CC BY-NC-ND 4.0 · Psychother Psychosom Med Psychol
DOI: 10.1055/a-2434-6837
Originalarbeit

Symptomerleben und Coping-Strategien bei Patient*innen mit Primär Biliärer Cholangitis: eine qualitative Interviewstudie im Rahmen von SOMA.LIV

Symptom perception and coping in patients with primary biliary cholangitis: a qualitative study in the context of SOMA.LIV
Nele Hasenbank#
1   Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
,
Laura Buck#
1   Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
,
Kerstin Maehder
1   Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
,
Johannes Hartl
2   I. Medizinische Klinik, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
3   Hamburg Center for Translational Immunology (HCTI), Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
,
1   Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
,
Christoph Schramm
2   I. Medizinische Klinik, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
3   Hamburg Center for Translational Immunology (HCTI), Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
4   Martin Zeitz Centrum für Seltene Erkrankungen, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
,
Anne Toussaint
1   Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
› Author Affiliations
 

Zusammenfassung

Patient*innen mit Primär Biliärer Cholangitis (PBC) leiden unter einer Vielzahl körperlicher Beschwerden wie Müdigkeit, Juckreiz oder Gelenkschmerzen. Da über das Beschwerdeerleben und die entsprechenden Coping-Strategien in dieser Patient*innengruppe bislang wenig bekannt ist, wurde eine qualitative Interviewstudie durchgeführt, in der 15 Patient*innen mit PBC befragt wurden. Die Patient*innen berichteten in ihrem Alltag durch zahlreiche Körperbeschwerden belastet zu sein, die teilweise umfangreiche Bewältigungs- und Anpassungsprozesse erfordern. Mit Hilfe der Thematischen Analyse konnten aus dem Datenmaterial zwei übergeordnete Themen herausgearbeitet werden: „Einschränkungen hinnehmen und Grenzen verschieben“ beschreibt die Herausforderung der Patient*innen, eigene Belastungsgrenzen neu zu definieren sowie Ansprüche und Erwartungen an die eigene Leistungsfähigkeit anzupassen. „Normalität erhalten und neu orientieren“ beschreibt das Spannungsfeld zwischen dem Wunsch nach Aufrechterhaltung von Normalität und der Herausforderung, die Beschwerden als wahrnehmbare Anzeichen ihrer Erkrankung in das eigene Selbstbild zu integrieren. Die Ergebnisse verdeutlichen die zentrale Rolle körperlicher Beschwerden im Alltag vieler Patient*innen mit PBC, die Komplexität des Beschwerdeerlebens und die Herausforderungen im Umgang mit diesen Beschwerden. Zudem unterstreichen sie die unterstützende und vermittelnde Funktion von Behandler*innen bei der individuellen Symptombewältigung.


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Abstract

Patients with primary biliary cholangitis (PBC) suffer from a variety of physical complaints such as fatigue, itching or joint pain. Since little is known about the experience of symptoms and the corresponding coping strategies in this patient group, a qualitative study was conducted in which 15 patients with PBC were interviewed. The patients reported being burdened by numerous physical complaints, some of which require extensive coping and adaptation processes. By means of thematic analysis, two overarching themes could be generated from the data material: “Accepting limitations and shifting boundaries” describes the patients' challenge of redefining their own stress limits and adapting demands and expectations to their own capabilities. “Maintaining normality and reorienting” describes the tension between the desire to maintain normality and the challenge of integrating the symptoms as perceptible signs of their illness into their own self-image. The results illustrate the central role of physical symptoms in the everyday lives of many patients with PBC, the complexity of the experience of symptoms and the challenges of dealing with these symptoms. They also emphasize the supportive and mediating function of healthcare practitioners in individual symptom management.


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Einleitung

Die Primär Biliäre Cholangitis (PBC) ist eine autoimmune, chronisch entzündliche Erkrankung der kleinen intrahepatischen Gallengänge, die mit Fortschreiten der Erkrankung zunehmend vernarben, was zu Gallenstau und langfristiger Entzündung des Lebergewebes führen kann [1]. Die Pathogenese der PBC ist nicht vollständig geklärt, wobei sowohl genetische Prädispositionen als auch toxische Umweltfaktoren oder Virusinfektionen als ursächlich diskutiert werden [2]. Weltweit wird die Prävalenz auf 14,6 pro 100.000 Einwohner*innen geschätzt [3]; neun von zehn Betroffenen sind Frauen [1]. In Deutschland liegt die Punktprävalenz bei 36,9 pro 100.000 Einwohner*innen, wobei sich insgesamt eine zunehmende Häufigkeit und Inzidenz der PBC abzeichnet [4]. Unbehandelt kann die Erkrankung bis zur Leberzirrhose mit der Notwendigkeit einer Lebertransplantation exazerbieren [5], weshalb eine frühzeitige Diagnosestellung und Einleitung therapeutischer Maßnahmen entscheidend sind. PBC kann derzeit nicht ursächlich behandelt werden, jedoch lässt sich ihr Verlauf durch Medikamente mit dem Wirkstoff Ursodesoxycholsäure günstig beeinflussen. In den meisten Fällen kann so das Fortschreiten der Erkrankung verhindert werden, sodass immer weniger Menschen mit PBC eine Transplantation benötigen [6].

