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DOI: 10.1055/a-2506-4928
Pneumokokkensepsis 2015–2022: Überlegungen zu Impfstrategien
Pneumococcal sepsis 2015–2022: considerations on vaccination strategiesZusammenfassung
Hintergrund
Obwohl Impfstoffe zur Verfügung stehen, ist die Häufigkeit von Sepsisfällen mit Streptococcus pneumoniae immer noch recht hoch.
Methoden
In den Jahren von 2015–2022 wurden bei 925 in unserem Labor untersuchten Blutkulturen Streptococcus pneumoniae nachgewiesen. Von einem Großteil, nämlich von 754 Stämmen, wurde der Serotyp bestimmt. Außerdem wurde deren in-vitro-Empfindlichkeit gegen einige Antibiotika getestet.
Ergebnisse
Die Isolate stammten überwiegend von älteren Menschen (>60 Jahre), und zwar häufiger von Männern als von Frauen. In den Jahren 2020 und 2021 wurden deutlich weniger Fälle von Pneumokokken-Sepsis verzeichnet, was vermutlich auf den nicht pharmazeutischen Maßnahmen zur Prävention aerogen übertragener Infektionen während der Coronapandemie (Schutzmasken, Abstand halten) beruht. Kinder im Alter bis zu einem Jahr waren auch relativ anfällig. Die Serotypen 3 und 8 dominierten. In dem 20-valenten Konjugat-Impfstoff waren 67% der gefundenen Serotypen enthalten und 75% in dem reinen Polysaccharid-Impfstoff. Die überwiegende Mehrzahl der Isolate war gegen Penicillin, Erythromycin und auch gegen Doxycyclin empfindlich. Multi-drug-resistente Stämme wurden nicht beobachtet.
Folgerungen
Eine Impfung hätte einen Großteil der Infektionen vermutlich verhindern können. Zu beachten ist jedoch, dass immerhin 27% der gefundenen Serotypen in keinem der angebotenen Impfstoffe enthalten sind.
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Abstract
Background
In spite of available vaccines the frequency of sepsis caused by Streptococcus pneumoniae still remains rather high.
Methods
In the years 2015–2022 Streptococcus pneumoniae could be isolated from 925 blood cultures in our laboratory. Serotyping was performed from 754 strains. In addition, their in vitro susceptibility to some antibiotics was assessed.
Results
In this period 925 blood cultures were positive, predominantly from aged patients (older than 60 years) and more frequently from men than from women. In the years 2020 and 2021 less positive blood cultures were found, which could be interpreted as a result from non-pharmaceutical interventions preventing aerogenically transmitted diseases such as coronavirus infections during the epidemic. Children were also relatively susceptible in their first year of life. 653 strains were serotyped, with serotypes 3 and 8 predominating. 67% of the serotypes found were covered by the 20-valent conjugate vaccine whereas the polysaccharide vaccine (PPV23) included 75%. The vast majority of isolates was susceptible to penicillin, erythromycin as well as to doxycycline. Multi-drug resistant strains were not detected.
Conclusion
A large part of the infections might have been prevented by vaccination assuming a high vaccine effectiveness. However, 27% of S. pneumoniae serotypes detected were not covered by any of the vaccines currently available.
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Einleitung
Streptococcus pneumoniae kann Erreger von verschiedenen, mehr oder weniger gefährlichen Infektionen sein, speziell von Otitis media (vor allem im Kindesalter), Pneumonie, Meningitis und Sepsis [1]. Abwehrgeschwächte Personen und vor allem alte Menschen sind besonders gefährdet [2]. Eine manifeste Infektion wird praktisch nur von 1/3 der aktuell 104 bekannten Varianten (Serotypen) in hoher Frequenz ausgelöst, obwohl alle im Prinzip pathogen sind. In der Routineuntersuchung im medizinischen Labor wird diese Serotypisierung der Isolate nicht durchgeführt, sondern nur am Referenzlabor für Streptokokken – zu epidemiologischen Zwecken.
Die Gefahr von Pneumokokken-Infektionen wäre im Prinzip durch eine Impfung gegen die Kapsel-Antigene zu reduzieren oder zu verhindern [3]. Die STIKO (Ständige Impfkommission) des RKI (Robert Koch-Institut) empfiehlt Impfungen für Kinder, für Personen > 60 Jahre und für Abwehrgeschwächte und bestimmte Berufsgruppen [4]. Neuerdings ist das Angebot an Impfstoffen erweitert worden, sodass eigentlich eine weitere Verringerung des Infektionsrisikos zu erwarten wäre, wenn dieses Impfangebot vermehrt akzeptiert würde.
