Schlüsselwörter Ärztemangel - Niederlassung - Motivation - Befragung - Versorgungsforschung
Key words shortage of physicians - branch - motivation - survey - health services research
Einleitung
Der seit fast 1 Jahrzehnt angekündigte Fachärztemangel ist allenthalben sichtbar,
vor allem in der hausärztlichen Versorgung [1 ]. Besonders betroffen sind die Flächenländer, die mit unterschiedlichen Ansätzen
versuchen, Hausärzte zur Niederlassung in unterversorgten bzw. von Unterversorgung
bedrohten Gebieten zu bewegen. Eine nachhaltige Veränderung ist jedoch schwierig zu
bewerkstelligen, da das Gesundheitssystem jahrzehntelang auf Eindämmung der Kosten
und der Anzahl niedergelassener Ärzte ausgerichtet war.
Eine internationale Literaturanalyse identifizierte die Rekrutierung von Medizinstudierenden
aus ländlichen Regionen sowie landarztspezifische Unterrichtsangebote in Aus- und
Weiterbildung als wirksame Instrumente, Versorgungslücken auf dem Land vorzubeugen
[2 ]. Aufgrund der langen Ausbildungszeit ist ein Effekt derartiger Maßnahmen erst Jahre
nach deren Einführung zu erwarten. Vorstöße wie die des nordrhein-westfälischen Gesundheitsministers
zur Einführung einer Landarztquote können erst Ende der 2020er-Jahre auf ihre Wirksamkeit
überprüft werden.
Es fehlt die Antwort, warum ein Arzt sich dort niederlassen soll, wo Pfarrer und Notare
sich bereits verabschiedet haben. Fehlende Infrastruktur für Kinder und Partner verleidet
vielfach die Niederlassung auf dem Land. Zudem haben veränderte Lebenswelten, hier
vor allem die „Work-Life-Balance“ und die Feminisierung des Berufsstandes, dazu beigetragen,
dass ein verändertes Selbstverständnis der heutigen Ärztegenerationen entstanden ist.
Der gesellschaftliche Wandel hat sich auch im deutschen Gesundheitswesen niedergeschlagen
[3 ]. Schlagwörter wie Demografie, medizinischer und technologischer Fortschritt oder
Feminisierung der Ärzteschaft prägen die Diskussion um den Ärztemangel [4 ]. In den wenigsten Studien wurden allerdings diejenigen befragt, die eine Entscheidung
für die hausärztliche Niederlassung getroffen haben. Dabei liegt es auf der Hand,
dass diese Gruppe am besten darüber Auskunft geben kann, welche Motive sie zu dieser
Entscheidung bewogen haben.
Um eine Bestandsaufnahme von Hausärzten und deren Niederlassungsmotivation abzubilden,
führte der Schwerpunkt Allgemeinmedizin des Universitätsklinikums Köln mit Unterstützung
der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein die vorliegende Untersuchung durch.
Methodik
Das Ziel dieser Untersuchung war die Erhebung von Motiven für eine Niederlassung als
Hausarzt sowie eine subjektive Bewertung dieser Motive und weiterer Rahmenbedingungen
als fördernde oder hemmende Faktoren. Als methodischer Ansatz wurde das Mixed-Methods-Design
verwendet. Hier wurde nach dem qualitativen Anteil ein Fragebogen entwickelt, der
persönliche Gründe (wie z. B. freie Zeiteinteilung) und strukturelle Anreize (wie
z. B. Wegfall von Diensten im Krankenhaus) abbilden soll. Dabei wurden alle Motive
aus 3 Perspektiven abgefragt: es wurde nach Gründen gefragt, die vor der Niederlassung
lagen (Initialzündung), nach förderlichen und hinderlichen Gründen während der Niederlassungsphase
und ob die Erwartungen nach der Niederlassung erfüllt wurden. Als Antwortkategorien
wurde für die Initialzündung eine 4-stufige Likert-Skala verwendet, für die hinderlichen
oder förderlichen Faktoren sollte dichotom geantwortet werden und für die Abfrage
zur Erfüllung der Erwartungen kam eine 5-stufige Likert-Skala zum Einsatz. Zur Einordnung
der Antworten wurden zudem Daten zur persönlichen und beruflichen Biografie erhoben.
Im Vorfeld war eine Literatursichtung zu früheren Untersuchungen durchgeführt worden.
Dabei wurden beispielsweise Analysen zur Motivation einer Aufnahme des Humanmedizinstudiums,
zum Wandel des Berufsbilds, Ansehen des Hausarztes oder Analysen des Hausarztmangels
ausgewertet [5 ]
[6 ]
[7 ]
[8 ]
[9 ]
[10 ]
[11 ]
[12 ]
[13 ]. Zudem fanden 2 Fokusgruppen und Einzelinterviews mit niederlassungswilligen Ärzten
aus den Kliniken, Ärzten in der Weiterbildungsphase aus Kliniken und Praxen sowie
Hausärzten, die nicht länger als 3 Jahre niedergelassen waren, statt. Diese Fokusgruppen
bzw. Einzelinterviews und deren Auswertungen wurden nach Standards der qualitativen
Forschung durchgeführt [14 ].
Mit den Ergebnissen aus den Fokusgruppen und den Einzelinterviews wurden – in Kombination
mit den Ergebnissen der Literatur – insgesamt 17 Fragen zu Motiven und strukturellen
Rahmenbedingungen entwickelt. Ergänzt wurden diese Fragen durch Angaben zur Soziodemografie,
zu Praxiseigenschaften und zum beruflichen Werdegang. Die Antworten waren mit der
Likert-Skala unterlegt. Die 17 Motivationsgründe, die sich aus den Ergebnistabellen
ablesen lassen, wurden aus den 3 bereits am Anfang des vorliegenden Methodenabschnitts
beschriebenen Perspektiven in Fragen verarbeitet. Die jeweiligen Perspektiven wurden
mit einer erklärenden Einleitung eingeführt.
