CC BY-NC-ND 4.0 · Dtsch Med Wochenschr 2023; 148(09): 556-562
DOI: 10.1055/a-2032-1368
Review

Weiterentwickelte zielgruppenorientierte Influenzaimpfstoffe – Neue Evidenz zeigt höhere Effektivität bei älteren Erwachsenen

Enhanced targeted influenza vaccines – New evidence shows higher effectiveness in older adults
Markus Frühwein
1   Dr. Frühwein & Partner – Praxis für Allgemein-, Tropen- und Reisemedizin, München,
,
Jörg Schelling
2   Hausärztliche Gemeinschaftspraxis Martinsried, München,
,
Klaus Wahle
3   Medizinische Fakultät – Universität Münster,
,
Dietmar Beier
4   Sächsische Impfkommission, Chemnitz,
,
Anja Kwetkat
5   Klinik für Geriatrie und Palliativmedizin – Klinikum Osnabrück,
,
Tino F. Schwarz
6   Institut für Labormedizin und Impfzentrum, Klinikum Würzburg Mitte gGmbH, Standort Juliusspital, Würzburg (Ringgold ID: RIN120200)
› Author Affiliations
 

Zusammenfassung

Die saisonale Influenza verursacht eine signifikante Krankheitslast in der deutschen Bevölkerung und geht mit hohen volkswirtschaftlichen Kosten einher. Personen ab 60 Jahren sind aufgrund von Immunseneszenz und chronischen Erkrankungen besonders gefährdet und machen einen Großteil der influenzaassoziierten Hospitalisierungen und Todesfälle aus. Adjuvantierter, Hochdosis-, rekombinanter und zellbasierter Influenzaimpfstoff wurden entwickelt, um die Effektivität im Vergleich zu herkömmlichen Impfstoffen zu verbessern. Neueste Beobachtungsstudien zeigen eine bessere Effektivität des adjuvantierten Impfstoffs gegenüber herkömmlichen Impfstoffen und eine ähnliche Effektivität wie der Hochdosis-Impfstoff bei älteren Erwachsenen. Einige Länder berücksichtigten die neue Evidenz bereits in ihren Impfempfehlungen für die aktuelle oder frühere Saisons. Auch in Deutschland sollte die Verfügbarkeit der Impfstoffe für ältere Erwachsene sichergestellt sein, um einen hohen Impfschutz zu garantieren.


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Abstract

Seasonal influenza causes a significant burden of disease in the German population and is associated with high societal costs. Persons aged 60 years and older are particularly at risk due to immunosenescence and chronic disease and account for a large proportion of influenza-associated hospitalizations and deaths. Adjuvanted, high-dose, recombinant and cell-based influenza vaccines have been developed to improve the effectiveness compared with conventional vaccines. Recent observational studies show better effectiveness of adjuvanted vaccine over conventional vaccines and similar effectiveness to the high-dose vaccine in older adults. Some countries have already considered the new evidence in their vaccination recommendations for the current or earlier seasons. The availability of the vaccines for older adults should also be ensured in Germany to guarantee a high level of vaccination protection.


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Einleitung

Influenza ist eine der häufigsten impfpräventablen Infektionskrankheiten in Deutschland und verursacht jährlich eine signifikante Krankheitslast in der Bevölkerung [1]. Das Ausmaß einer Influenzasaison hängt von vielen Virus- und Wirtsfaktoren ab, sodass starke saisonale Schwankungen in der Anzahl Infizierter, schwerer Verläufe und influenzaassoziierter Todesfälle auftreten [1]. In den letzten 10 Influenzasaisons vor Beginn der COVID-19-Pandemie wurden jährlich 6200 (Saison 2013/14) bis 334000 (Saison 2017/18) labordiagnostisch bestätigte Fälle gemäß Infektionsschutzgesetz (IfSG) an das Robert-Koch-Institut (RKI) übermittelt [2] [3]. Davon machten insbesondere in den letzten Saisons die Altersgruppen der 35- bis 59-Jährigen und der ab 60-Jährigen mit 30–38% bzw. 25–31% den Großteil aus [3] [4] [5]. Ein beträchtlicher Teil an Influenzafällen tritt damit jedoch auch in der Altersgruppe der unter 35-Jährigen auf, von denen insbesondere Kinder und Jugendliche bis 14 Jahre in vielen bisherigen Saisons eine hohe Infektionsrate aufwiesen. Gerade – aber nicht nur – in dieser Altersgruppe ist mit einer beträchtlichen Untererfassung aufgrund milder Infektionsverläufe und dadurch ausbleibenden Arztbesuchen zu rechnen.