Trotz der aktuell guten Behandlungsmöglichkeiten leiden über 50% der Patient*innen im Verlauf der Erkrankung unter körperlichen Beschwerden wie Müdigkeit oder Juckreiz, welche nicht auf medikamentöse Behandlungsansätze ansprechen [7] und in vielen Fällen sogar nach Lebertransplantation persistieren [8]. Die Körperbeschwerden können unabhängig vom Schweregrad der Erkrankung auftreten und mit erheblichen Beeinträchtigungen der beruflichen und sozialen Funktionsfähigkeit sowie der Lebensqualität der Betroffenen einhergehen [9] [10] [11]. Um mit anhaltenden Körperbeschwerden umzugehen, sind hilfreiche Coping-Strategien von essenzieller Bedeutung. Als Coping-Strategien werden kognitive und verhaltensbezogene Anstrengungen definiert, mit denen Anforderungen bewältigt werden, die von dem Betroffenen als Stressoren wahrgenommen werden [12] [13]. Bislang gibt es nur wenige Studien, die das subjektive Symptomerleben und angewandte Coping-Strategien bei Patient*innen mit chronischen Lebererkrankungen und speziell der PBC untersucht haben. Quantitative Befunde deuten darauf hin, dass Patient*innen mit nicht-alkoholischer Fettleber [14] und Hepatitis C [15] ein größtenteils problemorientiertes und aktives Coping (u. a. positives Reframing, Akzeptanz) zeigen, welches positiv mit einer guten Lebensqualität assoziiert ist [14]. Ergebnisse einer qualitativen Studie auf Basis von 42 semi-strukturierten Interviews mit Patient*innen mit Hepatitis C betonen die Bedeutung des subjektiven Kontrollerlebens über die Erkrankung und der persönlichen Sinnzuschreibung, was religiöse oder spirituelle Coping-Strategien mit einbezieht [16]. Wie funktional verschiedene Coping-Strategien sind, hängt dabei auch vom Zusammenspiel der krankheits- und personenspezifischen Faktoren ab. Dies zeigt sich auch in einer qualitativen Studie mit Patient*innen mit primär sklerosierender Cholangitis (PSC), deren Umgang mit der Erkrankung und den einhergehenden Körperbeschwerden im Verlauf der Erkrankung stark variiert und als Ausdruck eines Anpassungsprozesses an die sich verändernden Lebensumstände verstanden werden kann [17]. Auch die Schwere der Symptomatik bei Patient*innen mit dekompensierter Lebererkrankung (u. a. PBC) stellt sich als wichtiger Faktor heraus, der mit einem eher krankheitsvermeidenden Coping-Stil sowie einer weniger optimistischen Haltung einhergeht [18]. Insgesamt wird deutlich, dass die subjektive Einstellung vor dem Hintergrund der jeweiligen Lebensumstände der Patient*innen entscheidend für die Krankheitsverarbeitung und den Umgang mit körperlichen Beschwerden zu sein scheint. Um ein umfassenderes Verständnis der Symptomwahrnehmung und der Coping-Strategien von Patient*innen mit PBC zu erlangen, ermöglicht ein qualitatives Vorgehen durch die offene Befragung einen detaillierten Informationsgehalt über die subjektive Sichtweise der Betroffenen [19]. Theoretisch basiert diese qualitative Arbeit auf dem transaktionalen Stressmodell nach Lazarus [12] [13], einem Modell zur Erklärung der Bewertung und Bewältigung von Stressoren. Stress wird dabei als Prozess bestehend aus komplexen Wechselwirkungen zwischen den Anforderungen der Situation und der handelnden Person betrachtet, wobei die subjektive Bewertung durch den Betroffenen im Vordergrund steht. Zunächst erfolgt die Bewertung des vorliegenden Reizes. Wird dieser als negativ und damit stressauslösend bewertet, folgt eine Einschätzung der eigenen Bewältigungsfähigkeiten [20] [21]. Stehen keine oder nicht ausreichende Ressourcen zur Verfügung, kommt es zu einer Stressreaktion und die Bewältigung (Coping) setzt ein, um den negativ empfundenen Stress zu mindern. Hierbei wird zwischen drei Coping-Strategien unterschieden. Während das problemorientierte Coping darauf abzielt, weiterhin nach geeigneten Ressourcen zu suchen oder den Stressor zu reduzieren, fokussiert das emotionsorientierte Coping auf die eigenen Einstellungen und Emotionen gegenüber dem Stressor [22]. Auf der letzten Stufe des Modells erfolgt das bewertungsorientierte Coping, welches der Neubewertung der Situation entspricht. Das Ziel besteht darin, die Belastung nicht als Bedrohung sondern als Herausforderung zu erleben, um dadurch weitere geeignete Ressourcen für die Bewältigung zu aktivieren [21].

