Dtsch Med Wochenschr 2005; 130(46): 2662
DOI: 10.1055/s-2005-922052
Pro & Contra
Hypertensiologie
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Akutbehandlung der Hypertonie bei Schlaganfall - Pro

Treatment of high blood pressure in acute stroke - proJ. Schrader1
  • 1Medizinische Klinik, St Josefs-Hospital Cloppenburg
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Publication History

eingereicht: 9.9.2005

akzeptiert: 28.9.2005

Publication Date:
10 November 2005 (online)

Ein erhöhter Blutdruck ist bei akutem Schlaganfall sehr häufig. Ca. 75 % aller Patienten mit ischämischen Schlaganfall und mehr als 80 % mit intrazerebraler Blutung haben während der ersten 24 - 48 Stunden erhöhte Blutdruckwerte. Der Blutdruck sinkt bei den meisten Patienten während der nächsten Tage spontan, aber mehr als 40 - 50 % bleiben hypertensiv. Dieser initiale Blutdruckanstieg wird als Reaktion interpretiert, den zerebralen Blutdrucks in der Penumbra zu erhalten bzw. zu erhöhen, da dort die zerebrale Autoregulation aufgehoben ist und deshalb der zerebrale Blutfluss druckpassiv mit dem systemischen Blutdruck korreliert. Aufgrund dieser Überlegungen wird argumentiert, dass eine Blutdrucksenkung in der Akutphase kontraindiziert ist. Bestätigt wird dies durch die INWEST-Studie [2], in der eine i. v. Gabe von Nimodipin die Prognose verschlechterte. Allerdings wurde hier eine extreme Blutdrucksenkung in wenigen Stunden erreicht, was heute unstrittig falsch ist. Ein sehr niedriger Blutdruck bzw. eine starke Blutdrucksenkung sind sicher schädlich.

Das Hauptproblem ist, dass die bisherigen Empfehlungen nicht ausreichend auf evidenzbasierten Daten beruhen. Außer der als Safety-Studie konzipierten ACCESS-Studie [1] liegt derzeit keine Untersuchung zur Akutbehandlung der Hypertonie bei Schlaganfall vor. Dies erklärt auch die teilweise abweichenden Empfehlungen zum Therapiebeginn. Das Dilemma wird besonders deutlich bei den zur Lyse vorgesehenen Patienten. Während wegen der Blutungsgefahr zu Recht ein Therapiebeginn ab 180 mmHg systolisch empfohlen wird, sollten Patienten, bei denen keine Lyse erfolgt, erst ab 200 bis 220 mmHg behandelt werden. Demnach müssten die zu lysierenden Patienten erst die Gefahr durch die Blutdrucksenkung überstehen, bevor sie von dem Nutzen der Lyse profitieren. Die Studiendaten geben hierauf glücklicherweise keinen Hinweis. Dagegen häufen sich die Daten, dass eine vorsichtige und langsame Blutdrucksenkung sinnvoll sein kann, sicher ist und dass einige Antihypertensiva zusätzlich zur Blutdrucksenkung neuroprotektive Effekte haben.

In einer Reihe von Untersuchungen korreliert ein initial stark erhöhter Blutdruck (insbesondere bei Verwendung von Langzeitblutdruckmesswerten) mit einer schlechten Prognose: Er erhöht das Risiko für Hirnödeme und sekundäre Einblutungen, kann zu einer Zunahme von Blutungen bei rtpa-Lyse und möglicherweise auch bei antikoagulierten Patienten führen. Ferner erhöht er die kardiale Komplikationsrate bei den häufig vorbestehenden kardialen Erkrankungen und kann zusätzliche vaskuläre Schädigungen auslösen. Weiterhin zeigten eine Reihe von Studien, dass eine vorsichtige Blutdrucksenkung von nicht mehr als 15 % insbesondere mit Hemmstoffen des Renin-Angiotensin-Systems den zerebralen Blutfluss nicht vermindert und zu keiner neurologischen Verschlechterung führt.

In der ACCESS-Studie [1] wurden die Endpunkte im Therapiearm unabhängig vom Blutdruck signifikant gesenkt. In der behandelten Gruppe konnte kein Endpunkt auf eine zu starke Blutdrucksenkung zurückgeführt werden und die Patienten mit einer Senkung des Blutdrucks um mehr als 10 mmHg profitierten stärker als Patienten ohne Blutdrucksenkung und ohne Therapie. Eine Metaanalyse an 10 982 Patienten [3] weist ebenfalls darauf hin, dass eine moderate und vorsichtige Blutdrucksenkung die Prognose zu verbessern scheint. Allerdings sind dringend weitere Studien notwendig, um Therapieempfehlungen abzusichern. Schon die Häufigkeit von Pro-und-contra-Diskussionen auf Kongressen und Zeitschriften belegt die ungesicherte Datenlage.

Zusammenfassend ist sowohl eine zu ausgeprägte Blutdrucksenkung wie auch ein sehr hoher Blutdruck prognostisch ungünstig. Der optimale Blutdruckbereich und der Therapiebeginn müssen dringend in Studien evaluiert werden. Nach den vorliegenden Daten scheint der optimale systolische Blutdruck zwischen 140 - 180 mmHg zu liegen. Ebenfalls eine offene Frage ist, ob eine vorbestehende Hochdrucktherapie fortgeführt werden kann und ob direkte Blutdruck-unabhängige neuroprotektive Wirkungen von bestimmten Antihypertensiva bestehen. Einige Studien sind weltweit in Planung. Ob sich aber für diese dringenden klinischen Fragen Mittel aufbringen lassen, erscheint allerdings mehr als fraglich.

Literatur

  • 1 Schrader J, Lüders S, Kulschewski A. et al. On behalf of the ACCESS study group . Evaluation of acute candesartan cilexetil therapy in stroke survivors.  Stroke. 2003;  34 1699-1703
  • 2 Wahlgren N G, McMahon D G, DeKeyser J. et al . Intravenous nimodipine west European stroke trial (IN-WEST) of nimodipine in the treatment of acute ischemic stroke.  Cerebrovasc Dis. 1994;  4 204-210
  • 3 Willmot M, Leonardi-Bee J, Bath P MW. High blood pressure in acute stroke and subsequent outcome. A systematic review.  Hypertension. 2004;  43 18-24

Prof. Dr. Joachim Schrader

Medizinische Klinik, St. Josefs-Hospital Cloppenburg

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