Info

Einfluss der COVID-19-Pandemie

Die gleichzeitige Zirkulation von SARS-CoV-2 seit Ende 2019 hat die Verbreitung der Influenza stark beeinflusst und zu einem Niedrigstand von 732 labordiagnostisch bestätigten Influenzafällen in Deutschland in der Saison 2020/21 geführt [6]. Da der Fokus in den vergangenen 3 Jahren auf der Detektion von SARS-CoV-2-Infektionen lag, ist jedoch von einer allgemeinen Untererfassung der Influenzafälle in den letzten Saisons auszugehen.

Krankheitslast der Influenza

Mit der jährlichen Influenzainzidenz schwankt auch die Schwere der Erkrankung in der deutschen Bevölkerung. Schätzungen der Arbeitsgemeinschaft Influenza (AGI) des RKI haben ergeben, dass in den Saisons 2009/10 bis 2018/19 jährlich 780000 bis 9 Mio. influenzaassoziierte Konsultationen und 3100 bis 45000 Hospitalisierungen auftraten [2] [3]. In diesen Saisons verursachte die Influenza jährlich bis zu 25100 Todesfälle [5]. Trotz einer hohen Influenzainzidenz in allen Bevölkerungsgruppen ist die Krankheitslast der Influenza am höchsten bei Personen ab 60 Jahren, die besonders stark von influenzaassoziierten Hospitalisierungen und Todesfällen betroffen sind [1].


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Wirtschaftliche Belastung durch Influenza

Die hohe Krankheitslast durch Influenza geht mit signifikanten Gesundheitsausgaben einher. Eine Auswertung von Krankenkassendaten aus den Jahren 2012 bis 2014 hat gezeigt, dass sich die jährlichen direkten Kosten in Deutschland auf rund 78 Mio. € belaufen, wobei die Kosten pro Patient am höchsten bei Säuglingen und über 60-Jährigen waren [7]. Gleichzeitig trägt größtenteils die arbeitende Bevölkerung durch influenzaassoziierte Arbeitsunfähigkeit zu erheblichen volkswirtschaftlichen Kosten bei. Eine retrospektive Datenbankanalyse hat ergeben, dass aus gesellschaftlicher Sicht jährlich 3,1 Mrd. € für Patienten mit klinisch diagnostizierter Influenza anfallen, wovon ein substanzieller Teil auf indirekte Kosten für Erwachsene ohne Risikofaktoren für Komplikationen zurückzuführen ist [8]. Zusätzlich müssen auch Spätfolgen von Influenza, wie etwa kardiovaskuläre Ereignisse und Exazerbationen von Grunderkrankungen, bedacht werden [9], die eine signifikante Belastung für Patienten und die Gesellschaft darstellen.

Ausblick

Angesichts des demografischen Wandels in Deutschland ist anzunehmen, dass auch immer mehr Arbeitsausfälle durch die ambulante Pflege von älteren Angehörigen, die an Influenza erkranken, auftreten werden. Dies würde zu einer zusätzlichen Belastung für die Gesellschaft in Form von Produktivitätsverlusten führen.


