physioscience 2012; 8(1): 36-37
DOI: 10.1055/s-0031-1299259
Veranstaltungsbericht
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

11 Jahre Forced-Use Therapie am UKE

G. Ketels
,
H. Krüger
Further Information

Publication History

Publication Date:
27 February 2012 (online)

Symposium veranstaltet von der Physiotherapie und der Klinik und Poliklinik für Neurologie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf am 11.11.2011

Die Klinik und Poliklinik für Neurologie und die Physiotherapie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) führen seit dem Jahr 2000 erfolgreich die Forced-Use Therapie (FUT) für Patienten nach Schlaganfall durch. So ergab sich der Titel des Symposiums 11 Jahre Forced-Use Therapie am UKE.

Das Ziel der Veranstalter war, ehemaligen Patienten, Therapeuten, Ärzten, Betroffenen und Angehörigen einen Überblick über die Entwicklung der FUT der vergangenen 11 Jahre zu geben, den aktuellen Stand zu vermitteln und einen Blick in die Zukunft zu werfen. Prof. Christian Gerloff, Direktor der Klinik für Neurologie, und Gesche Ketels, Leitung Physiotherapie am UKE, wiesen in ihrer Begrüßung auf das Besondere des Symposiums hin: der Bereitschaft sowohl der Referenten als auch der Zuhörer, sich auf eine Mischung aus wissenschaftlichem Diskurs und Berichten aus dem klinischen Alltag einzulassen.

Die Vortragsreihe eröffnete Prof. Dr. Cornelius Weiller, Direktor der Neurologischen Universitätsklinik Freiburg, der vor 11 Jahren das Thema von Jena mit nach Hamburg brachte und durch die ersten Untersuchungen der Patienten im funktionellen Kernspintomografen wissenschaftlich begleitete. Er erinnerte an den Ursprung dieser Therapie durch Prof. Dr. Edward Taub aus Alabama, berichtete von diversen Forschungsergebnissen seiner Mitarbeiter und erläuterte den Forschungsstand der Spiegeltherapie.

Die Physiotherapeutin (B. A.) Kerstin Haevernick referierte über die 11-jährige Erfahrung mit der FUT (Constraint-induced movement therapy, CIMT) und stellte deren Rahmenbedingungen FUT am UKE vor. Die Therapie wird klassisch bei Arm- und Handdefizit mit Schienenrestriktion an der weniger betroffenen Hand oder bei stärkerem Defizit (FUT-modifiziert) ohne Schiene durchgeführt. Die FUT findet ambulant und als 1:1-Betreuung mit einer Physiotherapeutin an 10 aufeinanderfolgenden Werktagen statt. Es handelt sich um eine sinngebende alltags- und zielorientierte Therapie, die besonders von der partnerschaftlichen Arbeit mit den Patienten, Therapeuten und Angehörigen zu einem guten Ergebnis führt. Haevernick führte Testsequenzen aus dem Wolf Motor Function Test(WMFT) und Videosequenzen einer Therapiesituation und einer Essensbegleitung vor.

Heike Krüger, Physiotherapeutin (M.Sc.), erläuterte die FUT für die untere Extremität und zeigte Beispiele aus dem Alltag der 2-wöchigen Therapie. Die Patienten trainieren unter anderem auf dem Laufband (mit/ohne Aufhängung) und dem Crosstrainer. Bei der FUT der unteren Extremität geht es darum, wieder Vertrauen zu seiner eigenen Leistungsfähigkeit zu gewinnen bzw. sie zu verbessern. Im Vordergrund stehen die Sturzprophylaxe sowie das Ausdauer- und Krafttraining. Krüger berichtete, dass bisher 140 Patienten an der FUT im UKE teilgenommen haben. Es gäbe noch viel mehr Interessenten, deren Therapie aber daran scheitert, dass die Krankenkassen trotz Evidenznachweis die Kosten nicht übernehmen. Die Therapie ist noch nicht in den Heilmittelkatalog aufgenommen und wird in Einzelfallentscheidungen bearbeitet – das setze ein gutes Durchhaltevermögen seitens der Betroffenen und ihrer Angehörigen voraus.

In den 11 Jahren führte das Team der Physiotherapeutinnen 4 jeweils 2-tägige interprofessionelle Workshops zum Thema FUT durch, kann 2 Wissenschaftspreise des ZVK e. V. sowie einen Posterpreis des DGPMR aufweisen und ist an mehreren deutschen und englischen Publikationen der medizinischen Fachliteratur beteiligt.

Kirstin-Friederike Heise, Physiotherapeutin (M.Sc., B.Sc.) und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Klinik für Neurologie, veranschaulichte die wissenschaftlichen Grundlagen der FUT. Mittlerweile sind über 400 Publikationen mit großen und kleinen Fallzahlen erschienen. Die ersten Daten von Taub wurden bereits 1976, die erste randomisiert kontrollierte Studie (RCT) aber erst im Jahr 2000 veröffentlicht. Trotz der guten Evidenz gab Heise zu bedenken, dass die FUT kein Wundermittel für alle Patienten darstelle. Sie sieht die Herausforderung der sensomotorischen Rehabilitation darin, die richtige Therapie zum richtigen Zeitpunkt für die richtige Subgruppe zu finden. Die vorhandenen Ressourcen müssen gefördert und die Nachhaltigkeit der positiven Effekte noch stärker untersucht werden. Die Bandbreite der Interventionsmöglichkeiten variieren in Inhalt, Trainingsmodalität, Intensität, Variationsbreite und Setting. Es sei wichtig, unter Einbeziehung wissenschaftlicher Erkenntnisse eine gute Versorgungsstruktur zur Unterstützung der Patienten und ihrer Angehörigen aufzubauen.

