ergopraxis 2018; 11(05): 37-39
DOI: 10.1055/a-0565-7990
Ergotherapie
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Assessment: LoMo 3-6 – Motorische Leistungsfähigkeit im Vorschulalter messen

Julia Jascenoka
Franz Petermann

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Publication Date:
04 May 2018 (online)

 

Das Leistungsinventar zur objektiven Überprüfung der Motorik eignet sich für 3- bis 6-jährige Kinder. Mit dem Test können Ergotherapeuten den motorischen Entwicklungsstand eines Kindes beurteilen, zum Beispiel wenn der Verdacht auf eine umschriebene Entwicklungsstörung motorischer Funktionen (UEMF) besteht.


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Vor einigen Jahren wurde die Versorgungsleitlinie zur Definition, Diagnostik und Therapie der umschriebenen Entwicklungsstörung der motorischen Funktionen (UEMF) veröffentlicht [1]. Hauptanliegen war es, eine frühzeitige Identifizierung von Kindern mit UEMF zu ermöglichen. Bedeutende Kriterien für das Diagnostizieren sind ein objektiver Nachweis des motorischen Entwicklungsrückstandes mittels eines validen Testverfahrens sowie eine standardisierte Erhebung von Problemen in der Bewältigung von Alltagsaktivitäten (ADL).

Laut Leitlinie aus 2011 sind lediglich zwei standardisierte Verfahren zur Diagnostik motorischer Entwicklungsstörungen empfehlenswert: M-ABC-2 (ERGOPRAXIS 5/08, S. 28) [2] und BOT-2 (ERGOPRAXIS 6/13, S. 22) [3]. Beide Verfahren decken eine breite Alterspanne ab – der M-ABC-2 von 3;0 bis 16;11 Jahre und der BOT-2 von 4;0 bis 14;11 Jahre. Damit werden sie den Bedürfnissen sehr junger Kinder häufig nicht gerecht. Zudem besitzen sie keine evidenzbasierten Fragebögen zur Abklärung der Alltagsrelevanz koordinativer Probleme.

Gemäß der Leitlinie aus 2011 erfasst LoMo 3-6 den motorischen Leistungs- stand und die Bewältigung von ADLs.

Für Kinder zwischen 3 und 6 Jahren

Das Leistungsinventar zur objektiven Überprüfung der Motorik bei 3- bis 6-Jährigen (LoMo 3-6) ist ein neu entwickelter Test, um die hand- und körpermotorischen Kompetenzen von Kindern im Alter von 3 bis 6 Jahren zu überprüfen. Der Test unterstützt Therapeuten bei der Beurteilung des motorischen Entwicklungsstandes und kommt insbesondere dann zur Anwendung, wenn der Verdacht auf eine UEMF besteht. Leitliniengetreu kann neben der objektiven Beurteilung des motorischen Leistungsstandes auch eine Einschätzung über die Bewältigung der ADLs erfolgen. Dies erfolgt mittels eines neu konzipierten Elternfragebogens, der auf Deutsch, Russisch, Türkisch und Arabisch vorliegt.

In der ergotherapeutischen Praxis ist es häufig ein Anliegen, auch Aussagen über die Händigkeit eines Kindes treffen zu können, um bei unklarer Handpräferenz möglichst frühzeitig zu intervenieren. Darum kann anhand von Beobachtungen aus der Testsituation ein Lateralitätsquotient zur Bestimmung der Handpräferenz gebildet werden.


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Hand- und körpermotorische Fertigkeiten

Der LoMo 3-6 bildet altersrelevante Leistungen ab, die ein Gesamtmaß für den motorischen Entwicklungsstand ergeben. Er erfasst neben koordinativen Leistungen auch Kraft, Ausdauer und Schnelligkeit. Je nach Alter des Kindes stehen hierfür 22 Testaufgaben (Version A: 3;0 bis 4;5 Jahre) bzw. 32 Testaufgaben (Version B: 4;6 bis 6;11 Jahre) zur Verfügung, welche Hand- und Körpermotorik unterscheiden ([TAB.], S. 38):

  • Handmotorik: Eine wesentliche handmotorische Entwicklungsaufgabe im Kindergarten- und Vorschulalter ist die Differenzierung der In-Hand-Manipulation. Darum werden die Prinzipien der Translation, Rotation und Schiebebewegungen (Shift) überprüft. Zusätzlich liefern weitere Testaufgaben Informationen zur Auge-Hand-Koordination und Stifthaltung des Kindes.