Die Bevölkerung ist dann besonders auf den Schutz durch Impfung angewiesen, wenn Antibiotika ihre Wirksamkeit aufgrund von Resistenzen verloren haben. Während in vielen Ländern Europas, speziell in Rumänien (42,5%), Zypern (36,4%) und Frankreich (27,5%) eine Resistenz gegen Penicillin, das Mittel der 1. Wahl, existiert [5], ist dieses Problem in Deutschland geringer; aber resistente Stämme kommen durchaus vor [2]. Ähnlich niedrig ist die Resistenz von Pneumokokken gegen Makrolide [3].
Aufgrund von Erhebungen aus den Jahren 2015–2022 in einem Labor sollte die Häufigkeit der Pneumokokken-Sepsis je nach Alter erfasst werden und mit früheren Ergebnissen [2] verglichen werden. Um zu erkennen, welche Lücken bei Verwendung der verschiedenen Impfstoffe jeweils bestehen, wurde von der Mehrzahl der Isolate eine Serotypisierung durchgeführt. Zur Erkennung der Entwicklungen der Antibiotika-Resistenzen in den letzten Jahren wurden die Daten der in-vitro-Resistenzbestimmung erfasst.
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Material und Methode
Ausgewertet wurden die Ergebnisse der Laboranalysen aus Blutkulturen (Becton Dickinson, Heidelberg) bezüglich eines Nachweises von S. pneumoniae im Labor Limbach, Heidelberg, in den Jahren 2015–2022. Die Untersuchungsproben stammten überwiegend aus verschiedenen Kliniken in Südwestdeutschland. Die statistischen Auswertungen wurden mit dem HyBASE-Programm der Firma Epinet erstellt (Erläuterungen zu den Abfragen siehe Absatz „Ergebnisse“ weiter unten).
Ein Großteil der 925 isolierten Stämme von S. pneumoniae, nämlich 754 Isolate, wurde am Referenzlabor für Streptokokken in Aachen genauer analysiert und mit der Neufeld‘schen Quellungsreaktion (Antiseren vom Statens Serum Institute, Kopenhagen/Dänemark) serotypisiert.
Die Analyse der Resistenzen gegen Penicillin (Breakpoints: ≤ 0,06mg/l – empfindlich; >2 mg/l – resistent) und Erythromycin (Breakpoints: ≤ 0,25mg/l – empfindlich; >0,25mg/l –resistent) sowie gegen mehrere weitere Antibiotika – darunter Cefotaxim, Levofloxacin, Vancomycin und Linezolid – wurde mittels des VITEK-2-Systems (BioMérieux, Nürtingen) durchgeführt bzw. im Einzelfall mittels eines Agar-Diffusionstests und eines Streifen-Gradiententests (MIC-Test-Strip der Firma Liofilchem, Roseto degli Abbruzzi, Italien).
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Ergebnisse
Im Zeitraum von 2015–2022 konnten in 925 untersuchten Blutkulturen Pneumokokken nachgewiesen werden (Doppelregistrierungen eines Patienten innerhalb von einem Jahr wurden ausgeschlossen). Die Häufigkeit des Nachweises von Pneumokokken schwankte in den verschiedenen Jahren in gewissem Umfang ([Abb. 1]); auffallend ist das deutlich verminderte Auftreten einer Pneumokokken-Sepsis in den Jahren 2020 und 2021. Die Altersverteilung zeigte eine zunehmende Häufigkeit der Pneumokokken-Sepsis im Alter ([Abb. 1]).


Erläuterungen zu Statistik-Einstellungen (HyBASE-Software):
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Abgefragt wurde die Anzahl der untersuchten Blutkulturflaschen mit dem Nachweis von Pneumokokken.
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kein Copy strain: pro Patient
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Abgefragt wurden Patienten, die jeweils nach Alter (Tagen) in die Abfragen eingingen.
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Das Alter der Patienten wurde bei der Maßnahme berücksichtigt.
Die Fälle, die in der 1. Lebensdekade auftraten, betrafen ganz überwiegend Kinder im 1. Lebensjahr, denn 11 Befunde von den 30 Fällen wurden bei Kindern im 1. Lebensjahr erhoben.
Bei der Aufschlüsselung der Ergebnisse nach Geschlecht zeigte sich, dass bei Männern häufiger Streptococcus pneumoniae im Blut nachgewiesen wurde ([Abb. 2]).