Vor dem Hintergrund der zum Teil erheblichen Beeinträchtigungen der Patient*innen durch körperliche Beschwerden und den damit einhergehenden alltäglichen Herausforderungen, wurden die folgenden Forschungsfragen formuliert:

  1. Welche Auswirkungen haben körperliche Beschwerden auf den Alltag von Patient*innen mit PBC?

  2. Welche Coping-Strategien nutzen Patient*innen mit PBC im Umgang mit ihren körperlichen Beschwerden?


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Methode

Datenerhebung

Die vorliegende Studie wurde im Rahmen des DFG-geförderten Forschungsprojekts „Fatigue bei Patient*innen mit Primär Biliärer Cholangitis: Einflussfaktoren auf Schweregrad und Chronifizierung als mögliche Therapieziele“ (SOMA.LIV) durchgeführt [23]. Basierend auf einem Mixed-Methods Studiendesign umfasst die prospektive Kohortenstudie auch einen experimentellen und qualitativen Studienteil. SOMA.LIV ist Teil der interdisziplinären Forschungsgruppe SOMACROSS (FOR 5211), welche Risikofaktoren und Mechanismen der Symptompersistenz bei verschiedenen Erkrankungen untersucht [24]. In Zusammenarbeit mit zwei weiteren Teilprojekten der Forschungsgruppe und unter Einbezug von Patientenvertreter*innen (u. a. Patient*innenbeirat der YAEL Stiftung) wurde ein halbstrukturierter Interviewleitfaden entwickelt. Grundlage des Interviewleitfadens bildete das Strukturierte Klinische Interview für DSM-5 (SKID-5) für die somatische Belastungsstörung [25]. Dieses wurde durch weitere Leitfragen zum Krankheits- und Symptomerleben, zu den Auswirkungen von körperlichen Beschwerden auf den Alltag der Betroffenen sowie zu entsprechenden Coping-Strategien ergänzt. Alle Interviews wurden telefonisch in Form von Einzelgesprächen zwischen April und Mai 2022 durchgeführt. Die Interviewerin (NH) ist weiblich und Psychologin (M.Sc. Psychologie). Für die Auswertung wurden alle Interviews aufgezeichnet und entsprechend der Regeln zur Auswertung qualitativer Daten nach Mergenthaler transkribiert und pseudonymisiert [26]. Die Analyse der Daten erfolgte mit Hilfe der Software MAXQDA 2022 (VERBI Software, 2021).


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Rekrutierung und Sampling

Die Rekrutierung der Patient*innen erfolgte im YAEL-Centrum für autoimmune Lebererkrankungen am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Für den qualitativen Studienteil wurden die Teilnehmer*innen entsprechend der Ein- und Ausschlusskriterien der SOMA.LIV Kohortenstudie konsekutiv rekrutiert ([Tab. 1]) [23] und in mündlicher und schriftlicher Form über die Studienziele aufgeklärt, bevor sie ihre schriftliche Einwilligung gaben. Die Studie wurde von der Ethikkommission der Ärztekammer Hamburg bewilligt (Bearbeitungs-Nr.: 2020-10196-BO-ff). Sie steht im Einklang mit der Deklaration von Helsinki des Weltärztebundes [27].

Tab. 1 Ein- und Ausschlusskriterien der SOMA.LIV Studie [24]

Einschlusskriterien

Ausschlusskriterien

  • Klinische Diagnose einer PBC gemäß der europäischen Praxisleitlinien [9]

  • Alter≥18 Jahre

  • Ausreichende mündliche und schriftliche Deutschkenntnisse

  • Schriftliche Einverständniserklärung

  • Fortgeschrittene Zirrhose (definiert durch Child-Pugh-A-Score≥8) oder dekompensierte Lebererkrankung

  • Vorgeschichte oder Vorhandensein einer anderen begleitenden Lebererkrankung (insbesondere Autoimmunhepatitis oder chronische Virushepatitis B oder C)

  • Vorhandensein von klinisch bedeutsamen, unbehandelten Begleiterkrankungen, die mit Müdigkeit einhergehen (z. B. Hypothyreose, Anämie, Fibromyalgie, rheumatoide Arthritis, systemischer Lupus erythematodes, aktives Reizdarmsyndrom und manifeste Depression)

  • Schwerwiegende Erkrankungen, die eine sofortige Behandlung erfordern

  • Floride Psychose

  • Störung durch Drogen- oder Substanzmissbrauch

  • Akute Suizidalität

Anmerkung: PBC=Primär Biliäre Cholangitis


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Datenanalyse

Die geführten Interviews wurden mittels reflexiver thematischer Analyse nach Braun und Clarke ausgewertet [28], um die vielschichtigen Bedeutungen und Erfahrungen der Patient*innen zu erfassen und zu interpretieren, wodurch ein tieferes Verständnis ermöglicht wird. Die reflexive thematische Analyse zeichnet sich durch ihre theoretische Flexibilität und einen kontinuierlichen Prozess der Sichtung des Datenmaterials, der Kodierung von Interviewpassagen und der Ergebnisinterpretation aus. Entsprechend folgt die Themenbildung einem rekursiven Prozess, wobei Bedeutungsmuster im Datensatz in Zusammenhang mit den Forschungsfragen identifiziert und exploriert werden. Den Forschenden wird dabei eine aktive Rolle in der Themenbildung zuteil [28]. Ontologisch-erkenntnistheoretisch wurde eine kritisch-realistische Perspektive eingenommen, welche das subjektive Erleben und die gelebten Erfahrungen der Betroffenen vor dem Hintergrund einer als real existierend angenommenen Wirklichkeit in den Fokus stellt [28] [29]. Die Auswertung folgte einer hybriden Form des induktiven (Bottom-up) und deduktiven (Top-down) Vorgehens. Die Analyse der Interviewdaten wurde entsprechend der von Braun und Clarke beschriebenen sechs Phasen der reflexiven thematischen Analyse durchgeführt. Diese umfassen das Vertrautmachen mit den Daten (1), die Kodierung (2), die Themengenerierung (3), die Überprüfung der Themen (4), die Definition und Benennung der Themen (5) und die Verschriftlichung (6) [28]. Regelmäßige Diskussionen der entwickelten Themen mit dem Autor*innenteam waren ein wesentlicher Bestandteil des gesamten analytischen Prozesses und dienten der Reflexion, Klärung und Definition kohärenter Themen sowie der Auswahl geeigneter Zitate.