  • Körpermotorik: Besonderes Augenmerk liegt auf dem Gleichgewicht (in Ruhe und Bewegung), beidseitiger Koordination (rechte und linke Körperhälfte bzw. Arme und Beine), Schnelligkeit, Geschicklichkeit, Ballfertigkeiten sowie Kraft und Ausdauer.

TAB.

Items des LoMo 3-6 für die Versionen A und B

Version A (3;0–4;5 Jahre)

Version B (4;6–6;11 Jahre)

Handmotorik

  • Straße entlang zeichnen

  • Taler aufnehmen

  • Perlen fädeln

  • abzeichnen (Hier wird beobachtet, ob das Kind bereits eine reife Stifthaltung zeigt.)

  • Straße entlang zeichnen

  • schneiden

  • Taler aufnehmen

  • Taler ablegen

  • Perlen fädeln

  • Mutter und Schraube zusammenschrauben

  • Papier mit den Fingerspitzen in der Mitte scharf knicken

  • abzeichnen (Hier wird beobachtet, ob das Kind bereits eine reife Stifthaltung zeigt.)

  • eine Holzfigur mit den Fingerspitzen um 180° rotieren

Körpermotorik

  • mit beiden Zeigefingern rhythmisch auf die Tischplatte tippen

  • stampfen

  • Wasserbecher tragen

  • Standweitsprung

  • seitlich hin- und herspringen

  • vorwärts balancieren

  • Einbeinstand, rechts und links

  • im Stehen mit geschlossenen Augen um 360° drehen

  • einbeinig hüpfen, rechts und links

  • seitlicher Grätschstand

  • großen Ball fangen

  • einhändig werfen

  • Treppe nach oben steigen

  • Hindernislauf

  • durch Torbogen kriechen

  • promptes Anhalten

  • rennen

  • tippen

  • stampfen

  • mit dem Zeigefinger und dem Fuß einer Körperhälfte rhythmisch und synchron tippen und stampfen

  • Wasserbecher tragen

  • Standweitsprung

  • seitlich hin- und herspringen

  • vorwärts und rückwärts balancieren

  • Einbeinstand, rechts und links

  • im Stehen mit geschlossenen Augen um 360° drehen

  • einbeinig hüpfen, rechts und links

  • seitlicher Grätschstand

  • großen/kleinen Ball fangen

  • einhändig werfen

  • einen Tennisball aus einer Distanz von 2 m auf eine Zielscheibe werfen

  • Treppe nach oben/unten gehen

  • Hindernislauf

  • durch Torbogen kriechen

  • promptes Anhalten

  • rennen


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Motivierendes Material

Die Durchführung des LoMo 3-6 ist mithilfe des Manuals einfach zu erlernen und erfolgt immer als Einzeltestung. In Abhängigkeit vom Grad der motorischen Kompetenzen des Kindes sowie von der Geübtheit des Testanwenders beträgt die Durchführungszeit für Version A etwa 25 bis 30 Minuten, für Version B circa 30 bis 45 Minuten. Die Therapeutin erläutert dem Kind mittels standardisierter Anleitung die jeweilige Testaufgabe und ergänzt die verbalen Instruktionen stets durch eine Demonstration.

Eine Besonderheit ist die Einbettung der Testaufgaben in eine spielerische Handlung: Therapeutin und Kind besuchen eine Zirkusvorstellung. Dabei müssen sie zunächst Vorbereitungen für die Vorstellung treffen, bevor die Kinder als „Artisten“ auftreten können (ABB.). Der abschließende Erhalt eines „Zirkusdiploms“ sorgt auch bei motorisch auffälligen Kindern für einen besonderen motivationalen Anreiz.


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Berücksichtigt Aktivitäten des täglichen Lebens

Neben den Ergebnissen aus der individuellen Testung des Kindes erfolgt eine Einschätzung der motorischen Kompetenzen in alltäglichen Situationen zum Freizeitverhalten, zu Anzieh- und Esssituationen sowie zur Körperhygiene. Dazu wird den Eltern ein Fragebogen ausgehändigt bzw. erfragt die Therapeutin im Gespräch, ob die einzelnen Fertigkeiten bereits vom Kind erworben wurden, zum Beispiel:

  • Das Kind zieht sich alleine einen Pullover bzw. ein T-Shirt aus.

  • Es kann Reißverschlüsse seiner Kleidung ohne fremde Hilfe öffnen.

  • Es öffnet und schließt Zahnpastatuben alleine.

