Dtsch Med Wochenschr 2005; 130(25/26): 1566-1567
DOI: 10.1055/s-2005-870866
Klinischer Fortschritt

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Onkologische Chirurgie - Chirurgische Onkologie

Oncological surgery - Surgical oncologyJ. R. Siewert1
  • 1Chirurgische Klinik und Poliklinik der Technischen Universität München
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Publication Date:
16 June 2005 (online)

Die onkologische Chirurgie ist im Umbruch! - Aber wohin geht die Fahrt? Was sind die Voraussetzungen für weitere klinische Fortschritte? Zwei Gesichtspunkte erscheinen wichtig.

Zum einen ist die onkologische Chirurgie durch chirurgische Denkabläufe gekennzeichnet, die an den Besonderheiten und den Eigengesetzlichkeiten der Tumorerkrankung orientiert sind, und nicht ausschließlich an der chirurgischen Machbarkeit oder der chirurgischen Technik („chirurgische Onkologie”); zum anderen ist die Interdisziplinarität in besonderer Weise Kennzeichen der chirurgischen Onkologie. Nur so sind in der Mehrzahl der Fälle die heute zu fordernden multimodalen Therapien für den Patienten sicherzustellen.

Dem ersten Gesichtspunkt kann man am besten Rechnung tragen, wenn man in der Weiterbildungsordnung für Chirurgie die Eigenständigkeit der onkologischen Chirurgie besser zum Ausdruck bringen würde. Auch hier gilt: Spezialisierung ist der Garant des Forschritts und bedarf der nach außen sichtbaren Zertifizierung.

Die Wege zur Interdisziplinarität sind dagegen schon jetzt klarer erkennbar: Nur ein institutionalisiertes Tumorboard, d. h. eine organisierte kontinuierliche interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen allen an der Therapie der Krebskrankheit beteiligten Disziplinen zum Wohle des individuellen Patienten garantiert den Fortschritt.

Warum wird diese Interdisiziplinarität bereits von Anfang an, d. h. zum Zeitpunkt der Diagnosestellung der Tumorerkrankungen immer wichtiger? Weil die neoadjuvanten Therapieprinzipien immer mehr an Boden gewonnen haben. In den ersten Phase III-Studien ist der Vorteil der präoperativen Therapie zunehmend besser belegt. Die MRC-Studie belegt diesen Vorteil eindeutig für das Adenokarzinom der Speiseröhre und zeigt einen starken Trend zugunsten der neoadjuvanten Therapie auch für das Plattenepithelkarzinom auf.[1] Beim Magenkarzinom hat die MAGIC-Studie erste überzeugende Daten vorgelegt. [2] Dasselbe gilt für das Rektumkarzinom.[3] Hier ist der Wert der neoadjuvanten Radio-Chemo-Therapie sogar in zwei prospektiv kontrollierten Studien (Dutch-Trial [4], Erlangen-Studie [3]) gesichert. Viele andere Phase III-Studien laufen noch, werden aber diesen Trend sicher weiter untermauern.

Zudem gewinnt die neoadjuvante Therapie an Zielsicherheit: Durch die Möglichkeit der Messung der metabolischen Response (über das PET-Imaging) ist zumindest beim Ösophaguskarzinom, in geringerem Umfang auch beim Magenkarzinom, sehr früh, d. h. bereits nach 14 Tagen, die Response unter neoadjuvanter Therapie erfassbar geworden. [5] [6] Alle bisher vorliegenden Phase II-Studien zeigen übereinstimmend, dass nur die Responder unter neoadjuvanter Therapie von einer derartigen Therapie auch prognostisch profitieren. [7] [8] Die frühzeitige Erfassung der Response - z. B. durch PET-Imaging - kann deshalb dem nicht-ansprechenden Patienten die Last der präoperativen Therapie ersparen und unnötige Kosten im Gesundheitssystem vermeiden. Auf der anderen Seite kann sie die Therapie auf die Responder konzentrieren und bei ihnen konsequent durchführen. Mehr noch: Die frühe Response-Evaluation trennt offenbar zwischen biologisch günstigen und biologisch ungünstigen Tumorerkrankungen, die - wie zunehmend mehr klar wird - unterschiedlicher onkologischer Therapien bedürfen. Es kann jetzt schon vorausgesehen werden, dass dieses Unterscheidungskriterium zu einer Neuauflage vieler Studien im Sinne so genannter „Response-basierter-Studien” führen wird.

