CC BY-NC-ND 4.0 · Dtsch Med Wochenschr 2022; 147(01/02): 62-68
DOI: 10.1055/a-1516-2471
Übersicht

State of the Art: Therapie mit Statinen

State of the Art: Statin Therapy
Ulrich Laufs
,
Oliver Weingärtner
,
Ursula Kassner
,
Ulrike Schatz
 

Im Jahr 2020 wurden hierzulande 2,7 Milliarden Statin-Tabletten verordnet, das entspricht bei täglicher Einnahme 7,6 Millionen Menschen in Deutschland [1]. Daher hat jeder Internist oder Allgemeinmediziner täglich mit Statin-Verschreibungen zu tun. Die vorliegende Übersichtsarbeit fasst die aktuelle Datenlage zur klinischen Pharmakologie und Wirksamkeit sowie zu Nebenwirkungen und speziellen Therapie-Situationen zusammen.


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Abstract

This review summarizes the pharmacology and clinical use of HMG-CoA reductase inhibitors, statins. LDL-Cholesterol lowering with statins reduces atherosclerotic cardiovascular risk by approx. one quater per year of treatment. The efficacy and safety of statins are demonstrated by randomized trials irrespective of the patient’s age. The synthetic statins, rosuvastatin and atorvastatin, are superior with regard to LDL-C lowering, half-life and drug-interactions compared to the older statins such as simvastatin. Modern lipid lowering therapy uses individualized statin-based combination therapies.


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Wirkmechanismus, Interaktionen, Laborkontrollen

Statine oder Cholesterin-Synthese-Hemmer (CSE-Hemmer) hemmen kompetitiv das Schlüsselenzym der Cholesterin-Biosynthese, die HMG-Co-A-Reduktase. Diese Inhibition führt zu einem verminderten LDL-Cholesteringehalt und damit kompensatorisch zu einer Hochregulation der LDL-Rezeptoren in den Leberzellen. In der Folge steigt die Aufnahme pathologischer Apo-B-haltiger Lipoproteine (insbesondere LDL-Cholesterin) aus dem Plasma in die Leber [2].

Merke

Die LDL-Senkung mit Statinen im Plasma verbessert die Endothelfunktion und hemmt die Atherosklerose.

Zahlreiche randomisierte Studien belegen die Reduktion von Herzinfarkten, Schlaganfällen und Sterblichkeit in der Primär- und der Sekundär-Prävention durch Statine. Wirkung, Sicherheit und Verträglichkeit sind in Studien mit > 3 Jahrzehnten Beobachtungszeit bewiesen. Deshalb werden Statine übereinstimmend in allen Leitlinien als Mittel der ersten Wahl bei Hypercholesterinämie und zur Vorbeugung und Therapie kardiovaskulärer Erkrankungen empfohlen.

Die Statine unterscheiden sich

  • in ihrer LDL-senkenden Potenz,

  • in ihrer Wasserlöslichkeit und

  • im Metabolisierungsweg ([Tab. 1], [2]).

Tab. 1

Äquivalenzdosen und Pharmakologie der Statine (HMG-CoA-Reduktase-Hemmer), Angaben in mg pro Tag. Eine Verdoppelung der Statin-Dosis führt aufgrund der kompetitiven Hemmung der HMG-CoA-Reduktase zu einer ca. 6 %-igen zusätzlichen Senkung des LDL-C. Je höher der LDL-Ausgangswert, umso größer ist die absolute LDL-Senkung.

