Handchir Mikrochir Plast Chir 2021; 53(04): 407-411
DOI: 10.1055/a-1382-1628
Fallbericht

Folgenreiche Liposuktion – was man im Umgang mit Prilocain beachten sollte

Liposuction with consequences: what to consider when using prilocaine
Julius Michael Mayer
1   Spital Thurgau AG, Hand- und Plastische Chirurgie
,
Carl Ferdinand Capellen
2   Spital Thurgau AG, Klinik für Innere Medizin – Kantonsspital Münsterlingen
,
Thomas Holzbach
1   Spital Thurgau AG, Hand- und Plastische Chirurgie
› Author Affiliations
 

Zusammenfassung

Unter der selten auftretenden erworbenen Methämoglobinämie ist die Prilocain-induzierte ätiologisch gesehen eine Rarität. Der folgende Fallbericht behandelt sie als potenziell gefährliche Komplikation nach Liposuktion mit Prilocain.

Eine junge Patientin stellte sich nach präsynkopalem Sturzereignis mit blassem Hautkolorit, immobilisierendem Handgelenksschmerz und Platzwunde am Kinn in der interdisziplinären Notaufnahme vor. Etwa 12 Stunden zuvor sei bei der Patientin ambulant in Regionalanästhesie eine Liposuktion der unteren Extremität durchgeführt worden. Dabei sei ein größeres Volumen einer Tumeszenzlösung, bestehend u. a. aus Prilocain, in das Gewebe infiltriert worden.

Bei initialer Vorstellung wurden ein normwertiger Blutdruck, eine leichte Tachykardie, eine periphere Sauerstoffsättigung von 90 % bei Raumluft gemessen und klinisch fielen ein reduzierter Allgemeinzustand und eine Lippenzyanose auf. Die Liposuktionszonen waren unauffällig.

Die erste arterielle Blutgasanalyse zeigte einen erhöhten Methämoglobin(Met-Hb)anteil von 10,9 %. Konventionell-radiologisch ließ sich eine minimal dislozierte distale Radiusfraktur nachweisen. Unter Sauerstofftherapie fiel das Met-Hb innerhalb von 4 Stunden auf 6 %, die Lippenzyanose war rückläufig, die Vitalparameter stabilisierten sich, die Platzwunde wurde mittels primärer Wundnaht versorgt und es erfolgte eine Ruhigstellung des Handgelenks. Nach 12-stündigem Aufenthalt erfolgte die Entlassung bei gebessertem Allgemeinzustand. Sechs Wochen posttraumatisch zeigte sich eine Konsolidierung der Fraktur und funktionell-ästhetisch regelrechte Wundheilung des Kinns. Wir möchten für die Differenzialdiagnose einer Prilocain-induzierten Methämoglobinämie nach Liposuktion mit Tumeszenzlösung sensibilisieren und im Allgemeinen die Verwendung von Prilocain diskutieren.


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Abstract

Aetiologically, prilocaine-induced methaemoglobinaemia is a rare form of acquired methaemoglobinaemia, which occurs rarely in the first place. The following report highlights a potentially dangerous complication arising after application of prilocaine during liposuction.

A young female visited the Accident and Emergency Department following a pre-syncopal fall. As a consequence of her fall, she experienced debilitating wrist pain and exhibited a laceration on her chin. She had undergone liposuction of the lower extremity as an outpatient approximately 12 hours earlier and received regional anaesthesia in the process. A large volume of an anaesthetic solution containing prilocaine had been injected into the tissue.

The patient was normotensive and slightly tachycardic and had oxygen saturations of 90 % on room air. She was cyanotic and her lips were pale. Initial arterial blood gas analysis showed a methaemoglobin fraction, which was increased significantly to 10.9 %. Conventional radiography confirmed the presence of a minimally dislocated distal radius fracture. Following subsequent oxygen therapy over a four-hour period, the patient’s methaemoglobin level dropped to 6 %, her lip cyanosis abated and her vital parameters stabilised. The laceration of her chin was sutured and her wrist immobilised in a split plaster brace. After a 12-hour hospital stay, the patient was discharged. At her six-week follow-up appointment, the fracture had healed and both the functional and cosmetic aspects of her chin wound were adequate. We hope that this report draws the attention of emergency care personnel to the possible diagnosis of prilocaine-induced methaemoglobinaemia after liposuction and encourages more general discussions around the use of prilocaine.