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Ergebnisse

Charakteristika der Stichprobe

Es wurden 15 Patient*innen (w=14, m=1) zwischen 43 und 70 Jahren (m=53) interviewt (siehe [Tab. 2] für eine Übersicht der soziodemografischen Daten). Die durchschnittliche Interviewdauer betrug 34 (40-60) Minuten. Durchschnittlich waren die Patient*innen seit sieben Jahren mit einer PBC diagnostiziert, mit einer Spanne von 0-15 Jahren.

Tab. 2 Demografische Daten.

Demografische Daten

Anzahl / Mittelwert (Range)

Weiblich

14

Männlich

1

Alter

53 (43–70)

Familienstand

Ledig

3

Verheiratet

10

Verwitwet

2

Bildungsstand

Abitur

6

Realschulabschluss

6

Hauptschulabschluss

3

Berufsstand

Erwerbstätig

9

Nicht erwerbstätig (Hausfrau/-mann, Rente)

6

Bei knapp der Hälfte der Patient*innen erfolgte die Diagnose infolge eines Zufallsbefundes aufgrund erhöhter Leberwerte. Bei den übrigen Patient*innen kam es nach Abklärung unspezifischer körperlicher Symptome im Verlauf eines oftmals langen diagnostischen Prozesses zur Diagnosestellung. Erste körperliche Beschwerden in Verbindung mit der Erkrankung zeigten sich zwischen dem 31. und 56. Lebensjahr. Zwischen dem ersten Auftreten körperlicher Beschwerden und der Diagnosestellung vergingen durchschnittlich fünf Jahre, die Zeitspanne lag zwischen 0-20 Jahren. Zu den am häufigsten berichteten Körperbeschwerden gehörten Müdigkeit, Juckreiz, Gelenk-/Muskelschmerzen sowie (Schleimhaut-)Trockenheit (Sicca-Symptomatik). Eine Übersicht der genannten Körperbeschwerden findet sich in [Abb. 1].

Zoom Image
Abb. 1 Häufigkeit berichteter Körperbeschwerden. Die Schriftgröße der Körperbeschwerden steht im Verhältnis zur Häufigkeit ihrer Nennung in den Interviews.

Mittels thematischer Analyse wurden basierend auf den Fragestellungen zwei übergeordnete Themen entwickelt, welche die erlebten Einschränkungen durch körperliche Beschwerden und den Umgang mit diesen widerspiegeln.


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Thema 1: Einschränkungen hinnehmen und Grenzen verschieben

Einschränkungen oder den Verlust erfüllender Lebensinhalte hinzunehmen und die Grenzen der eigenen Belastbarkeit neu zu definieren, erwies sich als gemeinsame Herausforderung im Umgang mit körperlichen Beschwerden. Entsprechend wurde das übergeordnete Thema „Einschränkungen hinnehmen und Grenzen verschieben“ gebildet, welches den beruflichen und familiären Kontext sowie das erweiterte soziale Umfeld und die Freizeitgestaltung der Patient*innen einschließt. Gerade die erlebte Müdigkeit gehe mit einer erheblichen Beeinträchtigung im Berufsleben bis hin zu Krankschreibungen einher: „[…] ich ruf dann meine Ärztin an, also ich bin heute so erschöpft, ich kann nicht arbeiten.“ Dabei scheinen oft Abwägungs- oder Priorisierungsprozesse notwendig. Um beruflichen Ansprüchen gerecht zu werden, schilderte eine Patientin ihre verfügbare Energie in die Arbeit zu investieren, was aber zu Lasten des Familienlebens gehe: „[…] das ist halt immer blöd, wenn du dann echt von der Arbeit kommst und eigentlich so kaputt bist, dass du erst mal eine Stunde schlafen könntest.“ Auch das Pflegen von sozialen Kontakten leide unter der starken Müdigkeit mit der Folge, dass private Verabredungen reduziert oder abgesagt werden müssten: „Es geht nicht, ich schlafe dann teilweise abends beim Gespräch ein […].“ Zudem berichtete eine Patientin durch starke Muskel- und Gelenkschmerzen so stark eingeschränkt zu sein, dass sie körperliche Aktivitäten frühzeitig abbrechen müsse: „[Ich] habe immer diese Phasen, dass ich irgendwas anfange und mittendrin unterbrechen muss, um mich einfach erstmal auszuruhen.“ Weiterhin führte bei einer Patientin ein starker Juckreiz dazu, dass auch Erholungsphasen wie der Schlaf beeinträchtigt waren: „Ja, wenn das mit den Schüben doller ist nachts, dann kann ich auch nicht schlafen, also dann kratzt man immer […].“