Erläuterungen zu Statistik-Einstellungen (HyBASE-Software):
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Abgefragt wurden Pneumokokken-Nachweise mit vorhandener Angabe des Geschlechts (n=922) nach Männern und Frauen, nach Alter in Tagen
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ohne Copy strain: pro Patient
In 925 Blutkulturen konnten Pneumokokken isoliert werden. Von diesen wurden bei 754 Isolaten die Serotypen bestimmt. (Da die Einsendung auf einer freiwilligen Absprache bestand, ist er leider nicht stringent in allen Fällen erfolgt. Einige wenige Isolate waren auf dem Transport abgestorben; andere waren kontaminiert). Die Isolate konnten 46 verschiedenen Typen zugeordnet werden. Die Prävalenz der nachgewiesenen Serotypen in den Isolaten aus Blutkulturen war recht unterschiedlich; einige Serotypen, vor allem Serotyp 3 und Serotyp 8, dominierten. Andere Serotypen wurden in den 8 Jahren nur ganz selten (d.h. n<5) gefunden, wie etwa 1, 7B, 10B, 13, 15F, 18C, 21, 27 und 28F. Weitere in den Impfstoffen enthaltene Serotypen, wie 2, 5 und 9V, traten dagegen überhaupt nicht auf.
Die Prävalenz derjenigen Serotypen, die in den verschiedenen verfügbaren Impfstoffen vorhanden sind, ist in [Tab. 1] gelistet.
Im Impfstoff Pneumovax waren 75 % der Serotypen vertreten, die im Blut der Patienten nachgewiesen werden konnten, im Impfstoff Synflorix dagegen nur 8% (vor allem, weil der Serotyp 3 nicht vertreten war), in Prevenar 13 nur 38 %, in Vaxneuvance 45 % und in Prevenar 20 67 % der Serotypen.
Insgesamt waren von den 754 serotypisierten Stämme nur maximal 75% in den Impfstoffen enthalten ([Tab. 1]). In der Tat wurden aber viele weitere Serotypen in jeweils unterschiedlicher Häufigkeit (n >5) gefunden, die in keinem der Impfstoffe präsent sind (in Klammern die jeweilige Anzahl bzw. der prozentuale Anteil): 6C (13/1,7%), 7C (5/0,7%), 15A (31/4,1%), 15C (10/1,3%), 16F (7/0,9%), 23A (23/3,1%), 23B (18/2,4%), 24F (18/2,4 %), 31 (15/2%), 34 (5/0,7%), 35B (15/2%), 35F (18/2,4%), 38 (9/1,2%). Einige Serotypen waren sogar in durchaus ansehnlicher Zahl zu finden.
Bei nur 3 der insgesamt 925 Infektionen traten im Untersuchungszeitraum 2 Infektionen hintereinander auf. Bei einem Fall trat die Zweitinfektion 4 Jahre nach der ersten auf, und zwar wurde einmal Serotyp 19A und danach 10A festgestellt. Bei dem anderen Patienten trat die 2. Erkrankung bereits 6 Wochen nach der ersten auf, wobei zuerst Serotyp 15C und später Serotyp 38 gefunden wurde. Beim 3. Patienten wurde der Serotyp 3 im Abstand von 8 Monaten noch einmal isoliert.
Die allermeisten der Isolate waren auf Penicillin empfindlich; eine Resistenz gegen Makrolide (Erythromycin) und Tetrazykline (Doxycyclin) war nur geringfügig höher. Im Laufe der Jahre waren geringe Schwankungen, aber kein Trend erkennbar ([Tab. 2]). Tabellarisch dargestellt werden hier die Auswertungen aus den Jahren 2015–2022 für die Antibiotika Penicillin G, Erythromycin und Doxycyclin.
Erläuterungen zu Statistik-Einstellungen (HyBASE-Software):
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Abgefragt wurden die Resistenzen der in Blutkulturflaschen nachgewiesenen Pneumokokken von 2015–2022 pro Jahr (Abfrage: „Resistenzen-Entwicklung“)
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In die Abfrage gingen alle Materialien ein – unabhängig vom Alter der Patienten.