Der erstellte Fragebogen wurde einer Think-Aloud-Testung (3 Sitzungen) mit 9 Teilnehmern,
davon 5 Frauen, unterzogen. Die Ergebnisse des Pilottests wurden durch ein multidisziplinäres
Team ausgewertet und führten letztlich zur Präzisierung von 4 Items. Nach Abschluss
der Fragebogenentwicklung wurde der Erhebungsbogen 20 Ärzten, davon die Hälfte Frauen,
die am qualitativen Teil dieser Untersuchung nicht beteiligt waren, zur Prätestung
vorgelegt. Als Ergebnis dieser Prätestung mussten 3 Formulierungen wegen sehr heterogenen
Interpretationsspielräumen angepasst werden. In einer weiteren Prätestung mit 15 hausärztlichen
Teilnehmern, davon 8 Frauen, stellte sich diese Anpassung als trennscharf heraus.
Hintergrund war, dass es sich nicht um ein fortlaufendes Erhebungsinstrument handelt
und eine Vollerhebung geplant war. Dafür wurde die Validierung mit Cronbachs Alpha
durchgeführt [15 ].
Die Befragung wurde im Versorgungsgebiet der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein
(KVNo) durchgeführt. Der Erhebungszeitraum lag zwischen September 2015 und Februar
2016. Zur Einladung einer Teilnahme und Erläuterung der Erhebung wurde gemeinsam ein
Anschreiben entwickelt. Die Wahrung der Anonymität der Teilnehmer wurde durch die
postalische Versendung der Fragebögen einschließlich Anschreiben durch die KVNo und
die anonyme Rücksendung mittels mitgesendeten frankierten Rückumschlägen an den Schwerpunkt
Allgemeinmedizin des Universitätsklinikums Köln gesichert. Die Versendung erfolgte
in 2 Wellen. Nach dem Primäranschreiben wurde nach 4 Wochen ein Reminder versendet.
Das Zielkollektiv waren Hausärzte, die sich im Bereich der KVNo in den letzten 5 Jahren
neu niedergelassen hatten. Angestellte und ermächtigte Ärzte wurden ausgeschlossen.
Als Aufgreifkriterium wurde eine Erstniederlassung im Arztregister der KVNo zwischen
01.01.2009 und 01.05.2015 definiert. Dabei konnte aus datentechnischen Gründen eine
frühere Niederlassung außerhalb des genannten KV-Bezirks nicht belastbar ausgeschlossen
werden. Die Befragung war als Vollerhebung angesetzt. Die Datensätze der KVNo ergaben
zum Zeitpunkt der Erhebung eine Anzahl von 675 hausärztlichen Niederlassungen im genannten
Zeitraum.
Die statistische Auswertung erfolgte deskriptiv und induktiv. Mögliche Zusammenhänge
zwischen den Gründen für die Niederlassung von Hausärzten und soziodemografischen
sowie 4 weiterer Variablen wurden anhand sachlogischer Überlegungen ausfindig gemacht
und eine entsprechende Vorselektion potenzieller Einflussfaktoren vorgenommen.
Anschließend wurden signifikante Einflussfaktoren für die jeweiligen Niederlassungsgründe
mittels binär-logistischer Regressionsmodelle mit der Zielgröße Niederlassungsgrund
„ja“ vs. „nein“ bestimmt. Unabhängige Variablen mit 3 oder mehr kategorialen Ausprägungen
wurden in dichotome Variablen transformiert.
Im Detail: Die abhängigen Variablen (Niederlassungsgründe) wurden jeweils dem Fragenblock
„Motive und Gründe“ entnommen und dichotomisiert, indem die Antwortkategorien „eher
wichtig“ und „wichtig“ respektive „eher unwichtig“ und „unwichtig“ jeweils zu 1 Antwortkategorie
zusammengefasst wurden (Niederlassungsgrund „ja“/„nein“).
Um eine Unterteilung „ländlich/städtisch“ zu ermöglichen, wurde die unabhängige kategoriale
Variable Einwohnerzahl dichotomisiert, indem die ursprünglich 5 Antwortkategorien
in die beiden Kategorien < 20 000 und ≥ 20 000 Einwohner kondensiert wurden. Die unabhängige
kategoriale Variable Alter wurde in die Bereiche ≤ 45 Jahre und > 45 Jahre unterteilt,
da sich in diesem Bereich im Rahmen einer Voranalyse aufschlussreiche Unterschiede
erkennen ließen. Bei der unabhängigen kategorialen Variablen Entscheidungsfindung
(„Wann haben Sie den Entschluss gefasst, Hausärztin/Hausarzt zu werden?“) wurden die
Antwortmöglichkeiten „vor dem Studium“ und „während des Studiums“ aufgrund des beobachteten
Verteilungsmusters der Antworten zu 1 Kategorie zusammengefasst und der Antwortmöglichkeit
„nach dem Studium“ gegenübergestellt. Schließlich wurde die unabhängige metrische
Variable Anzahl Kinder in die binäre Größe „Kinder im Haushalt vorhanden“ transformiert,
um den Einfluss von Kindern (oder eben keinen) an sich auf die jeweilige Zielgröße
untersuchen zu können.