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Einleitung

Der eisenhaltige Proteinkomplex Hämoglobin vermag es, Sauerstoffmoleküle in der Lunge zu binden und diese am Zielort abzugeben. Hämoglobin enthält 2-wertiges Eisen. Methämoglobin besitzt hingegen 3-wertiges Eisen und ist so sauerstoffaffin, dass kaum Sauerstoff abgegeben wird. Das Enzym Methämoglobin-Reduktase, welches Nicotinamidadenindinukleotid(NADH)-abhängig ist, kann mittels Reduktion Methämoglobin in Hämoglobin überführen. Unter physiologischen Bedingungen beträgt der Anteil des Methämoglobins am Gesamthämoglobin beim Menschen weniger als 1,5 %. Bei einer Dysbalance von Oxidation und Reduktion kann es zu einer erhöhten Konzentration des Methämoglobinspiegels im Blut, einer so genannten Methämoglobinämie, kommen [1], [2]. Je nach Ausprägung der Erhöhung folgen aufgrund einer insuffizienten Sauerstoffversorgung des Organismus verschieden stark ausgeprägte und bedrohliche Symptome. Ab Methämoglobinwerten > 10 % des Gesamthämoglobins kann mittels charakteristischem schlamm- bzw. blaugrauem Hautkolorit eine Methämoglobinzyanose klinisch in Erscheinung treten. Klinische Symptome einer Hypoxie, wie u. a. Verwirrtheit, Tachykardie, Tachypnoe und Hypotension, sind möglich. Bei Werten > 30 % präsentiert sich eine Braunfärbung des Blutes. Eine zu beachtende diagnostische Besonderheit ist, dass sich selbst bei sehr hohen Methämoglobinkonzentrationen pulsoxymetrisch normalerweise keine Sauerstoffsättigungswerte < 80 % zeigen. Eine sehr stark ausgeprägte Methämoglobinämie kann tödlich verlaufen [3].

Ätiologisch sind ein kongenitaler Methämoglobin-Reduktase-Mangel, Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase-Mangel und die Exposition gegenüber extern zugeführten Risikofaktoren bekannt. Eine erhöhte Methämoglobinbildung kann u. a. durch die gesteigerte Zufuhr von Nitraten, Nitriten, Aminoverbindungen des Benzols und auch durch Medikamente wie Sulfonamide oder die Lokalanästhetika vom Amidtyp, wie Prilocain, getriggert werden.

Die Therapie der Methämoglobinämie beinhaltet die Beseitigung von potenziell begünstigenden Faktoren, Symptomkontrolle (ggf. intensivmedizinisch), medikamentöse Verabreichung von u. a. Methylenblau und Ascorbinsäure bis hin zur Ultima ratio einer Austauschtransfusion [3]. Moos et al. empfehlen bei schwerer oder symptomatischer Methämoglobinämie und Fehlen eines Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangels die Therapie mit Methylenblau in einer Dosierung von 1–2 mg/kg Körpergewicht über 5 min intravenös. Bei Vorliegen von Kontraindikation einer Methylenblaugabe stellt Ascorbinsäure ein weiteres Antioxidans dar. Werden 2 g i. v. appliziert, so lässt sich die Met-Hb-Konzentration laut Eder et al. innerhalb von 10 Stunden um bis zu 10 % reduzieren [4], [5].

Zwar gilt Prilocain als seltene Ursache einer Methämoglobinämie, dennoch wird es in Deutschland häufig in Bereichen wie der Plastisch-ästhetischen Chirurgie oder Phlebologie verwendet [6]. Daher möchte dieser Fallbericht an das seltene Auftreten einer Prilocain-induzierten Methämoglobinämie nach Liposuktion erinnern.


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Patienteninformation

Die Vorstellung der 33-jährigen Patientin in der interdisziplinären Notaufnahme erfolgte aufgrund eines präsynkopalen Sturzereignisses mit posttraumatisch immobilisierendem Handgelenksschmerz rechts und einer blutenden Platzwunde am Kinn. Zusätzlich klagte sie über Abgeschlagenheit und persistierenden dezenten Schwindel.