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kein Copy strain: pro Patient/92 Tage (analog den Vorgaben der RKI-Antibiotika-Resistenz-Surveillance [ARS])
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Diskussion
Pneumokokken sind immer noch eine häufige Ursache der Sepsis. In den 8 Jahren von 2015–2022 konnten 925 Isolate im Labor Limbach/Heidelberg nachgewiesen werden, die zu vielen verschiedenen Serotypen gehörten, nämlich zu 46 der aktuell 104 bekannten Serotypen. Auffallend ist der Rückgang der Anzahl der Blutkulturen mit Pneumokokken in den Untersuchungsproben in den Jahren 2020 und 2021 ([Abb. 1]; [Tab. 2]), also in Zeiten der Coronavirus-Pandemie, was vermutlich auf die sogenannten „Non-pharmaceutical Interventions“ (also das Tragen von Masken, Kontaktbeschränkungen etc.) zurückzuführen ist. Diese Beobachtung des Rückgangs an Infektionszahlen in diesen Jahren wurde ebenfalls für andere Pneumokokken-Erkrankungen berichtet, und darüber hinaus bei anderen respiratorischen Infektionen, die aerogen durch Tröpfchen übertragen werden [6] [7] [8]. Ob die Reduktion von Pneumokokken-Infektionen allein auf eine Reduktion der Exposition gegen Pneumokokken zurückzuführen ist, oder ob indirekt eine Reduktion der Exposition gegen respiratorische Viren, welche sonst die Progression einer Pneumokokken-Infektion bahnten [7], die Erklärung ist, sei dahingestellt.
Die Polysaccharid-Kapsel der Pneumokokken ist ein entscheidender Virulenzfaktor – und auch ein Ziel der Immunreaktion nach Infektionen. Deswegen kommen einige dieser verschiedenen Antigene als Impfstoffe zur Anwendung. Da von den unterschiedlichen Serotypen manche bei Untersuchungen von menschlichem Material dominieren, werden in den Impfstoffen präferentiell eben solche Serotypen verwendet, um eine Produktion protektiver Antikörper gegen die Kapsel-Antigene zu induzieren.
Der reine Polysaccharid-Impfstoff „Pneumovax“ (MSD Sharp & Dohme) enthält 23 Serotypen ([Tab. 1]). Unter den derzeit verfügbaren Konjugat-Impfstoffen differiert die Anzahl der enthaltenen Serotypen: „Synflorix“ (EurimPharm Arzneimittel bzw. GSK Deutschland) enthält 10, „Prevenar 13“ (von Pfizer) 13, „Vaxneuvance“ (MSD Sharp & Dohme) immerhin 15 und „Prevenar 20“ (Pfizer) sogar 20 Serotypen. Die meisten Serotypen, die bei den Patienten isoliert wurden, waren auch in den Impfstoffen vorhanden. Der Serotyp 3 war mit Abstand am häufigsten zu finden ([Tab. 1]). Dieser Serotyp stellt in der Tat in Deutschland das größte Problem dar [9]. Stämme vom Serotyp 3 bilden eine recht dicke Kapsel aus Glukose und Glukuronsäure, wodurch diese Kolonien sehr mukös erscheinen. Diese Epitope sind offensichtlich weniger immunogen als die anderer Kapselvarianten. Zudem sind diese Bestandteile nicht fest verankert, sondern lösen sich ab und werden in die Umgebung abgegeben. Das hat zur Konsequenz, dass spezifische Antikörper schon im Vorfeld weggefangen werden können, sodass die Bakterien selbst der Immunantwort entgehen (Escape-Mechanismus der Immuntoleranz). Nach einer Infektion bzw. Impfung werden zwar Antikörper gegen dieses Kapsel-Antigen gebildet [10], aber diese Antikörper sind nicht in der Lage, die Pneumokokken mit Sicherheit zu neutralisieren [11]. In der Tat wurde unter den 925 Fällen ein Patient gefunden, bei dem nach 8 Monaten eine zweite Infektion mit dem Serotyp 3 erfolgte. Aber im Allgemeinen entwickelt sich während einer Infektion (wie nach einer Impfung) eine tragfähige Immunreaktion gegen den entsprechenden Serotyp, sodass eine Zweitinfektion mit demselben Typ unterbleibt; in 2 der insgesamt 3 von 925 Fällen, wo im Untersuchungszeitraum eine Zweitinfektion mit Pneumokokken erfolgte, war ein Wechsel der Serotypen zu beobachten.
Die Serotypen 5 und 9V wurden in dieser Untersuchungsperiode bei Patienten gar nicht nachgewiesen ([Tab. 1]). Auch der Serotyp 2, der in Pneumovax, aber nicht in den Konjugat-Impfstoffen enthalten ist, trat gar nicht auf.
