Dtsch Med Wochenschr 2006; 131(51/52): 2905-2913
DOI: 10.1055/s-2006-957220
Weihnachtsheft

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

„Wenn der Sohn Äskulaps gar nichts mehr weiß, was er mit dem Patienten anfangen soll, dann schickt er uns ins Bad…”

Heinrich Heine und die medizinischen Therapien seiner ZeitIf the son of Aesculapius does not have the faintest idea what to do with the patient, he sends us to a spa...Heinrich Heine and the therapeutics of his timeR. Jütte1
  • 1Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung Stuttgart
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Publication Date:
12 December 2006 (online)

1825 löste der deutsch-jüdische Dichter Heinrich Heine das angeblich sichere „Entréebillet” in die bürgerlich-christliche Gesellschaft seiner Zeit, indem er sich in Heiligenstadt taufen ließ und den evangelischen Glauben annahm. Auch erfolgte in diesem Jahr seine Promotion zum Doktor der Rechte. Nur gesund war er damals nicht, aber sein Vertrauen in die Medizin schien ungebrochen, wie aus einem Brief an seinen Freund Moses Moser vom 1. April 1825 hervorgeht: „Ich habe gute Hoffnung, diesen Sommer recht zu gesunden, mein Arzt giebt sich viel Mühe und ich auch. Viel Geldausgaben und Verschlucken unangenehmer Medizinen.” (HSA 20, 131) [1].

Mehr als ein Vierteljahrhundert später war von solchem Optimismus und Zutrauen keine Rede mehr. In einem Gespräch mit dem Bremer Mediziner Heinrich Rohlfs (1827-1898) äußerte sich der todkranke Dichter, dass er kaum noch Hoffnung auf Genesung habe: „Überdies habe ich kein Vertrauen zu den französischen Aerzten als Heilkünstler; sie mögen ausgezeichnete Chirurgen sein und auch auf die Diagnose der innern Krankheiten sich gut verstehen, sie verstehen aber nicht dieselben zu heilen. Ich nehme übrigens keine Medicin, weil ich an ihre Wirkung nicht glaube.” (Z 2, 885) [2] Auch sein Bruder äußerte sich nach dem frühen qualvollen Tod des Dichters kritisch über die französischen Ärzte und glaubte, dass diese „sein Leben um viele Jahre verkürzt haben” [3].

Das ist erstaunlich, genoss doch die Pariser klinische Schule damals Weltruf. Ärzte aus zahlreichen europäischen Ländern und sogar aus den Vereinigten Staaten kamen damals in die französische Metropole, um dort zu lernen, wie man auf der Grundlage exakter Beobachtung des Patienten und physikalischer Untersuchungsmethoden (Perkussion und Auskultation) sowie auf der Basis der durch die Sektion gewonnenen pathologischen Befunde zu einer neuen Klassifikation von Krankheiten kommen konnte [4]. Zu den führenden Köpfen der Pariser Schule gehörte damals neben Hyacinthe Laennec (1781-1826), Marie François Xavier Bichat (1771-1802), François-Joseph-Victor Broussais (1772-1838) und Jean Nicolas Corvisart des Marest (1755-1821) auch Gabriel Andral (1797-1876) (Abb. [1]). Letzterer war der einzige französische Autor, dessen medizinische Schriften der kranke Heine in den späten 1840er und frühen 1850er Jahren fleißig studierte, um sich auf seine vielfältigen und hartnäckigen Beschwerden einen Reim machen zu können. Andrals fünfbändige Fallsammlung mit dem Titel Clinique médicale (1. Aufl. 1823-1827) galt lange Zeit als medizinisches Standardwerk und wurde auch ins Deutsche übersetzt. Andral war der Überzeugung, dass es Aufgabe der klinischen Medizin sei, die einzelnen Krankheitsfälle sorgfältig zu analysieren und sie dann zu vergleichen, um so ein typisches Krankheitsbild zu erstellen, für das sich allgemeine Behandlungsgrundsätze entwickeln lassen. Obwohl er Broussais auf dem Pariser Lehrstuhl nachfolgte, distanzierte Andral sich von der Lehre seines Vorgängers und gab sich öffentlich als Eklektiker zu erkennen, und zwar „aus Nothwendigkeit wie jeder Arzt am Krankenbett es sein muss” [5].