LDL-C-Reduktion (%) und weitere Kriterien

Rosuvastatin

Atorvastatin

Simvastatin

Lovastatin

Pravastatin

Fluvastatin

10–20

5

10

10

20

20–30

10

20

20

40

30–40

5

10

20

40

40

80

40–45

5–10

20

40

80

80

-

46–50

10–20

40

80*

50–55

20

80

56–60

40

CYP

2C9 + 2C19

3A4

3A4

3A4

-

2C9

Höchstdosis

40

80

80[*]

80

40

80

Löslichkeit

hydrophil

lipophil

lipophil

lipophil

hydrophil

lipophil

Herkunft

synthetisch

synthetisch

fungal

fungal

fungal

synthetisch

Halbwertszeit Elimination (h)

20

14

3

1,1

1,8

3

Nettokosten DDD 2020 (€)

0,13

0,12

0,18

0,29

0,19

0,28

* Der Einsatz von Simvastatin in der Dosierung 80 mg ist nicht empfohlen. CYP: primär abbauendes Cytochrom-System der Leber; DDD: durchschnittliche Tagesdosis, durchschnittliche Therapiekosten nach Arzneiverordnungs-Report 2020.


Tab. 2

Beispiele für Inhibitoren und Induktoren der Metabolisierung der Statine.

Metabolisierungsweg

Statine

Beispiele für Inhibitoren

Beispiele für Induktoren

CYP3A4

Atorvastatin

Simvastatin

Lovastatin

  • Amiodaron, Ranolazin

  • Amlodipin, Diltiazem, Verapamil

  • Makrolid-Antibiotika (Azithromycin, Clarithromycin, Erythromycin)

  • Ciprofloxacin

  • Itrocaonazol, Ketoconazol, Fluconazol

  • Kortikosteroide

  • Tamoxifen, Warfarin, Ranitidin

  • Tacrolimus, Cyclosporin

  • trizyklische Antidepressiva, Fluoxetine

  • HIV-Proteaseinhibitoren

  • Pampelmusen-Saft

  • Barbiturate

  • Carbamazepin

  • Cyclophosphamid

  • Dexamethason

  • Prednisolon

  • Pioglitazon

  • Johanniskraut

CYP2C9

Fluvastatin

Rosuvastatin

Pitavastatin

  • Amiodaron

  • Cotrimoxazol

  • Fluconazol

  • Ketoconazol

  • Metronidazol

  • Voriconazol

  • Barbiturate

  • Carbamazepin

  • Rifampicin

  • Fenobarbital

  • Phenytoin

oATP1B1

alle Statine

  • Clarithromycin

  • Cyclosporin

  • Gemfibrozil

  • Rifampicin

  • Ritonavir

Atorva-, Simva- und Lovastatin werden primär über das Cytochrom-P450-System 3A4 der Leber metabolisiert. Inhibitoren des CYP3A4-Systems erhöhen die Spiegel und damit das Nebenwirkungspotenzial dieser Statine. Fluva- und Rosuvastatin sowie Pitavastatin (selten in Deutschland eingesetzt) werden primär über CYP2C9 abgebaut – hier besteht weniger Interaktionspotenzial. Pravastatin wird sulfatiert und nicht über das Cytochrom-P450-System metabolisiert, daher kommt es bevorzugt für Patienten mit Immunsuppressiva und nach Transplantationen zum Einsatz.

Merke

Die neueren synthetischen Statine Rosuvastatin und Atorvastatin sind bezüglich Cholesterin-Senkung, Halbwertszeit und Medikamenten-Interaktion den älteren fungalen Wirkstoffen, wie z. B. Simvastatin, überlegen.

LDL-C Messungen:

Vor Beginn einer LDL-C-senkenden Therapie sollten mindestens 2 Messungen im Abstand von 1–12 Wochen erfolgen, mit Ausnahme von Zuständen, bei denen eine sofortige medikamentöse Behandlung empfohlen wird (akutes Koronarsyndrom, Patienten mit sehr hohem Risiko). Die LDL-Senkung ist nach 7–10 Tagen beurteilbar. Es ist sinnvoll, 3–4 Monate nach Beginn der Therapie das LDL-C zu kontrollieren und dann die Therapie in Abhängigkeit vom Erreichen des individuellen Zielwertes anzupassen.