Bei dieser zunehmenden Bedeutung der neoadjuvanten Therapieprinzipien müssen organisatorische Strukturen geschaffen werden, die allen Patienten die Chance auf eine multimodale Therapie eröffnen. Diese Struktur ist in Form des so genannten „Tumorboards” d. h. des Tumortherapie-Zentrums bereits erprobt, bedarf aber noch der flächendeckenden Umsetzung. Hier besteht in Deutschland immer noch ein erhebliches Defizit. Dies, obwohl die Überlegenheit der Zentrumsstrukturen und der so genannten „High-Volume-Hospitals” wissenschaftlich unzweifelhaft belegt ist. In Deutschland werden z.Zt. noch diese erkennbaren Fortschritte durch eine fruchtlose Diskussion um die Mindestmengen blockiert. [9]

Aber auch unter den Chirurgen muss die Einsicht wachsen, dass diese Strukturen für den Individualpatienten vorteilhaft sind,. Der onkologische Chirurg muss zum Teamplayer werden. Hier kann eine zertifizierte onkologische Chirurgie wesentlich zu einer Verbesserung dieser onkologischen Strukturen beitragen.

Lässt man die Fortschritte in der onkologischen Therapie der letzten Dekade Revue passieren, so wird rasch klar, dass vor allen Dingen durch die zunehmende Individualisierung der Therapie klinische Fortschritte vor allen Dingen für gut definierte Subgruppen von Tumor-Patienten, z. B. mit gastrointestinalen Tumoren, erreicht wurden. Diese zunehmende Individualisierung der onkologischen Therapie ist nicht zuletzt auch Ausdruck einer verbesserten Diagnostik, die in der Lage ist, eine Fülle von Informationen über die Tumorerkrankung und den Patienten zu liefern, die wiederum zur Definition von Subgruppen und unterschiedlichen onkologischen Therapieprotokollen führt. In dieses Gesamtkonzept der onkologischen Therapie muss sich die onkologische Chirurgie einfügen. Sie muss ihren Stellenwert in der interdisziplinären Diskussion überzeugend vertreten. Sie muss aber auch ihre Ergebnisse dem interdisziplinären Urteil vorlegen und muss vor allem Subgruppen definieren, bei denen onkologische Chirurgie effektiv ist.

Hier ist in den letzten Jahren viel erreicht worden. Seit geraumer Zeit ist klar, dass eine chirurgische Resektion für den Patienten nur dann prognostisch sinnvoll ist, wenn die Operation zur Residualtumorfreiheit des Patienten führt. Alle anderen Formen der Resektion verbleiben palliativ. Die verbesserte Diagnostik lässt diese Patientenzielgruppe der Chirurgie gut erkennen und identifizieren. Die alte chirurgische Philosophie, zunächst einmal diagnostisch laparotomieren und sehen, was der Chirurg für die Patienten zu tun in der Lage ist, und diesen dann später der konservativen onkologischen Therapie zu überstellen, ist überholt und hat so keinen Stellenwert mehr. Indikationen zur Tumorvolumenreduktion haben in der Routine keinen Platz mehr, und können nur im Zusammenhang mit anderen nicht-chirurgischen Therapieprinzipien bei bestimmten Erkrankungen (z. B. Ovarialkarzinom) als sinnvoll akzeptiert werden. Darüber hinaus muss sich die Chirurgie zunehmend mehr an den Ergebnissen der neoadjuvanten Therapie orientieren. Die onkologische Chirurgie muss in Zukunft differenzierte Therapiekonzepte für Patienten mit einer guten Tumor-Response und solchen Patienten ohne Tumor-Response erarbeiten und erproben. Auf die neoadjuvante Therapie gut ansprechende Patienten werden wohl auch in Zukunft, um den Erfolg der Vorbehandlung zu sichern, einer radikalen zur Residualtumorfreiheit führenden Operation bedürfen. Modifizierte Konzepte müssen aber für die Non-Responder erprobt werden.

Auch die onkologische Chirurgie selbst hat sich weiter entwickelt und wird es auch in Zukunft tun. Nachdem in der letzten Dekade die Prinzipien der Radikalität, vor allem auch in Hinblick auf die Standardisierung der Lymphadenektomie, d. h. der Radikalität in der 4. Dimension, erarbeitet worden sind, besteht die Aufgabe der nächsten Dekade darin, auch bzgl. der chirurgischen Therapie mehr Indivídualität bezogen auf den Patienten walten zu lassen. Ein erster wesentlicher Schritt in diese Richtung ist das Konzept des „Sentinel Lymph Node Mappings”, d. h. der intraoperativen Darstellung der Lymphabflusswege und der intraoperativen Evaluation des so gewonnenen Lymphknoten bzw. der Lymphknotengruppe in Hinblick auf Tumorbefall. Diese intraoperative Lymphknotenmarkierung hat sich im Bereich des oberen Gastrointestinaltraktes in erster Linie bei den frühen Karzinombefunden bewährt und öffnet hier das Tor zur limitierten Chirurgie. Im Bereich des Kolonkarzinoms dagegen führt dieses Prinzip der Lymphknotenmarkierung gelegentlich eher zu einer Erweiterung des Eingriffes, weil überraschend Lymphabflusswege sichtbar werden, die bei klassischem Resektionsausmaß nicht berücksichtigt worden wären. Darüber hinaus führt die bessere Identifizierbarkeit der entscheidenden Lymphknoten und die verbesserte histologische Aufarbeitung mit Immunohistochemie und PCR zu einem Upstaging vor allem im Bereich des UICC-Tumor-Stadiums II. Hier wird sich eine neue Chance zu einer gezielteren adjuvanten Therapie beim Kolonkarzinom eröffnen, die derzeit in prospektiven Studien überprüft wird [10].