Abb. 1 Gabriel Andral, frz. Mediziner, Lithographie (Bibliothéque de l’Académie Nationale de Médecine. Assistance Publique, Paris).

Auch Heinrich Heine wurde im Verlaufe seines Lebens zu einem Eklektiker und probierte die unterschiedlichsten Heilmethoden an sich aus. Seine Krankengeschichte spiegelt daher die wichtigsten therapeutischen Ansätze in der Medizin der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wider. Das macht seine Biographie auch für den Medizinhistoriker interessant, der sich nicht - wie leider sonst in der Heine-Forschung üblich - auf die ausgetretenen Pfade der retrospektiven Diagnostik begeben und müßige Spekulationen darüber anstellen will, an welchen Krankheiten Heine „wirklich” gelitten hat [6]. Das Spektrum der Heilverfahren, das der Dichter im Laufe einer langen Leidensgeschichte am eigenen Körper kennenlernte, reicht von der Hydrotherapie über den Brownianismus, die Irritatibilätslehre, den animalischen Magnetismus und die Homöopathie bis hin zum therapeutischen Nihilismus.

Im Januar 1823, als Heine noch als Student in Berlin eingeschrieben war und bereits seine ersten literarischen Erfolge hatte, fühlte er sich gesundheitlich so schwer angeschlagen, dass er „Sturzbäder” (HSA 20, 45) gebrauchte, offenkundig ohne nachhaltigen Erfolg, wie er wenig später einem Freund berichtete: „Meine Sturzbäder habe ich eingestellt, haben mir nichts geholfen und unmenschliches Geld gekostet.” Die Hydrotherapie war damals noch eine „Außenseitermethode”. Die heilende Kraft des Wassers war zwar bereits in der Antike bekannt, wurde aber vor dem 19. Jahrhundert nur von einzelnen Ärzten therapeutisch genutzt, und zwar meist nur in Gestalt der üblichen Badekur. Sowohl die traditionelle Wasserheilkunde als auch ihre spätere schulmedizinische Variante, die Hydrotherapie, werden oft mit der Balneologie verwechselt. Unter letzterer versteht man aber im strengen Sinne des Wortes die Anwendung ortsgebundener Kurmittel (Trink- oder Badekuren in Heilbädern), während mit Wasserheilkunde die theoretisch an jedem Ort mögliche physikalische Anwendung des Wassers (z. B. Waschungen, Güsse, Dusche, feuchte Wickel) gemeint ist. So steht der Medizinhistoriker heute vor dem Problem, das Wilhelm Winternitz (1835-1917), der Begründer der modernen, durch klinische und physiologische Forschungen wissenschaftlich abgesicherten Hydrotherapie, in seinem 1877 erschienenen Hauptwerk wie folgt beschrieben hat: „Die eigenthümliche Entwicklungsgeschichte des Wasserheilverfahrens, ausserhalb der Grenzen der Schule, ja der stete Kampf mit dieser, hatte eine solche Systemlosigkeit hervorgebracht, dass auch dermalen jeder Hydrotherapeut, ja noch mehr fast jeder Kranke, der eine Wasserkur gebraucht, sich von seinem Standpunkte aus sein System construirte.” [7]