In vielen Bereichen gingen die Auswirkungen der Körperbeschwerden über die bloße Einschränkung und Anpassung der Lebensführung hinaus und führten zum Verlust von wichtigen Ressourcen. Folglich mussten insbesondere aufgrund von Müdigkeit und/oder Gelenk- und Muskelschmerzen sportliche Aktivitäten oder gar die berufliche Tätigkeit aufgegeben werden: „[…] einige Kontakte, private, haben sich dadurch auch erledigt, weil ich war Laufsportleiterin und ich hab die Anfängergruppe geleitet, das ging auch nicht mehr.“ Eine weitere Patientin berichtete: „Ich gehe nicht mehr arbeiten […], das war eine Notwendigkeit.“ Darüber hinaus komme es auch dazu, dass bei anstehenden Veranstaltungen auf andere zusätzliche Aktivitäten verzichten werden müsse: „[…] wenn ich weiß, da ist ein Geburtstag oder ich möchte irgendwo dran teilnehmen, dann versuche ich dann schon andere Aktivitäten dann nicht mehr zu machen […].“ Insbesondere die Schleimhautrockenheit gehe bei weiblichen Betroffenen auch mit starken Einschränkungen im Sexualleben einher: „Und ich leide sehr an Schleimhauttrockenheit, insbesondere im Genitalbereich, was also das Thema Sexualität eigentlich gen null gebracht hat. Das ist das, wo ich wirklich leide.“ Insgesamt gehen die erlebten Symptome auf Seiten der Patient*innen mit negativen emotionalen Reaktionen einher, welche sich vor allem als Traurigkeit und Frustration ausdrücken: „Die [Körpersymptome] stören massiv, die machen mich traurig, […] wenn ich so in meinem eigenen Bereich bin ist es okay, also dann kann ich mich darauf einstellen, bin ich in einer Gruppe oder bin ich draußen oder bin ich bei irgendeiner Aktivität, dann ist es natürlich frustrierend auch, das nervt.“


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Thema 2: Normalität erhalten und neu orientieren

Das Aufrechterhalten von Normalität im Alltag und in der Lebensführung stellte sich als zentrales Anliegen in der Symptombewältigung der Patient*innen dar. Gleichzeitig erforderte die Symptomatik, je nach Intensität, eine Anpassung und Neuorientierung in der Lebensgestaltung der Betroffenen. Auf dieser Grundlage wurde das übergeordnete Thema „Normalität erhalten und neu orientieren“ formuliert, welches vier Subthemen umfasst ([Tab. 3]).

Tab. 3 Coping-Strategien.

Thema 2: Normalität erhalten und neu orientieren

1) Krankheit abwehren

2) Krankheit beherrschen

3) Alltag bewältigen

4) Einstellung anpassen

Normalisieren

Kontrolle behalten

Planen

Das Positive sehen

Verstecken

Verstehen wollen

Bewegen

Akzeptieren

Wegschieben

Selbstständig bleiben

Zur Ruhe kommen und entspannen

Ablenken

Durch soziales Umfeld entlastet werden

Medizinische Hilfsmittel nutzen


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Subthema 1: Krankheit abwehren

Das Subthema „Krankheit abwehren“ umfasst all jene Strategien, die darauf abzielen, der Erkrankung und den damit einhergehenden körperlichen Beschwerden möglichst wenig Raum zu geben und diese so gut wie möglich nach außen hin zu verbergen. Dabei konnten die vier Verhaltensweisen „Normalisieren“, „Verstecken“, „Wegschieben“ und „Ablenken“ identifiziert werden. Der Begriff des „Normalisierens“ beschreibt die Tendenz, die körperlichen Beschwerden zu relativieren und/oder diese auf andere (situative) Faktoren und Umstände zu attribuieren: „Ja, aus meiner Sicht sind meine Probleme nicht groß genug, um sich da jetzt groß einen Kopf zu machen.“ Einige Patient*innen neigten dazu, die Erkrankung und damit assoziierte Symptome nach außen hin nicht zeigen oder an das soziale Umfeld kommunizieren zu wollen, was unter dem Begriff des „Versteckens“ zusammengefasst wurde: „[…] Dadurch versuche ich natürlich auch alles so minimal, gar nicht so nach außen zu zeigen […].“ Zudem wurde versucht, sich von Gedanken an die Erkrankung und damit verbundenen Beschwerden gezielt „Abzulenken“: „[…] ich versuche dann einfach an schöne Sachen zu denken […]“ oder diese ganz „Wegzuschieben“: „[…] ich versuche das einfach zu ignorieren, ich nehme meine Tabletten und beschäftige mich da gar nicht damit.“


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Subthema 2: Krankheit beherrschen

