Zeitschrift für Palliativmedizin 2010; 11(4): 153-154
DOI: 10.1055/s-0030-1263010
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"Carpe Diem" – Als Schülerpraktikanten im Zentrum für Palliativmedizin

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Publication Date:
20 July 2010 (online)

 

Für Oberstufenschüler einer Hochbegabtenklasse der CJD Christophorusschule Königswinter ist ein selbstgewähltes Praktikum vorgesehen, um Interessensgebieten nachzugehen, welche sonst zu kurz kommen. Wir, Melanie Tünsmeyer, 18 Jahre alt, interessiert an den Bereichen Psychologie und Pädagogik und Hendrik Riedasch, interessiert am medizinischen Sektor, entschieden uns für ein 2-wöchiges Praktikum im Dr. Mildred Scheel Haus, Zentrum für Palliativmedizin, Uniklinik Köln.

Dass aufgrund der Schwere der Erkrankungen und sensiblen Situation der Palliativpatienten und ihrer Angehörigen für uns kein engerer Patientenkontakt möglich war, konnten wir gut verstehen. Unsere Betreuerinnen, die Mitarbeiterinnen des Palliativzentrums Frau Nolden und Frau Romotzky, erklärten uns zu Beginn, dass auch Ehrenamtliche eine intensive Schulung durchlaufen müssen, bevor sie mit ihrer Arbeit mit Patienten beginnen können und dürfen.

In den Praktikumswochen beschäftigten wir uns oft mit der Thematik Sterben, Tod und Trauer aus theoretischer Sicht. In Selbsterfahrungsübungen versuchten wir, uns sowohl in die Situation der Patienten und Angehörigen, als auch in die Situation der Begleitenden hinein zu versetzen und beobachteten und reflektierten unsere Emotionen.

Die Übungen waren dem Befähigungskurs für Ehrenamtliche entnommen, welche wir in den 2 Wochen unter Anleitung der Ehrenamtskoordinatorin Nicole Nolden, als eine Art "Crash-Kurs" behandelten. Außerdem erhielten wir die Möglichkeit, mit Mitarbeitern des multiprofessionellen Teams zu sprechen und ihnen Fragen zu stellen. Natürlich gab es auch eine Führung über die Station. Jeden Morgen trafen wir uns zu viert zu einer "Blitzlicht"-Runde. Hier sprachen wir über unsere Befindlichkeit und darüber, ob uns vom Vortag noch etwas beschäftigt hat.

Die eindrucksvollste praktische Übung war für uns Beide, als einer von uns mit geschlossenen Augen auf den anderen zugehen sollte, während dieser (mit ebenfalls geschlossenen Augen) bestimmen sollte, wo er stehen bleiben sollte. Es war für uns vollkommen neu, so zu erspüren und zu reflektieren, was Nähe und Distanz wirklich für einen selbst bedeuten und wo die eigenen Grenzen liegen.

Natürlich war es für uns nicht immer einfach, konzentriert und ausschließlich ernst dabei zu sein, weil wir oft persönlich stark berührt wurden. Dennoch hatten wir nie das Gefühl, zu irgendetwas genötigt zu werden. Unsere Betreuerinnen betonten, dass wir darauf achten sollen, immer nur so weit zu gehen, wie es für uns angenehm ist. Außerdem waren wir beide der Meinung, dass wir nur mit Offenheit und der Bereitschaft, sich eventuell auftretenden Schwierigkeiten zu stellen, die Zeit im Mildred-Scheel-Haus würden nutzen und viel mitnehmen können.

Ein besonders schönes Erlebnis für uns war, als wir im Rahmen eines Waffelbackens doch noch persönlichen Kontakt zu den Patienten aufnehmen konnten. Obschon die eine oder andere Waffel verbrannte, war es etwas Besonderes, mitzuerleben, wie die Patienten diese Abwechslung genossen und im Verlauf immer mehr aus sich herausgingen. Bei einer Patientin dachten wir die ganze Zeit, sie wäre eine Angehörige, bis sie sich mit einem Lächeln verabschiedete und sagte, dass sie nun Besuch bekäme.

Reflexion über das vertrauensvolle Gespräch, eigene Grenzen und Handlungsmöglichkeiten zu Begleiten/Trösten (Quelle: Hanno Weinert).

Unser frisch erworbenes Wissen und unsere jugendliche Sichtweise konnten wir dann in unsere Projekt-Arbeit einbringen. Ganz nach dem Motto "Von Schülern für Schülern" war es unsere Aufgabe, ein Konzept zu entwickeln, welches Oberstufenschülern die Leitgedanken der Palliativmedizin und die Thematik Tod und Trauer im Rahmen des Schulunterrichts näher bringt. An unserem letzten Tag stellten wir den Mitarbeitern unser Konzept vor. Wir schilderten neben dem eigentlichen Plan für den Unterricht auch unsere Herangehensweise und die Besonderheiten der jugendlichen Zielgruppe, auf die man bei der Umsetzung achten muss. Die Aussicht, mit unserem Projekt auch anderen Schülern dieses Tabuthema näher zu bringen, hat uns die komplette Zeit über sehr motiviert. Dank der tatkräftigen Hilfe der betreuenden Mitarbeiter ist das Konzept in der Form gelungen, dass demnächst ein Testversuch an unserer Schule organisiert wird.

Melanie und Hendrik auf dem Weg: zuhören, verstehen, weitergehen - Schritte aus dem Befähigungskurs für Ehrenamtliche (Quelle: Hanno Weinert).

Trauer geht jeden etwas an, denn auch viele junge Menschen haben bereits Erfahrungen mit diesem Gefühl gemacht: Liebeskummer, Umzug, Verlust von Freundschaften. Scheidung der Eltern oder eben der Tod von geliebten Personen. Wir freuen uns auf die Möglichkeit, andere Menschen in unserem Alter durch unsere gewonnene Erfahrung anzuregen, sich mit dieser Thematik auseinander zu setzen, sich dadurch weiterzuentwickeln, und vielleicht auch mehr Sensibilität für das tägliche soziale Miteinander und die eigene Lebensgestaltung zu gewinnen.

Eine Selbsterfahrungsübung zum Thema Aufstehen (Quelle: Hanno Weinert).

Wir haben in diesen 2 Wochen vieles erfahren, das auch über unsere Zeit im Zentrum für Palliativmedizin hinaus nachwirken wird. Und sicher ist, dass das berühmte Motto des Barocks, "Carpe Diem" für uns beide jetzt tatsächlich mit Inhalt gefüllt ist.

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