Die entscheidenden Impulse zu einer Systematisierung und grundlegenden Erneuerung der Wasserheilkunde gingen in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts vor allem aus dem Kreise medizinischer Laien hervor. An erster Stelle ist hier der Ansbacher Gymnasialprofessor Eucharius Ferdinand Christian Oertel [8] (1765-1850) zu nennen, der in einer Vielzahl von Schriften auf die Heilkräfte des kalten Wassers aufmerksam machte. 1804 hatte er das „altmodische, aber goldwerthe Büchlein” des Schweidnitzer Arztes Dr. Johann Siegmund Hahn (1696-1773) über die Heilkraft des Wassers „zufällig bei einem Antiquar” erworben, wie er einige Jahrzehnte später im Vorwort zu dem von ihm besorgten Nachdruck schreibt. Seitdem wandte er mit Erfolg die Wasserkur zunächst bei sich selbst, dann auch bei Freunden und Verwandten an. Seine Sprachkenntnisse und sein philologisches Interesse führten ihn bald auf die Spuren der älteren Wasserheilkunde, wie seine 1826 veröffentlichte lateinische Abhandlung über die Anwendung des kalten Wassers durch den bekannten römischen Arzt Aulus Cornelius Celsus (1. Jh. n. Chr.) beweist. Anders als sein berühmter Zeitgenosse, der Gräfenberger „Wasserdoktor” Vinzenz Prießnitz (1799-1851), war Oertel aber kein Neuerer, sondern ein sehr fleißiger, propagandistisch erfolgreicher Epigone und Vermittler, dem die spätere Naturheilkunde-Bewegung viel zu verdanken hat, insbesondere die Gründung des ersten „Hydropathischen Gesundheitsvereins für ganz Deutschland” im Jahre 1832. Außerdem erwarb er sich mit seinen zahlreichen populären Schriften um die öffentliche Anerkennung der von Ärzten häufig belächelten Wasserkur große Verdienste. Oertel wurde 1830 auf den erst 31-jährigen „Wasserdoktor”, der auf dem Gräfenberg bei Freiwaldau eine vielbeachtete Wasserheilanstalt eingerichtet hatte, aufmerksam. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich Prießnitz’ „Wunderkuren” bereits weit über die Landesgrenze hinaus herumgesprochen. Die Wasserkur, die bis heute seinen Namen trägt, steht am Anfang der modernen Naturheilkunde, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts immer mehr Anhänger fand und nicht nur in Deutschland zu einer politischen Kraft und starken sozialen Bewegung wurde.

Doch mit diesem Zweig der Wasserheilkunde, der sich zu einer medizinkritischen Massenbewegung entwickelte, war Heine nicht vertraut. Er probierte zunächst lediglich das aus England übernommene „Plongier- oder Sturzbad” aus, das der Pyrmonter Badearzt Marcard gegen Ende des 18. Jahrhunderts in Deutschland bekannt gemacht hatte (Abb. [2]). Die Abhärtung sollte nicht durch einen längeren Aufenthalt im kalten Wasser erfolgen, sondern durch kurze, aber mehrmals wiederholte kalte Bäder: „Der Engländer springt plötzlich ins Wasser, kehrt sich darin um, und in wenigen Sekunden geht er wieder heraus, er wiederholt zuweilen diese Operation zum zweiten, ja sogar zum dritten Male, alsdann läßt er sich trocken abreiben, kleidet sich an und macht Bewegung.”[9] Einige Ärzte auf dem Kontinent warnten allerdings vor solchen kalten „Sturzbädern”, da sie in nicht wenigen Fällen angeblich zu tödlichen Ohnmachtsanfällen führten. So sann man Anfang des 19. Jahrhunderts auf Alternativen. Eine Möglichkeit war das plötzliche Übergießen mit kaltem Wasser, eine andere das kalte Trauf- oder Regenbad (shower bath), die Urform des Duschens, bei dem aus einem siebförmigen Blechgefäß kaltes Wasser auf die Badenden tröpfelte.

Abb. 2 Vollbad mit Übergießung (Bilz, Das neue Naturheilverfahren, Leipzig o. J. Foto: Bildarchiv IGM, Stuttgart).

Statt der Sturzbäder, die es damals offensichtlich bereits in der preußischen Hauptstadt gab, versuchte es Heine mit Flussbädern und später vor allem mit Seebädern. Am 23. August schrieb Heine seinem Freund Moses Moser aus Ritzebüttel bei Cuxhaven an der Elbe: „Das Seebad, das ich hier brauche, bekömmt mir sehr gut, wären nur nicht die fatalen Gemütsbewegungen.” (HSA 20, 75) Eine Kur an der See brauchte ihre Zeit, das wusste auch der Dichter, den damals nicht nur depressive Stimmungen, sondern auch Kopfschmerzen plagten. Am 11. Oktober schrieb Heine aus Lüneburg: „Ich befinde mich immer noch nicht ganz wohl, obschon meine Vergnügungsreisen diesen Sommer und der Gebrauch des Cuxhavener Seebades meinen Gesundheitszustand erstaunlich verbessert […].” Und er fügte noch hinzu : „Ich habe mich in diesem Sommer bloß mit meiner Gesundheitsherstellung beschäftigt und keine Zeile geschrieben.” (HSA 20, 80)