Bestimmung CK und ALT:

Ebenso wird empfohlen, die Kreatinkinase (CK) und die Alanin-Aminotransferase (ALT, Leberenzyme) vor Einleitung der Statintherapie zu bestimmen. Eine CK-Kontrolle im Verlauf ist nur bei Patienten mit Myalgien indiziert. Die ALT sollte mit der ersten LDL-C-Bestimmung nach Therapiebeginn kontrolliert werden, weitere ALT-Kontrollen sind bei unkompliziertem Verlauf nicht sinnvoll. Bei ALT-Anstiegen < 3 × oberer Referenzwert sollte die Therapie weitergeführt und die ALT nach 4–6 Wochen kontrolliert werden. In weniger als 1 % der Verordnungen kann die ALT > 3 × oberer Referenzwert ansteigen. In diesem Fall sollte die Statin-Therapie pausiert werden. Andere Ursachen sind auszuschließen.

Die Leberwerte sollten nach 4–6 Wochen kontrolliert werden: Bei Normalisierung kann eine Re-Exposition erfolgen, ggf. mit einem anderen Statin oder einer niedrigeren Dosis.

Häufige Ursachen für eine Transaminasen-Erhöhung sind metabolisches Syndrom, Hypercholesterinämie und Steatosis – gerade diese Patienten profitieren besonders von einer Statin-Therapie. Das Absetzen eines Statins ist nur in sehr seltenen Ausnahmefällen sinnvoll; bei Patienten mit hohem vaskulärem Risiko sollte der Rat einer Lipid-Ambulanz in Anspruch genommen werden.

Infobox 1

Wann ist der beste Einnahme-Zeitpunkt für Statine?

Die körpereigene Cholesterinsynthese ist nachts etwas höher als tagsüber. Daher wurden historisch die alten, aus Pilzen isolierten Statine mit kürzerer Halbwertszeit ([Tab. 1]) abends verordnet. Die neuen, synthetischen Statine (Atorvastatin, Rosuvastatin) weisen jedoch eine gute 24h-Kinetik auf, sodass der Einnahmezeitpunkt keinen relevanten Effekt auf das Ausmaß der LDL-C-Senkung hat. Wesentlich wichtiger als die Pharmakokinetik für die LDL-Senkung ist jedoch die Einnahmetreue, die häufig morgens besser ist als am Mittag oder Abend. Dies spricht für eine Verordnung von Statinen am Morgen. In der Praxis gut bewährt, insbesondere bei jüngeren Patienten, hat sich die Empfehlung einer morgendlichen Einnahme beim Zähneputzen.

Gibt es „pleiotrope“ Effekte der Statine?

Durch Hemmung der HMG-Co-A-Reduktase reduzieren Statine auch Intermediär-Produkte des Cholesterin-Synthesewegs, die Isoprenoide ([Abb. 1]) [3]. Diese spielen u. a. für die posttranslationale Modifikation von Signaltransduktions-Proteinen eine Rolle. Zum Beispiel können sich Proteine der Rho-Familie ohne Geranylgeranylierung nicht an die Zellmembran binden. In Zellkultur- und Tierexperimenten vermitteln diese Mechanismen vaskuloprotektive und anti-inflammatorische Effekte, unabhängig von der Cholesterin-Konzentration. Ein gut dokumentiertes Beispiel ist die Verbesserung der endothelialen NO-Freisetzung durch die statinvermittelte Hemmung der Rho-abhängigen Signaltransduktion. Allerdings bleibt die quantitative klinische Bedeutung dieser Effekte beim Menschen letztlich unklar, da zum einen diese sogenannten „pleiotropen“ Effekte mit dem Ausmaß der Cholesterin-Senkung korrelieren und zweitens alle aussagekräftigen Studien zur LDL-C-Senkung mit Nichtstatinen in Gegenwart von Statinen durchgeführt wurden [3] [4].

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Abb. 1 Mechanismen von cholesterinunabhängigen („pleiotropen“) Effekten der Statine, die in Zellkultur- und Tierexperimenten beobachtet werden.