Im Vergleich zu der früheren Untersuchung von 2005–2010 [2] sind deutliche Verschiebungen der Serotypen festzustellen. Damals waren die Serotypen 1, 7F, 9V und 14 stark vertreten, die diesmal gar nicht oder nur recht selten nachgewiesen wurden ([Tab. 1]). Eine plausible Erklärung wäre, dass als Folge der Impfung mit einem Konjugat-Impfstoff im Kindesalter (der Polysaccharid-Impfstoff wirkt bei Kindern unter 2 Jahren nicht), wo eine Impfrate von 82% zum Zeitpunkt des Schuleintritts zu verzeichnen ist [12], eine Kolonisierung vom Nasopharynx mit solchen Serotypen erschwert wird, was bedeutet, dass ihre Prävalenz in der Bevölkerung schwindet und somit eine Übertragung unterbunden wird. Somit profitieren also auch Ungeimpfte von einer hohen Impfrate. Dafür muss man mit einem Replacement der Serotypen rechnen.
Bei Erwachsenen ist die Durchimpfungsrate immer noch gering, nämlich bei <25% [13]: zudem konnte der bislang von der STIKO empfohlene Impstoff Pneumovax auch keine lokale Immunität des Nasopharynx erzeugen, was vor einer Besiedelung geschützt hätte.
Immerhin wären 25% der in den Blutkulturen nachgewesenen Pneumokokken durch eine Impfung nicht präventabel gewesen, da die Kompositionen der Antigene in den Impfstoffen solche Typen, darunter etwa den Serotypen 15A und 23A, nicht einschließen. Dieser Aspekt der Rolle der „Non-Vaccine“-Serotypen muss in Zukunft bei der Komposition von neuen Konjugat-Impfstoffen mit den Kapsel-Antigenen noch stärker beachtet und diskutiert werden [14]. Außerdem bleibt abzuwarten, ob in der Zukunft auch Impfstoffe mit Erfolg eingesetzt werden können, die gar keine Kapsel-Antigene enthalten [15].
Der Vorteil der breiteren Antigen-Auswahl bei Pneumovax ist immer noch sichtbar, denn 75% der Infektionen mit den gefundenen Serotypen wären dadurch präventabel gewesen – allerdings nicht bei Kindern < 2 Jahre. (Das Fehlen des Serotyps 6A im Pneumovax-Impfstoff wäre bei 8 Fällen ([Tab. 1]) nachteilig gewesen). Aber der Unterschied zum Impfstoff Apexxnar, der im Vergleich zu Pneumovax nur 4 Serotypen nicht beinhaltet, wovon einer – nämlich der Serotyp 2 – in dieser Untersuchung nicht nachgewiesen werden konnte ([Tab. 1]), ist gering. Immerhin enthält er 67% der nachgewiesenen Serotypen. Die Konjugat-Impfstoffe haben einige immunbiologische Vorteile [16]. Der reine Polysaccharid-Impfstoff kann nur die Bildung von IgM anregen, welches wegen seiner Molekülgröße die Blutbahn nicht verlassen kann und somit ausschließlich vor einer Sepsis schützt. Zudem ist ja mit zunehmendem Alter die Effektivität des Impfstoffes wegen einer Immunoseneszenz verringert [17] [18]. Außerdem hinterlässt diese Impfung eine „Hypo-Responsiveness“ gegen die im Impfstoff enthaltenen Serotypen [19] [20], sodass eine Wiederholungsimpfung ineffektiv wird. Dagegen kann die Bildung von IgG und IgA mithilfe einer T-Zell-Reaktion nach der Impfung mit dem Konjugat-Impfstoff [21] auch vor anderen Manifestationen wie Otitis media und Pneumonie schützen, so dass auch Patienten mit COPD von einer Impfung profitieren. Durch die lokale, IgA-bedingte Immunität wird eine Kolonisierung vom Nasopharynx verhindert und damit die Ausbreitung der speziellen Serotypen unterbunden; die Impfung mit Konjugat-Impfstoff ist somit auch eine altruistische Impfung, die auch Nichtgeimpften einen Schutz vor der Infektion vermittelt [22].