Das Cuxhavener Seebad bestand seit 1816 [10]. Vorausgegangen war eine Kampagne, die sich die Errichtung von Seebädern auch in Deutschland zum Ziel gesetzt hatte. Als der Göttinger Physiker Georg Christoph Lichtenberg Anfang der 1790er Jahre von einer Englandreise zurückkehrte, stellte er im Göttinger Taschenkalender für das Jahr 1793 die Frage: „[…] wo gibt es in Deutschland ein Seebad? Hier und da vielleicht eine kleine Gelegenheit sich an einem einsamen Ort, ohne Gefahr und mit Bequemlichkeit in der See zu baden, die sich allenfalls jeder, ohne jemanden zu fragen, selbst verschaffen kann, mag wohl alles sein. Allein wo sind die Orte, die, wie etwa Brighthelmstone, Margate und andere in England, in den Sommermonaten an Frequenz selbst unsere berühmtesten einländischen Bäder und Brunnenplätze übertreffen? Ich weiß von keinem. Ist dieses nicht sonderbar? Fast in jedem Dezennium entsteht ein neuer Bad- und Brunnenort, und hebt sich, wenigstens eine Zeit lang. Neue Bäder heilen gut. Warum findet sich bei dieser Bereitwilligkeit unsrer Landsleute, sich nicht bloß neue Bäder empfehlen, sondern sich auch wirklich dadurch heilen zu lassen, kein spekulierender Kopf, der auf die Einrichtung eines Seebades denkt?” [11] Auch hatte Lichtenberg bereits konkret einen passenden Ort für eine solche Einrichtung auf deutschem Boden im Auge: „Wenn ich, jedoch ohne das übrige nötige Lokale genau zu kennen, wählen dürfte, so würde ich dazu Ritzbüttel, oder eigentlich Cuxhaven oder das Neue Werk, oder sonst einen Fleck in jener Gegend vorschlagen. Freilich nicht jeder Seeort taugt zu einem öffentlichen Seebad, das auf große Aufnahme hoffen kann. Es kömmt sehr viel auf die Beschaffenheit des Bodens der See an.” Das erste deutsche Seebad wurde aber nicht an der Nordsee, sondern an der Ostsee, und zwar 1794 in Doberan errichtet (Abb. [3]). Es folgten Norderney (1797), wo es für Frauen und Männer getrennte Badeplätze gab, Travemünde (1800), Colberg (1802), Wangerooge (1804), Apenrade (1813), Rügenwalde (1815), Puttbus (1816), Wyk auf Föhr (1819), Zoppot bei Danzig (1821), Kiel (1825), Swinemünde (1825), Helgoland (1826) [12]. Die Seebäder kamen auch deshalb rasch in Mode, weil sich dort der Adel und das Großbürgertum zur Erholung einfanden und ein durchaus standesgemäßes Ambiente (Spiel- und Teesalons) vorfanden, das im Laufe der Jahre immer luxuriöser wurde. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatte sich allerdings fast in allen Seebädern an der Nord- und Ostsee eine antisemitische Einstellung breitgemacht. Die einzige rühmliche Ausnahme blieb bis weit in die Weimarer Republik hinein Norderney, wo jüdische Badegäste weiterhin willkommen waren [13]. Doch von solchen Anzeichen einer beginnenden Judenfeindschaft an diesen mondänen Orten der frühen Wellness-Bewegung ist in Heines Korrespondenz noch nichts zu spüren.

Abb. 3 Seebadeanstalt zu Doberan, Kupferstich, 1794 (Alfred Martin, Das Badewesen in vergangenen Tagen. Jena 1906.).