Etwa 12 Stunden zuvor sei bei der Patientin im ambulanten Setting durch einen niedergelassenen Kollegen eine ästhetische Liposuktion der Oberschenkelaußenseiten, -innenseiten sowie der Knie beidseits mittels PAL-Technik (Power Assistierte Liposuktion) durchgeführt worden. Dabei seien insgesamt 3,5 Liter einer Tumeszenzlösung, bestehend u. a. aus Lidocain (0,030 g/100 ml) und Prilocain (0,025 g/100 ml) – Zusammensetzungsverhältnis leider nicht eruierbar – regional in das Gewebe infiltriert worden. Zwei Liter reines Fettgewebe seien abgesaugt worden.

Anamnestisch seien bereits 6–7 Stunden postoperativ Kopfschmerzen, Müdigkeit und Lethargie aufgetreten, weswegen sich die Patientin Schlafen legte. Die Vorstellung erfolgte jedoch erst nach dem Sturzereignis und primär aufgrund der Folgen des Sturzes; 12 Stunden postoperativ. Eine Schmerzmitteleinnahme oder perioperative Einnahme eines Sedativums wurden verneint; ebenso wie relevante Vorerkrankungen oder eine Dauermedikation.

Eine Allergie gegen Färbemittel bestünde.


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Klinische Befunde

Die Patientin präsentierte sich bei normalem Ernährungszustand in reduziertem Allgemeinzustand mit Zyanose der Lippen, mit einer auf subkutanem Niveau 4 cm langen, klaffenden Platzwunde am Kinn und schmerzbedingter Bewegungseinschränkung des rechten Handgelenks. Zudem zeigte sich eine isolierte Druckdolenz und hämatöse Schwellung palmarseitig über dem distalen Radius rechts.

Die körperliche Untersuchung ergab keine sonstigen Auffälligkeiten – insbesondere einen regelrechten postoperativen Befund im Bereich der Liposuktionsstellen ohne Hinweis auf Nachblutung oder relevante Hämatombildung.


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Diagnostisches Verfahren

Bei initialer Erhebung der Vitalparameter wurden ein Blutdruck von 121/74 mmHg, eine Herzfrequenz von 110/min und pulsoxymetrische Sauerstoffsättigung von 90 % bei Raumluft gemessen. Aufgrund der Zyanose und verringerten pulsoxymetrisch bestimmten Sauerstoffsättigung wurde eine Blutabnahme zur arteriellen Blutgasanalyse und laborchemischen Untersuchung (klinische Chemie, Gerinnung und Hämatologie) veranlasst.

Die Laboruntersuchung lieferte keine richtungsweisenden pathologischen Werte und insbesondere einen normwertigen Hämoglobinwert von 129 g/l (Referenzbereich 117–153 g/l).

Die initial durchgeführte arterielle Blutgasanalyse ergab eine pO2 12,6 kPa, FO2Hb 85 % und Met-Hb 10,9 %.

Konventionell-radiologisch wurde die Diagnose einer distalen, extraartikulären, minimal dislozierten Radiusfraktur (AO 2R3A2) rechts mittels Röntgen in 2 Ebenen gesichert.


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Therapeutische Intervention

Ad Methämoglobinämie: Sauerstofftherapie, klinische Überwachung und Monitoring auf der Notfallstation für 12 Stunden.

Ad distale Radiusfraktur rechts: Konservatives Vorgehen mittels Ruhigstellung des Handgelenks in einer gespaltenen Gipsschiene.

Ad Platzwunde am Kinn: Primäre Wundversorgung nach Friedrich unter 5 ml Mepivacain 1 % Lokalanästhesie.


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Zeitlicher Verlauf

Unter Sauerstofftherapie (4 l/min) fiel das Met-Hb innerhalb von 4 Stunden auf 6 %, pO2 20,0 kPa und FO2Hb 92,1 % stiegen an. Der Hb war konstant bei 127 g/l.

Des Weiteren war die Zyanose deutlich rückläufig und die Herzfrequenz normalisierte sich.