Aufgrund der hohen Komorbididätsraten mit anderen Entwicklungs- und Verhaltensauffälligkeiten (z. B. Sprachentwicklungsstörungen, Aufmerksamkeitsstörungen, Störungen des Sozialverhaltens) bietet der Elternfragebogen zusätzlich die Möglichkeit, weitere potenzielle Entwicklungsprobleme im Blick zu behalten.


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Einfache Auswertung

Die Auswertung der Testergebnisse ist einfach und nimmt nur wenige Minuten in Anspruch. Zunächst dokumentiert die Therapeutin die Beobachtungen aus der Testsituation im Protokollbogen (z. B. gekonnt/nicht gekonnt bzw. konkrete Testwerte in Sekunden, Schritten, Sprüngen etc.). Mithilfe eines Auswertungsbogens bewertet sie dann alle Aufgaben je nach Leistung des Kindes mit Rohwertpunkten. Im Elternfragebogen vergibt sie für die Antwort „ja“ einen Punkt, für „nein“ keinen Punkt.

Abschließend summiert sie alle Rohwertpunkte zu einem Gesamtsummenwert für die motorische Gesamtleistung und überführt ihn klassisch mithilfe von Umrechnungstabellen in Prozentränge oder T-Werte. Der Prozentrang, welcher besonders für Elternrückmeldungen geeignet ist, gibt an, wie viele Kinder des Vergleichskollektivs denselben oder einen niedrigeren Testwert als das untersuchte Kind aufweisen.

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Abb.: Mit freundlicher Genehmigung des Hogrefe-Verlags

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Interpretation abhängig vom Alter des Kindes

Die Interpretation erfolgt in Anlehnung an die Leitlinien der AWMF je nach Alter des Kindes: Aufgrund der größeren Variabilität in der Entwicklung der motorischen Leistungen gelten jüngere Kinder dann als auffällig, wenn sie einen Prozentrang kleiner oder gleich 5 erzielen. Etwas ältere Kinder, welche die Testversion B absolvieren, gelten hingegen bereits ab einem Prozentrang von kleiner oder gleich 15 als auffällig.

Zusätzlich ist ein Risikobereich definiert, in dem Kinder als gefährdet gelten, eine motorische Entwicklungsstörung auszubilden. Es ist ratsam, diese Kinder bezüglich ihrer weiteren motorischen Entwicklung genauer zu beobachten und gegebenenfalls eine erneute Testung vorzunehmen.

Die präzisen Anweisungen zur Anordnung der Testmaterialien und die exakt formulierten sprachlichen Instruktionen zu jedem Item ermöglichen eine objektive Durchführung aller Testaufgaben. Die bebilderten Fallbeispiele zur Bewertung einzelner Items verschaffen den Testleitern zusätzliche Sicherheit und sorgen für ein hohes Maß an Interpretationsobjektivität.


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Normiert, reliabel und valide

Im Rahmen des Normierungsprozesses wurden insgesamt 963 Kinder mit dem LoMo 3-6 untersucht. Neben einer Gesamtnorm liegen auch geschlechtsspezifische Normen in 6-Monats-Intervallen vor. Darüber hinaus bestätigen erste Studien die Testgüte des Verfahrens. Die Retest-Reliabilität kann man mittels einer Untersuchung an 46 Kindern im Alter von 5 bis 6 Jahren für die Rohwerte des Gesamtwertes mit .844 als stabil beurteilen. Zur Überprüfung der differenziellen Validität wurden Unterschiede für die Merkmale Alter, Geschlecht, Migrationshintergrund und Wohnortlage (städtisch, Randlage, ländlich) untersucht. Die Konstruktvalidität wurde anhand von Skaleninterkorrelationen bestimmt. Zur Überprüfung der klinischen Validität wurde der LoMo 3-6 mit UEMF-Kindern durchgeführt. Die Kriteriumsvalidität wurde anhand von Korrelationen mit den Motorikskalen des ET 6-6-R und der M-ABC-2 bestimmt.

Der LoMo 3-6 liefert fundierte Argumente für die Diagnose bzw. Behandlung einer motorischen Entwicklungsstörung.

Die Ergebnisse sprechen für eine zufriedenstellende Validität des LoMo 3-6 und geben Therapeuten somit ein Verfahren für junge Kinder an die Hand, das im Dialog mit Ärzten und Eltern fundierte Argumente für die Diagnose einer motorischen Entwicklungsstörung und daraus resultierend einer notwendigen Behandlung liefert.


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Abb.: Mit freundlicher Genehmigung des Hogrefe-Verlags