In einem initialen Modell wurden dann jeweils alle vorselektierten Variablen als mögliche
Einflussfaktoren berücksichtigt. Anschließend wurden Variablen, die multivariat keinen
signifikanten Einfluss zeigten, schrittweise aus dem Gesamtmodell entfernt, um jeweils
ein finales Modell mit ausschließlich signifikanten Einflussfaktoren zu erhalten.
Angewandt wurde hierbei stets die konditionale Rückwärtsselektion, eine Methode der
schrittweisen Variablenauswahl mit einem statistischen Test auf Modell-Aufnahme, der
auf der Signifikanz der Score-Statistik beruht, und einem Test auf Ausschluss, der
auf der Wahrscheinlichkeit der Likelihood-Quotienten-Statistik basiert.
Abgebildet sind nur optimierte binär-logistische Regressionsmodelle mit unabhängigen
Variablen, die einen signifikanten Einfluss auf die Zielvariable haben. Modelle mit
weiteren unabhängigen Variablen, die eine schlechtere Performance zeigten, sind nicht
dargestellt. Bei den aufgeführten Modellen konnte die Stabilität jeweils per Bootstrapping-Analyse
bestätigt werden.
Das Signifikanzniveau wurde auf alpha = 0,05 festgelegt. Sämtliche statistische Analysen
wurden mit der Statistik-Software IBM SPSS 25.0 durchgeführt.
Ergebnisse
Es wurden 675 Fragebögen versendet, von denen insgesamt 446 zurückgeschickt wurden.
Nach der ersten Aussendung durch die KVNo waren 373 zurückgesendet worden, was einer
Rücklaufquote von 55,3 % entspricht. Nach einem Reminder konnte durch den Rücklauf
weiterer 73 Bögen die Quote auf 66,1 % erhöht werden. Von den insgesamt 446 Fragebögen
konnten nach der Plausibilitätsprüfung 437 (64,7 %) ausgewertet werden. Der Prozentsatz
fehlender Daten erhöhte sich von < 1 % (Missing) bei den Fragen zum Einfluss auf die
Niederlassung auf 5,5 % bei den Fragen zum förderlichen Faktor bis hin zu 6,3 % bei
den Fragen zur Erfüllung der Erwartungen. Das Item „externe finanzielle Anreize von
Staat, Kommune und Verbände“ weist Missing-Werte von 2,5 %, 16,3 % und 11,7 % auf.
Die Testung mit Cronbachs Alpha ergab einen Wert von 0,868. Damit kann von einer hohen
Konsistenz und Trennschärfe ausgegangen werden.
Der Großteil (79,5 %) der Befragten war zwischen 36 und 50 Jahre alt. Insgesamt waren
51 % Frauen im Kollektiv und 73,4 % der Befragten befanden sich im Familienstand Partnerschaft/Ehe
mit Kindern. Durchschnittlich befanden sich 1,69 Kinder im Haushalt und 37,7 % hatten
sich in einer Einzelpraxis niedergelassen. Die Mehrheit (62,3 %) war in einer Berufsausübungsgemeinschaft
mit durchschnittlich 1,8 Kollegen tätig. Von den Teilnehmern der Erhebung waren 43,2 %
in einer Großstadt mit mehr als 100 000 Einwohnern niedergelassen und 73,4 % hatte
sich erst nach dem Studium für eine hausärztliche Tätigkeit entschieden. Die Übernahme
eines kassenärztlichen Sitzes erfolgte bei 76 % der Teilnehmer von fremden Vorbesitzern.
Von den Befragten waren 16,3 % entsprechend der gezogenen Datensätze zum Zeitpunkt
der „aktuellen“ Niederlassung 51 Jahre und älter ([Tab. 1 ]).
Tab. 1
Charakteristiken des Kollektivs (gesamt = 437).
Angaben
in (%)
Mittelwert
(min.–max.)
Standardabweichung
Alterskategorien
35 Jahre und jünger
4,1
36–40 Jahre
25,7
41–45 Jahre
31,0
46–50 Jahre
22,8
51–55 Jahre
11,0
56 Jahre und älter
5,3
Geschlecht
männlich
49,0
weiblich
51,0
Familienstand
alleinlebend
6,7
in Partnerschaft/Ehe
15,9
in Partnerschaft/Ehe mit Kindern
73,4
sonstiges
3,9
Anzahl Kinder im Haushalt
(unabhängig vom Familienstand)
1,69 (0–8); SD 1,19
0
20,8
1
17,6
2
38,9
3
19,0
mehr als 3
3,7
Tätigkeit in Praxisform
Einzelpraxis
37,7
BAG-Praxisgemeinschaft
4,4
BAG-Gemeinschaftspraxis
57,9
Anzahl Kollegen in Praxis
1,8 (1–8); SD 1,47
1
68,1
2
21,5
3
8,7
mehr als 3
3,9
Übernahme eines KV-Sitzes
Neugründung
8,4
Übernahme von Verwandtschaft
7,7
Übernahme von befreundeter Person
7,9
Übernahme von fremder Person
76,0
Dauer der Niederlassung in Jahren
3,47 (0,25–43); SD 4,17
bis 2,5 Jahre
48,0
über 2,5 bis 5 Jahre
43,5
mehr als 5 Jahre (frühere Niederlassung außerhalb der KVNo)
8,5
Einwohnerzahl
bis 20 000
24,9
über 20 000 bis 100 000
31,9
über 100 000
43,2
Entscheidung für hausärztliche Tätigkeit
vor dem Studium
8,3
während des Studiums
13,0
nach dem Studium
73,4
weiß ich nicht mehr
5,3
Approbationserteilung
bis vor dem Jahr2002
50,2
ab dem Jahr 2002
49,8
In den nachfolgenden Beschreibungen haben sich nach Häufigkeiten der Antwortnennungen
3 Gruppen herauskristallisiert. In der ersten Antwortgruppe besteht eine Zustimmungsrate
von mehr als 85 % bezüglich der untersuchten Faktoren. Bei der zweiten Gruppe liegt
die Zustimmungsrate zwischen 44 und 85 % und in der dritten Gruppe liegt sie bei weniger
als 44 %. Diese Gruppen ziehen sich durch die [Abb. 1 ] sowie den [Tab. 2 ], [3 ], [4 ]. Im ersten Frageblock ist die Bedeutung der einzelnen Motive und strukturellen Rahmenbedingungen
im Hinblick auf die Niederlassungsentscheidung abgefragt worden. In den vorgenannten
Tabellen werden die jeweiligen Häufigkeiten in Prozent angezeigt, die von den Befragten
bei den jeweiligen Items auf der 4-stufigen Skala als „wichtig“ oder „eher wichtig“
angekreuzt wurden. Für die [Abb. 1 ] gilt gleiches in grafischer Form.
