Einleitung
Seit Juli 2008 wurde in Deutschland bundesweit das Hautkrebsscreening für alle gesetzlich
versicherten Patienten ab dem vollendeten 35. Lebensjahr alle 2 Kalenderjahre eingeführt.
Hautärzte und Hausärzte können nach einem jeweils achtstündigen Trainingsprogramm
diese Screenings durchführen. Hierzu ist die Verwendung eines Auflichtmikroskops nicht
erforderlich. Zielsetzung war eine Senkung der Mortalität des malignen Melanoms wie
sie zunächst erfolgreich im Rahmen eines Pilotprojekts in Schleswig Holstein gezeigt
werden konnte. Hier konnte die Mortalitätsrate um 50 % von 2,3/100 000 Einwohner auf
1,0/100 000 Einwohner innerhalb von 5 Jahren gesenkt werden [1]. Kritik an der Effektivität des Modellprojekts, das seinen Erfolg vor allem über
die Senkung der Mortalität in den folgenden Jahren definierte, wurde unter anderem
aufgrund der großen Schwankungen dieses Parameters in einem kleinem Bundesland ohne
individuelle Verlaufsdokumentation geäußert [2]. Erste statistische Aufarbeitungen [3] konnten die Erfolge der Senkung der Mortalität des malignen Melanoms wie im Pilotprojekt
nach 5 Jahren bundesweit nicht nachweisen. Es konnte lediglich eine Erhöhung der Inzidenzrate
des malignen Melanoms um 28 % innerhalb der ersten 2 Jahre gezeigt werden, was sicherlich
auf eine intensivere Kontrolle und damit Entdeckung dieser Tumoren zurückzuführen
ist.
Auf internationalen Kongressen und Veranstaltungen wird immer wieder die Frage nach
Erfolg oder Misserfolg und dem Sinn oder Unsinn des deutschen Hautkrebsscreenings
gestellt.Die Auswertung von ca. 40 000 Hautkrebsscreenings von 2008 – 2018 sollte
weitere Daten liefern, die eine kritische Auseinandersetzung mit möglichen Problemen
und gegebenenfalls Verbesserungsansätze erbringen.[1]
Material und Methode
Institut und Praxis befinden sich im flächengrößten Landkreis Bayerns im Landkreis
Ansbach, es werden ca. 17 000 Patienten im Jahr behandelt. Zwischen 2008 – 2018 wurden
32 061 Hautkrebsscreenings bei Patienten über 35 Jahre durchgeführt (Durchschnittsalter:
54,2 Jahre). Im gleichen Zeitraum erfolgten zusätzliche Screenings bei 6904 Patienten
unter 35 Jahren (Durchschnittsalter: 23,4 Jahre).
Statistische Auswertung
Die Prüfung eines signifikanten Trends bei der Häufung des weißen Hautkrebses im Zeitraum
2009 – 2018 erfolgte mit dem Mann-Kendall-Trendtest und im Excel-basierten Auswertetool
„MAKESENS“ [4].
Zur Untersuchung der unterschiedlichen Häufungen histologisch nachgewiesener dysplastischer
Nävi in den beiden Altersgruppen (> 35 Jahre, < 35 Jahre) wurde ein in Excel implementierter
Chi-Quadrat-Test genutzt.
Ergebnisse
Bei der Patientengruppe über 35 Jahren konnte in 10 % (n = 3143) ein maligner epithelialer
Tumor, also ein Basaliom, Plattenepithelkarzinom oder ein Bowenkarzinom gefunden werden.
Bei der Patientengruppe unter 35 Jahren zeigte sich lediglich bei 0,28 % (n = 20)
ein „weißer Hautkrebs“. Die Aufarbeitung der Praxisdaten beim malignen Melanom ergab
bei Patienten über 35 Jahre eine Häufigkeit von 1,2 % (n = 374), davon lagen 50 %
in der In-situ-Form vor. Patienten unter 35 Jahren zeigten in 0,3 % der Fälle (n = 25)
ein malignes Melanom, auch hier betrug der Anteil der In-situ-Melanome 50 %. Zwischen
2009 – 2018 konnte in der Praxis eine Zunahme der epithelialen Malignome um mehr als
das Doppelte verzeichnet werden. In [Abb. 1] ist der hochsignifikante Trend der Zunahme der epithelialen Malignome für alle Altersgruppen
im Zeitraum von 2009 – 2018 dargestellt (Mann-Kendall-Trendtest, Z-Wert = 3,22, p = 0,01).
Abb. 1 Prozentualer Anteil der epithelialen Malignome bei durchgeführten Hautkrebssceenings
in den betrachteten Jahren 2009 – 2018 für alle Altersgruppen.