Bei gebessertem Allgemeinzustand konnte die Patientin nach 12-stündigem Aufenthalt beschwerdearm entlassen werden.


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Follow-up und Outcomes

Nach 6-wöchiger Ruhigstellung (1 Wo. gespaltener Gips und 5 Wo. geschlossener Gips), radiologisch gesicherter Konsolidierung der Fraktur und anschließender ergotherapeutischer Beübung konnte ein gutes funktionelles Ergebnis des rechten Handgelenks erzielt werden. Ebenso präsentierte sich eine zufriedenstellende Wundheilung und dezente Narbenbildung im Bereich des Kinns sowie ein ästhetisch zufriedenstellendes und regelrechtes Ergebnis der Liposuktionszonen.


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Diskussion

Die Patientin wurde nach notfallmäßiger Selbstvorstellung entsprechend des Standards eines Akutkrankenhauses auf der Notfallstation versorgt. Dabei wurden die Vitalparameter überwacht, arterielle Blutgasanalysen und laborchemische Untersuchungen durchgeführt, eine konventionell-radiologische Bildgebung angefertigt und eine Wundversorgung in Lokalanästhesie durchgeführt.

In dem vorgestellten Fall scheint differenzialdiagnostisch die nachgewiesene Methämoglobinämie als Auslöser des Sturzes wahrscheinlich zu sein.

Dabei war dies allerdings nicht von Anfang an die erste Differenzialdiagnose, die in Betracht gezogen wurde, da die Patientin erst zögerlich auf Nachfrage von der durchgeführten Operation berichtete.

Synkopen lassen sich entsprechend ihrer Pathogenese wie folgt unterteilen: vaskulär, kardial, neurogen, medikamentös oder psychogen. Differenzialdiagnostisch zur Synkope sind vor allem metabolische (Hypoglykämie) und zerebrale (Krampfanfall, Narkolepsie) Ursachen eines Sturzes zu nennen bzw. auszuschließen.

Das in diesem Fall angewandte Verfahren der Tumeszenz-Lokalanästhesie (TLA), erstmals beschrieben 1987 durch den amerikanischen Dermato- und Pharmakologen Jeffrey A. Klein [7], ist weit verbreitet und gilt als sicher. Tumeszenzlösungen, die variabel zusammengesetzt sein können, aber meist als Grundkomponenten Kochsalzlösung oder Ringer Lactat, Lokalanästhetikum, Epinephrin, teilweise Natriumbicarbonat und optional Glukokortikoide beinhalten, wirken analgetisch, hämostatisch durch Vasokonstriktion und emulgierend auf die Adipozyten. Die TLA eignet sich nicht bei Neugeborenen und/oder Vorliegen einer Allergie auf das Lokalanästhetikum oder ggf. verwendete Konservierungsstoffe (Parahydroxybenzoesäureester) als auch bei Glucose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangel. Außerdem stellt die gleichzeitige Gabe von anderen methämoglobinbildenden Stoffen eine relative Kontraindikation für die Anwendung von Prilocain dar [8]. Bei o. g. Patientin lagen diese Kontraindikationen anamnestisch jedoch nicht vor.

Im Gegensatz zur direkten Infiltrationsanästhesie wird bei der TLA das Anästhetikum 15–20-fach verdünnt, sodass die Konzentration nur noch ca. 0,05 % beträgt [8]. Dennoch gilt zu beachten, dass durch spätere Lipoaspiration nur etwa 30 % des infiltrierten Lokalanästhetikums beseitigt werden [9].

Entscheidend für die komplikationslose Durchführung der TLA sind das Verhältnis der medikamentösen Zusammensetzung sowie Infiltrationsvolumen und -geschwindigkeit. Die Infiltrationsgeschwindigkeit wird technisch durch das verwendete Liposuktionsgerät vorgegeben und ist somit zum Schutz des Patienten limitiert. Eine langsame Infiltration mit einer Geschwindigkeit von ca. 100 ml/min wird in der Literatur als unproblematisch gewertet [10]. Dabei verhalten sich die systemische Toxizität und Anflutung proportional zur Infiltrationsgeschwindigkeit [11].