Abb. 1 Gesamtergebnisse.
Tab. 2
Ergebnisse (n = 437) nach Geschlechtern (altersunabhängig).
Item
Einfluss auf Niederlassung (%)
Förderlicher Faktor (%)
Erfüllung d. Erwartung (%)
w
n = 222
m
n = 215
w
n = 222
m
n = 215
w
n = 222
m
n = 215
autonome Entscheidungen als Unternehmer
76,0
86,7
78,2
88,9
65,6
76,7
sein eigener Chef sein
85,2
91,5
96,3
96,2
83,1
87,7
Rechte und Pflichten als Vertragsarzt im System der gesetzlichen Krankenversicherung
18,7
20,5
8,4
8,3
31,6
36,6
Beratung durch die KV beim bürokratischen Aufwand der Niederlassung
26,7
19,6
46,2
43,3
29,0
32,3
Vielfalt der Fälle/fachliche Abwechslung
91,4
84,2
96,8
93,8
87,1
80,7
Vielfalt der zu behandelnden Altersgruppen
89,6
77,8
96,3
93,3
92,5
85,1
Möglichkeiten und Notwendigkeiten der Palliativversorgung
56,8
45,5
64,1
65,5
63,1
51,7
Vereinbarkeit von Familie und Beruf
89,6
86,3
93,5
89,4
66,7
59,4
Möglichkeiten der freien Zeiteinteilung
92,8
85,2
96,8
93,7
56,6
46,5
Wegfall der Dienste im Krankenhaus
92,3
86,8
97,2
97,1
97,6
93,5
vertragsärztlicher Notdienst/Bereitschaftsdienst
16,9
11,3
20,5
24,1
53,4
49,2
gute Verdienstmöglichkeit bei gutgehender Praxis
73,4
84,3
94,8
92,2
52,5
66,5
externe finanzielle Anreize von Staat, Kommune und Verbänden
11,9
11,2
59,0
57,5
14,0
13,6
zentrale Bedeutung des Hausarztes für Patienten und deren Familie
80,6
75,9
90,4
88,3
82,5
70,9
Status als der „Doktor“ in der Gemeinde
18,1
21,2
55,5
55,0
57,0
41,6
Notwendigkeit, Hausbesuche zu machen
18,6
26,6
36,1
35,4
54,8
54,6
Nähe von Freunden und Verwandten im Niederlassungsort
50,9
46,7
79,6
76,3
65,0
60,8
w = weiblich; m = männlich.
Tab. 3
Ergebnisse (n = 437) nach Altersgruppen (geschlechtsunabhängig).
Item
Einfluss auf Niederlassung (%)
Förderlicher Faktor (%)
Erfüllung d. Erwartung (%)
≤ 45. LJ
n = 265
> 45. LJ
n = 170
≤ 45. LJ
n = 265
> 45. LJ
n = 170
≤ 45. LJ
n = 265
> 45. LJ
n = 170
autonome Entscheidungen als Unternehmer
82,2
78,3
85,1
80,9
75,7
63,9
sein eigener Chef sein
91,4
86,4
97,3
94,4
88,5
81,1
Rechte und Pflichten als Vertragsarzt im System der gesetzlichen Krankenversicherung
16,4
24,7
8,5
8,8
33,4
35,0
Beratung durch die KV beim bürokratischen Aufwand der Niederlassung
21,4
25,7
40,3
52,5
27,4
36,1
Vielfalt der Fälle/fachliche Abwechslung
87,0
89,3
95,1
95,7
84,0
84,7
Vielfalt der zu behandelnden Altersgruppen
83,1
85,2
94,6
95,1
88,3
90,3
Möglichkeiten und Notwendigkeiten der Palliativversorgung
47,3
57,4
68,5
72,7
56,0
60,0
Vereinbarkeit von Familie und Beruf
90,5
84,6
92,4
90,1
65,5
60,0
Möglichkeiten der freien Zeiteinteilung
91,0
86,3
95,8
94,5
53,4
51,5
Wegfall der Dienste im Krankenhaus
91,3
86,9
97,7
96,3
95,1
96,3
vertragsärztlicher Notdienst/Bereitschaftsdienst
11,0
19,8
24,2
19,9
48,4
55,3
gute Verdienstmöglichkeit bei gutgehender Praxis
82,6
80,5
93,8
93,8
64,3
52,5
externe finanzielle Anreize von Staat, Kommune und Verbänden
8,9
15,7
55,7
63,2
15,1
11,8
zentrale Bedeutung des Hausarztes für Patienten und deren Familie
79,8
78,1
89,8
89,3
76,3
78,4
Status als der „Doktor“ in der Gemeinde
21,1
17,2
58,9
50,0
49,7
49,0
Notwendigkeit, Hausbesuch zu machen
20,0
26,4
35,5
36,1
53,7
56,3
Nähe von Freunden und Verwandten im Niederlassungsort
46,8
52,7
78,3
79,0
61,9
65,2
LJ = Lebensjahre.