Die definitive Antwort läge in einer randomisierten Titrations-Studie mit gleicher LDL-Senkung durch ein Statin im Vergleich zu einem Nichtstatin mit klinischen Endpunkten. Solche Titrations-Daten liegen für Tiere (u. a. Affen) vor [4]. Unstrittig ist die Evidenz für die Korrelation der kardiovaskulären Ereignis-Reduktion mit der Senkung des LDL-C, unabhängig von der Methode der LDL-C-Senkung. Daraus leitet sich ab, dass der wesentliche Effekt der Statine durch die LDL-C-Senkung im Serum vermittelt wird. Die umfangreiche Literatur zu vielfach reproduzierten, positiven, präklinischen Daten mit Statinen unterstreicht deren Sicherheit und Stellung als Basis-Therapie [5].


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Wirksamkeit und Sicherheit der Statine

Statine gehören zu den am besten untersuchten Wirkstoffen der modernen Medizin. Eine LDL-Senkung mit Statinen reduziert das Auftreten von Herzinfarkt, kardiovaskulärem Tod und ischämischem Schlaganfall und reduziert die Notwendigkeit einer koronaren Revaskularisation.

Große randomisierte Studien und Meta-Analysen wie die Cholesterol-Treatment-Trialists (CTT) zeigen eine Risikoreduktion dieser Ereignisse um 25 % pro LDL-C-Senkung um 1 mMol (ca. 40 mg/dl) und pro Jahr [6]. Die Risikoreduktion hält über die Dauer der Behandlung an. Die Wirkung gilt in gleicher Weise für Diabetiker, Frauen, Kinder und Senioren (siehe auch Infobox 2–4) und alle anderen Subpopulationen. Die Senkung der Sterblichkeit ist auch bei Patienten mit niedrigem Risiko (sog. „Primär-Prävention“, z. B. WOSCOP, JUPITER) dokumentiert [7]. Die absolute Risiko-Reduktion für den individuellen Patienten ergibt sich aus

  • dem globalen Risiko des Patienten,

  • der Höhe des Ausgangs-LDL-C,

  • dem Ausmaß der LDL-C Senkung und

  • deren Dauer.

Merke

Pro Jahr Therapiedauer und pro 40 mg/dl LDL-C-Senkung reduzieren Statine das kardiovaskuläre Risiko um ein Viertel.

Nichtvaskuläre Endpunkte (z. B. plötzlicher Herztod oder Niereninsuffizienz) werden entsprechend dem Wirkmechanismus der Cholesterin-Senkung nicht oder nur indirekt reduziert. In Populationen, bei denen Herzinfarkte nur einen geringen Anteil an den Todesursachen ausmachen (z. B. bei systolischer Herzinsuffizienz oder terminaler Niereninsuffizienz an der Dialyse), werden Herzinfarkte ebenfalls reduziert – was dann aber nicht reicht, um in diesen Populationen die Gesamtsterblichkeit zu reduzieren (dies erklärt z. B. die neutralen Ergebnisse der CORONA-, Gissi-HF- oder 4D-Studie).

Ein Alleinstellungsmerkmal der Statine ist die exzellente Dokumentation der hohen Therapiesicherheit in zahlreichen randomisierten Studien und der strukturierten Beobachtungs-Studien über mehr als 3 Jahrzehnte. Das Sicherheitsprofil auf Placebo-Niveau ist ein entscheidendes Argument für die Empfehlung aller Leitlinien, Statine als Basis der medikamentösen Behandlung der Hypercholesterinämie einzusetzen.

Infobox 2

Statine bei Kindern

Patienten mit Familiärer Hypercholesterinämie (FH, Prävalenzrate 1:250) weisen aufgrund ihrer hohen LDL-C-Werte unbehandelt eine maligne Prognose durch prämature kardiovaskuläre Komplikationen auf, die durch eine rechtzeitige LDL-C-Senkung verhindert werden können. Statine stellen evidenzbasiert die Grundlage der medikamentösen Therapie bei FH dar. Alle in [Tab. 1] aufgeführten Statine sind spätestens ab dem 10. Lebensjahr getestet, gut verträglich, zugelassen und für Kinder mit FH empfohlen [8].