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Prävention durch Impfung

Schutzimpfungen gehören zu den effektivsten und kostengünstigsten Maßnahmen zur Verringerung der influenzaassoziierten Morbidität und Mortalität [10] [11]. Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt eine Influenzaimpfung für Risikogruppen, wie unter anderem Personen ab 60 Jahren, Schwangere, Personen ab dem vollendeten 6. Lebensmonat mit erhöhter gesundheitlicher Gefährdung infolge einer Grunderkrankung, Alters- oder Pflegeheimbewohner und medizinisches Personal [12]. Diese Personengruppen sind durch schwere Krankheitsverläufe besonders gefährdet bzw. sind einer erhöhten Exposition ausgesetzt und können als mögliche Infektionsquelle für von ihnen betreute Risikopersonen fungieren. Dennoch sind auch weniger gefährdete Personengruppen von einer hohen Morbidität durch Influenza betroffen und tragen dadurch maßgeblich zu volkswirtschaftlichen Kosten bei. Eine Influenzaimpfung für alle Bevölkerungsgruppen, wie sie bereits von der Sächsischen Impfkommission (SIKO) oder auch im Nachbarland Österreich empfohlen wird [13] [14], ist daher aus Sicht der Autoren sinnvoll und empfehlenswert. Dieser Ansatz wird auch von vielen Krankenkassen in Deutschland unterstützt, die die Kosten der Influenzaimpfung bereits seit Jahren für alle Versicherten als Satzungsleistung übernehmen [15].


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Influenza bei älteren Erwachsenen

Bei Erwachsenen ab 60 Jahren ist eine Influenzaimpfung besonders aus klinischer Sicht von großer Wichtigkeit, denn bei ihnen kann es aufgrund von Immunseneszenz und chronischen Erkrankungen zu schweren Verläufen der Influenza kommen [1]. In Deutschland haben rund 80% der älteren Erwachsenen mindestens eine chronische Erkrankung, wobei Herz-Kreislauf-Erkrankungen am häufigsten vorkommen [16]. Schätzungen der AGI für die Saisons 2016/17 bis 2018/19 haben ergeben, dass Erwachsene ab 60 Jahren durchschnittlich 46% aller influenzaassoziierten Hospitalisierungen und 86–94% aller laborbestätigten Todesfälle gemäß IfSG ausmachten [3] [4] [5]. Ältere, infolge von Influenza hospitalisierte Patienten erleiden in knapp 20% persistierende funktionelle Beeinträchtigungen, die in fast 10% zum Verlust der Selbständigkeit in einem Bereich der Selbstversorgungsfähigkeit führen [17]. Gleichzeitig ist die Wirksamkeit von Influenzaimpfstoffen bei älteren Erwachsenen durch Immunseneszenz reduziert [1], sodass herkömmliche Impfstoffe keinen optimalen Schutz in dieser Altersgruppe bieten. Das Ausmaß bisheriger Influenzasaisons ist auch auf historisch geringe Impfquoten bei älteren Erwachsenen in Deutschland zurückzuführen, die die von der Weltgesundheitsorganisation und der Europäischen Union empfohlene Quote von 75% bisher weit verfehlten [1] [18].

Influenzaimpfstoffe für ältere Erwachsene

Weiterentwickelte Impfstoffe wie der adjuvantierte, der Hochdosis-, der rekombinante und der zellbasierte Influenzaimpfstoff wurden entwickelt, um eine bessere Effektivität im Vergleich zu herkömmlichen Impfstoffen zu erzielen [1]. Insbesondere der adjuvantierte und der Hochdosis-Impfstoff stärken die Immunantwort bei älteren Erwachsenen und sie sind speziell für Erwachsene ab 65 bzw. 60 Jahren indiziert [1]. Der rekombinante und der zellbasierte Influenzaimpfstoff sind in Europa für Erwachsene ab 18 Jahren bzw. für Erwachsene und Kinder ab 2 Jahren zugelassen [1] [19]. Die Evidenz für eine bessere Effektivität des rekombinanten und zellbasierten Impfstoffs bei älteren Erwachsenen ist bisher gering.

Info

Bereits auf dem 4. Deutschen Influenza-Kongress 2012 in Erfurt konstatierte die Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung der Viruskrankheiten e.V. (DVV), dass zugelassene Influenzaimpfstoffe sich in Immunogenität, Wirksamkeit sowie Nebenwirkungsprofilen unterscheiden und kein damals verfügbarer Influenzaimpfstoff identische Nutzen-Risiko-Verhältnisse in allen Alters-/Risikogruppen aufwies [20]. Die DVV regte an, dass für jede Zielgruppe der am besten geeignete Impfstoff ausgewählt werden sollte.