Tab. 4
Signifikante Prädiktoren der binär-logistischen Regressionsanalyse[1 ].
Unabhängige Variablen
Alter
(≤ 45 LJ vs. > 45 LJ)
Geschlecht
(männlich vs. weiblich)
Praxisform
(Einzelpraxis vs. BAG)
Einwohnerzahl
(≤ 20 000 vs. > 20 000)
Kinder im Haushalt
(kein Kind vs. mind. 1 Kind)
Entscheidungsfindung
(vor/währ. vs. nach Stud.)
abhängige Variablen
R2
Nagelkerke
OR
95 %-KI
p
OR
95 %-KI
p
OR
95 %-KI
p
OR
95 %-KI
p
OR
95 %-KI
p
OR
95 %-KI
p
Entscheidungsfreiheit
0,074
0,509
0,329–0,789
0,002
0,613
0,408–0,923
0,019
0,597
0,389–0,918
0,019
Selbstständigkeit
0,036
0,628
0,414–0,952
0,028
0,653
0,434–0,982
0,041
KV-Beratung
0,059
0,341
0,134–0,872
0,025
Krankheitsvielfalt
0,067
0,641
0,432–0,951
0,027
Vereinbarkeit mit Familie
0,177
0,462
0,293–0,727
0,001
2,106
1,349–3,287
0,001
2,148
0,1380–3,344
0,001
3,355
1,948–5,779
< 0,001
freie Zeiteinteilung
0,054
0,527
0,345–0,803
0,003
1,611
1,069–2,429
0,023
1,682
1,011–2,800
0,045
Wegfall der KH-Dienste
0,091
0,493
0,243–0,1000
0,049
3,021
1,416–6,445
0,004
2,594
1,290–5,213
0,007
KV-Notdienst
0,106
0,283
0,095–0,845
0,024
Verdienstmöglichkeit
0,028
0,507
0,315–0,816
0,005
externe finanzielle Anreize
0,076
0,166
0,036–0,766
0,021
Bedeutung der Hausarztrolle
0,046
0,485
0,305–0,770
0,002
Statussymbol Hausarzt
0,097
0,249
0,092–0,676
0,006
Freunde und Verwandte
0,015
1,643
1,013–2,664
0,044
1 dargestellt sind jeweils die im finalen Modell enthaltenen unabhängigen Variablen
(1. Zeile) und die Motivationsgründe zur Niederlassung (1. Spalte) jeweils als abhängige
Variablen.
Als besonders wichtiger Einfluss auf eine Niederlassung (grüne Balken) wurde das Item
„Wegfall der Dienste im Krankenhaus“ (89,7 %) empfunden. Nach diesem Item folgen noch
4 weitere Items in der Spitzengruppe (> 85 %). Die „Palliativversorgung“ (51,4 %)
oder „Nähe zu Freunden und Verwandten am Ort der Niederlassung“ (49,1 %) als Vertreter
der zweiten Gruppe liegen im Mittelfeld der Relevanz. Die rechtlichen Rahmenbedingungen
eines Vertragsarztes finden sich in der letzten Gruppe (< 44 %) wieder. Dies sind
beispielsweise „Not- bzw. Bereitschaftsdienste“ (14,3 %) oder „Rechte und Pflichten
als Vertragsarzt“ (20,0 %), die für eine Niederlassungsentscheidung eher unwichtig
waren. In [Abb. 1 ] sind alle Einzelwerte der Antwortkategorien für den Einfluss auf die Niederlassung
(grau), die förderlichen Faktoren (rot) und die erfüllten Erwartungen (blau) dargestellt.
Neben der Relevanz der angebotenen Motive und strukturellen Rahmenbedingungen einer
Niederlassung sollten die Befragten aussagen (Mehrfachnennung), welche Faktoren (rote
Balken) als förderlich angesehen wurden. Die höchsten Zustimmungswerte erhielten „Wegfall
der Dienste im Krankenhaus“ (97,2 %) und „eigener Chef sein“ (96,2 %). In der zweiten
Gruppe finden sich „externe finanzielle Anreize durch Staat, Kommune und Verbände“
(58,5 %) und „Beratung durch die KV beim bürokratischen Aufwand der Niederlassung“
(45 %). Die geringsten Zustimmungswerte in der dritten Gruppe erhielten die Items
„Rechte und Pflichten als Vertragsarzt“ (8,5 %) und – spiegelbildlich zum Motiv „Wegfall
der Krankenhausdienste“ – der „vertragsärztliche Notdienst/Bereitschaftsdienst“ (22,7 %).
Abschließend sollte eingeschätzt werden, ob die Erwartungen (blaue Balken) erfüllt
wurden. Der „Wegfall der Dienste“ (95,6 %) und die „Vielfalt der zu behandelnden Altersgruppen“
(88,9 %) wurden am ehesten erfüllt. Die Erwartung an „Status als der Doktor in der
Gemeinde“ (49,5 %) wurde durchschnittlich erfüllt. Dagegen werden mit 13,7 % Zustimmung
„externe finanzielle Anreize von Staat, Kommune und Verbänden“ als am wenigsten erfüllt
angesehen.