Die onkologische Chirurgie hat zudem erkannt, dass Radikalität nicht gleich Verstümmelung sein muss. Vielmehr hat man die für die postoperative Lebensqualität wichtigen Strukturen, insbesondere die Innervation wichtiger Organe anatomisch aufgearbeitet und zum Bestandteil der onkologischen Chirurgie gemacht. Soviel Radikalität wie nötig und soviel funktionserhaltende Präparation, d. h. vor allen Dingen nervschonende Resektionstechniken, wie möglich, heißt heute die Devise.

Ein letzter Gesichtspunkt gewinnt zunehmend mehr an Bedeutung innerhalb der onkologischen Chirurgie. Zumindest für die Chirurgie des Gastrointestinaltraktes konnte überzeugend aufgezeigt werden, dass postoperative Komplikationen einen eigenständigen Prognosefaktor darstellen, d. h., Patienten mit postoperativen Komplikationen haben eine schlechtere Prognose unabhängig von einer möglicherweise erhöhten postoperativen Mortalität. Diese Erkenntnis ist wichtig und wird dazu führen, die chirurgischen Therapieprinzipien auf ihre Sicherheit zu überprüfen und Strategien zur Vermeidung von postoperativen Komplikationen zu erarbeiten. Auch hier sind erste modifizierte chirurgische Therapiekonzepte bereits jetzt erkennbar [11]. Zudem ermöglichen moderne Methoden die Erfassung der Immunfunktion des zu operierenden Patienten, d. h. auch die Identifikation solcher Patienten mit einer Immunsuppression möglicherweise als Folge der neoadjuvanten Therapie und diese besonderen Therapiestrategien zuzuführen [12].

Literatur

  • 1 Medical Research Council Oesophageal Cancer Working Party . Surgical resection with or without preoperative chemotherapy in oesophageal cancer: a randomised controlled trial.  Lancet. 2002;  359 1727-1733
  • 2 Allum W, Cunningham D, Weeden S. on behalf of the NCRI Upper GI Clinical Study Group . Perioperative chemotherapy in operable gastric and lower oesophageal cancer. A randomised controlled trial (the MAGIC trial ISRCTN 93 793 971).  Proc Am Soc Clin Oncol. 2005;  in press
  • 3 Sauer R, Becker H, Hohenberger W, Rödel C, Wittekind C. et al. for the German Rectal Cancer Study Group . Preoperative versus Postoperative Chemoradiotherapy for Rectal Cancer.  N Engl J Med. 2004;  351 1731-1740
  • 4 Krook J E, Moertel C G, Gunderson L L. et al . Effective surgical adjuvant therapy for high-risk rectal carcinoma.  N Eng J Med. 1991;  342 709-715
  • 5 Ott K, Fink U, Becker K, Stahl A, Dittler H J, Busch R. et al . Prediction of response to preoperative chemotherapy in gastric carcinoma by metabolic imaging: results of a prospective trial.  J Clin Oncol. 2003;  21 4604-4610
  • 6 Weber W A, Ott K, Becker K, Dittler H J, Helmberger H, Avril N E. et al . Prediction of response to preoperative chemotherapy in adenocarcinomas of the esophagogastric junction by metabolic imaging.  J Clin Oncol. 2001;  19 3058-3065
  • 7 Ott K, Sendler A, Becker K, Dittler H J, Helmberger H, Busch R. et al . Neoadjuvant chemotherapy with cisplatin, 5-FU, and leucovorin (PLF) in locally advanced gastric cancer: a prospective phase II study.  Gastric Cancer. 2003;  6 159-167
  • 8 Lowy A M, Mansfield P F, Leach S D, Pazdur R, Dumas  P, Adjani J A. Rsponse to neoadjuvant chemotherapy best predicts survival after curative resection for gastric cancer.  Ann Surg. 1999;  229 303-308
  • 9 Siess M, Siewert J R. Patientensicherheit unter dem Gesichtspunkt von Spezialisierung, Mindestmengen und Zentrenbildung.  Dtsch Med Wochenschr. 2005;  10 503-507
  • 10 Siewert J R. Sentinel Lymph Node Reevaluation.  Chirurg. 2004;  75 749-750
  • 11 Stein H J, Bartels H, Siewert J R. Oesophaguscarcinom: Zweizeitiges Operieren als Mediastinitisprophylaxe beim Risikopatienten.  Chirurg. 2001;  72 881-886
  • 12 Emmanuel K, Weighart H, Bartels H, Siewert J R, Holzmann B. Current and Future Concepts of Abdominal Sepsis.  World J Surg. 2005;  29 3-9

J. R. Siewert

Chirurgische Klinik und Poliklinik, Technische Universität München

Ismaningerstraße 22

81675 München

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