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Ausblicke für die kommende Influenzasaison

Trotz anhaltender COVID-19-Pandemie wurden in der Saison 2021/22 bis Kalenderwoche 39 21038 labordiagnostisch bestätigte Influenzafälle in Deutschland gemeldet [21]. In dieser Saison wurde eine zeitliche Verschiebung der Influenzawelle weit in das Frühjahr hinein und mit einem Höchststand im Mai verzeichnet [21]. Auch in Australien zeigte sich in der aktuellen Saison ein ungewöhnliches Verlaufsmuster mit einer frühen und relativ kurzen Influenzawelle, die schon im Juli abebbte [22]. Zudem verlief die Saison in Australien schwerer als in anderen Jahren, mit deutlich mehr wöchentlich gemeldeten Fällen seit Mitte April im Vergleich zum 5-Jahres-Durchschnitt [22]. Besonders schwer waren Kinder und Jugendliche betroffen, die aufgrund der COVID-19-Maßnahmen der letzten Jahre keine natürliche Immunität aus vorherigen Infektionen und eine geringe Impfquote aufwiesen [22] [23]. Vergleichsweise wenige Fälle wurden bei Erwachsenen ab 65 Jahren verzeichnet, was auch auf die hohe Impfquote von 67% in dieser Altersgruppe zurückzuführen sein kann [22] [23]. In Deutschland lag die Impfquote bei ab 60-Jährigen in der Saison 2020/21 bei 47,3% [18]. Bei anhaltend geringen Impfquoten, fehlender natürlicher Immunität durch COVID-19-Maßnahmen und einem ähnlichen Verlauf wie in Australien wären daher möglicherweise in der kommenden Saison viele und schwere Fälle – auch bei älteren Erwachsenen – zu erwarten.


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Impfoptionen für ältere Erwachsene in Deutschland

In Deutschland sind für ältere Erwachsene neben den herkömmlichen auch die 4 weiterentwickelten Impfstoffe zugelassen, jedoch empfiehlt die STIKO derzeit nur den Hochdosis-Impfstoff für Erwachsene ab 60 Jahren [1]. Die Empfehlung wurde basierend auf Daten aus einem systematischen Review zur Wirksamkeit, Effektivität und Sicherheit von weiterentwickelten Impfstoffen des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) (Stichtag: 08.02.2020) und einer zusätzlichen orientierenden Literatursuche bis zum 27.05.2020 ausgesprochen. Die Qualität der Evidenz für den Hochdosis-Impfstoff wurde anhand von Daten aus einer randomisierten kontrollierten Studie (RCT) als hoch eingestuft, während sie für andere weiterentwickelte Impfstoffe als gering bis moderat beurteilt wurde. Die Studiendaten wurden zu dem Zeitpunkt als nicht ausreichend erachtet, um eine bevorzugte Nutzung, auch des adjuvantierten Impfstoffs, zu empfehlen. Im Unterschied zur STIKO empfiehlt die SIKO, dass für jede Zielgruppe der am besten geeignete Impfstoff unter Berücksichtigung der Indikation des Impfstoffs ausgewählt wird [13]. Dies bedeutet, dass neben dem Hochdosis-Impfstoff auch der adjuvantierte Impfstoff zu den geeigneten Impfstoffen für ältere Erwachsene zählt. Derzeit werden in Deutschland für Versicherte ab 60 Jahren alle inaktivierten, quadrivalenten Influenzaimpfstoffe erstattet [24].


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Wichtigkeit von „Real-World“-Daten (RWD)