Infobox 3

Statine in der Schwangerschaft

Statine sind in der Schwangerschaft und Stillzeit nicht getestet und deshalb nicht zugelassen. Experimentelle Studien, Register und Fall-Serien zeigen keine erhöhte Teratogenität. Aus formaljuristischen Gründen muss jedoch bei Statin-Verschreibungen im gebärfähigen Alter über die Notwendigkeit einer Antikonzeption aufgeklärt werden. Statine sollten 3 Monate vor geplanten Schwangerschaftsversuchen pausiert werden. Wichtig dabei ist ein Patientengespräch, welches die Substanzklasse nicht negativ konnotiert. Im Falle einer Schwangerschaft unter Statin-Einnahme muss die Medikation pausiert werden. Der Wiederbeginn der lipidsenkenden Therapie erfolgt nach dem Abstillen.

Infobox 4

Statine bei hochbetagten Patienten

Statine reduzieren kardiovaskuläre Ereignisse und kardiovaskuläre Sterblichkeit auch bei Personen > 75 Jahre analog zu jüngeren Menschen, dies gilt auch für die Effekte bei Neuverordnungen bei Personen > 80 Jahre [9] [10]. Das Absetzen von Statinen ist bei Personen im Alter von 75 Jahren ohne kardiovaskuläre Vorerkrankungen mit einer 33 %-igen Risikoerhöhung assoziiert [11]. Die ärztliche Abwägung einer Statin-Verschreibung bei hochbetagten Patienten kann sich an der Bedeutung der Prävention kardiovaskulärer Ereignisse für den individuellen Patienten orientieren. Steht dieses Therapie-Ziel nicht im Vordergrund, z. B. bei einer fortgeschrittenen Tumor-Erkrankung oder in einer palliativen Situation, sind Statine i. d. R. nicht indiziert.


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Statin-Intoleranz

Muskelsymptome sind eine klinisch relevante Nebenwirkung der Statin-Therapie und führen oft dazu, dass die Behandlung abgesetzt wird – was in der Folge mit einer erhöhten kardiovaskulären Mortalität assoziiert ist. Die Statin-assoziierten Muskelsymptome (SAMS) limitieren damit die langfristige Anwendbarkeit der Statin-Behandlung und reduzieren die Lebensqualität. In sehr seltenen Fällen können Statine lebensbedrohliche Rhabdomyolysen verursachen (ca. 1 pro 100 000 Patienten). Während im Alltag SAMS häufig berichtet werden, sind die Häufigkeiten von SAMS in randomisierten klinischen Studien deutlich geringer und unterscheiden sich kaum zwischen Statin- und Placebo-Gruppen [12]. Aktuelle n = 1 Studien zeigen, dass ca. 10 % der von Patienten berichteten SAMS kausal durch Statine verursacht werden, in 90 % sind die Statine nicht für die Symptome verantwortlich [13].

Die zelluläre Pathogenese ist letztlich bis heute unverstanden und vermutlich heterogen. Die große Mehrheit der SAMS geht ohne Erhöhung der Kreatinkinase (CK) einher. Es existiert aktuell kein serologischer, genetischer oder bildmorphologischer Test für eine belastbare Objektivierung oder Quantifizierung der CK-negativen SAMS. Daher beruht die Diagnose auf einer ausführlichen Anamnese, dem zeitlichen Zusammenhang der Symptome mit Beginn und Absetzen der Statin-Einnahme und erneutem Auftreten bei Re-Exposition ([Abb. 2]).

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Abb. 2 Vorgehen bei statinassoziierten Muskelschmerzen (SAMS).

SAMS treten in der Regel innerhalb von 4–6 Wochen nach Beginn der Therapie auf. Typischerweise sind proximale Muskelgruppen betroffen; die Beschwerden sind häufig symmetrisch. Zur Etablierung der Diagnose ist der Einsatz von verschiedenen Statinen in kleinen und sehr kleinen Dosierungen erforderlich. Nach Ermittlung der höchsten verträglichen Statin-Dosierung ist in Abhängigkeit vom Abstand zum individuellen LDL-C-Zielwert eine Kombinationstherapie indiziert. Nocebo-Effekte können auf Placebos (Vitamine, Enzyme, Omega-3-Fettsäuren u. ä.) ansprechen – von dieser Strategie raten die Fachgesellschaften jedoch begründet ab [14].