Als ein weiteres Subthema wurde das Bedürfnis der Patient*innen nach Handlungsfähigkeit, Kontrolle und Kausalität sowie nach Aufrechterhaltung von Autonomie als „Krankheit beherrschen“ formuliert. Diesem ließen sich die Bestrebungen „Kontrolle behalten“, „Verstehen wollen“ und „Selbstständig bleiben“ unterordnen. Ein Gefühl von Kontrolle über die Erkrankung werde insbesondere durch die regelmäßigen Termine in der Spezial-Ambulanz für Autoimmune Lebererkrankungen sowie durch anderweitige Vorsorgeuntersuchungen erreicht: „[…] ich bin ja schon immer ein bisschen mehr unter Beobachtung vielleicht als andere und insofern beruhigt mich das schon auch ein bisschen […].“ Zudem bestand ein starkes Bedürfnis danach, die wahrgenommenen körperlichen Beschwerden „verstehen“ und erklären zu wollen: „Ne, ich versuche das dann in den größeren Zusammenhang einzugliedern und mich zu fragen, warum kommt das Symptom jetzt […].“ Dabei war zu beobachten, dass die Attribution der körperlichen Symptome bei den Betroffenen ganz unterschiedlich ausfiel. Einige führten diese klar auf die PBC-Erkrankung zurück: „Das schreibe ich der PBC zu, der Bösewicht.“ Andere hingegen identifizierten weitere Faktoren als ursächlich: „[…] ja, das ist dem Job, dem Stress geschuldet, dann schläft man schlecht oder weniger, weil der Kopf noch so arbeitet […].“ Von besonderer Relevanz sei es für einige Patient*innen trotz der Erkrankung und körperlicher Beschwerden ihre Selbstständigkeit zu bewahren: „[…] Ich teile mir meinen Alltag ein […] Aber ich sehe nicht die Notwendigkeit, mir das schon abnehmen zu lassen […].“


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Subthema 3: Einstellungen anpassen

Mit dem Verlauf der Erkrankung und den körperlichen Beschwerden ging oftmals auch ein Prozess der Anpassung der eigenen Haltung und Einstellung einher. Im Vordergrund standen dabei die „Akzeptanz“ der Erkrankung: „[…] das ist halt da und das gehört zu mir und ich gehe damit um und gut ist.“ sowie der „Blick auf das Positive“ im Leben mit der Erkrankung: „[…] es macht einem schon Angst, wenn es schlimmer werden könnte aber wie gesagt, ich versuche immer positiv zu denken und versuche das Gute zu sehen […].“


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Subthema 4: Alltag bewältigen

Ergänzend zur emotionalen und kognitiven Verarbeitung und Repräsentanz der Beschwerden, umfasst das Subthema „Alltag bewältigen“ konkrete Handlungen und Strategien im Umgang mit den Beschwerden. Diese wurden weiter in „Planen“, „Bewegen“, „Zur Ruhe kommen und entspannen“, „Durch soziales Umfeld entlastet werden“ und „Medizinische Hilfsmittel nutzen“ unterteilt. Eine dem aktuellen Empfinden angepasste Planung des Alltags mit ausreichend Erholungsphasen wurde von vielen Betroffenen als notwendig erlebt: „[…] also ich plane mir meinen Tag schon sehr viel genauer, dass ich mir Ruhezeiten dazwischensetze […].“ Gerade bei Gelenk- und Muskelschmerzen wurden zudem moderate Bewegungs- und Trainingseinheiten als symptomlindernd empfunden. Die Inanspruchnahme von Unterstützung aus dem familiären und sozialen Umfeld wurde als weitere wichtige Ressource von einigen Patient*innen benannt: „Also meine Familie muss schon auch ein bisschen mitmachen, so ein paar bestimmte Haushaltsaufgaben wurden umverteilt […]. Ich bin jetzt nicht mehr die Einzige, die das alles macht.“ Die Nutzung medizinischer Hilfsmittel und Medikamente wurde symptomspezifisch als ebenfalls wirksam empfunden: „[…] als erstes nehme ich eigentlich immer […] die Fenistil-Tropfen und ich muss sagen, die helfen eigentlich sehr gut und auch recht schnell […].“


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Diskussion

Ziel dieser qualitativen Studie war es, einen umfassenden Einblick in das subjektive Symptomerleben und die darauf bezogenen Coping-Strategien von Patient*innen mit PBC zu erlangen. Mittels reflexiver thematischer Analyse [28] konnten zwei übergeordnete Themen und vier Subthemen in Anlehnung an unsere Forschungsfragen herausgearbeitet werden:

  1. „Einschränkungen hinnehmen und Grenzen verschieben“ beschreibt die Herausforderung der Patient*innen, die eigenen Grenzen der Belastbarkeit neu zu definieren und ihre Ansprüche und Erwartungen an die eigene Leistungsfähigkeit anzupassen.

  2. „Normalität erhalten und neu orientieren“ spiegelt das Spannungsfeld wider, welches sich zwischen dem Wunsch nach Aufrechterhaltung des Alltags und der Herausforderung die Erkrankung in das eigene Selbstbild zu integrieren abzeichnet. Entsprechend der von den Patient*innen geschilderten Coping-Strategien wurden die vier Subthemen „Krankheit abwehren“, „Krankheit beherrschen“, „Einstellungen anpassen“ und „Alltag bewältigen“ formuliert.

