Zeitschrift für Palliativmedizin 2010; 11(4): 145-146
DOI: 10.1055/s-0030-1263004
Forum

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York

Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Psychosoziale Onkologie – Alle Jahre wieder: Psychoonkologen tagen

Further Information

Publication History

Publication Date:
20 July 2010 (online)

 

Vom 02.-05.06.2010 fand die 28. Jahrestagung der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Psychosoziale Onkologie (dapo) statt. Wie immer - von Mittwoch bis Samstag um Fronleichnam. Wie immer - lange vorher ausgebucht mit 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Wie fast immer - in Wiesbaden-Naurod und - wie immer: unter einem Motto.

"Angst und Zuversicht - das Spannungsfeld der Psychoonkologie" bildete in diesem Jahr den thematischen Überbau für neun Vorträge, ebenso viele Workshops und sieben moderierte Interessensgruppen. Das Bedürfnis nach festen Bräuchen befriedigte der Eröffnungsvortrag am Mittwochabend. Wie immer: lang. Wie immer: anspruchsvoll. Wie oft: alle Aufmerksamkeit bindend.

Martin Sack aus der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie im Klinikum rechts der Isar der TU München widmete sich der Frage "Was geschieht im Gehirn bei Angst? Neurophysiologische Grundlagen der Angst". Neben neurobiologischen Funktionsweisen autonom-vegetativer und endokrinologischer Stressreaktionen wurden insbesondere Auswirkungen panischer Ängste und Bindungsverhalten im klinischen Alltag sowie Informationsverarbeitungsmodelle traumatischer Ängste unter kritischer Würdigung traumatherapeutischer Ansätze bei Krebspatienten dargestellt.

Der Donnerstag begann mit einem Hexenritt durch eine nicht nur für Psychoonkologen schwierige Materie.

Michael Zühlsdorf aus Dülmen gab einen Überblick über neue medikamentöse Therapien in der Onkologie. Klar und verständlich, und zur Freude des Auditoriums unter Vermeidung von "Konfusogrammen" zeigte er anwendungsorientiert anhand unterschiedlicher Entitäten die historische Entwicklung wesentlicher Medikamente, von Tamoxifen über Avastin, Imatinib, Sunitinib, Temsirolimus bis hin zu Lapatinib. Nicht unerwähnt blieben Fragen der Kosten-Nutzen-Abwägung.

Jeanette Böhler aus Sigmaringen widmete sich der wichtigen Frage "Wann ist Angst pathologisch?". Da gerade in der Onkologie durch Diagnostik und Therapie Angstverstärker nicht ausgeschlossen werden können, ist die Differenzierung zwischen "normaler Angst" und Angsterkrankungen von zentraler Bedeutung. Wichtiges Fazit war, Angstdiagnostik als interdisziplinäre Aufgabe unter Einbeziehung von Somatikern zu sehen.

Anschließend stellte Susanne Wittorf aus Osnabrück hoch differenziert "Interventionen bei Angst" dar. Dazu bediente sie sich des Bildes eines Chamäleons, das mit der Fähigkeit kommuniziert, je nach Befinden die Farbe und die Farbmuster der Haut zu wechseln. Bei Stress würden sie schwarz und bei Lust könnten sie wunderbar grün-türkis leuchten. So wie die äußeren Farben des Chamäleons diene Angst, wie Gefühle insgesamt, der Kommunikation. Äußerst gelungen waren dabei die Aspekte der Endpathologisierung von Angst im onkologischen Kontext. Im Zentrum des Vortrags, der einen inhaltlichen Höhepunkt der Tagung darstellte, standen das Modell der 5 Säulen der Identität von Hilarion Petzold und die von Klaus Dörner formulierte, durch vier Denkfehler gekennzeichnete "Gesundheitsfalle":

zu glauben, dass die Krankheitsbekämpfung selbst uns gesund machen würde, zu negieren, dass wir dauerhaft in Auseinandersetzungen mit irgendwelchen Erkrankungen und Behinderungen sind und damit leben lernen müssen, zu glauben, dass die Medizin uns unsere Gesundheit wiedergeben könne und zu glauben, dass Gesundheit ein Stoff wäre, den man nicht als Gabe empfangen hat, sondern den man sich aneignen könne.

