes, der am meisten von Veränderungen des Körpergewichts betroffen ist. Damit ist auch klar, dass eine Steigerung der körperlichen Aktivität der entscheidende Faktor ist, um erfolgreich Gewicht zu reduzieren und dies auch zu halten.

Von großer Bedeutung ist, dass die körperliche Aktivität in willentliche Aktivität und nicht-willentliche Aktivität unterteilt wird (NEAT= non exercise activity thermogensis) [36] [53]. Hiermit ist gemeint, dass durch die sogenannten „kleinen Körperbewegungen“ ein nicht unbeträchtlicher Anteil des Energieumsatzes bestritten wird.

Von Redman et al. (Ravussin-Gruppe) [46] wurde in einem sehr ausgefeilten Studiendesign unter Nutzung stabiler Wasserstoffisotope zur Messung der 24-h-TEE gezeigt, dass alle Komponenten des Energieumsatzes unter kalorischer Restriktion deutlich abfallen. Da es sich hier um „frei lebende“ Probanden handelt, die nicht den Restriktionen der indirekten Kalorimetrie unterzogen waren, sind diese Daten von hoher praktisch-klinischer Relevanz. Auf die Veränderungen des autonomen Nervensystems und der neuroendokrinen Parameter soll hier nicht näher eingegangen werden. Veränderungen des Tonus des autonomen Nervensystems unter Gewichtsreduktion können aber eine Verbindung sein zu den Veränderungen des Energiehaushalts und der neuroendokrinen Homöostase unter Gewichtsreduktion.

kurzgefasst

Unter kalorischer Restriktion fallen alle Komponenten des Energiehaushalts ab, vor allem Grundumsatz und Umsatz durch körperliche Aktivität.

Die Veränderungen des Energiehaushalts unter Gewichtsreduktion sollen an einem Beispiel erläutert werden: Wir nehmen an, dass eine 50-jährige Frau mit 160 cm Körpergröße und einem Gewicht von 100 kg sich einer Gewichtsreduktion unterziehen will. Der theoretische Grundumsatz nach der Formel von Harris-Benedict ist:

BMR =  655,1 + 9,563 × 100 kg + 1,85 × 160 cm-4,676 × 50 = 1674 kcal/die

Der mittels indirekter Kalorimetrie gemessene Grundumsatz beträgt 1850 kcal/die. Dies würde hinsichtlich des Gesamtenergieumsatzes einen Wert von ca. 2250 kcal/die ergeben. Unterstellen wir, dass die Patientin mit -600 kcal/ die Zufuhr abnehmen kann, müssten ihr maximal 1650 kcal/die an Kalorienzufuhr empfohlen werden. Wir betrachten hier nur den kalorischen Effekt und diskutieren noch nicht die Zusammensetzung der Kost. Wenn es der Patientin gelingt, sich an diese Vorgaben zu halten, wird sie abnehmen und parallel dazu wird eine Reduktion des Grundumsatzes eintreten. Nach 4 Wochen wird die Reduktion des Grundumsatzes ca. 200 kcal/die betragen. Der Gesamtenergieumsatz wird dann also 2050 kcal/die betragen. Nach weiteren 4 Wochen fällt der Gesamtenergieumsatz um weitere 200 kcal/die, usw. Würde die empfohlene Kalorienzufuhr zur Gewichtsreduktion konstant bleiben, käme es relativ rasch zum Ausbleiben der Gewichtsreduktion. Dies bedeutet, dass die Empfehlungen zur Kalorienzufuhr an den Abfall des Grundumsatzes angepasst werden müssen. Pro 4 Wochen sollte also die Kalorienzufuhr um weitere 200 kcal/die reduziert werden. Es ist offensichtlich, dass dies nicht dauerhaft möglich ist. Es wird also darauf ankommen, effektive Maßnahmen gegen den Abfall des Grundumsatzes zu entwickeln und in die Behandlung der Patientin einzubeziehen. Bereits hier ist ersichtlich, dass effektive Programme zur Gewichtsreduktion Grundprinzipien des Energiehaushalts berücksichtigen müssen, ansonsten ist der Misserfolg in Form des „Jojo- Effektes“ unvermeidbar.

kurzgefasst

Programme zur Gewichtsreduktion müssen Grundprinzipien des Energiehaushalts berücksichtigen.


Welche Möglichkeiten haben wir, dem Abfall des Grundumsatzes entgegenzuwirken?

