PiD - Psychotherapie im Dialog 2009; 10(3): 256-257
DOI: 10.1055/s-0029-1223332
Interview

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Burisch on Burnout

Sechs Fragen an Matthias BurischMatthias  Burisch im E-Mail-Interview mit Maria  Borcsa und Bettina  Wilms
Further Information

Publication History

Publication Date:
04 September 2009 (online)

PiD: Seit wann beschäftigen Sie sich mit dem Phänomen „Burnout”? Und: Wie ist es dazu gekommen?

Matthias Burisch: Ich hatte die Sache schon zweimal selbst erlebt, bevor ich anfing, das Phänomen auch von der Metaebene herab zu betrachten. Ich hatte mir Anfang der Siebziger ein Problem als Dissertationsthema gewählt, für das ich mindestens ein Mathematikstudium hätte vorschalten müssen, aber das wurde mir zu spät klar. Keine Erbsenzählerei, nur aberwitzig komplex, meines Wissens hat bis heute keiner die Nuss geknackt. Es dauerte drei Jahre und führte mich bis kurz vors Ende der Fahnenstange. Bis ich resignierte und – ein auslaufender Vertrag sorgte für eine gewisse Nervosität – Knall auf Fall ein Projekt realisierte, das ich eher als Spielerei und Fingerübung angefangen hatte. Das konnte ich dann anschließend sogar in einer amerikanischen Zeitschrift publizieren. Es war aber eben nur Klasse 1b, darum hing der Geruch von Niederlage so in der Luft! Na ja, jedenfalls, Burnout Nr. 1 war in der Forscherrolle.

Ein paar Jahre später – mittlerweile hatte ich eher die Lehre zu meinem Feld der Ehre erklärt – habe ich einen meiner Kurse in Forschungsmethoden didaktisch runderneuert, natürlich mit viel Ambition, aber auch mit der mir noch nicht bewussten Erwartung, dies müssten die Teilnehmer doch bitte mit uferloser Begeisterung quittieren. Die reagierten ganz freundlich, aber wenn das „Projektstudium” mal das Krummmachen eines Fingers erforderte, blieben sie fast vollzählig weg. Burnout Nr. 2 war in der Lehrerrolle. Es hat ungefähr fünf bittere Jahre gedauert, bis ich begriffen habe, welch überzogenen Erwartungen ich da aufgesessen war.

Zurück zur Metaperspektive. Es war 1983, da führte ich ein langes Gespräch mit dem Personalvorstand eines Hamburger Großunternehmens. Zu der Zeit war mein Praxisschwerpunkt Organisations- und Personalentwicklung im Aufbau. Eigentlich hatte ich da nur Praktikumsstellen für meine Studenten akquirieren wollen, bekam aber in einer zweistündigen Audienz die seinerzeit drängendsten Personalprobleme erzählt. Unter denen war eines, wo ich die Ohren spitzte. Eine beunruhigend hohe Anzahl von mittleren Führungskräften, so zwischen Mitte 40 und Mitte 50, geriet scheinbar unerklärlich in persönliche Krisen. Konnte nicht einfach gekündigt werden, war aber auch nicht mehr einsatzfähig. Das kostete hohe Abfindungen. Nach ein paar Nachfragen stellte sich dann heraus, dass die Betroffenen eine Gemeinsamkeit hatten: Sie waren bei einer eigentlich fälligen Beförderung erstmals nicht zum Zuge gekommen, durften also damit rechnen, 10–20 weitere Jahre hinter demselben Schreibtisch verbringen zu müssen. Zu der Zeit glaubte man noch, Burnout gäbe es nur bei „Helfern” aller Art; heute ist das längst verlassen. Na, jedenfalls dachte ich: Das ist ja interessant, dafür müsste man mal eine Theorie entwickeln! Zwei Jahre habe ich dafür veranschlagt. Es wurden dann fünf, bis mein Buch fertig war, ein weiteres Jahr dauerte es, bis ein Verlag zugriff. Die Erstauflage – da hat denen noch die Hand gezittert – betrug 2000. Inzwischen ist das für Springer ein Steadyseller.

Was fasziniert Sie immer noch daran – (oder langweilt Sie inzwischen)? Was müsste passieren, damit Sie die wissenschaftliche „Lust” am Burnout verlieren?