Merke

Die Mehrheit der berichteten Statin-assoziierten Muskelsymptome ist nicht durch die Statine bedingt. Die Diagnose erfordert Zeit für den Patienten und in vielen Fällen eine lipidsenkende Kombinationstherapie.

Zahlreiche offene Fragen zu den Charakteristika und zur Prognose von Patienten mit SAMS erschweren aktuell die Versorgung der Patienten mit SAMS. Um diese Fragen zu beantworten, haben die Autoren dieser Arbeit eine prospektive Register-Studie initiiert (ClinicalTrials.gov Identifier: NCT04 975 594).


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Stellenwert der Statine in der Lipidtherapie

Die Basis der lipidsenkenden Therapie ist der Lebensstil, insbesondere das Nichtrauchen und körperliche Aktivität, zur Reduktion des kardiovaskulären Risikos ([Abb. 3]). Statine stellen vor dem Hintergrund der eindeutigen Evidenz zu Wirksamkeit und Sicherheit dann die Basis der medikamentösen lipidsenkenden Therapie dar. Bei Neuverschreibungen sollten synthetische Statine (Atorvastatin oder Rosuvastatin) eingesetzt werden. Eine Verdoppelung der Statin-Dosis führt aufgrund der kompetitiven Hemmung der HMG-CoA-Reduktase zu einer ca. 6 %-igen zusätzlichen Senkung des LDL-C ([Tab. 1]).

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Abb. 3 Individualisierte Kombinationstherapie zur Behandlung von Dyslipidämien. Auf der Basis von Lebensstil und Statinen stehen für unterschiedliche Risiko-Konstellationen und lipidologische Pathologien individualisierte Kombinationsmöglichkeiten zur optimalen Risiko-Reduktion zur Verfügung.
Merke

Bei unzureichender LDL-Senkung unter Statinen ist der nächste Schritt die Kombination mit dem Hemmer der intestinalen Cholesterinresorption, Ezetimib.

Aufgrund der synergistischen Wirkung lassen sich gute Therapieerfolge erzielen. Die Kombination mit Ezetimib führt zu einer 20–30 % zusätzlichen LDL-C-Senkung, d. h. sie ist effektiver als eine Verdoppelung der Statin-Dosis bei oft besserer Verträglichkeit. Dies liegt in der Komplexität des Cholesterin-Metabolismus begründet, d. h. Menschen mit geringer endogener Cholesterinsynthese sind durch eine besonders hohe intestinale Cholesterinresorption gekennzeichnet. Daher ist die LDL-C-Senkung durch Ezetimib besonders effektiv bei Menschen, die auf Statine weniger gut ansprechen. Kommt es unter der Kombination von Statin mit Ezetimib nicht zu einer Senkung der LDL-C, liegt ein Problem der Einnahmetreue vor. Die LDL-C-senkende Wirksamkeit ist besser bei Verordnung eines Kombinationspräparates.

Weitere Kombinationsmöglichkeiten zur LDL-C Senkung stehen mit der Bempedoin-Säure und den PCSK9-Hemmern zur Verfügung.

Merke

Die moderne Lipid-Therapie basiert auf individuellen Kombinationstherapien. Für viele der vielversprechenden neuen Optionen müssen die Wirksamkeit auf klinische Endpunkte und vor allem die Langzeit-Sicherheit jedoch noch belegt werden.

Für die Zukunft besteht die begründete Vision einer individualisierten Lipid-Therapie, ähnlich wie wir es aus dem Bereich der arteriellen Hypertonie oder des Diabetes mellitus kennen ([Abb. 3]).

Hinweis

Das zugehörige Fortbildungsmodul der DACH findet sich unter: www.dach-praevention.eu/fortbildung-lipidologie/#modul-2.