Steigerung des Gesamtenergieumsatzes über Steigerung der körperlichen Aktivität

Die Steigerung der körperlichen Aktivität muss integraler Bestandteil jedes effektiven Programms zur Gewichtsreduktion sein. Die physische Konditionierung wird einen erheblichen zeitlichen Umfang beanspruchen müssen, da ja der Abfall an Grundumsatz pro Tag aufgefangen werden muss. In unserem Rechenbeispiel wird dieser Abfall im 3. Monat der Gewichtsreduktion ca. 500–600 kcal/die betragen. Dies bedeutet, dass mit der zunehmenden Dauer der Gewichtsreduktion auch der Zeit- und Intensitätsbedarf für körperliche Aktivität zunehmen muss. Ein effektives Sportprogramm wird eine Mischung aus Ausdauer- und Krafttraining beinhalten. Das Krafttraining dient dabei der Steigerung der Muskelmasse und über diesen Weg der Steigerung des Energieverbrauchs [50].

Zusätzlich zu den bekannten Mechanismen führt eine deutliche Steigerung der körperlichen Aktivität zu einem Anstieg des Energieverbrauchs in der Phase nach dem Sport (post-exercise recovery period) und dies für mehr als 24 Stunden [6] [35]. Allerdings zeigen nicht alle Studien, dass die Kombination von Diät und Sport zu einer deutlich stärkeren Gewichtsabnahme führt als Diät allein. Hier geht es uns aber ganz besonders darum, dass durch Sport und körperliche Aktivität dem Abfall des Energieumsatzes unter Diät entgegengewirkt werden kann und Sport in ausreichender Intensität und Dauer die Gewichtserhaltung nach erfolgreicher Gewichtsreduktion unterstützen kann.

kurzgefasst

Die Steigerung der körperlichen Aktivität muss Bestandteil jedes Programmes zur Gewichtsreduktion sein, insbesondere um den Abfall des Energieumsatzes unter kalorischer Restriktion entgegenzuwirken.


Erhalt der LBM durch Muskelkräftigung und/oder diätetische Interventionen

Neben der Steigerung der körperlichen Aktivität über Ausdauertraining ist die Einbeziehung von Krafttraining in ein Gewichtsreduktionsprogramm außerordentlich wichtig, insbesondere um die Muskelmasse (LBM) zu erhalten und zu steigern (Zunahme der Muskelkraft durch Hypertrophie der Skelettmuskulatur) Diätetische Maßnahmen sollten dies unterstützen.



Welche Substrate werden während physischer Aktivität verbrannt?

Gut gesichert ist, dass Fettsäuren während niedriger und moderater Intensitäten der physischen Aktivität die dominierende Energiequelle sind (< 50 % VO2 max.). Mit zunehmender Intensität (> 50 % VO2 max.) werden Kohlenhydrate zur Hauptenergiequelle und da dies in der Regel anaerob abläuft, ist Glukose die einzige Energiequelle [1] [67]. Trotzdem nimmt mit steigender Intensität der körperlichen Aktivität die absolute Menge an oxidiertem Fett zu, so dass man den wenigen Adipösen, die zu intensiver physischer Aktivität in der Lage sind, diese intensive physische Aktivität auch aus Sicht der Utilisierung von Fett und gleichzeitig hohem Kalorienverbrauch empfehlen könnte. In der Regel wird die Empfehlung aber eine niedrig bis moderat intensive physische Aktivität sein, die aber zeitlich ausgedehnt werden sollte. Allerdings gibt es noch viele Kontroversen zu dieser Thematik.

Von der Vielzahl von Studien, die zu den Auswirkungen der Makronährstoff-Zusammensetzung einer Diät auf die Gewichtsreduktion vorliegen, beziehen sich nur wenige auf den potenziellen Effekt der Makronährstoff-Komposition einer Kost auf den Grundumsatz. Um einem Abfall des Grundumsatzes entgegenzuwirken, ist der Erhalt der LBM ein wesentliches Ziel. Eine Proteinzufuhr, die in der Lage ist, eine negative Stickstoffbilanz zu vermeiden, könnte von großer Bedeutung sein, um den Abfall der Muskelmasse gering zu halten [13].

Populär und von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung propagiert, sind Diäten mit hohem Kohlenhydratanteil (high carbohydrate/low fat) [17]. Diese Diäten führen in der Regel zu einem signifikanten Verlust an Körpergewicht, Fettmasse, LBM und Grundumsatz [3] [28] [33] [34] [52] [55] [56] [60]. Diätformen mit hohem Proteinanteil sollen in der Lage sein, den Verlust an LBM während einer Gewichtsreduktion zu minimieren [3] [28] [55] [60]. Auch der Grundumsatz-Abfall wurde unter proteinreicher Kost minimiert [60].

