Dtsch Med Wochenschr 2005; 130: S66-S71
DOI: 10.1055/s-2005-870873
Übersichten

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Definition, Vorgehensweise und Ziele der evidenzbasierten Medizin

Definition, procedure and targets of evidence-based medicineB. Häussler1
  • 1IGES Institut für Gesundheits- und Sozialforschung GmbH
Further Information

Publication History

Publication Date:
30 June 2005 (online)

Zusammenfassung

Die evidenzbasierte Medizin (EBM) entstand durch die massive Verunsicherung, als die enorme Varianz des medizinischen Handelns bewusst wurde, die auf beträchtliche Unsicherheiten im Medizinsystem und beim Einzelnen Arzt hinwies. Methodisch geht die EBM in drei Schritten vor: die beste Evidenz definieren, finden und schließlich in der klinischen Entscheidungssituation anwenden. Die Ergebnisse randomisierter, kontrollierter Studien (RCTs) genießen im Rahmen der EBM die höchste Glaubwürdigkeit (Evidenzniveau I). In der klinischen Entscheidungssituation stellt der ärztliche Anwender von systematisch erhobenem Wissen jedoch häufig fest, dass im konkreten Fall Randbedingungen bestehen, zu denen es in den Studien keine Entsprechungen gibt. Die ärztliche Tätigkeit ist daher auch zu Zeiten von EBM die Kunst, das wissenschaftliche Wissen auf den konkreten Patienten zu beziehen. Die EBM verfolgt das Hauptziel der verstärkten und beschleunigten Einführung von gesichertem Wissen in die klinische Entscheidung. Zahlreiche Beispiele belegen, dass die EBM ärztliche Entscheidungen verändert hat. Die EBM hat aber auch Probleme; eine wichtige ungelöste Frage lautet: Was lassen wir als Evidenz zu? RCTs erschaffen oft künstliche Welten mit hoher Patientencompliance, geringer Komorbidität, Altersbegrenzung usw., so dass die Umsetzung ihrer Ergebnisse in die Praxis problematisch ist. Davon abzuleiten ist die Forderung, den Primat der RCT zu relativieren. Eine weitere ungelöste Frage, die ein großes Konfliktpotential birgt, betrifft die EBM als Zugangsbarriere zur Kostenerstattung: Wie lassen sich EBM und ökonomisch relevante Entscheidungen entflechten?

Literatur

  • 1 Wennberg J, Gittelsohn A. Variations in medical care among small areas. Sci Am 1982 246 (4): 120-134
  • 2 Maag H, Schräder W F (1982). Die Krankenhaushäufigkeit der Versicherten der Allgemeinen Ortskrankenkasse Heilbronn im Bereich Gynäkologie und Geburtshilfe. Eine Analyse auf Basis von Prozessdaten der Gesetzlichen Krankenversicherung (G127).  Berlin (IGES-Arbeitspapier. Nr. 82-15
  • 3 Sackett D L, Rosenberg W M, Gray J A, Haynes R B, Richardson W S. Evidence based medicine: what it is and what it isn’t.  Brit Med J  1996;  312 71-72

Prof. Dr. Bertram Häussler

IGES Institut für Gesundheits- und Sozialforschung GmbH

Wichmannstraße 5

10787 Berlin

    >