Dtsch Med Wochenschr 2005; 130: S86-S90
DOI: 10.1055/s-2005-870877
Übersichten

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Retrolektives Studiendesign - ein neues Werkzeug der evidenzbasierten Medizin

Retrolective study design - a new tool of evidence-based medicineS. Martin1
  • 1Deutsche Diabetes Klinik, Deutsches Diabetes-Zentrum, DDZ, Leibniz-Zentrum für Diabetesforschung an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
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Publication Date:
30 June 2005 (online)

Zusammenfassung

Dass die evidenzbasierte Medizin (EBM) nur aus randomisierten, kontrollierten Studien (RCTs) besteht, ist ein Trugschluss. In manchen Situationen lässt sich dieses Werkzeug gar nicht einsetzen, so dass der Blickwinkel zur Gewinnung medizinischer Evidenz weiter zu fassen ist. Jedes Studiendesign hat Stärken, aber auch Limitationen: Doppelblind durchgeführte RCTs bieten die einzigartige Möglichkeit, die Wirksamkeit neuer Behandlungen zu analysieren. Infolge der Selektion der Studienpatienten und -zentren herrscht aber in diesen Studien oft kein „Real Life”, so dass sie möglicherweise keine (verlässliche) Vorhersage der Wirksamkeit unter klinischen Alltagsbedingungen erlauben. Die Studiensituation in Beobachtungsstudien entspricht dem wirklichen Leben eher. Beobachtungsstudien mit gutem Design kommen im überwiegenden Teil der Fälle zu vergleichbaren Ergebnissen wie RCTs, sind allerdings nur bei medizinischen Verfahren durchführbar, die schon in der täglichen Routine eingesetzt werden. Die Qualität von Beobachtungsstudien lässt sich durch verschiedene Maßnahmen verbessern: definierte Einschlusskriterien, Erfassung von zahlreichen Basisdaten und Daten zu möglichen Confoundern, Adjustierung von festgestellten Gruppenungleichgewichten mit statistischen Methoden, große Patientenzahlen, lange Beobachtungszeit und „harte” Endpunkte. Das so genannte retrolektive Design - eine besonders sorgfältig durchgeführte epidemiologische Kohortenanalyse - berücksichtigt diese Maßnahmen. Es handelt sich dabei um eine prospektive Beobachtungsstudie, deren Beginn in die Vergangenheit gelegt wurde und in der vorhandene Praxis- oder Krankenkassendaten analysiert werden, und zwar in großem Umfang und vergleichsweise kurzer Zeit. Zwei Studien aus dem Bereich Diabetes mit retrolektivem Design - eine zur Gewichtsentwicklung unter oralen Antidiabetika und eine zum Effekt der Blutzuckerselbstkontrolle mit überraschendem Ergebnis - werden vorgestellt.

Literatur

  • 1 Benson K, Hartz A J. A comparison of observational studies and randomized, controlled trials.  N Engl J Med. 2000;  342 1878
  • 2 Concato J, Shah N, Horwitz R I. Randomized, controlled trials, observational studies, and the hierarchy of research designs.  N Engl J Med. 2000;  342 1887
  • 3 Martin S, Kolb H, Beuth J, van Leendert R, Schneider B, Scherbaum W A. Change in patients’ body weight after 12 months of treatment with glimepiride or glibenclamide in Type 2 diabetes: a multicentre retrospective cohort study.  Diabetologia. 2003;  46 1611-1617
  • 4 Martin S, Schneider B, Heinemann L, Lodwig V, Kurth H -J, Kolb H, Scherbaum W A. for the ROSSO Study Group . Self-monitoring of Blood Glucose in Type 2 Diabetes and Long-term Outcome.  Diabetes. 2005;  54 (Suppl 1) A75, 303 OR

Prof. Dr. med. Stephan Martin

Deutsche Diabetes Klinik, Deutsches Diabetes-Zentrum, DDZ, Leibniz-Zentrum für Diabetesforschung an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Auf’m Hennekamp 65

40225 Düsseldorf

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