Betrachtet man das Antwortverhalten auf geschlechts-, alters- oder praxisspezifische
Unterschiede, so ist festzustellen, dass bei männlichen Teilnehmern die Erlangung
von Autonomie in der unternehmerischen Entscheidungsfindung gegenüber den weiblichen
Teilnehmern als eine signifikant deutlichere Motivation zur Niederlassung gilt, als
ein signifikant förderlicherer Faktor und als signifikant erfülltere Erwartung zu
sehen ist.
Bei befragten Hausärztinnen bestand gegenüber den Hausärzten eine höhere Motivation
zur Niederlassung bezogen auf fachliche Vielfalt der Fälle, freie Zeiteinteilung und
Wegfall der Krankenhausdienste. Betrachtet man die Erwartungserfüllung, so sind neben
der fachlichen Vielfalt der Fälle und Vielfalt der Altersgruppen auch bei der Möglichkeit
der Palliativversorgung bei den weiblichen Befragten signifikant mehr die Erwartungen
erfüllt worden als bei männlichen Befragten.
In der Betrachtung der Altersgruppen zeigt sich, dass als Motivation zur Niederlassung
die „Autonomie“ und „eigener Chef sein“ bei den unter 45-Jährigen signifikant häufiger
genannt wurde. Dies gilt auch für „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“. Bei der Nennung
der förderlichen Faktoren wurde die „Beratung durch die KV“ von den über 45-Jährigen
signifikant häufiger genannt. Bei den erfüllten Erwartungen wurde bei den unter 45-Jährigen
signifikant häufiger „Verdienstmöglichkeiten“ und bei den über 45-Jährigen die „Notwendigkeit
der Hausbesuche“ genannt.
Die Ergebnisse der binären Regressionsanalyse haben, außer für den „Familienstand“
(kein Prädiktor), die in [Tab. 4 ] aufgeführten Prädiktoren hervorgebracht. Dargestellt werden hier nur die Prädiktoren,
die einen signifikanten Wert erzielt haben. Der häufigste Prädiktor ist das „Geschlecht“.
Frauen werden eher durch die „Vereinbarkeit von Familien und Beruf“ (OR 2,106; 95 %-KI
1,349–3,287; p = 0,001) und „freie Zeiteinteilung“ (OR 1,611; 95 %-KI 1,069–2,429;
p = 0,023) zur Niederlassung motiviert. In diesem Kontext gliedert sich vor allem
der „Wegfall der Dienste“ ein (OR 1,590; 95 %-KI 1,058–2,389; p = 0,026). Zusätzlich
motiviert wird die Niederlassung in der Form, dass der Ort der Niederlassung in der
„Nähe von Freunden und Verwandten“ (OR 1,643; 95 %-KI 1,013–2,664; p = 0,044) liegt.
Bei Männern dagegen spielen die „Selbständigkeit“ (OR 0,653; 95 %-KI 0,434–0,982;
p = 0,041) bzw. „Entscheidungsfreiheit“ (OR 0,613; 95 %-KI 0,408–0,923; p = 0,019)
eine wichtige Rolle in der Niederlassungsmotivation. Gleiches gilt auch für die „Verdienstmöglichkeiten“
(OR 0,507; 95 %-KI 0,315–0,816; p = 0,005).
Die Wahl der Praxisform (Einzel- vs. Berufsausübungsgemeinschaft (BAG)) ist ein gleichhäufiger
Prädiktor wie das Alter (≤ 45 LJ vs. > 45 LJ). Die „Jüngeren“ motiviert eine Niederlassung
wegen „Entscheidungsfreiheit“ (OR 0,509; 95 %-KI 0,329–0,789; p = 0,002), „Selbstständigkeit“
(OR 0,628; 95 %-KI; 0,414–0,952; p = 0,028), „Wegfall der Krankenhausdienste“ (OR
0,523; 95 %-KI 0,344–0,794; p = 0,002), „freie Zeiteinteilung“ (OR 0,527; 95 %-KI
0,345–0,803; p = 0,003) und „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ (OR 0,462; 95 %-KI
0,293–0,727; p = 0,001). Die Praxisform BAG korreliert positiv mit dem Motivationsfaktor
„Vereinbarkeit von Familien und Beruf“ (OR 2,148; 95 %-KI 0,1380–3,344; p = 0,001).
Ist die Einzelpraxis die Wahl der Niederlassungswilligen, sind diese besonders durch
„Entscheidungsfreiheit“ (OR 0,597; 95 %-KI 0,389–0,918; p = 0,019) motiviert. Aber
auch die „Möglichkeit der KV-Not-/Bereitschaftsdienste“ (OR 0,283; 95 %-KI 0,095–0,845;
p = 0,024) scheint für die Einzelpraxis-Wahl ein Stimulator zu sein.
Wie bereits bei den Prädiktoren Geschlecht und Praxisform spielt der Prädiktor Kinder
im Haushalt (nein vs. ja) bei „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ bzw. „freie Zeiteinteilung“
eine wichtige Rolle, wenn eine Niederlassungsmotivation besteht. Umgekehrt wird ohne
Kinder im Haushalt die Niederlassungsmotivation durch „KV-Beratung“ getrieben.
Auch die räumliche Lage (Einwohnerzahl ≤ 20 000 vs. > 20 000) gilt als Prädiktor.
In ländlichen Regionen wird die Niederlassungsmotivation durch „externe finanzielle
Anreize“ (hier Anreize durch die Gemeinde) (OR 0,166; 95 %-KI 0,036–0,766; p = 0,021)
oder durch die „Krankheitsvielfalt“ getriggert (OR 0,641; 95 %-KI 0,432–0,951; p = 0,027).