Daten aus RCTs sind für die Bewertung und Zulassung von Impfstoffen unerlässlich. Die Wirksamkeit unter Laborbedingungen entspricht jedoch nicht immer vollständig der Effektivität in der realen Welt, da sie sowohl von Virusfaktoren als auch Wirtsfaktoren wie Alter (Immunseneszenz), Komorbiditäten (einschließlich Gebrechlichkeit), vorheriger Exposition und vorheriger Impfung stark beeinflusst wird [25]. Seit Beginn der COVID-19-Pandemie haben „Real-World“-Daten (RWD) aus Beobachtungsstudien an großer Bedeutung gewonnen. RWD ergänzen RCT-Daten und tragen dazu bei, Evidenzlücken aus RCTs, wie beispielsweise in Bezug auf die Wirksamkeit gegen Virusvarianten und in gefährdeten Subgruppen, die oft aus RCTs ausgeschlossen werden, und bezüglich seltener Nebenwirkungen zu schließen [26] [27]. Insbesondere bei der Influenza ist die Beurteilung der Impfeffektivität unter realen Bedingungen aufgrund von saisonalen Schwankungen in der Verbreitung der Influenzastämme und wegen der Antigendrift [11] von großer Bedeutung. Auf diese Weise kann die Impfeffektivität über mehrere aufeinanderfolgende Influenzasaisons hinweg überwacht und der Schutz in Hoch-Risiko-Gruppen wie älteren Erwachsenen durch Entwicklung verbesserter Impfstoffe und optimaler Ressourcennutzung maximiert werden.


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Neue Evidenz aus Beobachtungsstudien

Seit Februar 2020 sind neue RWD zur Effektivität des adjuvantierten und Hochdosis-Impfstoffs verfügbar geworden, die die Ergebnisse des ECDC-Reviews ergänzen und in einigen Ländern bereits die Grundlage für eine Aktualisierung der Impfempfehlung für ältere Erwachsene für die Saison 2022/23 bilden [28] [29]. Ein neuer systematischer Literaturreview identifizierte 11 Analysen aus 9 Beobachtungsstudien, die rund 53 Mio. ältere Erwachsene und 12 Saisons umfassten [25]. Der Review fand eine statistisch signifikante relative Impfeffektivität (rVE) zugunsten von adjuvantiertem trivalenten Impfstoff (aTIV) vs. herkömmliche Impfstoffe in Bezug auf influenzaassoziierte Endpunkte in 9 Analysen (rVE: 6,5–33%). In 3 Analysen war der adjuvantierte Impfstoff numerisch überlegen. Im Vergleich zum trivalenten Hochdosis-Impfstoff (TIV-HD) wurde für aTIV in 7 Analysen kein signifikanter Unterschied gefunden (rVE: -0,8–3,2%). Drei Analysen zeigten eine signifikant bessere Effektivität von aTIV vs. TIV-HD (rVE: 6,6–16,6%). Bis September 2022 sind weitere Studien veröffentlicht worden, die rund 16,5 Mio. ältere Erwachsene einschlossen und die Ergebnisse der vorherigen Studien unterstützen, dass aTIV signifikant effektiver als herkömmlicher Impfstoff ist (rVE: 12,0–27,5%) und ähnlich effektiv wie – bzw. in vereinzelten Studien effektiver als TIV-HD (rVE: 3,1% [nicht signifikant] bzw. 13,9–16,0%) [30] [31] [32] [33].

Merke

Die neueste Evidenz aus Beobachtungsstudien zeigt, dass adjuvantierter Impfstoff bei älteren Erwachsenen effektiver ist als herkömmliche Impfstoffe und ähnlich effektiv wie eine Hochdosis-Impfstoff bei der Verhinderung influenzaassoziierter klinischer Endpunkte.


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Influenza-Impfempfehlungen in anderen Ländern

Einige Länder aktualisieren ihre Impfempfehlung jährlich, basierend auf der neuesten Evidenz, einschließlich RWD. [Tab. 1] stellt die Empfehlungen für die Saison 2022/23 für ausgewählte Länder dar. Die meisten Länder empfehlen sowohl adjuvantierten als auch Hochdosis-Impfstoff für ältere Erwachsene bevorzugt gegenüber herkömmlichen Impfstoffen. Andere Länder wie Italien oder Spanien sprechen keine bevorzugten Empfehlungen aus [34] [35]. In diesen Ländern werden Influenzaimpfstoffe, einschließlich der weiterentwickelten Impfstoffe, über Ausschreibungen beschafft.

Tab. 1 Influenza-Impfempfehlungen für ältere Erwachsene in der Saison 2022/23.