Im Zeitraum 2009 – 2011 lag die durchschnittliche Rate an epithelialen Malignomen
bei 7,49 %, im Zeitraum 2016 – 2018 dagegen bei 14,50 %, was einen höchst signifikanten
Unterschied bedeutet (Chi-Quadrat = 246,5983, df = 1, p = 0,001).
Weitere Analysen der Praxisdaten zeigten bei Patienten über 35 Jahren eine Häufigkeit
von 7,28 % (n = 2336) bei dysplastischen Nävi, während Patienten unter 35 Jahren in
13 % (n = 903) dysplastische Nävi aufwiesen. Das deutlich häufigere Auftreten von
dysplastischen Nävi bei Patienten unter 35 war höchst signifikant (Chi-Quadrat = 250,1519,
df = 1, p = 0,001).
Diskussion
Dysplastische Nävi wurden erstmals von Clark und Kollegen als histologisch definierte
Läsionen bei zu Melanomen neigenden Familien beschrieben [5].
Histologisch sind dabei architektonisch unruhige Strukturen und zytologische Atypien
charakteristisch, aber auch klinische Kriterien gemäß der International Agency of
Research on Cancer von 1990 – wie unregelmäßige Farbe, unscharfer Rand, Rötung, Läsion
größer als 5 mm, erhabene Anteile insbesondere im Zentrum ([Abb. 2]).
Abb. 2 Dysplastischer Nävus.
Die Häufigkeit von dysplastischen Nävi variiert im nördlichen Europa zwischen 7 – 24 %
[6]. Nur 20 % aller Melanome entstehen direkt aus dysplastischen Nävi [7], aber das Vorhandensein multipler dysplastischer Nävi führt zu einer Zunahme des
Risikos von Melanomen, und somit scheinen dysplastische Nävi Indikatoren zur Identifikation
von Risikopatienten zu sein.
Bei den analysierten Daten wiesen die Patienten unter 35 Jahre doppelt so viele histologisch
nachgewiesene dysplastische Nävi auf wie Patienten über 35 Jahre.
Interessanterweise startete die erfolgreiche Pilotstudie in Schleswig-Holstein bereits
mit 20 Jahren und nicht erst mit 35 Jahren wie beim bundesweiten Screening. Dies könnte
ein möglicher Erklärungsversuch für den höheren Erfolg des Pilotprojekts gewesen sein,
denn dadurch wurden Risikopatienten vielleicht bereits deutlich vor dem Auftreten
eines Melanoms als solche identifiziert.
Ein weiterer auffälliger Befund der analysierten ca. 40 000 Screeningdaten im Zeitraum
von 10 Jahren zeigt die massive Zunahme der epithelialen Hauttumoren um mehr als das
Doppelte und das Vorliegen von „weißem Hautkrebs“ bei jedem 10. Patienten des gesetzlichen
Screenings. Hier zeigt sich ein enormes, drohendes Risiko der Zunahme von epithelialen
Tumoren und ihren Vorstufen in den nächsten Jahren, das sicherlich Auswirkungen auf
unser Gesundheitssystem haben wird. Ohne rechtzeitige Intervention, sei es operativ
oder mit anderen Methoden wie der photodynamischen Therapie, Imiquimod oder Ingenolmebutat,
wird diese Zunahme in naher Zukunft im nördlichen Europa ein ernst zu nehmendes Problem
der Versorgung der Bevölkerung darstellen.
Schlussfolgerungen
Das bundesweite Hautkrebsscreening steht im internationalen Fokus des Interesses,
aber auch der kritischen Betrachtung. Die Senkung der Mortalitätsrate des malignen
Melanoms wurde bisher als Zielgröße gesehen, gleichzeitig steht diese Sichtweise in
der Kritik [2]
[3]. Die Analyse der vorliegenden Daten legt jedoch neue Hinweise auf den früheren Start
des Screenings mit 20 Jahren wie im Pilotprojekt in Schleswig Holstein nahe, da hierbei
Patientenrisikogruppen mit erhöhter Rate an dysplastischen Nävi identifiziert und
rechtzeitig behandelt bzw. regelmäßigen Kontrollen zugeführt werden können. Die massive
Zunahme maligner epithelialer Tumoren ist ferner ein nicht zu unterschätzendes Problem.
Mithilfe regelmäßiger Hautkrebsscreenings können größere Operationen mit einem erhöhten
Mutilationsrisiko ([Abb. 3]) vermieden werden.
Abb. 3 Fortgeschrittenes Plattenepithelkarzinom.
Insgesamt betrachtet, hat das bundesweite, in der Welt bisher einmalige Hautkrebsscreening
sicherlich eine „Leuchtturmfunktion“, die nicht zu unterschätzen ist und die auf jeden
Fall als wichtiges Mittel in der Patientenversorgung gesehen werden muss. Den Erfolg
des deutschen Hautkrebsscreenings alleinig über die Senkung der Melanommortalität
zu beurteilen, ist jedoch als fragwürdig anzusehen.