Lag der Entscheidungszeitpunkt (vor bzw. während Studium vs. später) für die Fachrichtung
Allgemeinmedizin und damit hausärztliche Tätigkeit schon vor oder während des Studiums,
sind die „zentrale Bedeutung des Hausarztes“ bzw. das „Statussymbol Hausarzt“ eher
eine Niederlassungsmotivation. Umgekehrt stellt nach dem Studium der „Wegfall der
Dienste“ eine Motivation zur Niederlassung dar (OR 2,594; 95 %-KI 1,290–5,213; p = 0,007).
Für die Items (nicht in Tabelle enthalten) „Rechte und Pflichten als Vertragsarzt“,
„Notwendigkeit von Hausbesuchen“, „Chance der Palliativversorgung“ und „Vielfalt der
Altersgruppen“ ergab sich für keinen der aufgeführten Prädiktoren ein signifikanter
Einfluss.
Diskussion
Die vorliegende Untersuchung sollte ermitteln, welche Motive und strukturellen Rahmenbedingungen
die Entscheidung für die Niederlassung beeinflussen, welche Faktoren einen förderlichen
Aspekt aufweisen und ob sich die Erwartungen an die Niederlassung erfüllt haben. Bisherige
Studien konzentrierten sich vorrangig auf Medizinstudierende oder Ärzte in Weiterbildung
[8 ]
[16 ]
[17 ]
[18 ]
[19 ]
[20 ]. In der vorliegenden Arbeit handelt es sich um eine Vollerhebung in der drittgrößten
KV Deutschlands gemessen an der Anzahl ihrer Mitglieder. Die hohe Responserate kann
als Indikator für ein großes Interesse in der Hausärzteschaft am Thema Nachwuchsförderung
gewertet werden. Zudem lässt sich an der Kategorie „Erfüllung“ ablesen, dass die Befragten
ihre hausärztliche Tätigkeit als erfüllende Arbeit wahrnehmen. Denn im biografischen
Teil der Studie beantworteten 97 % der Teilnehmer die Frage, ob sie eine Niederlassung
wiederholen würden, mit „ja“.
Im Gegensatz zu bisherigen Befragungen zeigt diese Untersuchung von Hausärzten nach
„aktueller“ Niederlassung, dass die meisten Befragten 41 Jahre und älter waren. Bisherige
Förderprogramme haben diese Altersgruppe wenig bis gar nicht berücksichtigt. Es werden
vorwiegend Studenten beworben, die noch keine Fachrichtung ausgewählt haben, bzw.
Weiterbildungsassistenten, deren Lebensplanung in einer sich noch entwickelnden Phase,
wie beispielweise Familienplanung, steckt [19 ]. In der vorliegenden Untersuchung ist festzustellen, dass 75 % der Befragten erst
(lange) nach dem Studium eine Entscheidung für eine hausärztliche Tätigkeit getroffen
haben. Bei der Betrachtung nach Geschlechtern zeigen sich geringfügige spezifische
Unterschiede. Bei dem Vergleich der Altersgruppen kann festgestellt werden, dass eine
Niederlassung in ländlichen Regionen ab dem 46. Lebensjahr deutlich zunimmt. Umkehrschluss
könnte sein, dass eine Niederlassung der Jüngeren möglicherweise mit den geänderten
Lebensformen einhergehen könnte [21 ]. In anderen Untersuchungen wurde festgestellt, dass Ärzte, die auf dem Land aufgewachsen
sind, sich dort eher niederlassen als Städter [19 ]
[22 ]
[23 ].
Aus den Ergebnissen der Befragung ergeben sich als Vorteile einer Niederlassung „weitgehende
berufliche Autonomie“, „abwechslungsreiche Tätigkeit“ und „hohes Einkommen“. Diese
3 Faktoren können aufgrund der hohen Prozentzahlen als Pull-Faktoren (Schaffung von
Vorteilen) gelten. Eine hohe Bewertung hat auch das Motiv „Wegfall der Dienste“ erhalten.
Allerdings ist dieses Motiv, da Dienste als Nachteile eines Beschäftigungsverhältnisses
gesehen werden, als Push-Faktor (Abbau von Nachteilen) zu werten. Diesen Faktoren
mit hoher Wichtigkeit stehen Antworten wie „Bürokratie und rechtlicher Rahmen“, „Teilnahme
am Bereitschaftsdienst“ und „Notwendigkeit von Hausbesuchen“ mit geringen Werten gegenüber. Diese
sind als abschreckend zu bewerten.
Betrachtet man die Motive untereinander, dann schneiden diejenigen am schlechtesten
ab, die für eine Niederlassung vom Gesundheitssystem gesteuert sind, wie beispielsweise
„Notwendigkeit der Hausbesuche“ oder „Not- bzw. Bereitschaftsdienste“. Deren Wichtigkeitsbeurteilungen
liegen knapp über, meistens aber unter 20 % für eine Niederlassungsmotivation. Vor
allem von Seiten der KVNo scheint es anderweitige Anstrengungen geben zu müssen, um
mehr Antrieb für eine Niederlassung zu schaffen. Zwar wurde die Beratung durch die
KVNo mit ca. 45 % als förderlich wahrgenommen, aber als Antrieb und im Hinblick auf
die Erfüllung der Erwartungen bleibt die Wirklichkeit dahinter zurück. Es scheint
also, dass die Beratung keine Wichtigkeit bei der Motivation zur Niederlassung besitzt.