Interpretation und theoretische Einordnung der Ergebnisse

Vor dem Hintergrund des transaktionalen Stressmodells [12] [13] lassen sich aus den Ergebnissen dieser Studie Rückschlüsse auf die Regulationsprozesse in der Symptombewältigung bei Patient*innen mit PBC ziehen. Demnach erleben Patient*innen ihre körperlichen Beschwerden als Abweichung von ihrer gewöhnlichen, als „normal“ angesehenen Vorstellung von sich selbst und folglich als potentiellen Stressor. Es werden Bewertungsprozesse bezüglich dieses Stressors als potentielle Bedrohung und vor dem Hintergrund der eigenen Bewältigungsmöglichkeiten initiiert. Die vorliegende Studie fokussierte dabei speziell auf die Wahrnehmung der körperlichen Beschwerden als potentiellen Stressor, welche in ihrer Intensität nicht mit dem Schweregrad der Erkrankung übereinstimmen müssen [10]. Entsprechend kann das Erleben der Erkrankung als langfristige gesundheitliche Bedrohung von dem Erleben der Körperbeschwerden abweichen. Je nach Ausprägung und Schwere der Symptomatik wirken sich diese unterschiedlich auf den Alltag der Betroffenen aus und lassen sich auf einem Kontinuum von leichten Einschränkungen bis hin zur Aufgabe eigener Interessen und Aktivitäten verorten. Die bedeutendsten symptombedingten Einschränkungen traten im beruflichen und sozialen Kontext auf, wobei die erlebte Müdigkeit als stärkster Belastungsfaktor empfunden wurde. Insgesamt wurde deutlich, dass das subjektive Kontrollerleben eine zentrale Rolle im Umgang mit körperlichen Beschwerden spielte. Dies zeigte sich in ähnlicher Weise auch bei Patient*innen mit Hepatitis C, wo sich die (medizinische) Selbstfürsorge neben der fachärztlichen Betreuung als hilfreiche Strategie im Umgang mit der Erkrankung herausstellte [16]. Insgesamt ist davon auszugehen, dass bei hoher Kontrollierbarkeit der Symptome, ein problemfokussiertes Coping mit positiven Auswirkungen auf die Gesundheit assoziiert ist [12]. Dies wurde in unserer Studie insbesondere bei den Symptomen Juckreiz und Sicca-Syndrom deutlich, welche durch symptomlindernde Medikamente und/oder Salben gelindert werden können. Bei Müdigkeit sowie Muskel- und Gelenkschmerzen hingegen empfanden die Patient*innen eine geringere Kontrollierbarkeit sowie eine höhere Belastung durch die Symptome. Hier treten emotionale Repräsentationen in den Fokus, welche sich in den Schilderungen der Patient*innen vor allem in Gefühlen von Traurigkeit und Frustration sowie einer gewissen Machtlosigkeit wiederspiegelten. Ein ähnlicher emotionaler Anpassungsprozess zeigte sich auch bei Patient*innen mit PSC [17]. Die geringe Kontrollierbarkeit einer Erkrankung und assoziierter körperlicher Beschwerden erfordert eine Anpassung der eigenen Einstellung sowie die Akzeptanz der veränderten Lebensumstände im Sinne eines emotionsfokussierten Copings [12]. Dies spiegelte sich vor allem im Subthema „Einstellung anpassen“ wider. Auch bei Patient*innen mit nicht-alkoholischer Fettleber konnten Strategien des problem- und emotions-fokussierten Copings wie aktives Coping, und positives Reframing identifiziert werden, die sich positiv auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität auswirkten [14]. Das in dieser Studie herausgearbeitete übergeordnete Thema „Normalität erhalten und neu orientieren“ fasst entsprechend das Abwägen und Ausbalancieren zwischen problem- und emotionsfokussierten Coping-Strategien zusammen.


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Stärken und Limitationen

Die vorliegende Studie stellt die erste qualitative Untersuchung des Themenkomplexes „Symptomwahrnehmung und –verarbeitung“ bei Patient*innen mit PBC dar. Die offene und intensive Befragung einzelner Patient*innen ermöglichte einen tieferen Informationsgehalt über quantitative Ergebnisse hinaus und stellt eine Stärke dieser Arbeit dar.

Aufgrund der kleinen Stichprobe ist keine Repräsentativität der Ergebnisse gegeben. Zwar stellt die überwiegende Befragung weiblicher Betroffener mittleren Alters ein Abbild der Geschlechterverteilung der PBC dar. Dennoch hätte eine diversere Zusammensetzung der Befragten möglicherweise weitere Erfahrungshorizonte eröffnet. Die Rekrutierung der Patient*innen erfolgte über ein einzelnes Fachzentrum, in welchem alle Patient*innen berichteten, sich ärztlich sehr gut betreut zu fühlen. Die Perspektive von Patient*innen, die keine regelmäßige und/oder angemessene medizinische Betreuung erfahren, bleibt daher unbekannt. Ebenso wurden aufgrund der gewählten Ein- und Ausschlusskriterien der SOMA.LIV-Studie Patient*innen mit bestimmten Komorbiditäten (siehe [Tab. 1]) von der qualitativen Untersuchung ausgeschlossen. Die telefonische Durchführung ermöglichte eine zeitlich flexible Teilnahme in einer vertrauten Umgebung für die Patient*innen, wodurch sensible Themen besprochen werden konnten. Obwohl Gesichtsausdrücke und Körpersprache im Kommunikationsprozess nicht berücksichtigt werden konnten, deuten bisherige Ergebnisse darauf hin, dass es keine Unterschiede im Informationsgehalt im Vergleich zu persönlichen Interviews gibt [30]. Aufgrund der begrenzten Zeit zur Durchführung der Interviews konnte nicht immer detailliert auf jedes berichtete Körpersymptom eingegangen werden.