Außer Cuxhaven besuchte der krankheitsanfällige Dichter in den 1820er Jahren mehrmals das Seebad Norderney, das ihm offenbar gut bekam. Im Januar 1826 schrieb er an seinen Freund Moser: „Mit meiner Gesundheit geht es so ziemlich, ich leide aber noch immer. Die Wirkung des Norderneyer Seebades scheint heilsam gewesen zu sein.” (HSA 20, 162) Das hatte sicherlich auch ein wenig damit zu tun, dass er bei diesen Badeaufenthalten auch den „schönen Weibern die Cour” (HSA 20, 185) machte, was zur Aufhellung seiner Stimmung beitrug. Doch nicht nur der Anblick von schönen Frauen stimmte den Verfasser von Liebesgedichten, die zu den schönsten in deutscher Sprache gehören, heiter. Auch der bloße Anblick des Meeres tat ihm gut. Von der Insel Helgoland schrieb er wiederum an Moser: „Das Meer ist mein nahverwandtes Ellement [sic] und schon sein Anblick ist mir heilsam.” (HSA 20, 310) Immer wieder schwärmte Heine in seinen Briefen davon, wie er sich „von den Meereswellen den Leib und die Seele heilen” (HSA 20, 313) lasse. Auch die englischen Seebäder (Brighton, Margate, Ramsgate), die Lichtenberg so großartig gepriesen hatte, kannte Heine aus eigener Anschauung und lobte deren heilsame Wirkung. Ab 1831 waren es fast ausschließlich französische Badeorte, in denen er Erholung und eine Verbesserung seines schlechten Gesundheitszustandes suchte. Neben Boulogne-sur-Mer und Le Havre war das vor allem das kleine französische Seebad Granville, das eine direkte Bahnverbindung nach Paris hatte und von dem regelmäßig Fährschiffe nach den Kanalinseln Jersey und Guernsey abgingen. Einen Lieblingsbadeort scheint Heine nicht gehabt zu haben. 1837 schreibt er: „Ich habe in Granville nur zwey Bäder genommen und freue mich sehr auf den Wellenschlag von Boulogne. Ich habe das Baden sehr nötig.” (HSA 21, 653)

Doch im Laufe der Zeit schwand Heines Vertrauen in die heilende Wirkung der Seebäder. Das kündigt sich bereits in einem Brief vom 24. August 1834 aus Boulogne-sur-Mer an: „Das Bad hat nun freylich mir nicht übel gethan, aber auch nicht so gut wie sonst. Ich fühle mich nicht so gestärkt dadurch an Leib und Geist, muss also ein anderes Heilmittel suchen.” (HSA 21, 450) Dennoch hielt er bis in die Mitte der 1840er Jahre an dieser Therapie, die er lange Zeit für gut befunden hatte, fest. Daran hatte der mit ihm befreundete Arzt Leopold Wertheim (1819-1890), ein eifriger Verfechter der Hydrotherapie, großen Anteil. Allerdings waren es nicht nur Seebäder, die Heine auf Anraten seines Freundes aufsuchte: So finden wir ihn in den 1840er Jahren in den Thermen von Barèges, das malerisch in den Pyrenäen gelegen ist. In Enghiens-les-Bains probierte er 1845 die Schwefelbäder aus. In Paris versuchte er es 1846 mit „kaiserlich Russische[n] Bäder[n]” (HSA 22, 1125), bevor er im Sommer wie gewohnt eine Reise in das Pyrenäen-Bad Barèges antrat. Wie man sich diese „Russischen Bäder” vorstellen muss, erfahren wir aus Meyers Konversationslexikon von 1885/89: „Eine sehr mächtige, erregende und bei rheumatischen Leiden günstige Wirkung besitzen die warmen oder heißen Dampfbäder. Die Badenden sitzen dabei in einem Raum, in welchen heiße Dämpfe einströmen, ein Bademeister peitscht mittels Birkenruten die Haut (russisches B.), worauf dann lauwarme Übergießungen folgen und der Badende in den auf 45 - 50˚ R. erhitzten Schwitzraum geführt wird. Hier bricht in der trocknen Hitze der Schweiß aus allen Poren (römisch-irisches B.), nach 10-20 Minuten folgen lauwarme bis kalte Douchen und endlich 30-60 Minuten langes Liegen in wollener Decke” [14].

Am Schluss überwog bei Heine die Skepsis: In seinem Reisebericht aus den Pyrenäen, den er 1846 veröffentlichte, finden sich die Worte: „Wenn der Sohn Äskulaps gar nichts mehr weiß, was er mit dem Patienten anfangen soll, dann schickt er uns ins Bad mit einem langen Konsultationszettel, der nichts anderes ist als ein offener Empfehlungsbrief an den Zufall.” (DHA 14/1, 122f.) [15] Auch eine Kur auf dem berühmten Gräfenberg bei Vinzenz Prießnitz, zu der ihm seine Ärzte 1853 rieten, die aber wegen Heines schlechtem Gesundheitszustand nicht zustande kam, hätte den Dichter vermutlich von diesem Urteil nicht mehr abbringen können, denn damals hatte dieser legendäre Kurort bereits viel von seinem früheren Glanz verloren und nicht wenige hoffnungsvoll gestimmte Patienten enttäuscht [16].

