Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2012; 47(6): 398-408
DOI: 10.1055/s-0032-1316482
Fachwissen
Anästhesiologie & Intensivmedizin Topthema: Rationaler Einsatz von Blutprodukten
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Rationaler Einsatz von Blutprodukten – Blut – eine besondere Ressource

Blood – a special resource
Christof Geisen
,
Michael Schmidt
,
Dieter Klarmann
,
Jörg Schüttrumpf
,
Markus M Müller
,
Erhard Seifried
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
04. Juli 2012 (online)

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Zusammenfassung

Hämotherapie ist ein integraler Bestandteil der modernen Hochleistungsmedizin. Ohne die Transfusion von Erythrozyten- und Thrombozytenkonzentraten sowie Plasma wären Hochdosis-Chemotherapien bei hämatologischen und soliden Tumoren, die Transplantation hämatopoetischer Stammzellen, Organtransplantationen, große operative Eingriffe sowie ein modernes Traumamanagement nicht denkbar. In diesem Beitrag wird der aktuelle Stand der Hämotherapie, das Risiko unverwünschter Wirkungen sowie Maßnahmen zur Risikovermeidung dargestellt. Auf die hämolytischen Transfusionsreaktionen (HTR), die transfusionsassoziierte akute Lungeninsuffizienz (TRALI) und transfusionsassoziierte Infektionen wird im Besonderen eingegangen. Mit der Einführung von Nukleinsäure-Amplifikations-Testen (NAT) für HIV-1 und Hepatitis-C-Virus (HCV) kann heute die HIV- und HCV-Transmission über Blutprodukte in Deutschland nahezu vollständig verhindert werden. Aktuelle Restinfektionsrisiken werden bezogen auf Blutpräparate des Deutschen Roten Kreuzes mit 1:10,8 Millionen für HCV, 1:4,3 Millionen für HIV-1 und 1:360.000 für Hepatitis-B-Viren (HBV) angegeben.

Abstract

Haemotherapy is an integral part of modern high-tech medicine. Without supportive care including red blood cell (RBC), platelet concentrate (PC) and fresh frozen plasma (FFP) transfusion, invasive therapies such as high-dose chemotherapy regimens for haematological and solid malignancies, haematopoietic stem cell (HSC) and solid organ transplantation as well as major surgery and modern trauma management would not be possible. In this article we describe the current state of haemotherapy, the risk of adverse effects and risk minimization measures, specifically focussing on haemolytic transfusion reactions (HTR), transfusion-related lung injury (TRALI) and transfusion-transmitted infections (TTI). Aided by the introduction of NAT technology for blood component screening, the residual risk of transfusion transmitted infections was reduced to 1:10.8 million for HCV, to 1:4.3 million for HIV-1, and to 1:360,000 for HBV for blood products of the German Red Cross Blood Service.

Kernaussagen

  • Die Anwendung von Blutpräparaten sollte auf Basis einer individuellen Nutzen-Risiko-Abwägung unter Berücksichtigung der vorliegenden Evidenz aus klinischen Studien gemäß konkreter Empfehlungen der Querschnittsleitlinien zur Therapie mit Blutprodukten und Plasmaderivaten der Bundesärztekammer erfolgen.

  • Bei der Indikationsstellung für die Substitution von Blutkomponenten müssen außer Laborwerten stets die Dauer, die Schwere und die Ursache der Erythrozyten-, Thrombozyten- bzw. Plasmafaktorendefizienz sowie die Vorgeschichte, das Alter und der klinische Zustand des Patienten berücksichtigt werden.

  • In Einrichtungen, die Blut und Blutbestandteile gewinnen, Blutprodukte herstellen, lagern und /oder abgeben, ist ein funktionierendes Qualitätssicherungssystem vorgeschrieben.

  • Die meisten schweren Transfusionsreaktionen entstehen durch Verwechslungen. Daher ist die Identitätssicherung und -kontrolle bei jedem Schritt der Transfusionsvorbereitung und -durchführung unerlässlich!

  • Das Risiko für eine immunogene transfusionsassoziierte akute Lungeninsuffizienz (TRALI) wurde seit 2009 durch den ausschließlichen Einsatz therapeutischer Einzelplasmen von männlichen Spendern oder von Frauen ohne Schwangerschaftsanamnese signifikant reduziert.

  • Das Restinfektionsrisiko für eine transfusionsassoziierte Virusinfektion (TTVI) wird mit

    • 1: 10,8 Mio. für Hepatites C,

    • 1: 4,3 Mio. für HIV-1 und

    • 1: 360 000 für Hepatites B

    bezogen auf Blutpräparate des DRK angegeben.

  • Durch Einführung des Pre-Donation-Sampling, Verkürzung der maximalen TK-Haltbarkeit von 5 auf 4 Tage sowie Einführung bakterieller Kulturverfahren, Schnelltestmethoden oder Pathogeninaktivierungsverfahren konnte das Risiko für eine transfusionsbedingte bakterielle Infektion (TBBI) deutlich reduziert werden.

  • Durch die prognostizierten demografischen Veränderungen wird bei Abnahme des Anteils spendefähiger, jüngerer Personen der Bedarf an Blutpräparaten für die gleichzeitig zunehmende Gruppe älterer Patienten kontinuierlich steigen.

Ergänzendes Material