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Klinische Implikationen

Die zahlreichen Herausforderungen der Patient*innen im Umgang mit chronischen Lebererkrankungen wie der PBC unterstreichen die bedeutende Rolle der Behandler*innen auch über die regelmäßigen Kontrolltermine hinaus. Betroffene könnten demnach davon profitieren, wenn ihr subjektives Erleben der Symptome und die damit verbundenen Herausforderungen stärker in die langfristige Behandlungsplanung einbezogen werden. Dies könnte auch eine Aufklärung über möglicherweise bevorstehende Veränderungen und notwendige Anpassungen der Lebensbedingungen umfassen. Um dem häufig geäußerten Wunsch nach Aufrechterhaltung von Autonomie sowie Kontrollierbarkeit der Erkrankung gerecht zu werden, könnten ihnen Möglichkeiten aufgezeigt werden, sich aktiv am Krankheitsmanagement zu beteiligen. Unterstützend können Betroffene beispielsweise an lokale Patient*innenorganisationen verwiesen werden. Neben der Bereitstellung krankheitsspezifischer Informationen und regelmäßiger Veranstaltungen zur Verbesserung der Gesundheitskompetenz, finden Betroffene dort Austauschmöglichkeiten und Unterstützung, z. B. bei der Suche nach Selbsthilfegruppen. Zudem sollten Behandler*innen sensibilisiert sein, Schwierigkeiten in Bezug auf die Krankheitsbewältigung und das Auftreten psychischer Belastungen bei Patient*innen mit PBC zu erkennen, um gegebenenfalls frühzeitig psychologische Unterstützung zu empfehlen.

Die Entwicklung evidenzbasierter Interventionen für Patient*innen mit autoimmunen Lebererkrankungen ist ein langfristiges Ziel des SOMA.LIV-Projekts [23]. Die Ergebnisse der vorliegenden qualitativen Studie werden die quantitativen Daten ergänzen und können als wichtiger Schritt für ein besseres Verständnis der Erfahrungen und Bedürfnisse von Patient*innen mit einer PBC-Erkrankung betrachtet werden.


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Fazit für die Praxis

Die Ergebnisse dieser Interviewstudie betonen die Herausforderung von Patient*innen mit PBC, die eigenen Belastungsgrenzen neu zu definieren und die Erwartungen an die eigene Leistungsfähigkeit anzupassen. Zudem konnte ein gewisses Spannungsfeld zwischen dem Wunsch nach Aufrechterhaltung von Normalität und der Herausforderung der Integration der Erkrankung in das eigene Selbstbild aufgezeigt werden. Der Berücksichtigung des individuellen Symptomerlebens und dessen Auswirkungen auf den Alltag von Betroffenen sowie der Förderung entsprechender Coping-Strategien sollte daher eine stärkere Bedeutung in der langfristigen Behandlung dieser Patient*innengruppe zukommen.


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Finanzierung

Diese Studie wurde im Rahmen des Teilprojekts SOMA.LIV der Forschungsgruppe FOR 5211 „SOMACROSS – Persistent SOMAtic Symptoms ACROSS Disease: From Risk Factors to Modification“ durchgeführt, die durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wird (TO 908/3-1; SCHR 781/7-1). Die DFG hat keinen Einfluss auf die Gestaltung und Durchführung der Studie oder die Auswertung und Interpretation der Daten.


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Fördermittel

Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) — TO 908/3-1; SCHR 781/7-1


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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Danksagung

Die Autor*innen bedanken sich bei allen Patient*innen für ihre Studienteilnahme. Der Dank gilt auch Prof. Dr. Meike Shedden Mora und Birte Jessen (SOMA.CK), Rieke Barbek (SOMA.SOC) und dem Patient*innenbeirat des YAEL-Centrums für den wissenschaftlichen Austausch bei der Entwicklung des Interviewleitfadens.

# geteilte Erstautor:innenschaft


  • Literatur

  • 1 Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) et al. S2k Leitlinie Autoimmune Lebererkrankungen- AWMF-Reg. No. 021-27. Z Gastroenterol 2017;
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Korrespondenzadresse

Nele Hasenbank, M. Sc.
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Martinistraße 52
20251 Hamburg
Deutschland   

Publication History

Received: 25 April 2024

Accepted: 05 July 2024

Article published online:
30 October 2024

© 2024. The Author(s). This is an open access article published by Thieme under the terms of the Creative Commons Attribution-NonDerivative-NonCommercial-License, permitting copying and reproduction so long as the original work is given appropriate credit. Contents may not be used for commercial purposes, or adapted, remixed, transformed or built upon. (https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/).

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

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Abb. 1 Häufigkeit berichteter Körperbeschwerden. Die Schriftgröße der Körperbeschwerden steht im Verhältnis zur Häufigkeit ihrer Nennung in den Interviews.