Gute Frage. Um es gleich zu sagen: Das, was die mainstream psychology zum Thema Burnout produziert, langweilt mich enorm. Schon 1986 haben drei amerikanische Autoren vorhergesagt, dass wenn man weiter auf den ausgelatschten Pfaden der Stressforschung wandelte, man dann 20 Jahre später viel mehr Daten, aber nicht mehr Klarheit haben würde. Die 20 Jahre sind längst um, und sie haben recht behalten. Wir wissen allenfalls etwas besser, was wir nicht wissen. Tja, was fasziniert mich? Burnout ist etwas höchst Individuelles, dennoch habe ich bei jedem Fall, den ich kennen lerne, ziemlich schnell ein Wiedererkennungsgefühl. Wahrscheinlich – hoffentlich –, weil ich das Gemeinsame auf der richtigen Ebene suche. Das ist die Zwickmühle, die Falle, in der jemand steckt. Die finde ich ziemlich zuverlässig, und wenn es nicht gerade etwas von außen schicksalhaft über jemanden Hereingebrochenes ist, dann gibt es oft auch Lösungen, zumindest klare Lösungswege. Burnout ist aber auch auf der Theorie-Ebene unausschöpflich, weil die Querverbindungen zu anderen Themen so zahlreich sind.

Welche Verbindungen stellen Sie her zwischen dem Phänomen Burnout, der Ebene des Individuums (intrapsychische Bedingungen) und den sozialen Zusammenhängen (sozio-historischen Bedingungen)?

Ich habe da mein Zwiebelmodell. Burnout ist etwas, was in einem Individuum passiert; das ist der Kern der Zwiebel. Die nächste Schale drum herum ist die zwischenmenschliche – mit Chef oder Kollegin, Partner etc. Dann kommt (meist) das Team und dann die Organisation. Schließlich die gesellschaftliche Schale. Seit einem halben Jahr sehen wir deutlicher, dass all das auch noch in eine globale Schale eingebettet ist.

Ein Beispiel: Wenn jemand an seinem Arbeitsplatz langsam zugrunde geht, statt zu kündigen, kann das viele Gründe haben. Risikoscheu oder Bereitschaft zur Selbstausbeutung, das wäre etwas Persönliches. Die Falle kann durch einen inkompetenten Chef bemannt sein, das wäre zwischenmenschlich. Und wenn es eine Partnerin gibt, die sagt, „nix wie raus da, ich finanziere dich für die Übergangszeit”, dann könnte das die Krise beenden, ebenfalls zwischenmenschlich. Mit organisationalem Fokus würde man fragen, wieso ein so inkompetenter Chef in seinem Job noch tragbar ist. Die gesellschaftliche Komponente käme z. B. bei der Bewertung von Arbeitslosigkeit ins Spiel, und ob das Hilfsangebot angenommen wird, würde auch davon abhängen, ob es als akzeptabel gilt, sich von einer Partnerin ernähren zu lassen. Stellen wir uns nun noch vor, dass Protagonist und Chef in einem akut krisengebeutelten Bankhaus arbeiten, wo man sich für Führungsfragen gerade überhaupt keine Zeit nimmt, dann haben wir auch den globalen Einfluss auf die Bühne gebracht.

Die relative Bedeutung der Zwiebelschalen ist bei jedem Einzelfall anders. Dass die intrapsychische Komponente gar keine Rolle spielt, ist selten; dass sie die einzig beteiligte ist, auch.

Sollte Burnout Ihrer Ansicht nach eine eigenständige Diagnosekategorie im ICD / DSM werden?

Im ICD ist Burnout ja schon vertreten, allerdings nur ganz lapidar und als Z-Diagnose, die keiner Krankenkasse reicht. Die wichtige Frage ist eher: Sollte man mit der Diagnose Burnout krankgeschrieben oder frühverrentet werden können? Da bin ich zwiespältig. Einerseits ist es natürlich unbefriedigend, dass Ärzte auf Nachbardiagnosen wie Depression oder Anpassungsstörung ausweichen müssen, wollen sie jemandem eine ambulante oder stationäre Psychotherapie verschaffen. Andererseits gäbe es höchstwahrscheinlich einen Dammbruch, wenn etwas so schwer Abgrenzbares und leicht Simulierbares plötzlich ausreichen würde. Unterm Strich bin ich einstweilen eher dagegen.

Sollten bei Klienten mit einem Burnout-Thema Interventionen am Arbeitsplatz erfolgen?