Interessanter ist im Hinblick auf die Niederlassungsmotivation die Wichtigkeit „Nähe
zu Freunden und Verwandten am Niederlassungsort“. Hier zeichnet sich ein „Klebeeffekt“
ab. Der lässt sich in Bezug auf die Niederlassungsmotivation nicht durch extern beeinflussen.
Allerdings könnte diese Erkenntnis helfen, Zielgruppen besser zu erkennen und anzusprechen.
Bei der Ergebnisdurchsicht zur Erwartung kann abgelesen werden, dass die meisten Befragten
ihre Erwartungen erfüllt sehen. Die Frage nach der Erfüllung der Erwartungen relativiert
bei einigen förderlichen oder abschreckenden Motiven das Ausmaß. Zusammenfassend kann
z. B. gesagt werden, dass „Work-Life-Balance“-Motive oder Verdienstmöglichkeiten erfüllt
wurden, aber nicht in dem Maß, wie es als förderlicher Faktor gesehen wurde. Andersherum
wurden die Bereitschaftsdienste bzw. Hausbesuche, die als abschreckend bewertet wurden,
im Nachhinein als weniger schrecklich wahrgenommen. Offensichtlich hat sich die Mehrheit
damit arrangiert.
Die Gewinnung von (haus-) ärztlichem Nachwuchs ist derzeit in Stereotypen gefangen
[24 ]. Vielfach werden entsprechend § 105 SGB V monetäre Anreize gesetzt. Hintergrund
ist der § 99 SGB V, der zwar die Überversorgung, nicht aber die Unterversorgung bekämpft.
Andere Anreize wie beispielsweise Angebote zur Kinderbetreuung oder Schaffung von
Arbeitsplätzen für den Lebenspartner am potenziellen Niederlassungsort sind von Seiten
der KV nicht zu leisten. Da sind andere politische Akteure in der Verpflichtung [25 ]
[26 ]
[27 ]
[28 ].
Die Ergebnisse legen die Vermutung nahe, dass die „Pull-Faktoren“ wie weitgehende
berufliche Autonomie, abwechslungsreiche Tätigkeit oder hohes Einkommen noch stärker
bei potenziell niederlassungswilligen Ärztinnen und Ärzten kommuniziert werden müssen.
Zudem scheint es von großer Bedeutung zu sein, dass die „Push-Faktoren“ wie Bürokratie
und rechtlicher Rahmen, Teilnahme am Bereitschaftsdienst oder die Notwendigkeit von
Hausbesuchen von der Selbstverwaltung reformiert werden sollten. Zudem lassen die
demografischen Angaben der Befragten den Schluss zu, dass die Förderstrategien stärker
in Richtung der bereits im Gesundheitssystem etablierten Ärzte ausgerichtet werden
sollten [29 ]
[30 ]
[31 ].
Stärken und Schwächen
Die Studie weist ein repräsentatives Meinungsbild niedergelassener Hausärztinnen und
-ärzte in der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein auf. Bei allen Antworten sei
auf die von der regionalen KV vorgegebenen Niederlassungsmöglichkeiten/-bedingungen
verwiesen. Anders als Befragungen von Studierenden oder Medizinern in der Weiterbildung,
die prospektiv Wünsche an das zukünftige Berufsprofil dokumentieren, konnte das hier
befragte Kollektiv auf eigene Erfahrungen zurückgreifen und die Motive und strukturellen
Rahmenbedingungen einem „Realitäts-Check“ unterziehen. Im Hinblick auf die Aussagen
nach den Motiven der Niederlassung ist darauf hinzuweisen, dass nicht nach „Zustimmung“
oder „Ablehnung“ gefragt wurde, sondern nach persönlicher „Wichtigkeit“. Damit kann
von einem hohen Individualitätsfaktor im Antwortverhalten ausgegangen werden.
Eine klassische Validierung des Fragebogens konnte nicht vorgenommen werden, da eine
anschließende Vollerhebung nicht mehr möglich gewesen wäre. Eine weitere Limitation
ist die Fragenauswahl bzw. -formulierung. Im Hinblick auf die 3 Kategorien Motivation,
förderlicher Faktor und Erwartungserfüllung sind die Fragen in Kompatibilitätsform
erstellt worden. Dies schränkt die Interpretationsmöglichkeiten ein, lässt aber Trends
ablesen. Trotz weiterer möglicher Faktoren, die sich aus der Literatur bzw. den Fokusgruppen
ergeben haben, wurde die Anzahl gezielt begrenzt. Erfahrungsgemäß sinkt die Rücklaufquote
mit steigender Anzahl der Fragen.
Schlussfolgerungen
Aus Sicht der Autoren erscheinen die derzeitigen Förderprogramme zur Niederlassung
als Hausärztin bzw. Hausarzt als zu pauschal. Eine gezielte Bewerbung der unterschiedlichsten
Gruppen entsprechend der Prädiktoren unter Verstärkung der genannten Pull-Faktoren
sollte angestrebt werden. Darüber hinaus sollten die politischen Entscheider versuchen,
die Fehlinformationen über die Belastungen im Notdienst oder die verringerten Verdienstmöglichkeiten
zu entkräften. Eine Überarbeitung der derzeitigen Strategie scheint geboten.
Die derzeitige Motivation zur Niederlassung liegt in der Flucht vor den Nachteilen
im stationären Sektor.
Die Strategie zur Motivation einer Niederlassung ist zu wenig zielgruppenorientiert.
Nicht die Push-Faktoren (Vermeidung von Nachteilen durch Veränderung), sondern die
Pull-Faktoren (Erzielung von Vorteilen durch Veränderung) können die Niederlassung
attraktiver machen.