Kernaussagen
  • LDL-C ist ein kausaler Risikofaktor. Die Reduktion von LDL-C mit Statinen führt proportional zur erreichten absoluten LDL-C-Senkung, zu einer dauerhaften LDL-Senkung und somit zu einer Verringerung des kardiovaskulären Risikos ohne unteren Grenzwert.

  • Wirksamkeit und Sicherheit der Statine sind über Jahrzehnte dokumentiert.

  • Die Senkung des LDL-C durch Statine führt zu einer kardiovaskulären Risikoreduktion von ca. 25 % pro 1 mmol/l (40 mg/dl) pro Jahr.

  • Zur Diagnose einer Statin-Intoleranz bedarf es viel Zeit für eine gründliche Anamnese und der Re-Exposition mit verschiedenen niedrigdosierten Statinen. Ein Statin-Intoleranz-Register wird weitere Fragen auf diesem wichtigen Gebiet beantworten.

  • Die Lipid-Therapie entwickelt sich – ähnlich der Therapie der arteriellen Hypertonie – auf der Basis von Statinen hin zum Einsatz einer individualisierten Kombinationstherapie.


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Prof. Dr. med. Ulrich Laufs

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Direktor der Klinik und Poliklinik für Kardiologie am UK Leipzig. Medizinstudium in Bochum und Hamburg. Facharztausbildung an der Klinik für Innere Medizin III des UKs des Saarlandes: FA für Innere Medizin 2003, Kardiologie 2005, Angiologie 2007 und Internistische Intensivmedizin 2009, Habilitation 2004, Professur für Klinisch-Experimentelle Medizin 2008. Seit 2017 W3-Professur für Kardiologie der Universität Leipzig.

Prof. Dr. med. Oliver Weingärtner

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Oberarzt an der Klinik für Innere Medizin I, Tätigkeitsschwerpunkte: Interventionelle Kardiologie, Angiologie und spezielle internistische Intensivmedizin. Zertifizierter interventioneller Kardiologe (DGK). Derzeitiger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Lipidologie (DGFF). Forschungsschwerpunkte: Cholesterinstoffwechsel und kardiovaskuläres Risiko.

Dr. med. Ursula Kassner

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Oberärztin an der Medizinischen Klinik für Endokrinologie und Stoffwechselmedizin (einschl. Arbeitsbereich Lipidstoffwechsel), Charité – Universitätsmedizin Berlin.

Dr. med. Ulrike Schatz

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Fachärztin für Innere Medizin, Diabetologie, Lipidologie (DDG; DGFF). Funktionsoberärztin an der Medizinischen Klinik III, Universitätsklinikum, Technische Universität Dresden.

Interessenkonflikt

UL: Honorare von Amgen, Daiichi, MSD, Novartis, Sanofi

OW: Honorare für Vorträge und AdBoards von AMGEN, SANOFI, AMARIN, Novo Nordisc, Fresenius, Hexal, Akcea Therapeutics, Berlin-Chemie, Pfizer

UK: Honorare für Vortragstätigkeiten und Advisory Boards von Fresenius Medical Care, Daiichi Sankyo, Amgen und der Synlab Academy

US: Vortags- und Beratertätigkeit für Amgen, Berlin Chemie, Daiichi Sankyo, MSD, Novartis, Sanofi Aventis


Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Ulrich Laufs
Klinik und Poliklinik für Kardiologie
Universitätsklinikum Leipzig
Liebigstr. 20
04103 Leipzig
Deutschland   

Publication History

Article published online:
06 December 2021

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Abb. 1 Mechanismen von cholesterinunabhängigen („pleiotropen“) Effekten der Statine, die in Zellkultur- und Tierexperimenten beobachtet werden.
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Abb. 2 Vorgehen bei statinassoziierten Muskelschmerzen (SAMS).
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Abb. 3 Individualisierte Kombinationstherapie zur Behandlung von Dyslipidämien. Auf der Basis von Lebensstil und Statinen stehen für unterschiedliche Risiko-Konstellationen und lipidologische Pathologien individualisierte Kombinationsmöglichkeiten zur optimalen Risiko-Reduktion zur Verfügung.