Vor allem die Bildung eines immunologischen Gedächtnisses, das durch den Polysaccharid-Impfstoff nicht induziert wird [19], ist wünschenswert, damit nach 5–6 Jahren, wenn die Wirksamkeit der Impfung nachlässt, eine Wiederimpfung möglich ist und sogar von einem Booster-Effekt begleitet wird, sodass zuverlässige Antikörpertiter bis ins hohe Lebensalter zu erzielen sind. Denn gerade die Älteren (über 60 Jahre, was ja von der STIKO als das Alter angesehen wird, ab dem eine Impfung empfehlenswert wäre) sind in hohem Maße gefährdet ([Abb. 1]), was belegt, dass gerade diese Population geschützt sein sollte. Frauen sind offensichtlich weniger gefährdet als Männer ([Abb. 2]). Insgesamt bestätigen diese Ergebnisse die Empfehlung verschiedener Fachgesellschaften, die reine Polysaccharid-Impfung durch die Konjugat-Impfstoffe zu ersetzen [23]. Somit erscheint es nur folgerichtig, dass die STIKO beim RKI nun den 20-valenten Konjugat-Impfstoff als Regelimpfung bei älteren Erwachsenen (Personen >60 Jahre) empfiehlt [4]. Darüber hinaus zeigen diese Befunde, dass die Antigen-Zusammensetzung der Impfstoffe an die tatsächlich vorkommenden Serotypen angepasst werden sollte, denn die in den Impfstoffen enthaltenen Serotypen 2, 5 und 9V waren zumindest unter den hier gefundenen Isolaten nicht vertreten. Es ist anzunehmen, dass die Zusammensetzung der Antigene in den Impfstoffen wegen eines ständigen Replacements der Serotypen regelmäßig aktualisiert und ggf. erweitert werden muss.
Im Vergleich zu der Voruntersuchung [2] fällt auf, dass sich die Häufigkeit der Pneumokokken-Sepsis im Kindesalter verringert hat: wohl eine Folge der Impfungen. Ein kleiner Gipfel bei den Kindern in der 1. Lebensdekade besteht jedoch noch ([Abb. 1]). Am ehesten lässt sich das damit erklären, dass vor allem im 1. Lebensjahr bislang nur ein Teil dieser Altersgruppe – trotz der Impfempfehlung der STIKO – geschützt ist.
Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern [5] ist die Antibiotika-Resistenz bei Pneumokokken in Deutschland recht niedrig ([Tab. 2]). Die Resistenz gegen Penicillin lag deutlich unter 10%, und auch gegen Makrolide (Erythromycin) blieb die Resistenz über die Jahre – mit geringen Schwankungen – niedrig. Ein Aufwärtstrend, wie er sich in der Untersuchung von 2005–2010 gezeigt hatte [2], war in der Zeit danach offensichtlich nicht mehr erkennbar ([Tab. 2]). Auch Tetrazykline sind noch gut wirksam ([Tab. 2]). Weitere Antibiotika wie Cefotaxim, Levofloxacin, Linezolid und Vancomycin waren ebenfalls sehr gut wirksam (Daten nicht gezeigt). Eine bedrohliche Multi-drug-Resistenz, wie anderweitig berichtet und oft auch mit bestimmten Serotypen assoziiert [5], ist in der aktuellen Untersuchung nicht beobachtet worden.
Der Wert dieser Darstellung und Diskussion ist begrenzt, da nur Daten aus einem größeren Labor zur Verfügung standen, dessen Einsendegebiet sich hauptsächlich auf die Region Südwestdeutschland beschränkt. Angaben über die praedisponierende Faktoren, wie Splenektomie, Schwere der Krankheiten der Patienten und deren Konsequenzen werden in solchen Labordaten nicht erfasst und können folglich nicht berücksichtigt werden. Auch Angaben über eventuelle Impfungen wären im Prinzip hilfreich gewesen, um diese mikrobiologischen Befunde im Detail analysieren zu können.
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Die Pneumokokken-Sepsis ist in Deutschland immer noch recht häufig; vor allem im Alter und bei Männern kommt sie vor.
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Derzeit stehen Konjugat-Impfstoffe mit einem erweiterten Spektrum zur Verfügung, die in unserer Studie 75 % der untersuchten Isolate abgedeckt hätten.
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Interessenkonflikt
Die Autorinnen/Autoren geben an, dass meist kein Interessenkonflikt besteht. M. van der Linden erhielt Vortragshonorare von Pfizer, Merck/MSD und GSK.
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Literatur
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Publication History
Article published online:
21 February 2025
© 2025. The Author(s). This is an open access article published by Thieme under the terms of the Creative Commons Attribution-NonDerivative-NonCommercial-License, permitting copying and reproduction so long as the original work is given appropriate credit. Contents may not be used for commercial purposes, or adapted, remixed, transformed or built upon. (https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/).
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Oswald-Hesse-Straße 50, 70469 Stuttgart, Germany
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