Dtsch Med Wochenschr 2023; 148(24/25): 1576-1582
DOI: 10.1055/a-2087-2602
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Tabak – vom medizinischen Allheilmittel zur tödlichen Droge

Tobacco – from medical panacea to deadly drug
Marina Lienert
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Nachdem der Tabak im 16. Jahrhundert in Kontinentaleuropa als „Geschenk der Neuen an die Alte Welt“ als Heilpflanze eingeführt worden war, stieg er rasch zur Panazee auf – das heißt zu einer Art Wundermittel. In diesem Beitrag wird der radikale Wandel in den medizinischen Auffassungen über Wert und Risiken des Tabakkonsums nachgezeichnet.

Abstract

Medical views on the value and risks of tobacco use have changed radically over the centuries. In the 16th century, tobacco was introduced to continental Europe as a medicinal plant and quickly rose to become a “cure-all.” When hedonistic pipe smoking became widespread in continental Europe during the Thirty Years’ War, physicians warned of the consequences of tobacco abuse. For centuries, tobacco herb was now considered both harmful and curative.

The sharp increase in tobacco consumption in the first decades of the twentieth century correlated with an increase in lung cancer, which until then had been little observed. Statistical proof of the direct correlation was provided in the twenties and thirties by Fritz Lickint, among others. In 1939, the Cologne physician Franz Hermann Müller presented the first case-control study on the relationship between smoking and lung carcinoma, which received little international attention. The epidemiological studies published in the 1950s by English and American scientists were based on the same scientific approach as Müller’s work but were now considered groundbreaking.

Kernaussagen
  • Nachdem die Tabakpflanze im 16. Jahrhundert als Heilmittel der indigenen Bevölkerung der Neuen Welt in Kontinentaleuropa eingeführt worden war, stieg sie rasch auch hier zum stark wirkenden „Allheilmittel“ auf.

  • Die emetischen und laxierenden Effekte des Tabaks wurden von den Ärzten entsprechend den Grundsätzen des humoralpathologischen Konzepts gezielt eingesetzt, um im Überfluss vorhandene oder verdorbene Säfte auszuführen.

  • Als während des Dreißigjährigen Krieges in Kontinentaleuropa das hedonistische Pfeiferauchen Verbreitung fand, warnten Ärzte vor den Folgen eines Tabakabusus.

  • Im 18. Jahrhundert wurde der gemäßigte Tabakgenuss in unterschiedlicher Form gesellschaftsfähig und von den Ärzten für unbedenklich gehalten; zugleich nahm die Bedeutung des Tabaks als Heilmittel ab.

  • Erst die naturwissenschaftliche Erforschung der Inhaltsstoffe des Tabakkrauts in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts ließ den Einsatz des Tabaks als Heilmittel als obsolet erscheinen.

  • Mit dem starken Anwachsen des Tabakkonsums in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts korrelierte eine Zunahme des bis dato wenig beobachteten Lungenkarzinoms.

  • 1939 legte der Kölner Arzt Franz Hermann Müller die erste, international kaum beachtete Fallkontrollstudie zum Zusammenhang von Rauchen und Lungenkarzinom vor.

  • Die in den 1950er-Jahren publizierten epidemiologischen Studien englischer und amerikanischer Wissenschaftler basierten auf dem gleichen wissenschaftlichen Ansatz wie Müllers Arbeit, galten nun aber als bahnbrechend.



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Article published online:
05 December 2023

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