Krankenhaushygiene up2date 2011; 6(1): 7-8
DOI: 10.1055/s-0030-1256362
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Wie lassen sich Kosten von nosokomialen Infektionen beurteilen?

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Publication Date:
22 March 2011 (online)

De Angelis G et al. Estimating the impact of health-care associated infections on length of stay and costs. Clin Microbiol Infect Dis 2010; 16: 1729 – 1735

Nosokomiale Infektionen (NI) verursachen neben vielfältigem persönlichem Leid zusätzliche Kosten im Rahmen einer Krankenhausbehandlung. Diese sind für die einzelnen Kliniken zunehmend von Bedeutung, da sie aus den Erlösen der Fallpauschalen finanziert werden müssen. Zwischen 1990 und 2004 wurden zahlreiche Studien zu den zusätzlichen Kosten, die sich durch NI ergeben, durchgeführt. Diese kommen allerdings zu recht unterschiedlichen Schätzungen, weshalb De Angelis et al. in diesem Review auf die statistischen Probleme solcher Berechnungen eingehen.

Die Qualität vieler publizierter Studien ist durch 2 Quellen systematischer Fehler deutlich reduziert. Zum einen berücksichtigen viele Studien das komplexe zeitliche Geschehen bis zum Auftreten einer NI nicht und definieren sie als zeitlich unveränderliches Ereignis. Dies führt zu einem Phänomen, das Time-dependent Bias genannt wird und die Verlängerung der Aufenthaltsdauer durch eine NI überbewertet. Zum anderen beeinflussen weitere Faktoren, wie z. B. die Schwere der Erkrankung, die häufig nicht adäquat erfasst wird, die Verweildauer und können zu falschen Ergebnissen führen.

Das Studiendesign muss so gewählt werden, dass mögliche Störvariablen berücksichtigt werden können. In vergleichenden Kohortenstudien müssen Faktoren, die die Verweildauer beeinflussen, beachtet werden. Je mehr dieser Merkmale allerdings mit einbezogen werden, desto niedriger war der in Studien beobachtbare Anstieg der Verweildauer und der Kosten. Überdies kann die Auswahl der Kriterien ebenfalls zu einem systematischen Fehler führen.

Multivariate statistische Regressionsanalysen können diesen Selektions-Bias umgehen und erlauben die Einflussnahme auf eine größere Anzahl von Confoundern. Hier besteht allerdings häufig ein Endogenitäts-Bias dadurch, dass sich das Risiko einer NI und die Verweildauer gegenseitig beeinflussen. Deshalb wird eine Strategie mit Hilfsvariablen vorgeschlagen, wobei diese eng mit der endogenen Variable, hier dem Auftreten von NI, korrelieren, die Krankenhausverweildauer jedoch nicht direkt beeinflussen. Beispielsweise wurden in einer Studie nasogastrale Sonden und Sauerstofftherapie als Hilfsvariablen eingesetzt, die Risikofaktoren für die Entwicklung einer NI sind, jedoch keine bestimmenden Faktoren für die Verweildauer darstellen.

Sogenannte Längsschnittmodelle helfen, den zeitlichen Ablauf bis zur Feststellung der NI mit zu berücksichtigen. Im statistischen Sinne stellt das Auftreten einer NI eine Exposition für eine längere Verweildauer und höhere Krankenhauskosten dar. Die Exposition ist dabei ein zeitlich variables Risiko, das bei der Analyse berücksichtigt werden muss. Da das Risiko individuell sehr unterschiedlich ist, kommt grundsätzlich die Inzidenzdichte als geeigneter Parameter zur Messung der Infektionshäufigkeit infrage. Ist eine Anpassung an eine zeitlich variable Exposition erforderlich, so wird das Ergebnis meist als Incidence Rate Ratio oder Hazard Ratio (HR) angegeben.

Um zeitlich variable Expositionen zu berücksichtigen, helfen auch Mehr-Stadien-Modelle weiter. Sie beschreiben verschiedene mögliche Ereignisse und deren Eintreten in einer definierten Kohorte. So kann beispielsweise das Auftreten einer NI als intermediäres Ereignis sowie Entlassung und Tod als Endpunkte definiert und der Übergang zwischen den Stadien protokolliert und analysiert werden. Die Zusammensetzung der Gruppen mit infizierten und nicht infizierten Patienten ist mit der Zeit ständigen Änderungen unterworfen. Mehr-Stadien-Modelle besitzen ebenfalls gewisse Einschränkungen. Im Alltag dürfte am relevantesten sein, dass zur Berechnung viele individuelle Patientendaten benötigt werden, die z. B. im Rahmen von prospektiven Kohortenstudien täglich erhoben werden müssen und damit einen großen Arbeitsaufwand erfordern.

Fazit: Die Autoren weisen in ihrem theoretisch gehaltenen Übersichtsartikel auf grundsätzliche, mathematisch-epidemiologische Probleme hin, die bei der Abschätzung von Folgekosten und verlängerter Verweildauer durch das Auftreten von nosokomialen Infektionen häufig zu fehlerhaften Ergebnissen führen. Wünschenswert ist, dass die vorgeschlagenen alternativen Analysemodelle zukünftig häufiger angewandt werden, damit klinische und politische Entscheidungen auf der Basis solider Daten getroffen werden können.

Dr. Patrick Weißgerber, Tübingen

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