Land

Influenzaimpfstoffe

Quelle

aQIV

(ab 65 Jahren)

QIV-HD

(ab 60 bzw. 65 Jahren)

QIVc

QIVr

QIV

Abkürzungen: aQIV – adjuvantierter quadrivalenter Influenzaimpfstoff; QIV – quadrivalenter Influenzaimpfstoff; QIVc – zellbasierter QIV; QIV-HD – hochdosierter QIV; QIVr – rekombinanter QIV; USA – Vereinigte Staaten von Amerika.

Österreich

Bevorzugte Empfehlung und verfügbar

Bevorzugte Empfehlung und verfügbar

Verfügbar (wenn aQIV oder QIV-HD nicht verfügbar sind)

Verfügbar (wenn aQIV oder QIV-HD nicht verfügbar sind)

[14]

Vereinigtes Königreich

Bevorzugte Empfehlung (verfügbar und erstattet)

Bevorzugte Empfehlung (aber nicht verfügbar und nicht erstattet)

Verfügbar (erstattet, wenn aQIV oder QIVr nicht verfügbar sind)

Bevorzugte Empfehlung (verfügbar und erstattet)

[29] [36]

Deutschland

Verfügbar und erstattet

Bevorzugte Empfehlung (verfügbar und erstattet)

Verfügbar und erstattet

Verfügbar und erstattet

[1] [24]

Australien

Bevorzugte Empfehlung (verfügbar und erstattet)

Bevorzugte Empfehlung (aber nicht erstattet – verfügbar nur im privaten Rahmen)

Verfügbar

[37] [38]

USA

Bevorzugte Empfehlung (verfügbar und erstattet)

Bevorzugte Empfehlung (verfügbar und erstattet)

Verfügbar

Bevorzugte Empfehlung (verfügbar und erstattet)

Verfügbar

[28]


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Diskussion

Die COVID-19-Pandemie hat nicht nur das Ausmaß, sondern auch den Verlauf der saisonalen Influenzawelle beeinflusst. In der Saison 2021/22 wurden in Deutschland wieder deutlich mehr Influenzafälle als in der vorherigen Saison verzeichnet, jedoch traten diese besonders spät in der Saison auf. Der ungewöhnliche Verlauf der Influenzawelle auf der südlichen Hemisphäre deutete eine Verschiebung der aktuellen Influenzawelle in Europa früh in den Herbst und eine kurze Dauer an. In Deutschland wurde der Höhepunkt der aktuellen Influenzawelle bereits Mitte Dezember 2022 erreicht und die Influenza stellt bisher die häufigste Atemwegserkrankung der Saison 2022/23 dar. Aufgrund der COVID-19-Maßnahmen in den letzten Jahren ist eine natürliche Immunität gegen Influenza in der Bevölkerung größtenteils ausgeblieben. Zusammen mit einer geringen Impfbereitschaft bei Erwachsenen ab 60 Jahren, die für schwere Verläufe prädisponiert sind, könnte dies in der aktuellen Saison für viele von ihnen zu schweren Komplikationen führen. Für ältere Erwachsene ist es besonders wichtig, den Impfschutz durch Verwendung der speziell zugelassenen Impfstoffe, den adjuvantierten und den Hochdosis-Impfstoff, zu optimieren. Neueste RWD deuten darauf hin, dass beide Impfstoffe ähnlich effektiv sind. In einigen Ländern wurden diese Daten bereits berücksichtigt und die Impfempfehlungen entsprechend aktualisiert.


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Fazit

Auch in Deutschland sollte die Verfügbarkeit der Impfstoffe sichergestellt sein und ggf. eine Aktualisierung der Impfempfehlungen in Erwägung gezogen werden, bei der die verschiedenen Bevölkerungsgruppen und ihre Merkmale berücksichtigt werden.

Kernaussagen
  • Die Influenza verursacht jährlich eine signifikante Krankheitslast in der deutschen Bevölkerung, die mit beträchtlichen direkten Gesundheitskosten und Produktivitätsverlusten einhergeht.

  • Schutzimpfungen sind eine effektive und kostengünstige Maßnahme zur Reduktion der Influenza-Infektionswahrscheinlichkeit und Prävention des schweren Verlaufs und sind empfehlenswert für alle Bevölkerungsgruppen.