Die „klassische“ 2-wöchige Forced-Use Therapie findet im therapeutischen Alltag bisher keinen Raum. Daher war es besonders interessant, die Sicht von Dr. Gabriele Bender, Chefärztin des Rehacentrums Hamburg, zu erfahren. Dr. Bender ist seit 11 Jahren in der Rehabilitation tätig und hatte an einem der ersten Workshops zur FUT am UKE teilgenommen. Sie leitete ihr Thema Elemente der Forced-Use Therapie in der Rehabilitationsklinik – Erfahrungen der Umsetzbarkeit mit der Darstellung der Bedingungen ein, unter denen Rehabilitationskliniken arbeiten. Besonders deutlich wurden die begrenzten finanziellen Mittel, die von den Kostenträgern pro Patient zur Verfügung stehen. So ist es nötig, innovative effiziente Therapiekonzepte zu entwickeln. Die Rehabilitation befindet sich in einem Spannungsfeld zwischen Ökonomie, Therapeuteneinstellungen und Patientenerwartungen. Der Auftrag der Kostenträger (Begutachtung) und die Anwendung moderner Rehabilitationswissenschaften stehen bei den Therapeuten weniger im Fokus, obwohl diese Verfahren immer besser untersucht sind. Die Patienten seien motiviert und offen für neue Methoden und möchten ihre Mobilität und die Handfunktion (Basisfunktionen) wiedererlangen. Ihnen ginge es eher um Quantität sowie das Erreichen einer besseren Lebensqualität. Die Patienten erwarten die Unterstützung und Motivation durch Therapeuten, Ärzte und Angehörige. Junge Patienten seien kritisch und besonders motiviert. So sieht Bender die Zukunft der Rehabilitation in der Umsetzung neuer Behandlungskonzepte, in denen die Forced-Use Therapie, computer- oder roboterassistierte Methoden und Zirkeltrainingsformen neben Einzeltherapien ihren Platz finden. Aus der Forced-Use Therapie finden sich Elemente wie der schriftliche Behandlungsvertrag, Hausaufgabenprogramm für das Heimtraining, Rehabilitationstherapiezirkel mit repetitivem alltagsorientierten Training und die Steigerung der Motivation für Bewegungen durch kontinuierliches Üben von Alltagssituationen wieder. Eine stärkere Betonung des Einsatzes von Assessments mit Feedback zur Steigerung der Motivation der Patienten können aus der FUT als Modell übernommen werden.

Dr. Friedhelm Hummel, leitender Oberarzt der Neurologie am UKE, nahm den Faden auf und berichtete über die neuesten Ansätze in der motorischen Rehabilitation. Als Basis der Neurorehabilitation sieht die aktuelle Studienlage ein intensives Training vor, in dem die spezifischen Defizite der Patienten durch Üben verringert werden. Hierzu bedarf es jedoch noch weiterer Entwicklungen innovativer Therapiestrategien. Bei Patienten mit starken Einschränkungen in der Finger-Hand-Motorik gibt es die Möglichkeit eines orthesengestützten Handfunktionstrainings mit Anleitung zum täglichen Eigentraining, was die Therapiezeit erhöht. In einer am UKE durchgeführten Studie war dabei die signifikante Funktionsverbesserung auch noch nach 12 Monaten nachweisbar.

Durch das roboterunterstützte Training lässt sich die Trainingszeit ebenfalls erhöhen, unter anderem durch das Eigentraining für die obere Extremität oder das Laufbandtraining mit Therapeutenunterstützung sowie dem roboterassistierten Laufbandtraining für die untere Extremität. Bei den nicht invasiven Hirnstimulationen führte Dr. Hummel die transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS) und die transkranielle Magnetstimulation (TMS) an. Er berichtete von der NETS-TRIAL-Studie, einer aktuellen europaweiten Multicenter-Studie, die unter anderem auch am UKE stattfindet. Hierbei wird die tDCS (Placebo versus Stimulation) mit einem täglichen 1-stündigen Hand-und Armtraining kombiniert.

Eine weitere Therapiemöglichkeit stellt das Brain-Computer-Interface dar, das sich noch in der Forschungsphase befindet und bereits in Einzelfällen zum Einsatz kommt. Es ermöglicht z. B., über die Augenbewegung den Cursor auf einem Bildschirm zu bewegen.

Dr. Hummel betonte, dass Patienten auch im chronischen Stadium nicht „austherapiert“ seien. Er sieht die optimale Therapie darin, patientenadjustiert zu trainieren und das Eigentraining sowie die Therapiezeit zu erhöhen. Wichtig sei die ambulante Betreuung und Koordination der Therapie durch spezialisierte und interprofessionelle (ambulante) Zentren und das evidenzbasierte Weiterentwickeln von Therapiestrategien.

Das Symposium zeigte, wie interprofessionell durchgeführte Forschung und Therapie die Neurorehabilitation bereichert und den Patienten auch Jahre nach dem Schlaganfall Fortschritte ermöglicht.

Gesche Ketels und Heike Krüger

Zoom Image
Abb. 1 Prof. Christian Gerloff, Direktor der Klinik für Neurologie, und Gesche Ketels, Leitung Physiotherapie am UKE bei der Begrüßung der Teilnehmer (Foto: K.-F. Heise).