Sprache · Stimme · Gehör 2012; 36(01): 46
DOI: 10.1055/s-0032-1310347
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

22q11-Mikrodeletion

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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
22. März 2012 (online)

 

Was ist das eigentlich?

Jeder Mensch besitzt insgesamt 44 Chromosomenpaare und 2 weitere Chromosomen, die das Geschlecht bestimmen (XX für weiblich, XY für männlich). Auf diesen insgesamt 46 Chromosomen ist das gesamte Erbgut (die Gene) enthalten. Jedes Chromosom mit Ausnahme des Y-Chromosoms sieht aus wie ein "X" und hat jeweils 4 "Arme", die entweder alle die gleiche Länge haben oder jeweils 2 kurze und 2 lange Arme. Auf diesen Armen (Abb. [ 1 ]) gibt es Genorte, die wie kleine Streifen ("Banden") aussehen und durch Numerierung genau angegeben werden können, z. B. 22q11.2.

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Abb. 1 Abbildung eines kurzen (Region p) und langen Armes (Region q) von Chromosom 22 mit den verschiedenen Genabschnitten, dargestellt als farbige Banden.

Bei der sogenannten 22q11-Mikrodeletion ist ein sehr kleines Stück ("mikro" bedeutet "sehr klein") Erbmaterial auf dem langen Arm (langer Arm wird "q", kurzer Arm "p" genannt) auf dem Chromosom Nummer 22 verlorengegangen. Das verursacht meistens eine allgemeine und sprachliche Entwicklungsbeeinträchtigung und kann auch die Entwicklung verschiedener Organe (z. B. das Herz) stören. Das 22q11-Mikrodeletionssyndrom wird auch CATCH 22-Syndrom, di George-Syndrom oder Shprintzensyndrom genannt, was historisch bedingt ist. Auch das Deletionssyndrom 22q11 oder 22q11-Syndrom meint dasselbe.


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Welche Erscheinungsbilder gibt es, wie häufig kommt diese Mikrodeletionvor?

Das Erscheinungsbild kann sehr unterschiedlich sein und ist abhängig von der Menge des verlorengegangenen Genmaterials. Häufig bestehen Herzauffälligkeiten, Veränderungen der großen Blutgefäße, Gaumensegelveränderungen oder Lippen- Kiefer-Gaumenspalten, eine verminderte Immunabwehr, Nebenschilddrüsenauffälligkeiten, diskrete Gesichtsauffälligkeiten (z. B. breite Nasenwurzel, Ohrmuschelauffälligkeiten), Ernährungsprobleme und Einschränkungen in der sprachlichen, körperlichen sowie intellektuellen Entwicklung. Gesichtsfehlbildungen wie Lippen-/Kiefer-/Gaumenspalten und einige Herzfehler können u. U. bereits während der Schwangerschaft durch Ultraschall entdeckt werden. Manche Herzfehler werden aber auch erst nach der Geburt nachgewiesen und müssen, abhängig vom Ausmaß der Veränderung, vielleicht schon bald nach der Geburt operiert werden. Das Ausmaß der allgemeinen/sprachlichen/kognitiven Entwicklungsbeeinträchtigung entscheidet später über die Fähigkeit für ein selbstbestimmtes Leben, bzw. Arbeitsleben. Die Entwicklung ist sehr individuell. Die 22q11-Mikrodeletion ist mit einem Vorkommen von 1/4000 nach der Trisomie 21 die zweithäufigste Chromosomenstörung und die häufigste unter den Mikrodeletionen.


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Warum entsteht es?

Meistens besteht keine erkennbare Ursache. Diese Chromosomenveränderung ist überwiegend nicht von den Eltern vererbt, sondern durch eine "Laune der Natur" entstanden, nur in ungefähr 15 % ist die Vererbung von einem Elternteil nachweisbar.

Weitere Informationen

Neben der Beratung der betreuenden Ärzte gibt es im Internet unter dem Schlagwort "22q11" viele Foren und Elternselbsthilfegruppen.


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Wie wird es diagnostiziert?

Fachärzte für Humangenetik führen Chromosomenuntersuchungen durch und können auch beraten, insbesondere wenn die Frage nach dem Wiederholungsrisiko für weitere Kinder bezüglich einer genetischen Störung besteht. Hochspezialisierte Laboruntersuchungsverfahren sind für die Diagnose einer 22q11-Mikrodeletion erforderlich. Mit dem Wissen um die Ursache können Förderkonzepte individuell umgesetzt werden und die Angehörigen können in vielen Fällen etwas leichter mit der Situation umgehen.


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Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?

Der Chromosomendefekt selbst kann nicht behandelt werden. Begleitprobleme wie z. B. Herz-/Hauptschlagader- oder Gaumensegelauffälligkeiten werden in den meisten Fällen operiert, der Verlauf ist häufig vielversprechend. Der u. U. auch gestörte Kalziumstoffwechsel sollte regelmäßig kontrolliert und gegebenenfalls mit Medikamenten behandelt werden. Bezüglich der Infektanfälligkeit gibt es keine Behandlungsmöglichkeit, so dass die Vermeidung und schnelle medikamentöse Bekämpfung von Infekten Priorität hat. Außerdem besteht bei Gaumensegelauffälligkeiten ein erhöhtes Risiko für chronische Mittelohrinfektionen, daher können auch Mittelohrdrainagen (Paukenröhrchen) zur Mittelohrbelüftung erforderlich sein. Wichtig ist deshalb die regelmäßige Kontrolle des Hörvermögens. Systematische Fördermaßnahmen bieten sich, abhängig von dem Allgemeinentwicklungs- und Sprachentwicklungsrückstand, an.

Dr. med. Cornelia Schwemmle, Hannover


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Abb. 1 Abbildung eines kurzen (Region p) und langen Armes (Region q) von Chromosom 22 mit den verschiedenen Genabschnitten, dargestellt als farbige Banden.