Steht der Arbeitsplatz eindeutig im Zentrum des Problems – vielleicht ist das aber sogar der seltenere Fall –, dann ist der Vorgesetzte die Person mit den besten Interventionschancen. Er oder sie kann nämlich, jedenfalls theoretisch, Aufgaben, Ressourcen, Arbeitsmenge und -bedingungen verändern, Mobbingsituationen beenden, Forderungen stellen und Gratifikationen gewähren. Freilich kann so ein Mensch selber überfordert sein. Als dritten Schritt betrieblicher Burnout-Prophylaxe empfehle ich darum Einzel-Coaching von Führungskräften. Davor sollten Workshops oder Seminare für Vorgesetzte stattfinden, und zwar obligatorisch. Als erster Schritt muss in den meisten Organisationen aber erst einmal das Thema enttabuisiert werden. In den letzten Monaten habe ich bei derlei mehrmals mithelfen dürfen. Vielerorts weiß man zwar: Wir haben das Problem. Aber es gilt als zu heiß zum Anfassen, ähnlich wie das Thema Alkohol. Die Schweiz ist da etwas weiter. Dort ist 2004 ein bekannter Politiker mit der Selbstdiagnose Burnout zurückgetreten. Das gab einen Riesenwirbel in den Medien. Seitdem kann man dort, so mein Eindruck, offener reden.

Was ist Ihre Ansicht zur epidemiologischen Entwicklung des Burnout? Welche Präventionsmöglichkeiten sehen Sie? Welche Professionen sollten dabei einbezogen werden? Woran hakt eine Umsetzung?

Ich habe immer gesagt, dass es zur Prävalenz keine seriösen Zahlen gibt, und das ist nach wie vor so. Völliger Unsinn ist, was man nicht selten als Schlagzeile liest: Jeder soundso vielte Manager oder Lehrer oder was immer ist ausgebrannt.

Aber: Die indirekten Hinweise, z. B. in dem viel zitierten DAK-Gesundheitsreport 2006 zu Kosten psychischer Erkrankungen, von denen ein unbekannter Anteil einschlägig sein dürfte, und auch meine persönlichen Eindrücke lassen mich heute sagen: Ja, ich glaube, Burnout wird häufiger, und es wird in der Weltwirtschaftskrise noch häufiger werden. Es grassiert viel Angst, und Angst ist ein prima Nährboden für Burnout.

Die beste Präventionsmöglichkeit sehe ich in hoher Selbstaufmerksamkeit. Regelmäßig und oft vom Alltag zurücktreten, nüchtern Bilanz ziehen, allein oder mit anderen. Man kommt dann nicht so leicht in die Phase kopflosen Agierens, verdrängt und verleugnet die Krise nicht so leicht. Leider braucht das Zeit und Einübung, und beides fehlt natürlich in Zeiten gesteigerter Hektik, verdichteter und entgrenzter Arbeit besonders.

Viele Organisationen machen gute Erfahrungen mit sog. Employee Assistance Programs. Da zahlt man einem externen Institut eine monatliche Kopfpauschale, wofür sich dann jedes Organisationsmitglied dort Rat in allen Lebenslagen holen kann, gratis. Knackpunkt ist natürlich absolute Diskretion.

An manchen Stellen sind Hotlines, Helpdesks, Clearing-Stellen im Aufbau, wo man erst einmal telefonisch und auf Wunsch anonym, also mit niedriger Schwelle, einen Gesprächspartner findet. Darüber hinaus muss eine solche Stelle auch einen persönlichen Beratungstermin vermitteln können, und zwar rascher als in Monaten.

Wer soll das machen? Also, Psychologen sind schon mal viel zu rar, um die Flut alleine stemmen zu können. Die vorhin erwähnte Falle, wenn sie vorwiegend eine äußere ist, können beispielsweise Sozialarbeiter oder Anwälte viel besser aufhebeln als unsereins. Wir sind eher die Fachleute für die innere Komponente, die, wie gesagt, selten ganz fehlt. Und, ganz klar: Bevor man einem Klienten, der einfach nicht weiter weiß, ein Burnout-Syndrom attestiert, sollte medizinisch abgeklärt werden, ob es nicht in erster Linie ein Diabetes ist, der die von ihm wahrgenommene Erschöpfung erklärt.

Woran hakt es? Wie meist am Geld. Noch ist nicht klar, wer sich die Kosten wie teilen müsste. Da so aber höchstwahrscheinlich eine Menge Geld zu sparen ist, bin ich ausnahmsweise vorsichtig optimistisch, dass das kommt.

Herzlichen Dank für dieses interessante Interview.

    >