Im Zusammenhang mit seiner skeptischen Äußerung über die Wirkung von Heilbädern kommt Heine auch kurz auf den Magnetismus zu sprechen. Gemeint sein dürfte der animalische Magnetismus, der auf die Lehre des Arztes Franz Anton Mesmer (1734-1815) zurückgeht. Danach ist der Mensch aus den gleichen Substanzen gebildet wie das Universum, und er unterliegt daher auch kosmischen Einflüssen. Was Lebewesen, Erde und Himmelskörper miteinander verbindet, ist ein subtiles Fluidum physikalischer Natur. Dieses Fluidum bezeichnete Mesmer als tierischen oder animalischen Magnetismus, von dem jeder Mensch eine gewisse Menge besitze und das auch übertragbar sei. Krankheiten entstünden aus der ungleichen Verteilung dieses Fluidums im Körper. Nach Mesmer gibt es also im Prinzip nur eine Krankheit und damit auch nur ein Heilmittel, nämlich den Magnetismus. Die magnetische Therapie ermögliche es, das Fluidum zu aktivieren und zu verstärken. Dadurch würden so genannte „Krisen” des in Unordnung geratenen Organismus hervorgerufen, die den Heilungsprozess in Gang setzen und schließlich zu einer vollständigen Genesung führen würden. Bediente sich Mesmer am Anfang noch eines Magneten, um das Fluidum zu beeinflussen, so nahm er später davon Abstand, nachdem er durch einen Zufall zur Ansicht gekommen war, dass er selbst über die Fähigkeiten verfügte, das Fluidum zu sammeln und auszuteilen. Von Mesmer und seinen Anhängern wurden unterschiedliche Praktiken entwickelt, um die gewünschte Wirkung (die „Krisen”) durch Magnetisieren zu erzeugen. Am bekanntesten sind: (1) das Magnetisieren mit der Hand („mesmeristische Striche”), das heißt der Arzt „bestreicht” den Körper des Patienten, wobei seine Hand die Haut entweder leicht berührt oder beim so genannten „Schnellstrich” ohne Körperberührung auskommt; (2) das Magnetisieren mit dem „Stab”, bei dem der Arzt mit einem „magnetisierten Mittelkörper” die entsprechenden Striche durchführt; (3) das auf dem gleichen Wirkungsprinzip basierende Magnetisieren ohne die Präsenz des Arztes mittels eines magnetisierten Baumes oder eines magnetisierten Wasserbades, wie es vor allem bei der gleichzeitigen und damit billigeren Behandlung mehrerer Patienten zur Anwendung kam; (4) das Magnetisieren mit künstlichen Akkumulatoren, das sich ebenfalls zur Fernbehandlung eignete. Dazu zählt beispielsweise das berühmte Mesmersche „Baquet”, ein mit magnetisiertem Material (u. a. Wasser) gefüllter Zuber, aus dem Eisenstäbe oder auch Drähte, die mit den erkrankten Körperteilen in Berührung kommen sollen, herausragen (Abb. [4]).

Abb. 4 Mesmeristische Behandlung. Farblithographie, Anfang 19. Jh. (Bildarchiv IGM, Stuttgart).

Zu den bekanntesten Vertretern des Mesmerismus in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zählt der deutsch-jüdische Arzt David Johann Ferdinand Koreff (1783-1851), der literarisches Vorbild der Figur des „Dr. K.” in E.T.A. Hoffmanns Erzählung Das öde Haus ist und der nicht nur mit Heinrich Heine befreundet war, sondern diesem auch ärztliche Ratschläge gab. Über die enge freundschaftliche Beziehung legt ein Gedicht, das Heine seinem Arzt widmete, Zeugnis ab:

Prof. Dr. Robert Jütte

Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung Stuttgart

Straußweg 17

70184 Stuttgart

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