Interventionen im Sinne von GEGEN die Angst, die Patienten oft von Psychoonkologen erhofften, könnten Gefahr laufen, in diese Gesundheitsfalle zu tappen. Grundlage von Interventionen bei Angst, einem Produkt mit Verfallsgewissheit, bei dem nur das Datum unbekannt ist, sei die Freiheit, dem Menschen in Angst mit Respekt zu begegnen sowie Freiheit von eigenen Ängsten und Freiheit von Therapieideologien.

Der Nachmittag diente dann dem Austausch in moderierten Interessensgruppen zu Themen wie "Kinder krebskranker Eltern", "Beratungsstellen", "Brustzentren", "Rehabilitation" und auch "Palliativmedizin". Letztere, vom Autor dieses Beitrags moderierte Gruppe, bestand aus 17 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Nach einer Umbenennung in "Interessensgruppe Palliative Care" erging der Beschluss, sich als "feste" Gruppe mit gegenseitigem Austausch in der dapo zu etablieren. Entsprechende Informationen werden auf der dapo-Website (http://www.dapo-ev.de) erscheinen.

Vor Beginn des Festabends. Eröffnung durch die dapo-Vorsitzende Andrea Schumacher (Quelle: Manfred Gaspar).

Am Freitagmorgen stellte Nicole Pakaki aus Ostfildern unter dem Titel "Die Hoffnung bleibt, aber sie ändert ihr Ziel - Psychoonkologie in der palliativen Medizin" anregende propädeutische Überlegungen an. Wesentliche Einblicke in das Erleben von Kindern krebskranker Eltern gab Claudia Heinemann aus Hamburg und Bernhard Kleining aus Osnabrück ging subtil der Frage nach, ob Männer und Frauen unterschiedlich mit Angst umgehen.

Traditionelle Workshop-Arbeit fand am Nachmittag statt. Das Themenspektrum war breit gefächert, wie die Übersicht zeigt:

Psychoonkologische Gesprächsgruppen Die neuen Psychopharmaka - Möglichkeiten und Grenzen Am Leben sein - Achtsamkeit in der Psychoonkologie Die Welt der Trommeln ist riesig - die der Rhythmen noch viel größer Katathym imaginative Psychotherapie - über die Arbeit mit inneren Bildern in der Psychoonkologie Stärkung für das erschöpfte Selbst - Tanz- und Bewegungstherapie in der Psychoonkologie Wenn aus Helfern Betroffene werden Interventionsworkshop Krebs und Sexualität: Mut zu Zärtlichkeit und Lust

Wie immer, begann dann der Festabend um 19 Uhr - verlässliche Aussagen datieren das Ende auf nach 4 Uhr früh.

Dessen ungeachtet hatte Gerhard Strittmatter aus Münster am Samstag um 10 Uhr eine begeisterte Zuhörerschaft bei seinem berührenden Vortrag "Untröstlichkeit und Hoffnungslosigkeit als Herausforderung: Grenzerfahrung im Rahmen des systemischen Arbeitens in der Psychoonkologie".

Der Tagungsort: Das Wilhelm-Kempf-Haus in Wiesbaden-Naurod (Quelle: Manfred Gaspar).

Und schließlich verbreitete Peter Herschbach aus München mit seinen Ausführungen zur Psychosozialen Onkologie im nationalen Krebsplan Zuversicht für diese Disziplin, da Patientenorientierung und psychosoziale Versorgung im nationalen Krebsplan als integraler Bestandteil der Gesamtbehandlung festgeschrieben würden.

Intensive Arbeit, gelungene Vorträge, bereichernde Begegnungen: Das waren die Ingredenzien der Jahrestagung 2010.

Mutmaßlich wird es dann im nächsten Jahr vom 22.-25.06.2011 nicht anders sein.

Manfred Gaspar, St. Peter-Ording

    >