Dtsch Med Wochenschr 2005; 130(37): 2084
DOI: 10.1055/s-2005-916346
Kommentar
Infektiologie
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Infektionskrankheiten im Wandel

H. Lode1
  • 1Klinik für Pneumologie und Infektiologie, Helios Klinikum Emil von Behring Berlin
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Publication Date:
13 September 2005 (online)

Infektionskrankheiten haben weltweit hinsichtlich Morbidität und Mortalität im Vergleich zu anderen Erkrankungen die weitaus größte epidemiologische Bedeutung. Jährlich sterben jeweils mehr als 2 Mio Menschen an Infektionen der tiefen Atemwege, Tuberkulose und den Folgen von AIDS. Auch in entwickelten westlichen Industrieländern haben Infektionskrankheiten neben Herzkreislauf- sowie bösartigen und chronisch degenerativen Erkrankungen ihren Stellenwert behalten. In den letzten 3 Jahrzehnten sind viele neue Infektionskrankheiten aufgetreten, genannt seien Infektionen durch HIV, H5N1, Helicobacter pylori, Streptococcus suis oder Coronaviren (SARS). Der Rückgang alter - unter Kontrolle geglaubter - Infektionskrankheiten ist zum Stillstand gekommen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass immer neue virulente Varianten von bekannten oder bislang unbekannten Krankheitserregern - ähnlich wie HIV - auftreten und eine Bedrohung darstellen. Epidemiologische Experten und Virologen warnen nachdrücklich vor einer bedrohlichen Influenza-Pandemie durch H5N1, da dieser Erreger sich offensichtlich auch Mitteleuropa nähert. Als ursächlich für die unveränderte Bedrohung wurden Faktoren wie genetische und biologische Potenzen der mikrobiellen Erreger, Veränderungen des globalen Klimas, das sich verändernde menschliche Verhalten und die entsprechenden Aktivitäten wie Globalisierung der Wirtschaft, internationaler Tourismus und Nahrungsketten, soziale, politische und ökonomische Faktoren (insbesondere Kriege und Hungerepidemien) sowie nicht zuletzt bioterroristische Aktivitäten identifiziert. Die Erkenntnisse der letzten Jahre haben darüber hinaus gezeigt, dass Krankheitserreger (z. B. HBV, HCV, Helicobacter pylori) Ursachen oder Kofaktoren für Tumorerkrankungen und möglicherweise auch für chronisch degenerative Erkrankungen sein können.

Die Zunahme der Antibiotikaresistenzen bei Bakterien, Viren und Pilzen ist in manchen Fällen bereits so gravierend (Intensivstationen, hämatologische und Transplantationsabteilungen), dass möglicherweise gegen bestimmte Krankheitserreger demnächst keine Antibiotika mehr zur Verfügung stehen und sich damit die postantibiotische Ära ankündigt. Hinzuweisen ist hier auf die dramatische Zunahme von Methicilllin-resistenten Staphylokokken (MRSA), die primär ausschließlich im Krankenhaus isoliert wurden und inzwischen in großem Umfang auch als ambulante Erreger berücksichtigt werden müssen. Multiresistente gramnegative Erreger wie Pseudomonas aeruginosa oder Acinetobacter baumanii sind bei rezidivierenden nosokomialen Infektionen teilweise komplett resistent und müssen mit dem recht nephrotoxischen alten Antibiotikum Colistin behandelt werden. Multiresistente Mykobakterien sind gleichfalls ein erhebliches therapeutisches Problem und haben in den letzten Jahren nicht nur im östlichen Europa, sondern in geringem Umfang auch in Deutschland zugenommen. Die Entwicklung neuer antibakterieller Pharmaka ist im letzten Jahrzehnt dramatisch zurückgegangen. So ist 2002 keine neue Substanz auf diesem Sektor von der Nordamerikanischen Zulassungsbehörde (FDA) zugelassen worden und 2003 waren es nur zwei Substanzen.

In Deutschland ist die Aus- und Fortbildung auf dem Gebiet der klinischen Infektiologie außerordentlich limitiert, es existiert nur eine Abteilung für klinische Infektiologie an einer Universitätsklinik (Charité Berlin). Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat diese Defizite schon vor Jahren erkannt und erneut in einer aktuellen Initiative 2005 eine Förderung zur Bildung von klinischen Forschergruppen auf den Weg gebracht. Die Situation in Deutschland unterscheidet sich diametral von der in Nordamerika, wo es mehrere 100 Abteilungen für klinische Infektiologie in allen größeren akademischen Krankenhäusern gibt.

Die DMW hat sich immer aktuell mit neuen Entwicklungen auf dem Gebiet der Infektiologie beschäftigt. Schon in den Gründerjahren wurden die bahnbrechenden Publikationen von Robert Koch und Paul Ehrlich publiziert. In der neueren Zeit erschien z. B. 1982 der erste Artikel zu AIDS und wenige Wochen nach dem Auftreten von SARS wurden das klinische Bild und die mögliche Behandlung dieses Krankheitsbildes von Rickerts et al. beschrieben. Manche Hypothese, wie die ätiologische Bedeutung von Chlamydia pneumoniae bei der koronaren Herzerkrankung (Bauriedel et al., 1999), hat sich allerdings nach neueren Studien nicht bestätigt. Infektionen und Infektionskrankheiten unterliegen als Teil der natürlichen Evolution des Lebensraumes einem ständigen Wandel; Aufgabe der DMW sollte es auch in Zukunft sein, neue Erkenntnisse auf diesem Gebiet kontinuierlich wissenschaftlich und publizistisch zu begleiten.

Prof. Dr. med. Hartmut Lode

Klinik für Pneumologie und Infektiologie, Helios Klinikum Emil von Behring Berlin

Zum Heckeshorn 33

14109 Berlin

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