Anamnestisch und mittels Aktenstudium war leider nicht eruierbar, ob genannte Aspekte bei der Liposuktion im vorliegenden Fall berücksichtigt wurden.

In der Literatur wird die Höchstdosis der ausgewählten Lokalanästhetika bei TLA in Hinblick auf ihre Anflutung und Plasmakonzentration kontrovers diskutiert. Entgegen der vom Hersteller empfohlenen Maximaldosis für Prilocain von 8 mg/kg KG (max. Tagesdosis 600 mg) werden in der Praxis bei der TLA Mengen von 35 bis 55 mg/kg Körpergewicht (KG) verwendet und als sicher gewertet [12]. Hierbei gilt es zu beachten, dass die Lokalisation der Infiltration von Bedeutung für das Auftreten von systemischen Nebenwirkungen sei. In besser perfundierten Bereichen kann der Übertritt der Tumeszenzlösung in den intravasalen Raum schneller und effektiver vonstattengehen und so eine Toxizität rascher und stärker in Erscheinung treten [13]. Präoperativ sollte stets die individuell vom Körpergewicht des Patienten abhängige Höchstdosis kalkuliert werden. Im vorgestellten Fall war leider das genaue Zusammensetzungsverhältnis der Anästhesielösung des Operateurs, bestehend u. a. aus Lidocain (0,030 g/100 ml) und Prilocain (0,025 g/100 ml), nicht in Erfahrung zu bringen. Somit kann nur gemutmaßt werden, wie hoch die absolut applizierte Menge an Prilocain gewesen sein mag.

Entscheidend für die Sicherheit des Patienten ist der Zeitraum nach der Prilocaingabe. Die Halbwertszeit von Prilocain beträgt 55 Minuten und die Bildung von Methämoglobin beginnt etwa 20–60 Minuten nach Applikation [12]. Diesbezüglich wurde in einer Arbeit von Lindenblatt et. al die Plasmakonzentration in Abhängigkeit von der Zeit nach Infiltration an 25 Probanden untersucht. Bei durchschnittlich verabreichter Prilocain-Dosis von 6,8 ± 0,8 mg/kg KG (maximal 15 mg/kg KG) wurde die maximale Plasmakonzentration von 0,34 μg/ml 3 Stunden nach Infiltration gemessen. Die durchschnittliche Methämoglobinämie betrug zu diesem Zeitpunkt 0,65 % [14]. Im Rahmen dieser Studie wurde die Verwendung von Prilocain als unbedenklich gewertet. Mang et al. konnten zeigen, dass die höchste Methämoglobinkonzentration erst ca. 12 h postoperativ gemessen werden kann. Dies ist im Einklang mit dem anamnestischen Auftreten der Symptome zu sehen [15].

Im Vergleich dazu treten bei der Verwendung von Lidocain 0,05 % die maximalen Plasmaspiegel erst deutlich später nach 12–14 h auf [16].

Das Auftreten einer Methämoglobinämie nach Gebrauch von Prilocain wurde in der Literatur vor allem in der Pädiatrie (z. B. bei Zirkumzisionen oder Gebrauch von prilocainhaltigen lokalanästhetischen Cremes) beschrieben. Dabei seien bei den jungen Patienten eine zu lange Applikationsdauer und falsche Dosierung der Auslöser gewesen [17].

Weiterhin ist auch ein Fall bekannt, bei dem im Rahmen einer Implantation eines Defibrillators in Lokalanästhesie mit Prilocain unter Einhaltung der Höchstdosis von kumulativ 600 mg/kg KG bereits 15 min postoperativ plötzlich Dyspnoe und Brustschmerzen aufgetreten seien. Der maximale Anteil an Methämoglobin des 50-jährigen Patienten habe 12,3 % betragen. Nach Injektion von Methylenblau (1 %) über 10 min mit einer Dosierung von 1 mg/kg KG sei die Zyanose regredient gewesen und die Methämoglobinwerte seien sukzessive über 16 Stunden auf 1,1 % gesunken [18].

Im vorliegenden Fall wurde die Applikation von Methylenblau diskutiert, jedoch initial bei beschriebener Klinik davon abgesehen und ein exspektatives Vorgehen gewählt. Bei Regredienz des Methämoglobins in der zweiten Messung mittels aBGA und Besserung der klinischen Situation wurde weiterhin auf eine Gabe verzichtet.