  • Besonders ältere Erwachsene haben aufgrund von Immunseneszenz und chronischen Erkrankungen ein hohes Risiko für schwere Verläufe und sie machen einen Großteil der influenzaassoziierten Hospitalisierungen und Todesfälle aus.

  • Herkömmliche Influenzaimpfstoffe haben eine geringe Effektivität bei älteren Erwachsenen. Um die Immunantwort bei dieser Altersgruppe zu stärken, wurden der adjuvantierte und der Hochdosis-Influenza-Impfstoff entwickelt. Neue Evidenz aus Beobachtungsstudien zeigt, dass der adjuvantierte Impfstoff effektiver ist als herkömmliche Impfstoffe und ähnlich effektiv wie Hochdosis-Impfstoff bei älteren Erwachsenen.

  • „Real-World“-Daten ergänzen Daten aus randomisierten kontrollierten Studien und sollten in nationalen Impfempfehlungen berücksichtigt werden.


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Interessenkonflikt

Die Durchführung der Publikation wurde finanziell von der Seqirus GmbH unterstützt. Dr. Markus Frühwein: – Vorträge/Beratung: Astra Zeneca, Bavarian, Nordic, Biontech, Janßen, GSK, Moderna, MSD, Pfizer, Sanofi, Seqirus, Takeda, Viatris. Prof. Dr. Jörg Schelling: – Beratungshonorare von AstraZeneca, Bavarian Nordic, der GSK Unternehmensgruppe, Sanofi Pasteur, Pfizer, Johnson & Johnson, MSD, BioNTech, Seqirus, Takeda, Viatris – Zahlungen oder Honorare für Vorlesungen, Präsentationen, Rednerbüros, Manuskripterstellung oder Bildungsveranstaltungen von GSK, Sanofi Pasteur, Pfizer, Johnson & Johnson, MSD, BioNTech, Seqirus, Takeda, Viatris – Unterstützung für die Teilnahme an Sitzungen und/oder Reisen von Sanofi Pasteur und Pfizer und Aktienbesitz von Valneva außerhalb der eingereichten Arbeit. Prof. Dr. Klaus Wahle: – Vortragstätigkeiten und Teilnahme an Advisory Boards im Auftrag bzw. für die Firmen SPMSD, Seqirus, Pfizer, GSK, Biontech. Dr. Dietmar Beier: – Advisory Board für Seqirus. Dr. Anja Kwetkat: – Forschungsunterstützung: Robert-Bosch-Stiftung – Forschungskolleg Geriatrie, Pfizer Pharma GmbH – Beratungs-/Gutachtertätigkeit: Projekt Grippeschutz – Seqirus, Advisory Board Prävention Herpes Zoster – GlaxoSmithKline GmbH & Co. KG, Advisory Board Sektorenübergreifendes Impfmanagement – Pfizer Pharma GmbH, Advisory Board Hochdosis Influenza Impfstoff – Sanofi-Pasteur, Advisory Board COVID-19 Impfstoff AZD1222 – AstraZeneca – Vortragstätigkeit: Pfizer Pharma GmbH, Fa. MSD, Fa. Novartis, Fa. Daiichi-Sankyo, Fa. Bristol-Myers Squibb, Fa. Sanofi-Pasteur – Ehrenämter: Sprecherin der AG Impfen der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie e. V. (DGG e. V.), Mitglied DRG-Projektgruppe des Bundesverbandes Geriatrie e. V. (BVG e. V.). Prof. Dr. Tino Schwarz: – Honorare für Beratung und Vorträge: Biogen, Merck-Serono, GSK, Sanofi-Aventis, Pfizer, Seqirus, Synlab, AstraZeneca, Roche, MSD, va-Q-tec, Bavarian Nordic, Janssen-Cilag, Alexion, Takeda, Biontech, MSD, Moderna


Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Tino F. Schwarz
Institut für Labormedizin und Impfzentrum, Klinikum Würzburg Mitte gGmbH, Standort Juliusspital
Salvatorstr. 7
97074 Würzburg

Publication History

Article published online:
29 March 2023

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