Diäten mit hohem Proteinanteil waren darüber hinaus in der Lage, die Insulin-Sensitivität zu verbessern [3] [22] [28] [51] und hatten keine negativen Effekte auf Blutdruck [22], Cholesterol, Triglyceride [3] [21] [22] [28] [51] und Knochenumsatz [21] [55]. Im Hinblick auf die hier diskutierten pathophysiologischen Prozesse des Energiehaushalts scheinen proteinreiche Diäten zur Gewichtsreduktion den Verlust an Körperfettmasse bei minimiertem Abfall an LBM und Grundumsatz zu fördern. Dabei scheint es sinnvoll zu sein, Fleisch als Eiweißquelle maßvoll bzw. reduziert einzusetzen [38] und Milcheiweißprodukte sowie pflanzliche Proteine zu bevorzugen.

kurzgefasst

Diätformen mit hohem Proteinanteil sollen in der Lage sein, den Verlust an LBM und den Abfall des Grundumsatzes unter Gewichtsreduktion zu minimieren.

Die immer wieder postulierten kohlenhydratreichen, fettarmen Kostformen müssen also letztlich unter dem Gesichtspunkt der Vermeidung des „Jojo-Effekts“ hinterfragt werden. Konklusive Aussagen sind sicher erst mit weiteren Studien möglich.

Schlussfolgernd muss ein langfristig effektives Programm zur Gewichtsreduktion die beschriebenen Aspekte des Energiehaushalts, insbesondere den reduzierten Grundumsatz unter Gewichtsreduktion (adaptive Thermogenese) berücksichtigen und in die Planung einbeziehen.

Konsequenz für Klinik und Praxis

Ein multimodales Programm zur Gewichtsreduktion muss möglichst folgende Komponenten beinhalten:

  • Ernährungsumstellung im Sinne kalorischer Restriktion mit reduziertem Fett- und hohem Proteinanteil. Die Empfehlungen zur kalorischen Restriktion müssen sich am Grundumsatz (möglichst gemessen) orientieren und diese Empfehlungen müssen im Verlauf der Gewichtsreduktion dem abfallenden Grundumsatz angepasst werden. Dies ist der entscheidende Punkt zur Vermeidung des sogenannten „Jojo-Effekts“.

  • Steigerung der physischen Aktivität im Sinne einer Kombination aus Ausdauer- und Krafttraining. Dabei wird initial eine eher niedrige Intensität und noch geringe Zeitdauer möglich sein, die aber im Verlauf sowohl hinsichtlich Intensität und Zeitaufwand deutlich gesteigert werden muss. Ziel ist, dem Abfall der LBM entgegenzuwirken und über diesen Mechanismus auch den Abfall des Grundumsatzes in Grenzen zu halten. Nur über diesen Weg kann das notwendige Ausmaß der kalorischen Restriktion im Verlauf begrenzt und dem „Jojo-Effekt“ entgegengewirkt werden.

  • Verhaltenstherapeutische Begleitung. Obwohl das Hauptaugenmerk auf den Komponenten 1 und 2 liegen muss, ist die verhaltenstherapeutische Begleitung der Patienten von enormer Bedeutung. Dies beginnt bereits mit dem Adipositas- Schulungsprogramm, mit dem die genannten Inhalte vermittelt werden und setzt sich in Krisenintervention fort.

  • Die ersten beiden Komponenten wurden aus der hier dargestellten Datenlage abgeleitet und entsprechen unserer klinischen Erfahrung. Langzeitstudien über Jahre, die belegen, dass der Jojo-Effekt tatsächlich vermieden werden kann, fehlen noch.



Autorenerklärung: MW, SRB, AB und MB erklären, dass sie keine finanzielle Verbindung mit einer Firma haben, deren Produkt in diesem Beitrag eine Rolle spielt (oder mit einer Firma, die ein Konkurrenzprodukt vertreibt).


Korrespondenz

PD Dr. Matthias Weck
Weisseritztal-Kliniken Freital/Dippoldiswalde
Bürgerstraße 7
01705 Freital


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Abb. 1 Komponenten des täglichen Energieumsatzes am Beispiel eines durchschnittlichen männlichen Probanden (70 kg Körpergewicht, 15 % Körperfettanteil [KF], 3000 kcal/die Energiezufuhr). Daten extrapoliert aus Respirationskammer-Messungen (modifiziert nach [45]). SMR = Sleeping Metabolic Rate; BMR = Basal Metabolic Rate (Grundumsatz); Arousal = Energieumsatz beim Aufwachen; TEF = Thermic Effect of Feeding (Nahrungs-induzierte Thermogenese).