Für eine Methämoglobinämie im Zusammenhang mit Liposuktion, wobei vergleichsweise große Mengen der Tumeszenzlösung appliziert werden, liegen einzelne Fallberichte wie von Kilicli et. al vor, in dem mit Prilocain-Dosen von 1000–1200 mg die empfohlene Höchstdosis von 600 mg weit überschritten wurde [19].

Ähnliches beschreibt Yildirim et al. (1000 mg Prilocain) bei einer Methämoglobinämie von sogar 40 % und anschließender intensivmedizinischer Therapie mittels Sauerstoff, Vitamin C und Methylenblau [20].

Global gesehen ist die Durchführung von Liposuktionen unter TLA weit verbreitet. Die Nutzung von Prilocain gilt als sicher, sofern man Faktoren wie Maximaldosis, Applikationsdauer und Anflutungsgeschwindigkeit beachtet und einhält. Das systemische Nebenwirkungspotenzial von Prilocain im Vergleich zu Lidocain ist zwar geringer, jedoch besteht das Risiko einer Methämoglobinämie. Daher sollte stets darüber aufgeklärt und eine längere Überwachung, der im ambulanten Setting operierten Patienten, in Erwägung gezogen werden. Zudem könnte man bei symptomatischen Patienten eine Met-Hb-Bestimmung unter Berücksichtigung der Pharmakokinetik und -dynamik von Prilocain und dessen Abbauprodukt diskutieren.

Ein anderer Aspekt, der bisher wenig in der Literatur im Kontext von TLA mit Prilocain beleuchtet wurde, ist die nachgewiesene Kanzerogenität des Hauptmetaboliten o-Toluidin. Zwar ist fraglich, ob überhaupt eine relevante Exposition im Rahmen einer TLA verursacht wird, jedoch wurde o-Toluidin 2007 durch die MAK-Kommission und 2010 durch die WHO als Humankanzerogen eingestuft [21], [22]. Potenzielle Langzeitfolgen und der generelle Gebrauch von Prilocain sind zu diskutieren. Ein gänzlicher Verzicht auf Anwendungen mit Prilocain sollte erwogen werden, zumal es zahlreiche Alternativen gibt.


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Julius M. Mayer

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Geb. 1989 in Wangen im Allgäu. Studium der Humanmedizin an der LMU München und TU München. Praktisches Jahr in Bozen, London, München und Zürich. Approbation 2017. Assistenzarzt in der Abteilung Hand-, Plastische und Ästhetische Chirurgie, Klinikum der Universität München (Direktor: Univ.-Prof. Dr. med. R. Giunta) von 2017–2019. Assistenzarzt in der Klinik für Hand- und Plastische Chirurgie, Spital Thurgau (Chefarzt: PD Dr. med. T. Holzbach) seit 2020.

Carl F. Capellen

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Geb. 1990 in Bad Nauheim. Studium der Humanmedizin an der LMU München. Praktisches Jahr in Zürich und Kapstadt. Approbation 2017. Promotion 2020. Assistenzarzt in der Chirurgischen Klinik, Spital Männedorf AG (Chefarzt Viszeral: Prof. Dr. med. R. Schlumpf/Trauma: Dr. med. J. Forberger) von 2017–2019. Assistenzarzt in der Klinik für Orthopädie, Spital Thurgau AG (Klinikdirektor: Prof. Dr. med. R. Zettl) 2019–2020. Assistenzarzt in der Klinik für Innere Medizin, Spital Thurgau AG, Kantonsspital Münsterlingen (Chefärzte: Prof. Dr. med. R. Thurnheer und Prof. Dr. med. A. Schoenenberger) seit 2021.

Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

  • Literatur

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Korrespondenzadresse

Carl Ferdinand Capellen
Spital Thurgau AG
Spitalcampus 1; 8596 Münsterlingen
Phone: +41 (0)71 686 20 30   

Publication History

Received: 30 August 2020

Accepted: 21 January 2021

Article published online:
16 April 2021

© 2021. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

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